Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.03.2014, Az.: 5 LA 286/13
Rückforderung von überzahlten Beihilfeleistungen; Zuvielzahlung auf Grund unvollständiger Auszahlung der Beihilfeanträge
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.03.2014
- Aktenzeichen
- 5 LA 286/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 11811
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0303.5LA286.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 06.11.2013 - AZ: 1 A 1193/12
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DÖD 2014, 144-146
- NVwZ-RR 2014, 5
- NVwZ-RR 2014, 527-529
Amtlicher Leitsatz
Zur Rückforderung von überzahlten Beihilfeleistungen, die darauf beruhen, dass Beihilfeanträge unvollständig ausgefüllt worden sind (hier: Nichtbeantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag gewährt wird).
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 1. Kammer - vom 6. November 2013 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 5.728,63 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Jahre alte Kläger war bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand Beamter im Dienst des Landes Niedersachsen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bewilligte ihm ab dem 1. Juni 20 eine Regelaltersrente. Darin war ein Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag enthalten, der sich in der Zeit vom 1. Juli 20 bis zum 30. Juni 20 auf monatlich über 41 EUR belief.
In der Zeit von Juli 20 bis Mai 20 bewilligte das damalige Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung (NLBV) dem Kläger mit 29 Bescheiden Beihilfe und legte dabei einen Beihilfebemessungssatz von 70 Prozent zugrunde. In den Antragsvordrucken hatte der Kläger jeweils die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag erhalte, nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom 3. Mai 20 , gegen den sich der Kläger erfolglos mit Widerspruch und Klage gewandt hatte (Widerspruchsbescheid des NLBV vom 17.9.20 , Urteil des VG Lüneburg vom 7.9.2011 - 1 A 123/09 -), hob das NLBV die 29 Bescheide auf und setzte die Beihilfe unter Zugrundelegung eines Bemessungssatzes von 50 Prozent neu fest.
Mit Bescheid vom 13. Januar 20 forderte die Beklagte den überzahlten Betrag von 6.365,13 EUR zurück. Auf den Widerspruch des Klägers reduzierte sie den Betrag um 10 Prozent auf 5.728,63 EUR und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht mit dem von dem Kläger mit dem Zulassungsantrag angegriffenen Urteil vom 6. November 2013 abgewiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen des Klägers nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger hat keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu der Einschätzung gelangt, dass die Entscheidung der Beklagten, von dem überzahlten Beihilfebetrag von 6.365,13 EUR einen Betrag von 5.728,63 EUR von dem Kläger zurückzufordern, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Senat macht sich grundsätzlich die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren ist das Folgende zu ergänzen bzw. hervorzuheben:
Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, weil er gemäß § 87 Satz 2 NBG i. V. m. § 819 Abs. 1 BGB und § 87 Satz 3 NBG der verschärften Haftung unterliegt.
Nach § 87 Satz 3 NBG kann der Empfänger einer Geldleistung den Einwand der Entreicherung dann nicht geltend machen, wenn der Mangel des rechtlichen Grundes so offensichtlich war, dass er ihn hätte erkennen müssen. Der Empfänger muss mithin die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.11.1985 - BVerwG 6 C 37.83 -, [...] Rn 25; Nds. OVG, Beschluss vom 24.7.2013 - 5 LB 85/13 -, [...] Rn 27). Nach diesen Maßgaben hat das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht eine derartige Sorgfaltspflichtverletzung zur Last gelegt. Zu den überzahlten Beihilfeleistungen ist es in der Zeit von Juli 20 bis Mai 20 gekommen, weil der Kläger in den 29 Beihilfeanträgen, die zu den 29 fehlerhaften Beihilfebescheiden geführt haben, unvollständige Angaben gemacht hat. Denn der Kläger hat die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe er einen Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag erhalte, jeweils nicht beantwortet. Dies kann auch als indirekte Verneinung der Frage gewürdigt werden (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 16.4.1998 - 3 B 95.3920 -, [...] Rn 5). Der Kläger hat es nicht etwa versehentlich unterlassen, die Frage zu beantworten; ihm war vielmehr - wie er in der Zulassungsbegründung vom 10. Januar 2014 vorgetragen hat - "zweifelsohne bekannt", dass er die Formulare nicht vollständig ausgefüllt hatte. Trotz dieses bewussten Unterlassens hat er am Ende der Beihilfeanträge jeweils wahrheitswidrig die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben versichert. Eine solche Verhaltensweise führt zweifelsfrei zur Bejahung einer Sorgfaltspflichtverletzung in dem dargestellten Sinne und der verschärften Haftung (vgl. zu ähnlichen Fallkonstellationen auch Bay. VGH, Urteil vom 16.4.1998, a. a. O.; Urteil vom 24.4.2001 - 3 B 97.87 -, [...]).
Es kommt demgegenüber entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, ob ihm die Vorschrift des § 14 Abs. 5 BhV, nach der sich bei dem Erhalt eines Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von mindestens 41 EUR monatlich der Beihilfebemessungssatz um 20 Prozent ermäßigt, bekannt war. Es ist auch nicht entscheidungserheblich, ob das Verwaltungsgericht in einer ergänzenden Erwägung, die das Urteil nicht allein selbständig trägt, zu Recht angenommen hat, dass in der Beamtenschaft allgemein bekannt ist, dass der Beihilfebemessungssatz von der Höhe eines Zuschusses zur Krankenversicherung abhängt. Für die Bejahung einer Sorgfaltspflichtverletzung in dem dargestellten Sinne und der verschärften Haftung ist vielmehr ausschlaggebend, dass der Kläger die Beihilfeanträge absichtlich unvollständig ausgefüllt hat.
Der Kläger kann dem Vorwurf, eine Sorgfaltspflichtverletzung in dem dargestellten Sinne begangen zu haben, nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Beihilfestelle hätte die unbeantwortet gelassene Frage zum Erhalt eines Krankenversicherungsbeitrags zum Anlass nehmen müssen, eine vollständige Antragsausfüllung anzumahnen. Die mit diesem Vorbringen zum Ausdruck gebrachte Erwartungshaltung des Klägers verkennt die Aufgabenverteilung zwischen der Behörde und dem zur Mitwirkung verpflichteten (Ruhestands-) Beamten (vgl. ebenso Bay. VGH, Urteil vom 24.4.2001, a. a. O., Rn 13). Eine andere Würdigung wäre in Betracht zu ziehen, wenn der Kläger in den Beihilfeanträgen durch eine Anmerkung oder eine Frage deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, dass ihm die Beantwortung der Frage Schwierigkeiten bereitet (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 24.4.2001, a. a. O., Rn 13). Das hat er jedoch nicht getan, sondern die Frage ohne jeden Zusatz schlicht unbeantwortet gelassen. Eine Verpflichtung der Beihilfestelle, den Kläger über den Sinn der nicht beantworteten Frage zu informieren, ist durch das Verhalten des Klägers nicht ausgelöst worden (vgl. zur Informations- und Hinweispflicht des Dienstherrn BVerwG, Urteil vom 21.9.2006 - BVerwG 2 C 6.06 -, [...] Rn 17; Nds. OVG, Beschluss vom 7.8.2013 - 5 LA 291/12 -, [...] Rn 23; Urteil vom 11.2.2014 - 5 LB 72/13 -).
Auf die Ausführungen des Klägers zu seiner Entreicherung (S. 5 - 7 des Schriftsatzes vom 10.1.2014) kommt es angesichts des Umstandes, dass er der verschärften Haftung unterliegt, nicht an.
Die von der Beklagten gemäß § 87 Satz 4 NBG in Ausübung ihres Ermessens getroffene Billigkeitsentscheidung, auf die Rückzahlung von 10 Prozent der Überzahlung zu verzichten, ist rechtsfehlerfrei.
Gemäß § 87 Satz 4 NBG kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Die insofern zu treffende Billigkeitsentscheidung bezweckt, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Besoldungsempfänger tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Besoldungsempfängers abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, [...] Rn 24; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, [...] Rn 18, beide m. w. N.; vgl. ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 26.9.2012 - 5 LA 233/11 -, [...] Rn 9; Beschluss vom 24.7.2013, a. a. O., Rn 34; Beschluss vom 29.7.2013 - 5 LA 275/12 -, [...] Rn 26; Beschluss vom 6.8.2013 - 5 LA 82/13 -).
Bei der Billigkeitsentscheidung ist von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten geboten. Der Besoldungsempfänger, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als der Besoldungsempfänger, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. Angesichts dessen erscheint ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 Prozent des überzahlten Betrages im Regelfall angemessen. Bei Hinzutreten weiterer Umstände, etwa besonderer wirtschaftlicher Probleme des Besoldungsempfängers, kann auch eine darüber hinausgehende Ermäßigung des Rückforderungsbetrages in Betracht kommen. Außerdem entspricht es in der Regel der Billigkeit, bei wiederkehrenden Überzahlungen in jeweils geringer Höhe über einen längeren Zeitraum Ratenzahlungen einzuräumen, die dem Überzahlungszeitraum entsprechen. Die Festlegungen sind im Bescheid zu treffen; eine bloße Bereitschaft, später Ratenzahlungen zu vereinbaren, genügt nicht. Der Billigkeit entspricht es, dass sich Dienstherr und Besoldungsempfänger über die Modalitäten der Rückzahlung zu verständigen suchen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a. a. O., Rn. 25 ff.; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a. a. O., Rn. 19 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 6.8.2013 - 5 LA 82/13 -).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Billigkeitsentscheidung der Beklagten, auf die Rückzahlung von 10 Prozent der Überzahlung zu verzichten, nicht als ermessensfehlerhaft. Die Beklagte war nach Auffassung des Senats nicht einmal verpflichtet, den Rückforderungsbetrag zu mindern, geschweige denn vollständig von der Rückforderung abzusehen. Denn der Grund für die Überzahlung lag nicht im überwiegenden behördlichen Verantwortungsbereich der Beklagten, sondern vielmehr ausschließlich im Verantwortungsbereich des Klägers, der - wie ausgeführt - 29 Beihilfeanträge absichtlich unvollständig ausgefüllt hat. Dass die Beihilfestelle es jeweils unterlassen hat, den Kläger zur Beantwortung der Frage zum Erhalt eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag aufzufordern, führt zu keiner anderen Einschätzung. Denn die Beihilfestelle ist in rechtlich vertretbarer Weise (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 16.4.1998, a. a. O.) davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem Verhalten die Frage indirekt hatte verneinen wollen.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).