Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.08.2014, Az.: 5 LA 85/14

Teilweise Verjährung eines Rückforderungsanspruchs wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Behörde gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB; Rechtswidrigkeit einer behördlichen Billigkeitsentscheidung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.08.2014
Aktenzeichen
5 LA 85/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 24046
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0819.5LA85.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 02.04.2014 - AZ: 3 A 1612/12

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zur teilweisen Verjährung eines Rückforderungsanspruchs wegen grob fahrlässiger Unkenntnis der Behörde im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

  2. 2.

    Zur Rechtswidrigkeit einer behördlichen Billigkeitsentscheidung, auf (lediglich) 20 Prozent der Überzahlung zu verzichten.

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 2. April 2014 zugelassen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für den zweiten Rechtszug auf 19.796,53 EUR festgesetzt.

Gründe

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, mit der der Kläger sich gegen die Rückforderung von Versorgungsbezügen gewandt hat, die in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Oktober 20 überzahlt worden sind, abgewiesen.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Denn die Voraussetzungen des unter anderem geltend gemachten Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind erfüllt.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger die das angefochtene Urteil tragenden Erwägungen im Zulassungsverfahren mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Die von dem Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen die Annahme, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.

Das Verwaltungsgericht ist allerdings rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG vorliegen und dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann. Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger hätte erkennen müssen, dass das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung (im Weiteren: NLBV) als Funktionsvorgänger der Beklagten es versäumt hatte, bei der mit Bescheid vom 11. Januar 20 erfolgten Festsetzung der Versorgungsbezüge gemäß § 57 BeamtVG eine Kürzung wegen des aufgrund der rechtskräftig geschiedenen ersten Ehe des Klägers durchgeführten Versorgungsausgleichs vorzunehmen, wodurch es in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Oktober 20 zu einer Überzahlung von Versorgungsbezügen in Höhe von 24.745,66 EUR gekommen ist, und dass der Kläger es versäumt hat, sich durch eine Rückfrage bei dem NLBV Gewissheit darüber zu verschaffen, ob die Höhe seiner Versorgungsbezüge fehlerfrei berechnet worden ist. Der Senat macht sich die insoweit zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils (Urteilsabdruck S. 9 - 12, 1. Absatz) zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Rückforderungsanspruch der Beklagten insgesamt nicht verjährt (dazu nachfolgend 1.) und dass die von der Beklagten gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG getroffene Billigkeitsentscheidung rechtmäßig ist (dazu nachfolgend 2.), begegnet allerdings ernstlichen Richtigkeitszweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

1. Hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers ist der Rückforderungsanspruch der Beklagten verjährt. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist entgegen der Ansicht des Klägers dagegen nicht auch hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Oktober 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge verjährt.

Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre (vgl. zur Anwendbarkeit der §§ 195 ff. BGB: BVerwG, Urteil vom 25.11.1982 - BVerwG 2 C 32.81 -, [...] Rn 15). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger (hier: die Beklagte bzw. ihr Funktionsvorgänger) von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners (hier: der Kläger) Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB). Bei Behörden oder öffentlich-rechtlichen Körperschaften ist hierzu auf die Kenntnis des zuständigen Bediensteten der verfügungsberechtigten Behörde abzustellen; verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für den Rückforderungsanspruch zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist (BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, [...] Rn 21; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, [...] Rn 15; Nds. OVG, Beschluss vom 7.8.2013 - 5 LA 291/12 -, [...] Rn 20).

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten bzw. ihres Funktionsvorgängers ist in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Oktober 20 jeweils monatlich im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a.a.O., Rn 19; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O., Rn 13).

Der den Rückforderungsanspruch begründende Umstand ist die in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Oktober 20 unterbliebene Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers gemäß § 57 BeamtVG. Es kann dahinstehen, ob das NLBV - wie der Kläger vorträgt - schon seit dem 1. Februar 20 positive Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB von der unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge hatte. Denn das NLBV muss sich jedenfalls eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB von der unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge vorhalten lassen.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung ("Verschulden gegen sich selbst") vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat. Hierbei trifft den Gläubiger generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 27.9.2011 - VI ZR 135/10 -, [...] m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 7.8.2013, a.a.O., Rn 21).

Das NLBV hätte im Rahmen der Prüfungen, die es - beginnend am 2. September 20 (vgl. Beiakte A, Hinterer Hefter, Bl. 5) - vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge durchgeführt hat, bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt ohne Durchführung von Nachforschungen ohne weiteres feststellen können, dass im Falle des Klägers gemäß § 57 BeamtVG eine Kürzung der Versorgungsbezüge hätte vorgenommen werden müssen. Die dem Senat vorliegende Versorgungsakte (Beiakte A) ist überschaubar. Sie dürfte Ende 20 /Anfang 20 noch deutlich überschaubarer gewesen sein. Als Blatt 1 bis 3 des hinteren Hefters der Versorgungsakte ist das Scheidungsurteil des Amtsgerichts C. vom 21. Februar 19 abgeheftet. Dieses ist am 12. Mai 19 bei dem Niedersächsischen Landesverwaltungsamt (im Weiteren: Landesverwaltungsamt) als Funktionsvorgänger des NLBV eingegangen (vgl. Beiakte A, Hinterer Hefter, Bl. 3 R). Im Anschluss daran ist als Blatt 4 des hinteren Hefters der Versorgungsakte die an das Landesverwaltungsamt gerichtete Mitteilung des Amtsgerichts C. vom 10. Juli 19 abgeheftet, dass das Scheidungsurteil seit dem 20. Juni 19 rechtskräftig ist. Unmittelbar dahinter sind als Blatt 5 bis 13 des hinteren Hefters der Versorgungsakte die Unterlagen abgeheftet, die im Rahmen der Prüfung, die das NLBV vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge durchgeführt hat, entstanden sind. Danach folgt der Bescheid vom 11. Januar 20 (vgl. Beiakte A, Hinterer Hefter, Bl. 14 - 17). Dem NLBV hätte mithin im Rahmen der Prüfungen, die es vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge durchgeführt hat, das Scheidungsurteil des Amtsgerichts C. vom 21. Februar 19 unmittelbar "ins Auge springen" müssen.

Es kommt hinzu, dass sich Ende 20 /Anfang 20 in der Versorgungsakte (Beiakte A) auch das Schreiben des Landesverwaltungsamtes vom 18. Juli 19 befand (vgl. Beiakte A, Vorderer Hefter, Bl. 28). Mit diesem Schreiben hat das Landesverwaltungsamt den Kläger nach Erhalt der Mitteilung des Amtsgerichts C. vom 10. Juli 19 über die Rechtskraft des Scheidungsurteils vom 21. Februar 19 darüber informiert, dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Amtsgerichts C. mit dem Eintritt in den Ruhestand die Versorgungsbezüge des Klägers wegen des Versorgungsausgleichs zu kürzen seien. Auch das Schreiben vom 18. Juli 19 hätte dem NLBV im Rahmen der Prüfungen, die es vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge durchgeführt hat, "ins Auge springen" müssen. Denn nahezu unmittelbar dahinter sind als Blatt 30 bis 33 des vorderen Hefters der Versorgungsakte weitere Unterlagen abgeheftet, die im Rahmen der Prüfung, die das NLBV vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge durchgeführt hat, entstanden sind.

Dass das NLBV vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge sowohl das Scheidungsurteil des Amtsgerichts C. vom 21. Februar 19 als auch die Mitteilung des Amtsgerichts C. vom 10. Juli 19 über die Rechtskraft des Scheidungsurteils und darüber hinaus auch das an den Kläger gerichtete Schreiben vom 18. Juli 19 übersehen hat, ist als objektiv schwerwiegender und subjektiv nicht entschuldbarer Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit als grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB einzustufen.

Daraus folgt, dass der Rückforderungsanspruch der Beklagten

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers seit dem 1. Januar 20 (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 ) und

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers seit dem 1. Januar 20 (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 )

verjährt ist.

Die Höhe des verjährten Rückforderungsanspruchs der Beklagten beläuft sich nach Abzug des von der Beklagten erklärten teilweisen Verzichts auf 6.393,45 EUR (überzahlte Versorgungsbezüge von 7.991,81 EUR abzüglich 20 Prozent <1.598,36 EUR> aufgrund des von der Beklagten erklärten Verzichts = 6.393,45 EUR).

Der Rückforderungsanspruch der Beklagten war dagegen bei Erlass des angefochtenen Bescheides vom 30. November 20 nicht auch

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 ),

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 ),

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 ) und

- hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Januar 20 bis zum 31. Oktober 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers (Beginn der Verjährungsfrist: 1.1.20 ; Ende: 31.12.20 )

verjährt.

Die Höhe des nicht verjährten Rückforderungsanspruchs der Beklagten beläuft sich nach Abzug des von der Beklagten erklärten teilweisen Verzichts auf 13.403,08 EUR (überzahlte Versorgungsbezüge von 16.753,85 EUR abzüglich 20 Prozent <3.350,77 EUR> aufgrund des von der Beklagten erklärten Verzichts = 13.403,08 EUR).

2. Die von der Beklagten gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG getroffene Billigkeitsentscheidung ist insgesamt rechtswidrig. Denn die Entscheidung der Beklagten, aus Billigkeitsgründen auf die Rückzahlung von lediglich 20 Prozent der in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Oktober 20 überzahlten Versorgungsbezüge von insgesamt 24.745,66 EUR zu verzichten, erweist sich als ermessensfehlerhaft.

Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden. Die insofern zu treffende Billigkeitsentscheidung bezweckt, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Besoldungsempfänger tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Besoldungsempfängers abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a.a.O., Rn 24; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O., Rn 18; vgl. ebenso Nds. OVG, Beschluss vom 26.9.2012 - 5 LA 233/11 -, [...] Rn 9; Beschluss vom 24.7.2013 - 5 LB 85/13 -, [...] Rn 34; Beschluss vom 29.7.2013 - 5 LA 275/12 -, [...] Rn 26; Beschluss vom 3.3.2014 - 5 LA 286/13 -; Beschluss vom 5.3.2014 - 5 LA 177/13 -).

Bei der Billigkeitsentscheidung ist von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung einzubeziehen. Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten geboten. Der Besoldungsempfänger, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als der Besoldungsempfänger, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. In diesen Fällen hat das Bundesverwaltungsgericht ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 Prozent des überzahlten Betrages als angemessen angesehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a.a.O., Rn 25 ff.; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O., Rn 19 ff.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Billigkeitsentscheidung der Beklagten, auf die Rückzahlung von lediglich 20 Prozent der Überzahlung zu verzichten, als ermessensfehlerhaft.

Die primäre Ursache für die Überzahlung beruhte auf dem Umstand, dass - wie schon ausgeführt wurde - das NLBV vor dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge sowohl das Scheidungsurteil des Amtsgerichts C. vom 21. Februar 19 als auch die Mitteilung des Amtsgerichts C. vom 10. Juli 19 über die Rechtskraft des Scheidungsurteils und darüber hinaus auch das an den Kläger gerichtete Schreiben vom 18. Juli 19 übersehen und damit in objektiv schwerwiegender und subjektiv nicht entschuldbarer Weise gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verstoßen hat. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist zwar bei im Rahmen der Massenverwaltung erfolgenden Überzahlungen, deren Ursache entweder in einem Fehler des behördlich verwendeten Computersystems oder aber in einem Eingabefehler liegt, ohne ein Hinzutreten verschärfender Umstände - etwa bei einem Unbemerktbleiben des Fehlers auch bei nachfolgenden Kontrollen bzw. Eingaben in das System oder aber über lange Zeit (so in den Fällen BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a.a.O.; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O.) - allenfalls von einem ganz geringfügigen Verschulden auf Seiten der Behörde auszugehen, weil es sich bei derartigen Fehlern um im Rahmen der Massenverwaltung auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht gänzlich zu vermeidende Fehler handelt. Für sich genommen reichen solche Fehler daher nicht aus, um eine Verringerung des Rückforderungsbetrags aus Gründen der Billigkeit rechtlich geboten erscheinen zu lassen. Vielmehr aktualisiert sich bei derartigen Fehlern die in der Treuepflicht des Besoldungsempfängers wurzelnde Verpflichtung, die ihm erteilten Bezügemitteilungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und auf Überzahlungen zu achten. Diese Pflicht besteht gerade im Interesse des Dienstherrn, der auf automatisierte und in gewissem Umfang fehleranfällige Systeme zurückgreift und auch deshalb darauf angewiesen ist, dass die Besoldungsempfänger ihrer Kontrollaufgabe ebenfalls nachkommen (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 24.7.2013, a.a.O., Rn 36; Beschluss vom 6.8.2013 - 5 LA 82/13 -). Der Fehler, der dem NLBV im Rahmen des Verfahrens unterlaufen ist, das zur fehlerhaften Festsetzung der Versorgungsbezüge geführt hat, ist jedoch nicht der Massenverwaltung zuzuordnen. Denn das Verfahren, das zu dem Erlass des Bescheides vom 11. Januar 20 über die Festsetzung der Versorgungsbezüge geführt hat, hat sich - beginnend am 2. September 20 (vgl. Beiakte A, Hinterer Hefter, Bl. 5) - über mehrere Monate mit verschiedenen Arbeitsschritten erstreckt, bei denen die Versorgungsakte jeweils herangezogen und ausgewertet werden musste.

Abgesehen davon, dass der Fehler, der dem NLBV im Rahmen des Verfahrens unterlaufen ist, das zur fehlerhaften Festsetzung der Versorgungsbezüge geführt hat, nicht der Massenverwaltung zuzuordnen ist, kommt im vorliegenden Einzelfall als verschärfender Umstand hinzu, dass die Beklagte den Fehler erst nach sehr langer Zeit, nämlich nach 5 Jahren und 9 Monaten, erkannt hat. Insofern ist der vorliegende Fall mit den Sachverhalten vergleichbar, die den grundlegenden Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. April 2012 (- BVerwG 2 C 15.10 und BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O.) zugrunde lagen. In den beiden vorgenannten Fällen waren die behördlichen Fehler über mehr als 8 Jahre bzw. etwa 10 Jahre unerkannt geblieben.

Da der Grund für die Überzahlung im überwiegenden behördlichen Verantwortungsbereich des NLBV als Funktionsvorgänger der Beklagten lag, der Fehler, der dem NLBV im Rahmen des Verfahrens unterlaufen ist, das zur fehlerhaften Festsetzung der Versorgungsbezüge geführt hat, nicht der Massenverwaltung zuzuordnen ist, und als verschärfender Umstand hinzu kommt, dass die Beklagte den Fehler erst nach 5 Jahren und 9 Monaten erkannt hat, erscheint dem Senat ein Verzicht der Beklagten in der Größenordnung von 30 Prozent des nicht verjährten Rückforderungsanspruchs angemessen (für die Zeit vom 1.1.20 bis zum 31.10.20 überzahlte Versorgungsbezüge von 16.753,85 EUR abzüglich 30 Prozent Verzicht <5.026,16 EUR> = 11.727,69 EUR Rückforderungsbetrag).

Der Umstand, dass der Rückforderungsanspruch der Beklagten hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Februar 20 bis zum 31. Dezember 20 unterbliebenen Kürzung der Versorgungsbezüge des Klägers verjährt und die von der Beklagten getroffene Billigkeitsentscheidung insgesamt rechtswidrig ist, hat die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung zur Folge (vgl. dazu, dass auch die Billigkeitsentscheidung notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung ist: BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 15.10 -, a.a.O., Rn 29; Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, a.a.O., 23).

3. Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen

5 LB 141/14

fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).