Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.09.2012, Az.: 5 LA 233/11
Rechtmäßigkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 S. 3 BBesG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.09.2012
- Aktenzeichen
- 5 LA 233/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 23886
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0926.5LA233.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 14.03.2011 - AZ: 3 A 295/09
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
- § 12 Abs. 2 S. 2, 3 BBesG
Redaktioneller Leitsatz
Das Fehlen des Rechtsgrundes für eine behördliche Leistung ist dann offensichtlich, wenn es für den Empfänger ohne weiteres erkennbar ist. Der Regelfall, dass aus Gründen der Billigkeit von der Rückforderung teilweise abzusehen ist, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt, gilt nicht, wenn der Grund für die Überzahlung allein im Verantwortungsbereich des Empfängers liegt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nicht begründet. Denn die Voraussetzungen des geltend gemachten Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht erfüllt.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sind erst dann zu bejahen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts, gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zu Tage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Richtigkeitszweifel müssen sich auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zur Änderung der angefochtenen Entscheidung führt. Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substantiiert mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 25.4.2008 - 5 LA 154/07 -).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen des Klägers nicht zur Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Kläger hat keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg.
Der Kläger bestreitet nicht, dass die Voraussetzungen des Rückforderungsanspruchs der Beklagten bestehen, weil er für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Juni 2008 Familienzuschlag in Höhe von 1.110,85 EUR zuviel erhalten hat. Er meint, dass er sich auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann und dass zudem die Billigkeitsentscheidung der Beklagten rechtswidrig ist. Mit dieser Rechtsauffassung vermag der Kläger nicht durchzudringen. Denn das Verwaltungsgericht ist rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen kann, weil er gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG i. V. m. § 819 Abs. 1 BGB der verschärften Haftung unterliegt, und dass auch die gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG getroffene Billigkeitsentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden ist. Der Senat macht sich die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils (UA S. 6 - 8) zu eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren ist das Folgende hervorzuheben bzw. zu ergänzen:
Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass der Mangel des rechtlichen Grundes der Zahlung so offensichtlich war, dass der Kläger ihn hätte erkennen müssen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 BBesG). Die vorgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Empfänger die Überzahlung nur deshalb nicht bemerkt hat, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat oder - mit anderen Worten - er den Fehler etwa durch Nachdenken oder logische Schlussfolgerung hätte erkennen müssen. Letztlich ist das Fehlen des Rechtsgrundes für die Zahlung dann offensichtlich, wenn es für den Empfänger ohne weiteres erkennbar ist. Dem Empfänger muss aufgrund seiner Kenntnisse auffallen, dass die in seinen Besoldungsmitteilungen ausgewiesenen Beträge nicht stimmen können. Ihm muss sich aufdrängen, dass die Besoldungsmitteilungen fehlerhaft sind. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht ausreichend, wenn Zweifel bestehen und es einer Nachfrage bedarf. Nicht erforderlich ist hingegen, dass außerdem die konkrete Höhe der Überzahlung offensichtlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012 - BVerwG 2 C 4.11 -, [...] Rn 10 f. m. w. N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und bei Würdigung des gesamten Geschehensablaufs (Erklärungen des Klägers vom 9.6.2004 und 26.6.2006 zum Familienzuschlag mit Hinweisen; Auszug des damaligen Stiefkindes des Klägers aus der Wohnung am 9.6.2007 <vgl. zum Zeitpunkt S. 1 der Beschwerdebegründung vom 25.11.2008>; Telefonat des Klägers mit der Sachbearbeiterin B. am 20.6.2007; Unterlassen der Rücksendung des dem Kläger nach dem Telefonat vom 20.6.2007 übersandten Erklärungsvordrucks zur Überprüfung des Familienzuschlags; Hinweis im Schreiben des Sachbearbeiters C. vom 14.1.2008 darauf, dass ab dem Zeitpunkt des Auszugs des Stiefkindes aus der Wohnung der kinderbezogene Anteil im Familienzuschlag nicht mehr zusteht), musste sich dem in Fragen des Familienzuschlags nicht unerfahrenen Kläger aufdrängen, dass er seit dem Zeitpunkt des Auszugs seines damaligen Stiefkindes aus der Wohnung den kinderbezogenen Anteil im Familienzuschlag nicht mehr beanspruchen konnte.
Dass der Kläger sich demgegenüber nicht mit Erfolg auf das mit dem Sachbearbeiter C. am 23. Januar 2008 geführte Telefonat berufen kann, hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen. Die Behauptung des Klägers, der Sachbearbeiter C. habe am 23. Januar 2008 - anders als die Sachbearbeiterin B. am 20. Juni 2007 - telefonisch erklärt, der Kläger könne die Abgabe einer Änderungsmeldung nach der Trennung von seiner damaligen Ehefrau bis zur Ehescheidung zurückstellen, wird durch den Vermerk, den der Sachbearbeiter über das Gespräch gefertigt hat, nicht bestätigt. Gegen die Annahme, dass sich der Sachbearbeiter in der von dem Kläger behaupteten Weise geäußert hat, spricht, dass der Sachbearbeiter dem Kläger vor dem Telefonat mit Schreiben vom 14. Januar 2008 eine entgegen gesetzte Mitteilung übersandt hatte, in der die Rechtslage zutreffend dargestellt ist. Es ist - wie die Beklagte zu Recht eingewandt hat - völlig unverständlich, warum sich der Sachbearbeiter kurz nach der Absendung des Schreibens vom 14. Januar 2008 in dieser Weise verhalten haben sollte. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger zum Zeitpunkt des mit dem Sachbearbeiter geführten Telefonats dessen Schreiben vom 14. Januar 2008 und die Auskunft der Sachbearbeiterin B. vom 20. Juni 2007 kannte, musste sich dem Kläger bei lebensnaher Betrachtung aufdrängen, dass die am 23. Januar 2008 angeblich erteilte Auskunft auf einem während des Telefonats entstandenen Missverständnis beruhte. Der Kläger wäre bei dieser Sachlage gehalten gewesen, entweder mündlich oder aber schriftlich den Sachverhalt, nämlich den Zeitpunkt des Auszugs seines damaligen Stiefkindes aus der Wohnung, klarzustellen. Dies hat er jedoch nicht getan. Der Kläger muss sich ferner entgegenhalten lassen, dass er es schon zuvor unterlassen hatte, den Erklärungsvordruck zur Überprüfung des Familienzuschlags, der ihm nach dem Telefonat vom 20. Juni 2007 übersandt worden war, zurückzusenden und darin den bereits am 9. Juni 2007 erfolgten Auszug seines damaligen Stiefkindes aus der Wohnung mitzuteilen. Er hat es außerdem versäumt, auf das Schreiben vom 14. Januar 2008 den vorgenannten Umstand mitzuteilen, sondern den kinderbezogenen Anteil im Familienzuschlag weiter vereinnahmt.
Die von der Beklagten in der angefochtenen Verfügung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG getroffene Billigkeitsentscheidung, dem Kläger die Rückzahlung in monatlichen Raten von jeweils 150 EUR einzuräumen, hat das Verwaltungsgericht zu Recht als ermessensfehlerfrei eingestuft. Die Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG bezweckt, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Besoldungsempfänger tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, sodass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Besoldungsempfängers abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012, a. a. O., Rn 18 m. w. N.; Nds. OVG, Beschluss vom 2.5.2012 - 5 LA 325/10 -; Beschluss vom 7.2.2012 - 5 LA 245/10 -).
Bei der Billigkeitsentscheidung ist von besonderer Bedeutung, wessen Verantwortungsbereich die Überzahlung zuzuordnen ist und in welchem Maße ein Verschulden oder Mitverschulden hierfür ursächlich war. Ein Mitverschulden der Behörde an der Überzahlung ist in die Ermessensentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG einzubeziehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012, a. a. O., Rn 19 m. w. N.). Deshalb ist aus Gründen der Billigkeit in der Regel von der Rückforderung teilweise abzusehen, wenn der Grund für die Überzahlung in der überwiegenden behördlichen Verantwortung liegt. In diesen Fällen ist der Besoldungsempfänger entreichert, kann sich aber, wie dargelegt, auf den Wegfall der Bereicherung nicht berufen. Dann muss sich die überwiegende behördliche Verantwortung für die Überzahlung aber in der Billigkeitsentscheidung niederschlagen. Das ist auch unter Gleichheitsgesichtspunkten geboten. Der Besoldungsempfänger, der nur einen untergeordneten Verursachungsbeitrag für die Überzahlung gesetzt hat, muss besser stehen als der Besoldungsempfänger, der die Überzahlung allein zu verantworten hat. Angesichts dessen erscheint nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.4.2012, a. a. O., Rn 20), der sich der beschließende Senat anschließt, ein Absehen von der Rückforderung in der Größenordnung von 30 % des überzahlten Betrages im Regelfall als angemessen. Bei Hinzutreten weiterer Umstände, etwa besonderer wirtschaftlicher Probleme des Besoldungsempfängers, kann auch eine darüber hinausgehende Ermäßigung des Rückforderungsbetrages in Betracht kommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.4.2012, a. a. O., Rn 20).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Billigkeitsentscheidung der Beklagten, dem Kläger (lediglich) die Möglichkeit der Rückzahlung des geforderten Betrages in monatlichen Raten von jeweils 150 EUR einzuräumen, nicht als ermessensfehlerhaft. Besondere Umstände, die Anlass gegeben hätten, von einer Rückforderung ganz oder zumindest teilweise abzusehen, haben in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Rückabwicklung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8.10.1998 - BVerwG 2 C 21.97 -, [...] Rn 13 und 22; Nds. OVG, Beschluss vom 2.5.2012 - 5 LA 325/10 -; Beschluss vom 7.2.2012 - 5 LA 245/10 -) nicht vorgelegen. Der Grund für die Überzahlung lag, wie ausgeführt wurde, nicht in der überwiegenden behördlichen Verantwortung, sondern im Verantwortungsbereich des Klägers. Dass die zutreffend bereits in der angefochtenen Verfügung festgelegte Ratenzahlung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26.4.2012, a. a. O., Rn 22) unverhältnismäßig ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).