Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.03.2014, Az.: 1 LA 216/12

Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde zu verstärkt repressiver Tätigkeit bei Möglichkeit der genehmigungsfreien Errichtung eines angegriffenen Vorhabens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.03.2014
Aktenzeichen
1 LA 216/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 12978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0328.1LA216.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 15.10.2012 - AZ: 4 A 5453/11

Fundstellen

  • BauR 2014, 1453-1454
  • DVBl 2014, 655-657
  • DÖV 2014, 582
  • IBR 2014, 376
  • NVwZ-RR 2014, 550
  • NVwZ-RR 2014, 6
  • NdsVBl 2014, 258-260
  • NordÖR 2014, 390-393
  • ZfBR 2014, 390

Amtlicher Leitsatz

Auch im Falle genehmigungs oder verfahrensfreier Bauten ist das Entschließungsermessen der Bauaufsichtsbehörde nicht auf eine dem Nachbarn günstige Entscheidung reduziert.

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Senat vertritt die Auffassung, auch/selbst dann, wenn das angegriffene Vorhaben genehmigungsfrei errichtet werden dürfe, sei die Bauaufsichtsbehörde nicht in jedem Fall verpflichtet, als Ausgleich für den Verzicht auf ihre präventive Tätigkeit nunmehr verstärkt repressiv tätig zu werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn das Vorhaben nach dem eingereichten Entwurf keinen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erkennen lasse und die Auswirkungen auf das Nachbargrundstück als nicht gravierend anzusehen seien. In solchen Fällen dürfe der Nachbar darauf verwiesen werden, seine behaupteten Rechte vor den Zivilgerichten geltend zu machen.

  2. 2.

    Schutzlos wird der Nachbar dadurch nicht gestellt. Denn die genannte Senatsrechtsprechung enthält als Einschränkung, anderes gälte, wenn ein Verstoß gegen materielles Recht beim Nachbarn gravierendere Folgen habe. Unterhalb dieser Schwelle stellt es keine unzumutbare Schlechterstellung des Nachbarn dar, sein Interesse auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen. Einen Anspruch auf "baurechtliche Sozialhilfe" dergestalt, dass ihm die Mühen der Sachverhaltsaufklärung, gerichtlichen Durchsetzung und Vollstreckung abgenommen werden, vermitteln weder Art. 14 GG noch das Sozialstaatsprinzip.

  3. 3.

    Dass damit unter Umständen das weitere Ziel des Gesetzgebers, dem Bauherrn Investitionssicherheit zu geben, nicht so schnell erreicht werden kann, mag zutreffend. Doch eröffnet der Gesetzgeber dem Bauherrn durch die Regelung des § 62 Abs. 10 NBauO n. F., trotz eröffneter Genehmigungsfreiheit ein (vereinfachtes) Baugenehmigungsverfahren durchführen zu lassen, die Möglichkeit, den Nachbarn zu fristgebundener Entscheidung zu zwingen und so innerhalb bestimmter Fristen Klarheit zu erlangen. Bei verfahrensfreien Baumaßnahmen (§ 60 NBauO n.F.) mag diese Möglichkeit nicht bestehen. Diese betreffen aber Vorhaben, für welche der Gesetzgeber annehmen darf, sie seien typischerweise nur mit geringen Auswirkungen auf nachbarliche Belange verbunden.

In der Verwaltungsrechtssache
1. der Frau A. B.,
2. des Herrn C. B.,
Kläger und Zulassungsantragsteller,
Proz.-Bev.
zu 1-2: Rechtsanwälte Langner und andere,
Utrechter Straße 26, 13347 Berlin, -
gegen
die Stadt D., vertreten durch den Bürgermeister,
Beklagte und Zulassungsantragsgegnerin,
Beigeladen:
Herr E. F.,
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Zimbal, Marktplatz 5,
30982 Pattensen, -
Streitgegenstand: (sonstige) bauaufsichtliche Anordnung
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat - am 28. März 2014
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 15. Oktober 2012 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner; außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,-- € festgesetzt.

Gründe

Die Kläger möchten, dass die Beklagte bauaufsichtsbehördlich gegen eine Holzlege sowie einen in drei Phasen errichteten, mit Dachüberstand 8,75 m langen, ca. 2,60 m hohen und zwischen 1,00 und 1,80 tiefen Schuppen einschreitet, den der Beigeladene auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtet hat, um darin Brennholz zu lagern. Die Grundstücke dieser beiden Beteiligten liegen südlich und östlich der im Aktiv- und Beigeladenenrubrum genannten G. straße in D.. Das querrechteckige des Beigeladenen grenzt mit seiner Schmalseite an diese Straße an und ist - mit Genehmigung -straßenseitig an seiner Südgrenze mit einer Garage, außerdem mit einem Wohnhaus bestanden, das zur Ost-, d. h. gemeinsamen Grundstücksgrenze einen Abstand von etwa 4 m einhält. Zwischen seiner Ostwand und der Grenze stehen die streitigen Vorhaben. Das nach Art eines Pfeifenstiels von Norden her erschlossene Grundstück der Kläger weist an seiner Westgrenze eine zwischen 2,50 und 3,00 m hohe Hecke auf; das Wohnhaus steht gut 10 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt und weist dorthin orientiert eine Terrasse sowie den Wohnbereich auf.

Das Verwaltungsgericht hat nach Ortsbesichtigung die Verpflichtungsklage mit der angegriffenen Entscheidung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung abgewiesen:

Der - trotz dreier Bauphasen als ein Gebäude anzusehende - Holzschuppen sei abstandsrechtlich sogar legal. Zwar genüge er nicht der neuen Niedersächsischen Bauordnung. Deren Regelungen könnten nur unter den Voraussetzungen des § 85 NBauO n. F. eingefordert werden; diese seien hier aber nicht erfüllt. Zum Zeitpunkt seiner Errichtung habe der Schuppen in Einklang mit § 12 Abs. 1 Nr. 3 NBauO a. F. gestanden. Dieses abstandsrechtliche Privileg sei nicht durch das Gebäude an der Südgrenze des Baugrundstücks verbraucht. Die Ortsbesichtigung habe ergeben, dass es als Garage genutzt werde. Selbst wenn dies nicht zuträfe, könne die Bauaufsichtsbehörde wegen der hierfür erteilten Baugenehmigung auch nur eine Rückkehr zu dieser Nutzung fordern. Das klägerische Verlangen wäre aber auch dann unbegründet, wenn die Anlage materiell abstandsrechtswidrig wäre. Denn das durch §§ 89 NBauO a. F./§ 79 NBauO n. F. eröffnete Ermessen sei nicht auf die den Klägern günstige Entscheidung geschrumpft. Die dafür erforderliche spürbare Beeinträchtigung eigener Nachbarrechte fehle. Während der Vegetationsperiode verdecke ihre Hecke den Schuppen. Außerhalb davon werfe dieser keinen Schatten auf das klägerische Grundstück; denn er stehe dann im Abstandsschatten des Wohnhauses des Beigeladenen. Zureichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit des Klägervortrags, der Schuppen verursache zu ihren Lasten einen Hitzestau und verstärke nach Art eines Schalltrichters die beim Holzspalten entstehenden Geräusche, bestünden nicht. Erdrückend sei seine Baumasse nicht. Einem Anspruch auf Einschreiten stehe zudem der Einwand rechtlichen Alternativverhaltens entgegen: Der Beigeladene dürfe sogar auf der Grundlage neuen Bauordnungsrechts auf der Grenze einen 6 m langen Bau errichten. Die Holzlege überschreite allenfalls geringfügig das nach dem Bauordnungsrecht zulässige Höhenmaß von einem Meter. Spürbare Beeinträchtigungen rufe sie nicht hervor.

Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag der Kläger, dem der Beigeladene entgegentritt.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Antragsbegründungsschrift vom 13. Dezember 2012 nennt keinen der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe. Sie wendet sich vielmehr nach Art einer (erst nach Zulassung der Berufung statthaften) Berufungsschrift gegen die angegriffene Entscheidung. Die Ausführungen lassen sich allenfalls dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuordnen, rechtfertigen aber die Zulassung der Berufung auch dann nicht.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn es dem Zulassungsantragsteller gelingt, einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage zu stellen (BVerwG, 2. Kammer des Ersten Senats, B. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458, 1459 = NVwZ 2000, 1163 = NdsVBl. 2000, 244), dass sich hierdurch etwas am Ergebnis der angegriffenen Entscheidung ändert; dieses entscheidet. Der Erfolg des Rechtsmittels muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (BVerfG, B. v. 3.3.2004 - 1 BvR 461/03 -, BVerfGE 110, 77 = UPR 2004, 305 = NJW 2004, 2510). Das Zulassungsverfahren soll nicht das Berufungsverfahren vorwegnehmen (BVerfG, B. v. 21.1.2009 - 1 BvR 2524/06 -, NVwZ 2009, 515 = UPR 2009, 182 = JZ 2009, 850).

Das darzutun ist den Klägern nicht gelungen. Weder haben sie die Annahme, der Holzschuppen sei jedenfalls nach den Regelungen der noch anzuwendenden Altfassung der NBauO rechtmäßig, in ernstliche Zweifel gezogen, noch ist ihnen dies für die ebenfalls selbständig tragende Erwägung gelungen, für den Anspruch sei eine Ermessensreduktion erforderlich, diese sei nicht gegeben.

Gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der fast 9 m lange Holzschuppens sei baurechtmäßig (gewesen), machen die Kläger zum einen geltend, dieser sei wegen dreier Bauphasen nicht als ein Gebäude anzusehen, als das allein er nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NBauO a. F. privilegiert hätte sein können. Das Verwaltungsgericht hatte seine gegenteilige Auffassung auf Seite 6 Mitte des Urteilsabdrucks in einem eigenen Absatz begründet. Dem setzen die Kläger (auf Seite 2 unten der Antragsbegründungsschrift vom 13.12.2012) lediglich entgegen, sie hielten an ihrer Auffassung fest. Das genügt nicht der aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO folgenden Pflicht, sich mit der Begründung der angegriffenen Entscheidung auseinanderzusetzen. Im Übrigen spricht Überwiegendes für die Richtigkeit der Annahme, es komme nicht auf die Rechtmäßigkeit von Bauphasen, sondern des Resultats an. Insofern kann nichts anderes gelten als beim Anbau an ein Wohnhaus: Dann ist das dadurch entstandene Gesamtvorhaben maßgeblich. Wenn die Kläger meinen, die Bauphasen führten zu ihren Lasten zu einem statisch instabilen Gebilde, müssten sie ihr Begehr darauf stützen; das fehlt.

Zum anderen machen sie gegen die Annahme der Baurechtmäßigkeit geltend, das Privileg des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NBauO a. F. sei verbraucht, weil die Garage in Wahrheit als Gebäude genutzt werde, das § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NBauO a. F. unterfalle; nur ein solches dürfe auf dem Baugrundstück verwirklicht werden.

Dieser Zulassungsangriff scheitert gleichfalls an § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Denn das Verwaltungsgericht hatte auf Seiten 6 Mitte und unten/7 oben des Urteilsabdrucks ausgeführt, das südliche Grenzgebäude sei als Garage genehmigt worden, das entscheide und nicht eine davon eventuell abweichende Nutzung. Zudem müsste die Beklagte dem Beigeladenen die Wahl lassen, zu der genehmigten Nutzung zurückzukehren statt gegen den Holzschuppen einzuschreiten. Zu diesen Erwägungen verhält sich das Antragsvorbringen ebenso wenig wie zu den weiteren selbständig tragenden Erwägungen, mit denen das Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Urteilsabdrucks die Behauptung abweichender Nutzung des südlichen Grenzgebäudes zum Nachteil der Kläger gewürdigt hatte.

Danach kommt es auf die Erwägungen zur fehlenden Einschränkung des Entschließungsermessens hinsichtlich des Holzschuppens nicht mehr an. Die hiergegen gerichteten Zulassungsangriffe greifen allerdings nicht durch. Der Senat vertritt (z. B. B. v. 22.10.2008 - 1 ME 134/08 -, NdsVBl 2009, 44 = ZfBR 2009, 169 = BauR 2009, 639 = BRS 73 Nr. 180) die Auffassung, auch/selbst dann, wenn das angegriffene Vorhaben genehmigungsfrei errichtet werden dürfe, sei die Bauaufsichtsbehörde nicht in jedem Fall verpflichtet, als Ausgleich für den Verzicht auf ihre präventive Tätigkeit nunmehr verstärkt repressiv tätig zu werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn das Vorhaben nach dem eingereichten Entwurf keinen Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften erkennen lasse und die Auswirkungen auf das Nachbargrundstück als nicht gravierend anzusehen seien. In solchen Fällen dürfe der Nachbar darauf verwiesen werden, seine behaupteten Rechte vor den Zivilgerichten geltend zu machen.

Es trifft zwar zu, dass Mehde/Hansen in dem von den Klägern zitierten Aufsatz "Das subjektive Recht auf Bauordnungsverfügungen im Zeitalter der Baufreistellung - Eine Bilanz" (NVwZ 2010, 14) diese Auffassung wiederholt und intensiv attackiert. Diese Verfasser sind offenbar der Auffassung, dass auch bei genehmigungsfreiem Bauen im Interesse des Nachbarn ein intendiertes Ermessen bestehe. Gerade bei genehmigungsfreiem Bauen sei die BauAB eher verpflichtet einzuschreiten.

Diese Kritik überzeugt nicht. Der Senat hatte in seinem genannten Beschluss vom 22. Oktober 2008 (aaO, [...]Rdnrn. 17 f.) zur Begründung unter anderem ausgeführt, wesentliches Ziel von Einführung und Aufrechterhaltung (fakultativ) genehmigungsfreien Bauens sei, die Bauaufsichtsbehörden zu entlasten. Dieses Ziel solle ungeachtet des Umstandes erreicht werden, dass mit dem Wegfall präventiver Prüfung die vom Gesetzgeber sehr wohl gesehenen Gefahr verbunden war, so mancher Bauherr werde der Versuchung nicht widerstehen und - auch - unter Verletzung solcher Vorschriften bauen/zu bauen versuchen, die nachbarschützend seien. An dieser Einschätzung habe der Gesetzgeber bei Schaffung des Gesetzes zur Änderung des Baurechts vom 11. Dezember 2002 (GVBl. S. 796) festgehalten (vgl. Gesetzesentwurf der SPD-Fraktion, LTDr. 14/3330, S. 12). Der für andere Landesbauordnungen entwickelte Gedanke, der Fortfall präventiver Tätigkeit müsse durch verstärkte Pflicht zu repressivem Tun kompensiert werden, finde in der niedersächsischen Ausgestaltung der Genehmigungsfreiheit keine Stütze. Im Vordergrund stünden unverändert die Stärkung der Eigenverantwortung des Bauherrn und die damit verschränkte Entlastung der Bauverwaltung. Damit sei dieser Kompensationsgedanke nicht zu vereinbaren. Es habe daher bei den allgemeinen Grundsätzen zu bleiben, wie sie auch dann gälten, wenn der Bauherr von genehmigten Bauzeichnungen abweiche oder ohne Baugenehmigung baue (vgl. dazu das Senatsurteil vom 9.10.2007 - 1 LB 5/07 -, NVwZ-RR 2008, 374, [...]Rdnr. 70). Damit würden Nachbarn (möglicherweise) baurechtswidriger Bauten nicht rechtlos gestellt oder die Lasten im Dreiecksverhältnis Bauherr - Nachbar - Bauaufsichtsbehörde in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise oder gar unter Verstoß gegen die durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantierte Möglichkeit, zumutbaren Rechtsschutz zu erlangen, zu deren Nachteil verschoben. Denn auch nach den oben wiedergegebenen allgemeinen Grundsätzen haben die Nachbarn desto mehr Anspruch darauf, dass sich die Bauaufsichtsbehörde ihrer Interessen annimmt, je einschneidender die Folgen baurechtswidrigen Tuns für ihre Grundstücke sind. Sind diese Folgen gering, dann ist es dem Nachbarn anzusinnen, die Möglichkeit zu ergreifen, welche ihm das Zivilrecht neben der Option verleiht, die Bauaufsichtsbehörde zu repressiver Tätigkeit zu veranlassen.

Daran ist festzuhalten. Der Gesetzgeber hat mit der neuen Niedersächsischen Bauordnung (Gesetz vom 3.4.2012, GVBl. Nr. 5 vom 12. April 2012, S. 46) den Katalog verfahrens- und genehmigungsfreier Vorhaben (§§ 60 und 62 NBauO n.F.) in fortdauernder Kenntnis der Schwächen sogar noch erweitert (vgl. LT-Drs. 16,3195, S. 59), die eine solche "Liberalisierung des Genehmigungsrechts" mit sich bringt. Maßgeblicher Beweggrund war unverändert das Bestreben, die Bauaufsichtsbehörden zu entlasten (LT-Drs. aaO S. 60). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn die Bauaufsichtsbehörden repressiv dann doch zum Einschreiten verpflichtet wären. Eine dahingehende Korrektur der gesetzlichen Ermächtigungen, welche zur Verdeutlichung des von Mehde/Hansen für richtig(er) gehaltenen Ergebnisses erforderlich gewesen wäre, hat der Gesetzgeber weder in den §§ 60 ff. noch in § 79 NBauO n.F. verankert. In der Senatsauffassung liegt nicht, wie diese Autoren (aaO, S. 16, li. Sp. Mitte) meinen, eine "umstandslose" Übertragung des Motivs für Genehmigungsfreiheit auf Regeln für die Ausübung des Ermessens. Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Ermächtigungsnorm auszuüben (vgl. § 40 VwVfG). Die Ermächtigungsnorm § 79 NBauO n.F. (§ 89 NBauO a. F.) ist aber in den Zusammenhang mit zunehmender Lockerung der Genehmigungsbedürftigkeiten und damit einhergehenden Rückzug staatlicher Überwachung des öffentlichen Baurechts gestellt. Das ist nicht per se zu missbilligen. Vielmehr bewegt sich das nachbarrelevante öffentliche Baurecht an der Schnittstelle zum Zivilrecht; denn seine Regelungen stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar und können dementsprechend auch auf dem Zivilrechtsweg eingefordert werden. Das zum Teil-Rückzug staatlicher Überwachungstätigkeit angeführte Argument, die Eigenverantwortlichkeit zu stärken, bezieht sich nur vermeintlich allein auf die am Bau beteiligten Personen wie Bauherr, Entwurfverfasser, sonstige Personen (anders aber Mehde/Hansen, aaO, Fn. 31). Im Pflichtendreieck von Bauherr - Bauaufsichtsbehörde - Nachbar kann dies im Zusammenhang mit der ausdrücklich beabsichtigten Entlastung der Bauaufsichtsbehörde nur bedeuten, dass (auch) der Nachbar den Bauherrn zur Verantwortung zu ziehen kann und dafür Sorge zu tragen hat, Beeinträchtigungen abzuwehren, welche noch nicht als gravierend anzusehen sind. Dass der Nachbar hierdurch in die "Rolle des Aufpassers gedrängt" wird (Mehde/Hansen, aaO, S. 17 li.Sp.o.), ist kein echtes Gegenargument. Auf diese Rolle vertraut die Bauaufsichtsbehörde ohnedies. Sie liegt zudem teilweise der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gebietserhaltungsanspruch zugrunde (grundlegend Urt. vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = DVBl. 1994, 284 = BauR 1994, 223 = BRS 55 Nr. 110). Es ist eben nur die Frage, ob sich der Nachbar auf die Rolle desjenigen beschränken darf, der folgenlos "Hinweise" auf möglicherweise baurechtswidrige Zustände geben darf, oder ob er im Falle weniger gravierender Folgen des behaupteten Nachbarrechtsverstoßes für das Risiko möglicherweise unzutreffender Verdächtigung einzustehen hat. Dieses - finanzielle - Risiko darf ihm der Gesetzgeber aufbürden.

Schutzlos wird der Nachbar dadurch nicht gestellt. Denn die genannte Senatsrechtsprechung enthält als Einschränkung, anderes gälte, wenn ein Verstoß gegen materielles Recht beim Nachbarn gravierendere Folgen habe. Unterhalb dieser Schwelle stellt es keine unzumutbare Schlechterstellung des Nachbarn dar, sein Interesse auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen. Einen Anspruch auf "baurechtliche Sozialhilfe" dergestalt, dass ihm die Mühen der Sachverhaltsaufklärung, gerichtlichen Durchsetzung und Vollstreckung abgenommen werden, vermitteln weder Art. 14 GG noch das Sozialstaatsprinzip.

Dass damit unter Umständen das weitere Ziel des Gesetzgebers, dem Bauherrn Investitionssicherheit zu geben, nicht so schnell erreicht werden kann (Mehde/Hansen, aaO, S. 16), mag zutreffend. Doch eröffnet der Gesetzgeber dem Bauherrn durch die Regelung des § 62 Abs. 10 NBauO n. F., trotz eröffneter Genehmigungsfreiheit ein (vereinfachtes) Baugenehmigungsverfahren durchführen zu lassen, die Möglichkeit, den Nachbarn zu fristgebundener Entscheidung zu zwingen und so innerhalb bestimmter Fristen Klarheit zu erlangen. Bei verfahrensfreien Baumaßnahmen (§ 60 NBauO n.F.) mag diese Möglichkeit nicht bestehen. Diese betreffen aber Vorhaben, für welche der Gesetzgeber annehmen darf, sie seien typischerweise nur mit geringen Auswirkungen auf nachbarliche Belange verbunden.

Gravierende Folgen hat der Holzschuppen für die Kläger bei objektiver Würdigung nicht. Ihr Antragsvorbringen ist von der Annahme geprägt, ihnen dürfe der Anblick dieses Holzschuppens nicht zugemutet werden. Einen so weitgehenden Anspruch gibt es nicht. Sollte also ihre grenzständige Hecke unbelaubt sein, müssen sie den Anblick dieses durchschnittlich gestalteten Holzgebildes (vgl. Fotos Bl. 41 ff. BA B) hinnehmen. Dass das streitige Vorhaben dem als "sensibel" bezeichneten Teil ihres Wohngebäudes zugewandt ist, ändert daran nichts. Zudem sind Terrasse und Wohngebäude ein erhebliches Stück von der Westgrenze entfernt. Der Holzschuppen drängt sich daher nicht auf. Das mag jemandem, der sich mit ihm auf keinen Fall abfinden will, zu akzeptieren schwerfallen. Diese Einstellung ist aber nicht das im Nachbarstreit anzulegende Maß.

Eine den Klägern nicht mehr zuzumutende Verschattung ihres Grundstücks hat der Holzschuppen nicht zur Folge. Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, nach der Himmelsrichtung könne das streitige Objekt nur zur Nachmittags- und Abendzeit solche Wirkungen entfalten. Dann aber liege der Schuppen seinerseits im weit größeren Schatten, welchen das Wohnhaus des Beigeladenen werfe; dieses steht unweit westlich des Holzschuppens. Das überzeugt und wird von den Klägern zudem nicht in einer § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise angegriffen.

Der Zulassungsangriff, der Schuppen wirke wie ein Schalltrichter, greift nicht durch. Sollten die Kläger sich durch das damit angesprochene Holzhacken belästigt sehen, müssten sie gegen dieses - zivilrechtlich - vorgehen. Dabei mögen sie geltend zu machen versuchen, der Holzschuppen habe nicht etwa schalldämmende, sondern sogar schallverstärkende Wirkung.

Diese Ausführungen gelten erst recht für die Holzlege. Dass diese etwas höher ist als 1 m, hatte das Verwaltungsgericht in seiner Ortsbesichtigung festgestellt (s. S. 3 des Protokolls) und seiner Entscheidung zugrunde gelegt (s. S. 9 UA), dabei 8 cm als vernachlässigbare Überschreitung eingestuft. Durchgreifende Angriffe gegen die Richtigkeit der am 15. Oktober 2012 getroffenen tatsächlichen Feststellungen enthält die Antragsbegründungsschrift vom 13. Dezember 2012 (insbes. S. 4) nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Überschreitung um 8 cm in irgendeiner Weise für denjenigen ins Gewicht fällt, der sich auf der Terrasse der Kläger aufhält.

Weitere Ausführungen zum Zulassungsantrag sind nicht veranlasst.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs., 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 iVm. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Claus
Dr. Berner-Peschau
Dr. Lenz