Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.03.2014, Az.: 7 OB 7/14

Hinweise auf eine mangelnde rechtmäßige Verwaltungspraxis und auf fehlende neue Richtlinien zur Steuerung des behördlichen Ermessens als zureichender Grund im Sinne des § 75 S. 1 VwGO für behördliche Untätigkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.03.2014
Aktenzeichen
7 OB 7/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 12664
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0325.7OB7.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 21.01.2014 - AZ: 7 A 7647/13

Fundstellen

  • DÖV 2014, 584
  • GewArch 2014, 207-208
  • MuA 2014, 401
  • NVwZ-RR 2014, 5
  • NVwZ-RR 2014, 670-671
  • NordÖR 2014, 368

Amtlicher Leitsatz

Hinweise auf eine bislang etwa mangelnde rechtmäßige Verwaltungspraxis und auf fehlende neue Richtlinien zur Steuerung des behördlichen Ermessens vermögen keinen zureichenden Grund im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO für behördliche Untätigkeit darzustellen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 7. Kammer (Einzelrichter) - vom 21. Januar 2014 aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich dagegen, dass das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Beschluss das Verfahren gestützt auf § 75 Satz 3 VwGO mit der Begründung bis zum 30. April 2014 ausgesetzt hat, es liege ein zureichender Grund dafür vor, dass der am 8. Februar 2013 (Bl. 24 Beiakte - BA - A) beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen sei, weil die Beklagte derzeit ein Konzept erarbeite, um Sondernutzungserlaubnisse für das Aufstellen von Alttextilcontainern zukünftig ermessensfehlerfrei erteilen zu können, wenn mehrere Bewerber solche Container auf öffentlichem Grund aufstellen wollten. Der Rat der Beklagten solle am 10. März 2014 hierüber beschließen. Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet.

Nach § 75 Satz 1 VwGO ist die Klage unter anderem abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Nach § 75 Satz 3 VwGO setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, wenn ein zureichender Grund dafür vorliegt, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist. Ob ein zureichender Grund vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden (VGH BW, Beschl. v. 26. 11. 2010 - 4 S 2071/10 -, NVwZ-RR 2011, 224 f., hier zitiert nach [...], Langtext Rn. 3). Erforderlich ist, dass der in Frage stehende Grund mit der Rechtsordnung im Einklang steht (BVerwG, Beschl. v. 8. 1. 2004 - BVerwG 7 B 58.03 -, Buchholz 428, § 9 VermG Nr. 8 - hier zitiert nach [...], Langtext Rn. 4, m. w. N.).

Das Verwaltungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, es liege im vorliegenden Falle ein zureichender Grund dafür vor, dass der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen sei.

Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 NStrG bedarf die Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus der Erlaubnis. Die Erteilung der Erlaubnis liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Schutzzweck der Erlaubnis ist auch das öffentliche Bedürfnis, zeitlich und örtlich gegenläufige Interessen verschiedener Straßenbenutzer und Anlieger auszugleichen (Ausgleichs - und Verteilungsfunktion der Sondernutzungserlaubnis). Dabei können städteplanerische und baupflegerische Belange in die Ermessenserwägung einbezogen werden, soweit sie in einem sachlichen Zusammenhang mit der Straße stehen (vgl. zum Vorstehenden: Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 27, Rn. 14, S. 834 f.). Das Verwaltungsverfahren über den Antrag auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis ist zügig durchzuführen (§§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 10 Satz 2 VwVfG).

Hiernach vermögen Hinweise auf eine bislang etwa mangelnde rechtmäßige Verwaltungspraxis und auf fehlende neue Richtlinien zur Steuerung des behördlichen Ermessens der Beklagten einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit nicht darzustellen (vgl. Brenner, in Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 3. Aufl. 2010, § 75 Rn. 54 und Dolde/Porsch, in: Schoch/Schneider/Bier [Hrsg.], VwGO, Stand: April 2013, § 75, Rn. 8). Insbesondere ist es mit der Rechtsordnung nicht vereinbar, wenn die Verwaltung die Entscheidung über einen Antrag verzögert, um ihn nach einer absehbaren Rechtsänderung ablehnen zu können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8. 1. 2004 - BVerwG 7 B 58.03 - , a. a. O.). Das muss auch dann gelten, wenn sich die Rechtsänderung lediglich dergestalt auf das Innenrecht bezieht, dass ermessenlenkende Richtlinien erwartet werden, von denen angenommen wird, dass sie es rechtfertigen, einen Antragsteller unter Hinweis auf eine antizipierte Verwaltungspraxis (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 40 Rn. 45) abschlägig zu bescheiden.

Im vorliegenden Falle ergeben sich aus dem Verwaltungsvorgang der Beklagten (Bl. 45 und 72 der BA A), insbesondere einer "Anmerkung" zur "Chronologie der Ereignisse" (Bl. 72 BA A), Indizien dafür, dass eine Verbescheidung sogar bewusst verzögert wird, um zuvor die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das Begehren des Klägers im Einklang mit einer bestimmten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Hannover abschlägig zu bescheiden. Denn in der "Anmerkung" heißt es unter anderem: "Zielvorgabe ist eine regionsweite einheitliche Handhabung der Wertstoffinseln incl. Altkleidercontainer durch die B.. Dies könnte/sollte in der Form durchgeführt werden, wie es derzeit bei der Stadt Hannover durch die B. praktiziert wird. Voraussetzung dafür ist, dass die B. einen Antrag auf Sondernutzung bzw. ein Handlungskonzept vorlegt, über welches letztendlich der Rat der Stadt zu beschließen hat."

Vor diesem Hintergrund, aber auch deshalb, weil Sondernutzungserlaubnisse ohnehin zu befristen sind (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 1 NStrG), sodass sie einem Antragsteller auch für einen Übergangszeitraum erteilt werden könnten, rechtfertigen die über ein Jahr andauernden Verzögerungen, die sich unter anderem aus der Beteiligung des Rates und verschiedener Ausschüsse der Beklagten ergeben haben, nicht die Untätigkeit in Bezug auf die Verbescheidung des Klägers.

Im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens war nicht zu entscheiden, ob dem Kläger eine Sondernutzungserlaubnis im Zuge rechtmäßiger Ermessensausübung bereits deshalb - ohne Zuwarten - hätte versagt werden können, weil nach dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs (vgl. Bl. 6, 84 und 86 BA A), insbesondere eines Telefonvermerks vom 21. November 2012 (Bl. 6 BA A), davon auszugehen ist, dass er mehrfach aus Gewinnstreben Sammelbehälter bewusst ohne Genehmigung auf städtischen Wertstoffsammelplätzen aufgestellt hat. Darin könnte unter anderem eine wiederholte Ausübung verbotener Eigenmacht (§§ 858 Abs. 1, 859 Abs. 3 BGB) zu sehen sein, die eine generell mangelnde Rechtstreue in straßenrechtlichen Zusammenhängen erkennen lässt, welche Zweifel daran begründet, ob von ihm zu erwarten steht, dass er die Ausgleichs- und Verteilungsfunktion einer Sondernutzungserlaubnis zu respektieren und deren Grenzen sowie etwaige ihr beigefügte (§ 18 Abs. 2 Satz 2 NStrG) Bedingungen und Auflagen einzuhalten bereit ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Sie ist hier deshalb nicht entbehrlich, weil es sich bei der Beschwerde gegen die Aussetzung eines Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO um ein streitiges Zwischenverfahren handelt (Sächs. OVG, Beschl. v. 8. 3. 2013 - 1 E 93/12 -, [...], Langtext Rn. 2). Denn mit der Aussetzung nach § 75 Satz 3 VwGO wird für das gesamte weitere Verfahren bindend (Dolde/Porsch, a. a. O., § 75 Rn. 10) das Vorliegen eines zureichenden Grundes für die Untätigkeit festgestellt. Durch die Aufhebung des für die Beklagte möglicherweise materiell-rechtlich wie prozessual - etwa mit Blick auf § 161 Abs. 3 VwGO - günstigen Aussetzungsbeschlusses wird sie folglich zum unterliegenden Teil im Sinne des § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. VGH BW, Beschl. v. 26. 11. 2010 - 4 S 2071/10 -, a. a. O., [...], Langtext Rn. 5).

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da bei einer nicht in der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG besonders aufgeführten und erfolgreichen Beschwerde keine Gerichtsgebühren erhoben werden (vgl. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses - Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).