Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.03.2011, Az.: 8 LB 121/08

Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.03.2011
Aktenzeichen
8 LB 121/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 13303
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0330.8LB121.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 08.08.2008 - AZ: 4 A 25/06

Amtlicher Leitsatz

Maßgeblich für die Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote ist, ob der Ausländer die Feststellung aufgrund behaupteter Verfolgungsgefahren (Zuständigkeit des Bundesamtes) oder aus verfolgungsunabhängigen, rein humanitären Gründen (Zuständigkeit der Ausländerbehörde) begehrt (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - 1 C 11.08 -, BVerwGE 134, 124, 137 f.; BVerwG, Beschl. v. 3.3.2006 - 1 B 126.05 -, NVwZ 2006, 830 f.).

Aus dem Entscheidungstext

1

I.

Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen.

2

Die Kläger zu 1. und 2. und ihre Kinder, die Kläger zu 3. und 4., stammen aus Pec im Kosovo und sind nach eigenen Angaben Angehörige der Volksgruppe der Roma. Sie reisten im Sommer 1998 illegal in das Bundesgebiet ein. Hier geboren sind die weiteren Kinder der Kläger zu 1. und 2., die Kläger zu 5. und 6. Die Durchführung von Asylverfahren beantragten die Kläger nicht. Sie werden seit ihrer Einreise bzw. Geburt im Bundesgebiet geduldet und erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der Beklagte erließ am 30. Juni 1999 und am 17. Juli 2003 Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen.

3

Unter dem 12. Januar 2005 beantragten die Kläger die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes und wiesen zur Begründung auf die Lage der Roma im Kosovo und eine sich daraus ergebende Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Ausreise hin. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 21. April 2005 ab.

4

Hiergegen haben die Kläger am 20. Mai 2005 Klage erhoben und geltend gemacht, ihnen stehe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zu. Nach der geltenden Erlasslage sei für Angehörige der Volksgruppe der Roma aus dem Kosovo sowohl von der rechtlichen Unmöglichkeit einer Abschiebung als auch von der Unzumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr auszugehen. Zudem sei die Klägerin zu 1. seit Mai 2005 in psychotherapeutischer Behandlung. Sie leide ausweislich eines psychologisch-psychotraumatologischen Fachgutachtens der H. GmbH vom 13. September 2006 (Gutachten TTC, Bl. 95 bis 149 Gerichtsakte - GA -) unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch aus diesem Grund sei ihr eine Rückkehr in das Heimatland unzumutbar.

5

Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat die Klägerin zu 1. am 27. Dezember 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines sich aus ihrer Erkrankung ergebenden zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes gestellt, über den der Beklagte bisher nicht entschieden hat.

6

Das Verwaltungsgericht hat nach der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2007 über den Gesundheitszustand der Klägerin zu 1. Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Medizinischen Hochschule Hannover. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 16. Juni 2008 (Gutachten MHH, Bl. 315 bis 369 GA) verwiesen.

7

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 21. April 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

8

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er hat darauf hingewiesen, dass lediglich für den Kläger zu 2. ein serbischer Reisepass vorliege, die Identität der übrigen Kläger aber nicht nachgewiesen sei. Die Kläger hätten zudem über die Erkrankung der Klägerin zu 1., die nicht bestehe, vorsätzlich getäuscht. Den Klägern könne auch keine Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung des § 104a des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden. Denn die Kläger zu 1. und 2. seien während ihres fast zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet niemals einer Beschäftigung nachgegangen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, diese würden künftig ihren Lebensunterhalt durch eine eigene Erwerbstätigkeit zumindest überwiegend sichern.

10

Das Verwaltungsgericht hat mit dem auf die weitere mündliche Verhandlung vom 8. August 2008 ergangenen Urteil den Beklagten verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse bis zum 31. Dezember 2009 zu erteilen, und den insoweit entgegenstehenden Bescheid des Beklagten vom 21. April 2005 aufgehoben. Der Kläger zu 2. habe einen Anspruch auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis bis zum 31. Dezember 2009 nach § 104a des Aufenthaltsgesetzes und die Kläger zu 1. und 3. bis 6. einen hiervon abgeleiteten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes. Der Kläger zu 2. erfülle die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Er habe insbesondere den Beklagten nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht. Dass er den Vortrag der Klägerin zu 1., sie sei so erkrankt, dass sie nicht abgeschoben werden könne, unterstützt hat, sei ihm nicht vorzuwerfen. Dass er Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehme, stehe der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Denn die von dem Beklagten favorisierte Auslegung des § 104a des Aufenthaltsgesetzes finde im Gesetz keine Stütze. Die Kläger zu 1. und 3. bis 6. hätten zwar keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach§ 104a des Aufenthaltsgesetzes, weil die Klägerin zu 1. kein Deutsch spreche und damit auch ihre Kinder von der Altfallregelung ausgeschlossen seien. Den Klägern zu 1. und 3. bis 6. stünde aber ein Anspruch auf Erteilung einer von dem Kläger zu 2. abgeleiteten befristeten Aufenthaltserlaubnis nach §§ 25 Abs. 5, 26 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes zu, denn ihre Ausreise würde zu einer dauerhaften Trennung vom Ehemann bzw. Vater führen, und sei daher rechtlich unmöglich. Einer Entscheidung darüber, ob die Klägerin zu 1. an einer posttraumatischen Belastungsstörung oder an einer vergleichbaren Erkrankung leide, so dass ihr (auch) ein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 3 i.V.m.§ 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes zustehe, bedürfe es nicht; denn auch bei einer positiven Feststellung eines solchen Abschiebungsverbotes könnte die Klägerin zu 1. wegen der Vorschrift des § 26 des Aufenthaltsgesetzes kein über den zugesprochenen Umfang hinaus bestehendes Aufenthaltsrecht erlangen.

11

Gegen dieses Urteil hat der Senat auf den Antrag des Beklagten mit Beschluss vom 17. Dezember 2008 - 8 LA 76/08 - die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zugelassen.

12

Der Beklagte verteidigt mit der Berufung sein bisheriges Vorbringen, wonach den Klägern keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne. Es sei ermessensgerecht, von der Soll-Bestimmung des § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes abzuweichen und den Antrag des Klägers zu 2. auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Rechtsgrundlage abzulehnen. Denn schon im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag könne hinreichend sicher prognostiziert werden, dass er eine überwiegend eigenständige Sicherung seines Lebensunterhalts auf Dauer nicht erreichen werde. Der Kläger zu 2. habe trotz seines seinerzeit fast zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ausschließlich von öffentlichen Sozialleistungen gelebt. Auch nur ernsthafte Bemühungen um einen Arbeitsplatz habe der Kläger zu 2. nicht nachgewiesen. Bis zum Jahre 2007 habe sich der Kläger zu 2. nicht einmal um eine Beschäftigungserlaubnis zu der ihm erteilten Duldung bemüht. Die lediglich sporadischen einzelnen Bewerbungen um Stellen, die die mangelnde berufliche Qualifikation des Klägers zu 2. nicht hinreichend berücksichtigten, ließen ein ernsthaftes Bemühen um eine Arbeitsaufnahme nicht erkennen. Diese seien zudem offensichtlich nur durch die Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahren motiviert. Berücksichtige man, dass der Kläger zu 2. über keine berufliche Qualifikation oder Vorbildung verfüge und auch keine berufspraktischen Tätigkeiten nachweisen könne, sei die negative Prognose gerechtfertigt. Die darüber hinausgehende Forderung des Verwaltungsgerichts nach einem extremen Ausnahmefall sei anhand des Wortlauts und des Sinns und Zwecks der gesetzlichen Bestimmung nicht zu rechtfertigen. Die Klägerin zu 1. erfülle unstreitig die Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Aufenthaltsgesetzes nicht, die nach § 104a Abs. 1 Satz 4 des Aufenthaltsgesetzes spätestens bis zum 1. Juli 2008 nachgewiesen sein muss. Den Klägern zu 1. und 2. sei zudem vorzuwerfen, dass sie über das Bestehen einer für die Aufenthaltsbeendigung relevanten Erkrankung der Klägerin zu 1. vorsätzlich getäuscht und damit den Ausschlussgrund des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Aufenthaltsgesetzes verwirklicht hätten. Schließlich sei der Kläger zu 2. durch Strafbefehl des Amtsgerichts Seesen vom 17. Februar 2000 zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden, die im Bundeszentralregister frühestens am 17. Februar 2010 und damit nach Ablauf des Erteilungszeitraums gemäß § 104a Abs. 5 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes getilgt werde und folglich den Ausschlusstatbestand des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Aufenthaltsgesetzes erfülle. Die Klägerin zu 1. könne auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 i.V.m.§ 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht verlangen. Zur Entscheidung berufen sei insoweit zwar die beklagte Ausländerbehörde und nicht - entgegen dessen mit Schreiben vom 6. und 25. November 2009 geäußerter Auffassung - das nach § 72 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes beteiligte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Denn die Klägerin zu 1. verlange keinen Schutz vor politischer Verfolgung oder Abschiebung in einen Staat, in dem die in § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes bezeichneten Gefahren drohen. Sie mache vielmehr allein die Unmöglichkeit einer Behandlung im Heimatland, zum Teil unter Verweis auf die Gefahr einer Retraumatisierung bei Rückkehr, geltend. Hier lägen indes die Voraussetzungen des§ 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vor. Das vom Verwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten sei zu dem klaren Ergebnis gekommen, dass die Beschwerdeschilderung und die Art und Weise der Symptomrepräsentation sowie die Symptomausprägung und Beschwerdekonstellation unplausibel seien und der dringende Verdacht einer Simulation und Aggravation bestehe. Psychische Beschwerden mit Krankheitswert seien bei der Klägerin zu 1. nicht festgestellt worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Befundschein des Facharztes für Allgemeinmedizin I. vom 9. Oktober 2009, zumal dieser letztlich therapeutische Optionen ausdrücklich verneint habe. Sei damit den Klägern zu 1. und 2. keine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und der Klägerin zu 1. keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 i.V.m. § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen, könnten die Kläger zu 3. bis 6. auch keine hiervon abgeleitete Aufenthaltserlaubnis nach§ 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes erhalten. Gleiches gelte selbst dann, wenn dem Kläger zu 2. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen wäre. Denn dann wäre ein Rückgriff auf die allgemeine Bestimmung des § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich der Kläger zu 1. und 3. bis 6. ausgeschlossen. Im Übrigen erfüllten diese die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 des Aufenthaltsgesetzes nicht, da ausschließlich der Kläger zu 2. über einen gültigen serbischen Reisepass verfüge. Anlass, von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzusehen, bestehe nicht, da es den Klägern zu 1. und 3. bis 6. bei entsprechenden eigenen Bemühungen möglich wäre, einen gültigen Pass zu erlangen. Solche Bemühungen seien aber trotz wiederholter Aufforderung zur Passbeschaffung nicht ersichtlich. Der Klägerin zu 6. könne auch nicht allein wegen ihrer geistigen Behinderung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 i.V.m. § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes erteilt werden.

13

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 8. August 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.

14

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Zur Begründung vertiefen sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Kläger zu 2. habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes. Der Beklagte habe zu Unrecht einen atypischen Ausnahmefall angenommen. Die Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis sei bewusst "auf Probe" angelegt, so dass bloße Zweifel an der zukünftigen eigenständigen Unterhaltssicherung der Erteilung nicht entgegen stünden. Die Unfähigkeit zur wirtschaftlichen Integration müsse vielmehr feststehen. Daran fehle es hier schon aufgrund der nachgewiesenen intensiven Erwerbsbemühungen des Klägers zu 2.. Zudem sei diesem eine Arbeitsaufnahme aufgrund der derzeitigen Erkrankung seiner Ehefrau nur eingeschränkt möglich. Trete hier eine Besserung ein, könne sich der Kläger noch intensiver um Arbeit bemühen. Schließlich sei die Arbeitsaufnahme durch das langwierige Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahren und die Weigerung des Beklagten, dem Kläger zu 2. eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen, deutlich erschwert worden. In die dem Kläger zu 2. zu erteilende Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes seien die Kläger zu 1. und 3. bis 6. einzubeziehen, um eine Aufspaltung des aufenthaltsrechtlichen Schicksals von Angehörigen einer Familie zu verhindern. Im Übrigen hätten sich die Kläger zu 1. und 3. bis 6. nachhaltig um Pässe bemüht, seien aber nicht in der Lage gewesen, solche zu erhalten. Die Klägerin zu 1. habe im Berufungsverfahren klargestellt, eine Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes in diesem Verwaltungsstreitverfahren nicht zu begehren. Ihr sei aber eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen. Das vorgelegte Gutachten TTC belege, dass die Klägerin zu 1. aufgrund einer im Heimatland erlebten Vergewaltigung und Tötung eines Sohnes an einer posttraumatischen Belastungsstörung und an einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leide, die sich bei einer Rückkehr in den Kosovo erheblich verschlechtern würden. Dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten MHH könne nichts anderes entnommen werden. Nach den Darstellungen der Gutachter haben diese und die anwesenden männlichen Supervisoren offensichtlich keinen Zugang zur Klägerin zu 1. erlangen können, sondern die Angstzustände der Klägerin zu 1. noch verstärkt. Die Gutachter hätten sich auch nicht bemüht, offen zutage tretende Erinnerungslücken der Klägerin zu 1., die gerade auf die psychische Erkrankung zurückzuführen seien, zu hinterfragen. Der gezogene Schluss, die Klägerin zu 1. übertreibe und simuliere die Erkrankung, werde nicht nachvollziehbar begründet. Weitere ärztliche Stellungnahmen der Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin J. vom 12. Juli 2008 und des Facharztes für Allgemeinmedizin K. vom 9. Oktober 2009 belegten vielmehr die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Hieraus ergebe sich neben einer dauerhaften Reiseunfähigkeit eine Unzumutbarkeit der Ausreise und ein damit verbundenes rechtliches Abschiebehindernis. Die Kläger zu 3. bis 6. seien zudem im Bundesgebiet geboren oder hätten hier den wesentlichen Teil ihres Lebens verbracht und ihre Sozialisation erlangt. Nahezu ihre gesamte Verwandtschaft halte sich im Bundesgebiet auf. Wegen der hiermit verbundenen faktischen Verwurzelung sei ihnen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes i.V.m. Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention zu erteilen. Hiervon könnten die Kläger zu 1. und 2. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ableiten. Im Übrigen sei bei der Klägerin zu 6. eine geistige Behinderung und ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A bis F) verwiesen.

17

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

18

Diese Entscheidung trifft der Senat nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

19

Das Verwaltungsgericht Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - hat in seinem Urteil vom 8. August 2008 den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

20

Die Kläger haben nach der grundsätzlich maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. für gebundene Entscheidungen: BVerwG, Urt. v. 1.12.2009 - 1 C 32.08 -, [...] Rn. 12; Urt. v. 16.6.2004 -1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86, 88, und grundsätzlich daran anknüpfend für Ermessensentscheidungen:BVerwG, Urt. v. 7.4.2009 -1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329, 344) keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - AufenthG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S.162), zuletzt geändert durch Art. 4 Abs. 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2437) (1.), § 104a Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 AufenthG und der von den Innenministern und -senatoren der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern am 4. Dezember 2009 getroffenen Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration v. 11.12.2009 42.12.-12230/1-8 (§ 23) -, sog. Bleiberechtsregelung 2009) (2.), oder § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (3.), die ausgehend von dem erstrebten Aufenthaltszweck (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2007 - 1 C 43.06 -, BVerwGE 129, 226, 229) und der unwidersprochenen Erklärung der Klägerin, in diesem Verwaltungsstreitverfahren eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG nicht zu begehren, hier allein in Betracht zu ziehen sind.

21

1.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009.

22

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird gemäß § 104a Abs. 5 Satz 1 AufenthG nur mit einer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt, so dass allenfalls eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende und bis zum 31. Dezember 2009 befristete Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommt. Ob eine solche rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG überhaupt möglich ist, begegnet erheblichen Zweifeln (vgl. Senatsurt. v. 15.6.2010 - 8 LB 117/08 -, [...] Rn. 43). Denn die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird auf Probe und zwingend befristet zum 31. Dezember 2009 erteilt, unter anderem mit dem Ziel, dem Ausländer zu ermöglichen, eine im Zeitpunkt der Erteilung noch nicht abgeschlossene wirtschaftliche Integration während des Erteilungszeitraums zu vertiefen. Während dieses am 31. Dezember 2009 endenden Zeitraums wird vom Ausländer mithin erwartet, dass er durch eigene Bemühungen zeigt, in der Lage zu sein, seinen Lebensunterhalt selbständig zu sichern. Dieses gesetzgeberische Anliegen orientiert sich an dem Ziel, eine Zuwanderung in die Sozialsysteme zu vermeiden, und wird auch durch die normierten Voraussetzungen für eine Verlängerung nach § 104a Abs. 5 Satz 2 und 3 AufenthG sowie den Ausschluss der Aufenthaltsverfestigung bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gemäß § 104a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 3 AufenthG verdeutlicht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 202). Die damit in wirtschaftlicher Hinsicht geforderte Bewährung während des zwingend nur bis zum 31. Dezember 2009 andauernden Zeitraums des Besitzes der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann bei einer rückwirkenden Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis nicht mehr gezeigt, der mit der Aufenthaltserlaubnis auf Probe verfolgte Zweck mithin nicht mehr erreicht werden.

23

Abgesehen von diesen Zweifeln an der Möglichkeit der rückwirkenden Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ergibt sich aus dem Vorbringen der Kläger aber auch kein schutzwürdiges, das erforderliche Rechtschutzbedürfnis begründendes Interesse (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - 1 C 7.08 -, InfAuslR 2009, 378; BVerwG, Urt. v. 27.1.2009 - 1 C 40.07 -, BVerwGE 133, 73, 76 [BVerwG 27.01.2009 - BVerwG 1 C 40.07]) an einer ausdrücklichen Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Vergangenheit. Die Zeit des Innehabens einer Aufenthaltserlaubnis für die eventuell mögliche Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (vgl. § 26 Abs. 4 AufenthG und GK-AufenthG, Stand: Dezember 2010, § 104a Rn. 76.1) ist hier ohne Bedeutung und daher nicht ausreichend, um ein schutzwürdiges Interesse anzunehmen, denn die Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2 AufenthG schafft keine Voraufenthaltszeiten im Sinne des § 26 Abs. 4 AufenthG (vgl. § 104a Abs. 1 Satz 3 Hs. 3 AufenthG).

24

Selbst wenn man eine rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für möglich hielte und die Kläger hieran ein schutzwürdiges Interesse hätten, käme die Erteilung auf der Grundlage des § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht in Betracht. Denn die Kläger erfüllen die sich aus dieser Bestimmung ergebenden besonderen Erteilungsvoraussetzungen nicht.

25

Nach § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er 1. über ausreichenden Wohnraum verfügt, 2. über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne der Stufe A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt, 3. bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist, 4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat, 5. keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und 6.nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.

26

Die Klägerin zu 1. erfüllt die Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 8. August 2008 spricht sie die deutsche Sprache nicht. Vom Vorliegen der Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann hier nicht abgesehen werden. Die durch § 104a Abs. 1 Satz 4 AufenthG geschaffene Möglichkeit, bis zum 1. Juli 2008 auf die Deutschkenntnisse zu verzichten, ist hier ohne Bedeutung. Die darüber hinausgehende Möglichkeit, nach § 104a Abs. 1 Satz 5 AufenthG vom Erfordernis der Deutschkenntnisse abzusehen, ist hier ebenfalls nicht eröffnet. Denn es ist auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin zu 1. vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten und dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1. wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen die Sprache nicht erlernen kann, zumal sie sich in der mit dem Beklagten geschlossenen Integrationsvereinbarung vom 2. Februar 2007 noch ausdrücklich verpflichtet hatte, Deutschkenntnisse zu erwerben und nachzuweisen.

27

Der Kläger zu 2. erfüllt die Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht. Denn er ist durch Urteil des Amtsgerichts Seesen vom 17. Februar 2000 - 4 Cs 600 Js 900/00 - wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen und zu einem Verbot der Beschäftigung, Beaufsichtigung, Anweisung und Ausbildung Jugendlicher (gesetzliche Nebenfolge nach § 25 JArbSchG) verurteilt worden. Ein Verwertungsverbot nach § 51 Abs. 1 BZRG kommt nicht in Betracht. Danach dürfen Eintragungen von Verurteilungen, die getilgt worden oder tilgungsreif sind, dem Betroffenen im Rechtsverkehr, wozu auch das Ausländer- bzw. Aufenthaltsrecht gehört (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.4.1984 - 1 C 57.81 -, NVwZ 1984, 653; Nr. 5.1.2.3.1 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AVwV AufenthG - vom 26. Oktober 2009, GMBl. S. 877), nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Maßgeblich für die Tilgung oder Tilgungsreife ist dabei grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Etwas anderes gilt ausnahmsweise bei der hier begehrten Erteilung der bis zum 31. Dezember 2009 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG, wenn die mündliche Verhandlung erst nach Ablauf der gesetzlichen Befristung stattfindet. In diesen Fällen ist auf den gesetzlich bestimmten Ablauf der Befristung abzustellen, da spätestens zu diesem Zeitpunkt die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen müssen (vgl. GK-AufenthG, a.a.O., § 104a Rn. 55.1). Die hier im Bundeszentralregister eingetragene Verurteilung des Klägers zu 2. ist gemäß §§ 46 Abs. 1 Nr. 2 a, 36 Satz 1 BZRG erst am 17. Februar 2010 tilgungsreif geworden und daher bei der Beurteilung der Voraussetzung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG noch zu berücksichtigen. Dies ist auch angesichts des nicht unerheblichen Zeitablaufs seit Tatbegehung und strafrechtlicher Verurteilung nicht unverhältnismäßig. Denn dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bereits durch die Regelungen über die Tilgungsfristen und das Verwertungsverbot nach §§ 46 Abs. 1 und 51 Abs.1 BZRG genügt. Hätte der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Altfallregelung generell eine Ausnahme von der grundsätzlich anzunehmenden Verwertbarkeit noch nicht getilgter Verurteilungen gewollt, wäre zu erwarten gewesen, dass er dies erkennbar zum Ausdruck gebracht hätte (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.11.2008 - 10 LA 260/08 -, NVwZ-RR 2009, 497, 499; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 27.11.2007 - 17 B 1779/07 -, NVwZ-RR 2008, 493 jeweils m.w.N.).

28

Liegen damit in der Person des Klägers zu 2. die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht vor, ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung gemäß § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch für die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kläger zu 1. und 3. bis 6. von vorneherein ausgeschlossen. Teilweise in der Rechtsprechung erhobene Bedenken gegen die Vereinbarkeit der in § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG getroffenen Bestimmung mit höherrangigem Recht (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 11.2.2009 - 1 S 498/08 -, InfAuslR 2009, 181 f.VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.6.2009 - 13 S 519/09 -, InfAuslR 2009, 350, 352 ff. m.w.N.) teilt der Senat nicht (vgl. Senatsbeschl. v. 23.6.2010 - 8 PA 127/10 -; ebenso Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 17.11.2008, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.1.2008 - 12 S 6.08 -, [...] Rn. 2; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 16.12.2010 - 2 BvL 16/09 -). Eine Abweichung zugunsten der Klägerin zu 1. gemäß § 104a Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist ausgeschlossen, da sie, wie ausgeführt, die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt.

29

Darüber hinaus liegt hier jedenfalls in der Person des Klägers zu 2. auch ein atypischer Ausnahmefall vor, in dem die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt ist. Ein solcher kann unter anderem dann angenommen werden, wenn schon im Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann, dass der Ausländer eine überwiegend eigenständige Sicherung seines Lebensunterhalts auf Dauer nicht erreichen wird und im Verlängerungsfall auch die Voraussetzungen eines Härtefalls im Sinne des § 104a Abs. 6 AufenthG nicht vorliegen werden (vgl. Senatsurt. v. 15.6.2010, a.a.O., Rn. 51; Senatsbeschl. v. 7.4.2010 - 8 PA 45/10 -; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 31.3.2009 -10 LA 411/08 -, [...] Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2008 - 11 S 100/08 -, AuAS 2008, 255, 256). Die hiernach zu treffende Prognose, dass der Ausländer eine überwiegend eigenständige Sicherung seines Lebensunterhalts auf Dauer nicht erreichen wird, ist ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 104a AufenthG bereits dann gerechtfertigt, wenn im Zeitpunkt der Antragstellung der Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist und auch keine begründeten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass zukünftig die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel entfällt (so ausdrücklich Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BT-Drs. 16/5065, S. 203).

30

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Beklagte für den Kläger zu 2. zutreffend bejaht. Der Kläger zu 2. ist seit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahre 1998 zur Sicherung seines Lebensunterhalts und des Lebensunterhalts seiner Ehefrau, der Klägerin zu 1., und der gemeinsamen Kinder, der Kläger zu 3. bis 6., auf öffentliche Sozialleistungen angewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass sich hieran zukünftig etwas ändern würde, bestehen nicht. Der Kläger zu 2. verfügt über keinen Berufsabschluss. Er hat auch keine beruflichen Tätigkeiten nachgewiesen, die auf erworbene berufspraktische Fähigkeiten hindeuten, die es ihm ermöglichen würden, jedenfalls zukünftig eine Erwerbstätigkeit auszuüben und so seinen Lebensunterhalt selbständig zu sichern. Auch ernsthafte Bemühungen des Klägers zu 2. um einen Arbeitsplatz sind nicht ersichtlich. Die nachgewiesenen Bewerbungen erfolgten - bezogen auf die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet - allenfalls sporadisch und lassen zudem nicht erkennen, dass der Kläger zu 2. sich auf angesichts seiner mangelnden beruflichen Qualifikation geeignete Stellen beworben hat.

31

2.

Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis über den 31. Dezember 2009 hinaus nach § 104a Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 AufenthG bei eigenständiger Unterhaltssicherung bzw. nach der von den Innenministern und -senatoren der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern am 4. Dezember 2009 getroffenen Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG (vgl. Anlage zum RdErl. des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration v. 11.12.2009 - 42.12.-12230/1-8 (§ 23) -, sog. Bleiberechtsregelung 2009) bei mangelnder eigenständiger Unterhaltssicherung. Denn beide Regelungen fordern, dass der Ausländer bis zum 31. Dezember 2009 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG gewesen ist. Wie ausgeführt fehlt es hier daran. Im Übrigen erfüllen die Kläger auch die sich aus den genannten Bestimmungen ergebenden weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen nicht.

32

3.

Schließlich haben die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

33

Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von§ 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine rechtliche Unmöglichkeit in diesem Sinne kann sich etwa aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, aber auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, NVwZ-RR 2011, 210, 212; BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192, 197).

34

Die Klägerin zu 1. kann sich auf ein krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in diesem Verwaltungsstreitverfahren nicht mit Erfolg berufen. Der Beklagte ist für die Feststellung des von der Klägerin zu 1. geltend gemachten zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes schon nicht zuständig.

35

Gemäß § 24 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586), obliegt die Prüfung der zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG ausschließlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn der Ausländer einen Asylantrag im Sinne des§ 13 Abs. 1 AsylVfG gestellt hat. Nur wenn es an einem solchen Antrag fehlt, kann die Entscheidungszuständigkeit der Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 1 AufenthG eröffnet sein. Diese hat das Bundesamt nach Maßgabe des § 72 Abs. 2 AufenthG zu beteiligen.

36

Hier hat die Klägerin zu 1. zwar ausdrücklich keinen Asylantrag gestellt; sie begehrt die Feststellung des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes ausschließlich durch die beklagte Ausländerbehörde. Indes besteht kein "Wahlrecht" des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland. § 13 Abs. 1 AsylVfG ist vielmehr zur Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens sowie auch zum Ausschluss von Verfahrensverzögerungen durch nachgeschaltete Asylanträge geschaffen worden. Danach ist derjenige Schutzsuchende, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das - alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.1.1994 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42, 53) - Asylverfahren zu verweisen und hiermit ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt zu befassen. Die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes kann sich mithin nicht nur aus der Stellung eines formellen Antrages im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG ergeben, sondern auch aus der Geltendmachung eines materiellen Asylbegehrens. Maßgeblich für die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote ist danach, ob der Ausländer die Feststellung aufgrund behaupteter Verfolgungsgefahren (Zuständigkeit des Bundesamtes) oder aus verfolgungsunabhängigen, rein humanitären Gründen (Zuständigkeit der Ausländerbehörde) begehrt (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - 1 C 11.08 -, BVerwGE 134, 124, 137 f.; BVerwG, Beschl. v. 3.3.2006 - 1 B 126.05 -, NVwZ 2006, 830 f.; Senatsbeschl. v. 11.11.2009 - 8 LA 16/09 -, [...] Rn. 7 f.; OVG Saarland, Beschl. v. 20.3.2008 - 2 A 33/08 -, [...] Rn. 18).

37

Unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin zu 1. im verwaltungsgerichtlichen Verfahren und gegenüber der beklagten Ausländerbehörde sowie den von ihr in das Verfahren eingeführten und daher als Parteivortrag zu berücksichtigenden ärztlichen Stellungnahmen und des vom Verwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens liegt hier ein die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes begründendes materielles Asylbegehren vor.

38

Die Klägerin hat ihr Begehren zunächst allgemein damit begründet, dass sie der Volksgruppe der Roma (Schriftsatz v. 10.4.2000, Bl. 49 Beiakte - BA - E) und damit einer nicht-albanischen ethnischen Minderheit im Kosovo (Schriftsätze v. 14.2.2005, Bl. 87 BA E, und v.9.6.2005, Bl. 16 GA) angehöre. Solchen "Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Kosovo wie Roma" (Schriftsatz v. 9.6.2005, Bl. 17 GA) sei es unzumutbar, in den Kosovo wegen der dort herrschenden Bedingungen zurückzukehren. Gerade bei der Klägerin sei davon auszugehen, dass sie dort aufgrund "ihres äußeren Erscheinungsbildes, insbesondere ihrer dunklen Hautfärbung, ... seitens fanatischer Albaner als Angehörige einer nicht-albanischen Minderheit (Roma oder Ashkali) angesehen" würde und aufgrund des allgemeinen Vorwurfs der "Kollaboration mit dem serbischen Regime" ... "Verfolgungsmaßnahmen durch die ehemaligen Opfer, Angehörige des albanischen Volkes, ausgesetzt" (Schriftsatz v. 20.12.1999, Bl. 32 f. BA E) sei. Die KFOR könne im Kosovo "auch dort, wo Enklaven oder Ghettos gebildet wurden, den Schutz der dort lebenden Roma nur rudimentär gewährleisten" (Schriftsatz v. 20.12.1999, Bl. 35 BA E). Auch in Serbien würden serbische Polizisten "Flüchtlinge aus dem Kosovo, die zu den Roma oder Ashkali gehörten" (Schriftsatz v. 20.12.1999, Bl. 35 BA E), zurückweisen. Jedenfalls müssten Angehörige dieser Minderheiten mit Diskriminierungen und physischen Angriffen rechnen.

39

Im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin zu 1. darüber hinaus geltend gemacht, an einer "andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung" zu leiden, "die nicht nur einer weiteren psychotherapeutischen Behandlung bedarf, sondern auch des Aufenthalts in einer als sicher empfundenen Umwelt". Daher sei ihr eine Rückkehr in das Heimatland nicht zuzumuten, "weil sich dort ihr Zustand derart verschlechtern würde, dass keine Therapiefähigkeit mehr bestünde und Gefahr für Leib und Leben eintreten würde, ohne dass die im Kosovo vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten überhaupt noch eingreifen könnten" (Schriftsatz v. 21.10.2005, Bl. 46 GA). Die krankheitsauslösende Extrembelastung liegt nach der Darstellung der Klägerin zu 1. darin, dass sie - nachdem ihr Ehemann gewaltsam "zum Dienst beim serbischen Militär gezwungen worden" (Ärztliche Bescheinigung v. 15.10.2005, Bl. 47 GA) war - in ihrem Haus im Kosovo durch Serben oder Albaner, Militärs oder Paramilitärs vergewaltigt worden und ihr seinerzeit vierjähriger Sohn durch die Vergewaltiger ermordet worden sei (vgl. Ärztliche Bescheinigung v. 15.10.2005, Bl. 47 ff. GA, Gutachten TTC v. 13.9.2006, Bl. 100 ff., 135 GA, Gutachten MHH v. 16.6.2008, Bl. 347, 349 ff. GA). Anschließend sei ihr Haus im Kosovo von serbischen Milizen niedergebrannt worden (vgl. Gutachten TTC v. 13.9.2006, Bl. 120 GA, Gutachten MHH v. 16.6.2008, Bl. 348 f., 351 GA). Ungeachtet der mangelnden Behandelbarkeit der sich aus dieser Extrembelastung ergebenden psychischen Erkrankung im Kosovo bestehe eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der Klägerin zu 1. schon aufgrund einer Retraumatisierung bei ihrer Rückkehr in das Heimatland. Die Klägerin zu 1. befürchte, ihre weiteren Kinder und ihren Ehemann vor Übergriffen, wie den bereits erlebten, nicht schützen zu können und diese daher zu verlieren (vgl. Ärztliche Bescheinigung v. 21.5.2006, Bl. 78 GA, Gutachten TTC v. 13.9.2006, Bl. 148 GA, Gutachten MHH v. 16.6.2008, Bl. 352 GA).

40

Mit diesem Vorbringen macht die Klägerin zu 1. im Wesentlichen die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes begründende Verfolgungsgefahren geltend. Die eine Gefahr der Retraumatisierung begründende Angst der Klägerin zu 1., sie und die übrigen Familienangehörigen könnten als Angehörige der nicht-albanischen ethnischen Minderheit der Roma nach einer Rückkehr in den Kosovo schutzlos erneut den bereits im Jahre 1998 erlebten Übergriffen durch Angehörige des serbischen Militärs oder der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sein, betrifft die Frage politischer Verfolgung im Sinne der Definition des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. c AufenthG in Form einer dem (hier: kosovarischen) Staat aufgrund fehlender staatlicher Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit zurechenbaren Verfolgung durch "nichtstaatliche Akteure" (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.3.2006, a.a.O.; OVG Saarland, Beschl. v. 20.3.2008, a.a.O., Rn. 18). Die von der Klägerin zu 1. behauptete Erkrankung und deren Behandelbarkeit im Heimatland lassen sich auch nicht von der ursprünglich von den Klägern in den Vordergrund gerückten Gefährdung wegen ihrer Volkszugehörigkeit trennen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.11.2009, a.a.O.). Auf die damit begründete ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamtes für die Feststellung des zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG hatte zunächst der Beklagte (vgl. Schriftsätze v. 27.1.2000, Bl. 40 BA E, v. 19.7.2005, Bl. 27 GA, v. 12.9.2005, Bl. 35 GA, v. 21.11.2005, Bl. 52 GA, und v. 6.7.2006, Bl. 80 GA) und später auch das Bundesamt (vgl. Schreiben v. 25.11.2009, Bl. 595 GA) ausdrücklich hingewiesen.

41

Der hiergegen von der Klägerin zu 1. erhobene Einwand, die die Traumatisierung und auch die Gefahr einer Retraumatisierung bei Rückkehr in das Heimatland begründenden Ängste, wegen ihrer Volkszugehörigkeit erneut Übergriffen ausgesetzt zu sein, seien in erster Linie krankheitsimmanent und daher kein materielles Asylbegehren, greift nicht durch. Die der Traumatisierung vorausgehenden tatsächlichen Ereignisse können bereits denknotwendig nicht krankheitsimmanent sein, sind diese doch erst die Ursache und der Auslöser der behaupteten Erkrankung. Die von der Klägerin zu 1. behauptete Angst vor Übergriffen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland und der damit verbundenen Gefahr einer Retraumatisierung mag krankheitsimmanent sein. Dies ändert allerdings an der Einordnung als materielles Asylbegehren nichts, da die Klägerin zu 1. hiermit lediglich eine Ursache für ihre Angst vor asylrelevanten Gefahren benennt. Darauf, ob die die Traumatisierung und auch die Gefahr einer Retraumatisierung bei Rückkehr in das Heimatland begründenden Ängste der Klägerin zu 1. krankheitsimmanent sind, kommt es mithin entscheidungserheblich nicht an. Schon deshalb bedarf es der Einholung eines von der Klägerin zu 1. angeregten Sachverständigengutachtens zu dieser Frage nicht. Selbst bei einer Entscheidungserheblichkeit wäre zudem der Senat berufen, die Behauptungen der Klägerin zu 1. zum tatsächlichen Vorliegen eines traumatisierenden Ereignisses und zur Gefahr einer Retraumatiserung im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung eigenständig zu überprüfen, nachzuvollziehen und hierzu eine plausible eigene Überzeugung zu gewinnen (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2010 - 8 LA 26/10 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit unter www.dbovg.niedersachsen.de; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.1.2005 - 21 A 3093/04.A -, [...] Rn. 13; OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 14.10.2002 - 4 L 200/02 -, [...] Rn. 3), wozu es eines Sachverständigengutachtens regelmäßig nicht bedarf.

42

Die Klägerin zu 1. kann sich auch nicht erfolgreich auf eine krankheitsbedingte dauerhafte Reiseunfähigkeit und ein daraus ergebendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot berufen.

43

Aus einer Reiseunfähigkeit kann sich ein inlandsbezogenes - und damit von der beklagten Ausländerbehörde selbständig zu prüfendes (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.4.2002 - 2 BvR 553/02 -, InfAuslR 2002, 415 f. ; BVerwG, Urt. v. 11.11.1997 - 9 C 13.96 -,BVerwGE 105, 322, 327 ) - Ausreisehindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG ergeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, der Gesundheitszustand des Ausländers werde sich durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern, und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch den Transport als solchen wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmalig entstehen würde (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch dann, wenn sich durch die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorganges und unabhängig vom Zielstaat - der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne, vgl. Senatsbeschl. v. 3.8.2009 - 8 ME 119/09 -; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 6.2.2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, 213, 214; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.7.2007 - 11 ME 112/07 - m.w.N.).

44

Nach diesen Maßgaben besteht bei der Klägerin zu 1. keine Reiseunfähigkeit.

45

Eine sich aus transportbedingten Gefahren ergebende Reiseunfähigkeit im engeren Sinne behauptet selbst die Klägerin zu 1. nicht. Hierfür bestehen nach den vorliegenden Gutachten TTC und MHH auch keine Anhaltspunkte. Die Reise- und Flugtauglichkeit der Klägerin zu 1. ist durch den Amtsarzt des Landkreises Goslar vielmehr ausdrücklich bestätigt worden (vgl. Stellungnahme v. 9.6.2006, Bl. 84 GA). Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sachlage seitdem maßgeblich verändert hat, ergeben sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin zu 1. nicht, so dass kein Anlass für die Einholung eines erneuten Sachverständigengutachtens besteht.

46

Bei der Klägerin zu 1. liegt auch keine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne vor. In Abgrenzung zu krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Ausreisehindernissen, deren Vorliegen hier, wie ausgeführt, ausschließlich durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu überprüfen ist, erfordert ein krankheitsbedingtes inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, dass das ernsthafte Risiko einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung der Gesundheit des Ausländers bereits aus der Abschiebung als solcher und nicht erst aus den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung resultiert. Daran fehlt es hier. Nach dem Vorbringen der Klägerin zu 1. resultiert die Gefahr einer Retraumatisierung aus der Angst, sie und ihre Familienmitglieder könnten als Angehörige der nicht-albanischen ethnischen Minderheit der Roma nach einer Rückkehr in den Kosovo schutzlos erneut den bereits im Jahre 1998 erlebten Übergriffen durch Angehörige des serbischen Militärs oder der albanischen Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sein. Anknüpfungspunkt für das von der Klägerin zu 1. behauptete Risiko gesundheitlicher Schäden ist mithin nicht der Abschiebungsvorgang als solcher unabhängig vom Zielstaat, sondern gerade ein zielstaatsspezifischer Umstand. Bestätigt wird diese Annahme durch das von den Klägern eingeholte Gutachten TTC. Denn dort wird ausgeführt, dass gerade die Rückkehr in das Heimatland für die Klägerin zu 1. mit einer subjektiv erlebten Bedrohung ihres Lebens und des Lebens ihrer Kinder einhergehen würde. Aufgrund der mit der Rückführung in das Heimatland verbundenen Stressfaktoren und aufgrund des Wiedererinnerns an die schädigenden Ereignisse könne eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eintreten (vgl. Gutachten TTC v. 13.9.2006, Bl. 148 f. GA). Auch aus dem vom Verwaltungsgericht eingeholten Gutachten MHH ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu dieser Frage hält der Senat nicht für erforderlich, da schon nach dem tatsächlichen Vorbringen der Klägerin zu 1. keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne bestehen.

47

Bezogen auf die minderjährigen, teilweise im Bundesgebiet geborenen, jedenfalls aber überwiegend hier aufgewachsenen Kläger zu 3. bis 6. ergibt sich ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot nicht aus Art. 8 EMRK.

48

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann sich ein Ausländer regelmäßig schon dann nicht erfolgreich auf den Schutz seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK berufen, wenn er sich - abgesehen von der nach § 55 Abs. 3 AsylVfG unerheblichen Zeit der Durchführung eines Asylverfahrens - ohne einen erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufgehalten hat, also ausreisepflichtig war und die bestehende Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise gleichwohl nicht wahrgenommen hat (Senatsbeschl. v. 12.8.2010 - 8 PA 182/10 -, InfAuslR 2010, 429[OVG Niedersachsen 12.08.2010 - 8 PA 182/10]; Senatsbeschl. v. 19.7.2010 - 8 ME 163/10 -, BeckRS 2010, 51001; v. 18.5.2010 - 8 PA 86/10 -, [...] Rn. 4; v. 1.9.2006 - 8 LA 101/06 -, NordÖR 2006, 472; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 26.10.2010, a.a.O., S. 211; Urt. v. 30.4.2009 - 1 C 3.08 -, InfAuslR 2009, 333, 335; Hessischer VGH, Urt. v. 7.7.2006 - 7 UE 509/06 -, [...] Rn. 58; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.1.2006 - 13 S 2220/05 -, ZAR 2006, 142, 144 ; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 23.2.1999 - 4 L 195/98 -, NordÖR 2000, 124, 126 [OVG Schleswig-Holstein 23.02.1999 - 4 L 195/98]; BMI, Bericht zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes, Juli 2006, S. 80; Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nachArt. 8 EMRK, in: ZAR 2010, 14, 16 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2010, AufenthG § 25 Rn. 131; Storr u.a., Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl., AufenthG, § 25 Rn. 31).

49

Denn eine durch Art. 8 EMRK geschützte Verwurzelung im Bundesgebiet kann während Zeiten, in denen der Ausländer nicht über ein Aufenthaltsrecht, sondern nur über eine Duldung verfügt, grundsätzlich nicht entstehen (a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 5.2.2009 - 11 S 3244/08 -, NVwZ-RR 2009, 617 [VGH Baden-Württemberg 05.02.2009 - 11 S 3244/08]; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des§ 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art. 8 EMRK, in: InfAuslR 2006, 397, 404; GK-AufenthG, a.a.O., § 25 Rn. 150; Huber, AufenthG, § 25 Rn. 35).

50

Bestandteil des weit gefassten Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK ist unter anderem ein Recht auf Identität und Entwicklung der Person und ein Recht darauf, Beziehungen zu anderen Personen und der Außenwelt zu knüpfen und zu entwickeln (vgl. EGMR Große Kammer, Urt. v. 13.2.2003 - 42326/98 -, NJW 2003, 2145, 2146 [EGMR 13.02.2003 - 42326/98] Rn. 29 (Odièvre ./. Frankreich) m.w.N.). Ob entstandene und hinreichend starke (vgl. zu diesem Erfordernis EGMR 1. Sektion, Urt. v. 16.6.2005 - 60654/00 -, EuGRZ 2006, 554, 557 Rn. 101 (Sisojeva I ./. Lettland)) persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen des Ausländers zum Aufnahmestaat und zu dort lebenden Personen indes genügen, um den Schutzanspruch nach Art. 8 EMRK auszulösen, oder nicht vielmehr darüber hinaus erforderlich ist, dass diese Bindungen zu einer Zeit entstanden sind, in der sich der Ausländer im Aufnahmestaat rechtmäßig aufgehalten hat, ist in der Rechtsprechung des EGMR nicht abschließend geklärt (vgl. EGMR 3. Sektion, Urt. v. 16.9.2004 - 11103/03 -, NVwZ 2005, 1046 [EGMR 16.09.2004 - 11103/03] (Ghiban. /. Deutschland); Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, in: ZAR 2008, 41, 44 m.w.N.).

51

Zwar hat der EGMR in den Rechtssachen Sisojeva I ./. Lettland (1. Sektion, Urt. v. 16.6.2005 - 60654/00 -, EuGRZ 2006, 554 ff.) und da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande (2. Sektion, Urt. v. 31.1.2006 - 50435/99 -, EuGRZ 2006, 562) den Schutzbereich des Art. 8 EMRK als eröffnet angesehen, obwohl die Beschwerdeführer sich letztlich illegal in den Aufnahmestaaten aufhielten. Diesen Entscheidungen lagen aber Sachverhalte zugrunde, in denen die Beschwerdeführer über lange Zeiträume ihres Aufenthalts im Aufnahmestaat über ein Aufenthaltsrecht verfügten und dieses lediglich endete (vgl. EGMR, Urt. v. 16.6.2005, a.a.O., S. 555 (Sisojeva I ./. Lettland)), oder die Beschwerdeführer jedenfalls einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hatten (vgl. EGMR, Urt. v. 31.1.2006, a.a.O., S. 564 (da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande)). Da der EGMR seine Entscheidungen zudem tragend mit diesen besonderen Umständen begründet hat, handelt es sich nach Auffassung des Senats um Einzelfälle, deren Wertungen und deren Ergebnis nicht dahingehend verallgemeinert werden dürfen, dass jede, also auch die während eines unrechtmäßigen Aufenthalts entstandene und hinreichend starke, Bindung an den Aufnahmestaat dem Schutz des Art. 8 EMRK unterfällt.

52

Stattdessen hält der Senat nach den in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten verallgemeinerungsfähigen Grundsätzen seine Auffassung für gerechtfertigt, dass Bindungen an den Aufnahmestaat, die während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer über keinen Aufenthaltstitel verfügt und freiwillig in das Land seiner Staatsangehörigkeit zurückkehren kann, nicht den Schutzanspruch desArt. 8 EMRK auslösen.

53

So hat der EGMR zur Bedeutung der EMRK im Recht des Aufenthalts von Ausländern grundlegend darauf hingewiesen, dass keine Regelung derEMRK das Recht der Staaten, die Einreise von Ausländern zu regeln, berührt (vgl. EGMR, Urt. v. 28.5.1985 - 15/1983/71/107-109 -, EuGRZ 1985, 567, 569 f. (Abdul-aziz u.a. ./. Vereinigtes Königreich)). Die EMRK garantiert nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden. Vielmehr haben die Vertragsstaaten das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden (st. Rspr., vgl. EGMR 3. Sektion, Urt. v. 16.9.2004, a.a.O. (Ghiban. /. Deutschland) m.w.N.).

54

Ansatzpunkt für einen konventionsrechtlichen Schutz des Privatlebens und sich daraus ergebende aufenthaltsrechtliche Folgewirkungen kann daher nicht der bloße tatsächliche Aufenthalt im Aufnahmestaat sein. Denn hierdurch würde losgelöst von der ausschließlichen Kompetenz der Mitgliedstaaten, über Einreise und Aufenthalt zu entscheiden, allein konventionsrechtlich ein Aufenthaltsrecht begründet. Vielmehr bedarf es stets einer den Aufenthalt des Ausländers im Aufnahmestaat gestattenden behördlichen Entscheidung, die zugleich ein berechtigtes Vertrauen des Ausländers in den Fortbestand seines Aufenthalts im Aufnahmestaat begründet (vgl. EGMR 4. Sektion, Urt. v. 8.4.2008 - 21878/06 -, zitiert nach Human Rights Documentation - HUDOC - (Nnyanzi ./. Vereinigtes Königreich); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 11.4.2006 - 61292/00 -, zitiert nach HUDOC (Useinov ./. Niederlande); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 7.10.2004 - 33743/03 -, NVwZ 2005, 1043, 1045 (Dragan u.a./ Deutschland); EGMR 1. Sektion, Urt. v. 5.9.2000 - 44328/98 -, zitiert nach HUDOC (Solomon ./. Niederlande); vgl. auch BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, a.a.O., S. 335; Fritzsch, a.a.O., S. 20 f.). Erst wenn die so begründete und deshalb berechtigte Erwartung in einen fortbestehenden rechtmäßigen Aufenthalt durch eine weitere staatliche Entscheidung enttäuscht wird, kann eine Verletzung von Art. 8 EMRK vorliegen. Ein Ausländer, der, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden des Aufnahmestaats mit seiner Anwesenheit in diesem Staat konfrontiert, kann aber im Allgemeinen nicht erwarten, dass ihm konventionsrechtlich Anspruch auf ein Aufenthaltsrecht erwächst (vgl. EGMR 2. Sektion, Urt. v. 31.1.2006, a.a.O., S. 564 (da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande). Erst recht darf die Bestimmung des Art. 8 EMRK nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen schon deswegen, weil er sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaats aufgehalten hat (vgl. EGMR 3. Sektion, Urt. v. 16.9.2004, a.a.O., (Ghiban ./. Deutschland), und zwar unabhängig davon, ob es dem Ausländer möglich oder unmöglich war, den Aufnahmestaat ordnungsgemäß zu verlassen (vgl. Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte v. 17.7.1980 - 7612/76 - (Giama ./. Belgien), in: Decisions and Reports Bd. 21 S. 84, 94 Nr. 56).

55

Diesen Grundsätzen folgend hat der EGMR für Bindungen an den Aufnahmestaat, die während Zeiten entstanden sind, in denen - abgesehen von Aufenthaltsgestattungen für die Durchführung eines Asylverfahrens - der Aufenthalt im Aufnahmestaat unrechtmäßig war und lediglich keine Abschiebung des Ausländers erfolgte, den Schutzbereich des Art. 8 EMRK ausdrücklich nicht als eröffnet angesehen (vgl. EGMR 3. Sektion, Urt. v. 11.4.2006, a.a.O., (Useinov ./. Niederlande); EGMR 3. Sektion, Urt. v. 7.10.2004, a.a.O., S. 1045 (Dragan u.a./ Deutschland); EGMR 1. Sektion, Urt. v. 5.9.2000, a.a.O., (Solomon ./. Niederlande)).

56

Auch im vorliegenden Fall können sich die Kläger zu 3. bis 6. schon deshalb nicht auf den Schutz des Art. 8 EMRK berufen, weil die behauptete Verwurzelung, also Bindungen an das Bundesgebiet und an hier lebende Personen, allein während Zeiten entstanden sind, in denen sich die Kläger zu 3. bis 6. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, sondern ihre Abschiebung in ihr Heimatland nur ausgesetzt war. Dem stehen auch Schwierigkeiten bei der Rückkehr in das Heimatland nicht entgegen, solange sie nicht zur Unmöglichkeit einer freiwilligen Ausreise führen. Eine solche Unmöglichkeit ist nach dem Vorbringen der Kläger hier nicht gegeben.

57

Besondere Umstände, von diesem Grundsatz im vorliegenden Fall abzuweichen und ausnahmsweise eine Eröffnung des Schutzbereiches vonArt. 8 EMRK anzunehmen (vgl. hierzu EGMR 1. Sektion, Urt. v. 16.6.2005, a.a.O., (Sisojeva I ./. Lettland); EGMR 2. Sektion, Urt. v. 31.1.2006, a.a.O., (da Silva und Hoogkamer ./. Niederlande), sind ebenfalls nicht ersichtlich.

58

Bezogen auf die minderjährigen Kläger zu 3. bis 6. besteht auch kein sich aus den Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 - UN-Kinderrechtskonvention - (BGBl. II 1992, S. 121) ergebendes inlandsbezogenes Abschiebungsverbot.

59

Nach Art. 2, 8 Abs. 1 und 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention ist das Recht des Kindes als solches zu beachten und bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Die Bestimmungen statuieren damit keinen absoluten Vorrang des Kindeswohls; das Wohlergehen des Kindes muss lediglich vorrangig berücksichtigt werden. Dem trägt die Rechtsprechung des Senats Rechnung. Denn sie stellt sicher, dass ein schutzwürdiges Familien- oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK und damit verbundene Belange des Kindeswohls aufenthaltsrechtliche Relevanz erlangen können, und zwar als ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begründen kann. Dass die sich aus diesen Bestimmungen ergebenden tatbestandlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall, wie ausgeführt, nicht erfüllt sind, rechtfertigen weder die Annahme, die Kindeswohlbelange seien nicht berücksichtigt worden, noch das Erfordernis, aus Art. 2, 8 Abs. 1 und 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention ein über Art. 8 EMRK hinausgehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis herzuleiten. Es bedarf daher hier keiner Entscheidung, ob die Ausländerbehörden - nach der Rücknahme der Vorbehaltserklärung der Bundesregierung vom 6. März 1992 (vgl. BGBl. II 1992, S. 990) am 15. Juli 2010 (vgl. Bundesministerium der Justiz, UN-Kinderrechtskonvention: Rücknahme des Vorbehalts rechtswirksam, Pressemitteilung v. 15.7.2010, zitiert nach: www.bmj.bund.de, Stand: 25.3.2011) - an die Bestimmungen der UN-Kinderrechtskonvention überhaupt unmittelbar gebunden sind (vgl. hierzu Lorz, Nach der Rücknahme der deutschen Vorbehaltserklärung: Was bedeutet die uneingeschränkte Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs nach der UN-Kinderrechtskonvention im deutschen Recht ?, zitiert nach: www.nds-fluerat.org, Stand: 25.3.2011).

60

Schließlich besteht bezogen auf die Klägerin zu 6. kein sich aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergebendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. Denn nach ihrem tatsächlichen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich eine dem von der Landesschulbehörde unter dem 1. Juli 2009 festgestellten und von dem Klassenlehrer unter dem 21. November 2010 bestätigten sonderpädagogischen Förderbedarf gegebenenfalls zugrunde liegende Erkrankung der Klägerin zu 6. aufgrund zielstaatsbezogener Umstände derart verschlimmern würde, dass es alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin zu 6. kommt (vgl. zu den Anforderungen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG: Senatsbeschl. v. 9.12.2010 - 8 LA 291/10 - m.w.N.).

61

Steht damit den minderjährigen Klägern zu 3. bis 6. kein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK, Art. 2, 8 Abs. 1 und 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu, können ihre Eltern, die Kläger zu 1. und 2., hiervon auch kein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG ableiten (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C 9.95 -, BVerwGE 105, 35, 39 ff.; Senatsbeschl. v. 27.7.2009 - 8 PA 106/09 -;Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.5.2009 - 11 ME 110/09 -, [...] Rn. 10 m.w.N.).

62

Neben den damit mangelnden besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllen die Kläger zu 1. und 3. bis 6. auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht. Sie verfügen über keine gültigen Pass- oder Passersatzpapiere im Sinne des § 3 AufenthG. Anhaltspunkte dafür, dass das nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnete Ermessen des Beklagten, von dieser allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzusehen, derart reduziert hätte, dass er zum Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung verpflichtet wäre, bestehen nicht, zumal die Kläger zu 1. und 3. bis 6. nicht nachgewiesen haben, sich jedenfalls ernsthaft und nachhaltig um die Beschaffung von gültigen Pass- oder Passersatzpapieren bemüht zu haben.