Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.07.2024, Az.: 4 ME 125/24

Artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur letalen Entnahme eines Wolfes im Bereich von Deichen hinsichtlich Prüfung der Durchführung von Herdenschutzmaßnahmen als zumutbare Alternative

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.07.2024
Aktenzeichen
4 ME 125/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 18854
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0719.4ME125.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 10.07.2024 - AZ: 5 B 1950/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Jeder Eingriff, der eine geschützte Art betrifft, darf nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt werden, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird. Daher obliegt es den zuständigen nationalen Behörden auch nachzuweisen, dass es insbesondere unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, um die Ziele zu erreichen, auf die die fragliche Ausnahmeregelung gestützt wird.

  2. 2.

    Als Mindestanforderung, die an die Begründungs- und Nachweispflicht der Behörde zu stellen ist, dass es an einer zumutbaren Alternative für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung zur letalen Entnahme eines Wolfes fehlt, ist jedenfalls zu verlangen, dass sich die Behörde nachvollziehbar an den Vorgaben orientiert, die sich hierzu in dem von der Umweltministerkonferenz im Oktober 2021 beschlossenen, im Dezember 2023 überarbeiteten Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen, ergeben.

  3. 3.

    Vor jeder Ausnahmegenehmigung zur Entnahme eines Wolfs ist auch im Bereich von Deichen zu prüfen, ob die Durchführung von Herdenschutzmaßnahmen (u.a. stromführende Wolfsschutzzäune und/oder Herdenschutzhunde, Änderungen im Herdenmanagement) im Einzelfall eine zumutbare Alternative im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG bzw. eine anderweitige zufriedenstellende Lösung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der FHH-Richtlinie ist.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 10. Juli 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2., die nicht erstattungsfähig sind.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 15.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtschutzes über eine vom Antragsgegner verfügte artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs.

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 verständigte sich die Umweltministerkonferenz auf eine neue Vorgehensweise für "Schnellabschüsse" von Wölfen, die trotz Herdenschutz Weidetiere gerissen haben. Danach soll in Gebieten mit erhöhtem Rissaufkommen bereits nach erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss von Weidetieren durch einen Wolf die Erteilung einer Abschussgenehmigung möglich sein. Diese Abschussgenehmigung soll zeitlich für einen Zeitraum von 21 Tagen nach dem Rissereignis gelten und die Tötung eines Wolfs im Umkreis von bis zu 1.000 m um die betroffene Weide im betroffenen Gebiet zulassen. Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen sollen von den Ländern festgesetzt werden. Sie können sich zum Beispiel an Wolfsterritorien, naturräumlichen Gegebenheiten oder raumordnerischen (z. B. kommunalen) Grenzen orientieren (vgl. dazu die Presseinformationen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz vom 13. Dezember 2023, abrufbar unter www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/umk_wolf_handout_bf.pdf)

Am 15. Juni 2024, am 16. Juni 2024, am 20. Juni 2024 sowie am 30. Juni 2024 kam es zu Rissen von Schafen auf dem Hauptdeich der Deichacht D-Stadt zwischen Deichkilometer ... (östlich von D-Stadt) bis ... (G. -Stadt; Straße H.). Am 15. Juni 2024 wurde ein Schaf gerissen, am 16. Juni 2024 wurden ein Lamm gerissen und ein Schaf verletzt, am 20. Juni 2024 wurden zwei Schafe gerissen und drei weitere Schafe derart verletzt, dass diese erlöst werden mussten, und am 30. Juni 2024 wurde ein weiteres Schaf gerissen. Die Rissereignisse vom 16. Juni 2024, vom 20. Juni 2024 sowie vom 30. Juni 2024 wurden von einem Rissgutachter der Landwirtschaftskammer dokumentiert. Der Rissgutachter traf die Feststellung, dass ein Wolf diese Risse verursacht habe und in diesen Fällen der für die Zahlung von Entschädigungsleistungen erforderliche Grundschutz nicht gegeben gewesen sei. Der nicht begutachtete Riss vom 15. Juni 2024 ist nach Ansicht des Antragsgegners mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf einen Wolf zurückzuführen.

Auf Antrag der Deichacht D-Stadt vom 21. Juni 2024 erteilte der Antragsgegner in Umsetzung der von der Umweltministerkonferenz verabredeten Verfahrensweise für die Genehmigungen zur Tötung von Wölfen im "Schnellabschussverfahren" an die Beigeladenen zu 1. und 2. am 4. Juli 2024 eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung ("letalen Entnahme") eines Wolfsindividuums. Die Genehmigung wurde räumlich beschränkt auf einen Radius von 1.000 m um den Ort des Rissereignisses vom 30. Juni 2024 innerhalb der Gemeinde I. -Stadt. Befristet beschränkt wurde die Ausnahmegenehmigung bis zum Ablauf des 21. Juli 2024. Der zeitliche und räumliche Geltungsbereich des Bescheides folgt somit der von der Umweltministerkonferenz verabredeten Vorgehensweise für "Schnellabschüsse" von Wölfen. Außerdem ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheides an.

Der Antragsteller, eine vom Umweltbundesamt anerkannte Naturschutzvereinigung, legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 4. Juli 2024 Widerspruch ein, über den der Antragsgegner bisher nach Kenntnis des Senats nicht entschieden hat.

Dem von dem Antragsteller ebenfalls gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2024 statt und ordnete die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an. Der Bescheid vom 4. Juli 2024 erweise sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig. Die dem Verwaltungsakt zugrunde gelegte Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG könne unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik nicht zur Entnahme eines Wolfes herangezogen werden, der nicht als Schadensverursacher identifiziert worden sei. Auch unter der Annahme, dass § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG als Rechtsgrundlage herangezogen werden könne, lägen die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung gemäß dieser Vorschrift nach summarischer Prüfung nicht vor. Denn die Rissereignisse vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 rechtfertigten nicht die Prognose, dass es zu weiteren Rissereignissen und damit zu einer Gefährdung der Deichsicherheit oder ernster landwirtschaftlicher Schäden kommen werde. Die Rissereignisse könnten nicht in die vorzunehmende Gefahrenprognose einbezogen werden, da bei diesen für die hier betroffenen Nutztiere kein Mindestmaß an wolfsabweisendem Schutz gegeben gewesen sei. Des Weiteren sei die vom Antragsgegner vorgenommene und nach § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG gebotene Alternativenprüfung defizitär. Der Antragsgegner habe die in dem Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf beschriebenen zumutbaren Alternativen in Bezug auf Herdenschutzmaßnahmen nicht hinreichend konkret unter Berücksichtigung der topographischen und landschaftlichen Gegebenheiten vor Ort geprüft. Der Antragsgegner habe insbesondere nicht dargelegt, dass im konkreten Fall ein Herdenschutz mithilfe von mobilen Elektrozäunen unzumutbar wäre. Aus den pauschalen Erwägungen in der Ausnahmegenehmigung erschließe sich auch nicht, weshalb ein Herdenschutz nicht auch durch einen wolfsabweisenden Elektrofestzaun technisch umsetzbar und in Bezug auf den hierfür erforderlichen Aufwand nicht zumutbar sein soll. Zudem fehle es an Darlegungen, ob und ggf. zu welchen Kosten die Erhöhung und Umrüstung des vorhandenen landseitigen Festzauns nach den Standards des Praxisleitfaden Wolf als Alternative zur gänzlichen Neuerrichtung möglich gewesen wäre.

Hiergegen richtet sich die vom Antragsgegner fristgemäß eingelegte Beschwerde, der der Antragsteller entgegengetreten ist.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass sich die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Juli 2024 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochene Ausnahmezulassung für die zielgerichtete letale Entnahme eines Individuums der streng geschützten Tierart Wolf (Canis Lupus) bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist. Der für den rechtmäßigen Erlass einer Ausnahmegenehmigung erforderliche Nachweis, dass keine zumutbaren Alternativen zur Entnahme eines Wolfes bestehen, ist von dem Antragsgegner zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (bislang) nicht erbracht.

Der Antragsgegner hat die erteilte Ausnahmezulassung sowohl auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG als auch § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG gestützt, mit denen Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b und c FHH-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt worden sind. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie erlaubt den Mitgliedstaaten zwar, von den Bestimmungen der Art. 12 bis 14 sowie von Art. 15 Buchst. a und b dieser Richtlinie abzuweichen, doch unterliegt eine auf dieser Grundlage erlassene Ausnahmeregelung, da sie es den Mitgliedstaaten erlaubt, den mit dem System des strengen Schutzes natürlich vorkommender Arten einhergehenden Verpflichtungen zu entgehen, der Bedingung, dass es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt und die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 49; Urt. v. 11.6.2020 - C-88/19 -, juris Rn. 24 und Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 28).

Bei Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zu den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten des Art. 12 FFH-Richtlinie (im deutschen Recht umgesetzt in § 44 BNatSchG), die eng auszulegen ist und bei der die Beweislast für das Vorliegen der für jede Abweichung erforderlichen Voraussetzungen diejenige Stelle der öffentlichen Verwaltung trifft, die darüber entscheidet (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 50; Urt. v. 11.6.2020 - C-88/19 -, juris Rn. 25 und Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 29). Deshalb müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jeder Eingriff, der die geschützten Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird (EuGH, Urt. v. 14.6.2007 - C-342/05 -, juris Rn. 25; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 17.3.2021 - C-900/19 -, juris Rn 29 zu Art. 9 Abs. 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie). Eine auf Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie gestützte Ausnahme kann nämlich nur eine konkrete und punktuelle Anwendung sein, mit der konkreten Erfordernissen und besonderen Situationen begegnet wird (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 51 und Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 41). Daher obliegt es den zuständigen nationalen Behörden auch nachzuweisen, dass es insbesondere unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, um die Ziele zu erreichen, auf die die fragliche Ausnahmeregelung gestützt wird (EuGH, Urt. v. 11.07.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 79 und Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 49 und 51). Daraus folgt, dass die Beurteilung dieser Voraussetzung eine Abwägung sämtlicher betroffener Interessen und der zu berücksichtigenden Kriterien, wie etwa der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Vor- und Nachteile, erfordert, um die optimale Lösung zu ermitteln. Zu diesem Zweck müssen die zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit prüfen, nicht tödliche vorbeugende Maßnahmen anzuwenden, die u. a. in der Durchführung von vorbeugenden Maßnahmen gegen Angriffe auf Herden, wie u. a. die Einrichtung von Zäunen, der Einsatz von Hirtenhunden oder die Begleitung der Herden durch Hirten, sowie dem Erlass von Maßnahmen zur weitestmöglichen Anpassung der den Konflikten zugrunde liegenden menschlichen Praktiken bestehen, um eine Kultur der Koexistenz zwischen der Wolfspopulation, den Herden und den Viehzüchtern zu fördern (EuGH, Urt. v. 11.07.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 81). Da nach Art. 2 Abs. 3 FFH-Richtlinie die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen, dürfen bei der Alternativenprüfung die wirtschaftlichen Kosten einer technisch durchführbaren alternativen Maßnahme u. a. als eines der abzuwägenden Kriterien berücksichtigt werden, ohne jedoch ausschlaggebenden Charakter zu haben (EuGH, Urt. v. 11.07.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 82). Um die mit der FFH-Richtlinie verfolgten Ziele zu erreichen, müssen daher die wirtschaftlichen Kosten einer anderweitigen Maßnahme als der Entnahme eines Exemplars einer streng geschützten Tierart gegen die ökologischen Kosten dieser Entnahme abgewogen werden (EuGH, Urt. v. 11.07.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 84). Wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen, technischen und sonstigen Daten Ungewissheit darüber bleibt, ob die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie gegeben sind, ist von dem Erlass einer solchen Ausnahmeregelung abzusehen (EuGH, Urt. v. 11.07.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 64 und Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 66 zur Wahrung des günstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet).

In diesem Konzept der FFH-Richtlinie zur Begründungs- und Nachweispflicht liegt eine unionsrechtliche artenschutzrechtliche Spezialregelung im Hinblick auf die Bedeutung sowohl der behördlichen Amtsermittlungspflicht im Verwaltungsverfahren als auch der Pflicht zur Begründung des Verwaltungsakts mit vorentscheidender Bedeutung auch für das verwaltungsgerichtliche Prüfprogramm und den daraus folgenden Gegenstand und die Reichweite der verwaltungsgerichtlichen Amtsermittlung (Senatsbeschl. v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Rn. 22; Bayerischer VGH, Beschl. v. 23.5.2023 - 14 B 22.1696 -, juris Rn. 33). Das muss erst recht im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gelten, da der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Juli 2024 eine Ausnahmezulassung ausgesprochen hat, die auflösend bis zum Ablauf des 21. Juli 2024 befristet ist. Innerhalb des damit gesteckten knappen zeitlichen Rahmens bis zum Ablauf der Genehmigung wäre eine weitere Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch das für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zuständige Verwaltungsgericht und/oder die Beschwerdeinstanz ohnehin nur in ganz eingeschränkten Umfang möglich.

Hiervon ausgehend erweist sich die in Streit stehende Ausnahmegenehmigung bei summarischer Prüfung jedenfalls deshalb als rechtswidrig, weil gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG bzw. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie eine Ausnahme vom strengen Artenschutz nur zugelassen werden darf, wenn zumutbare Alternativen bzw. andere zufriedenstellende Lösungen nicht gegeben sind, und der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung nicht ausreichend begründet und nachgewiesen hat, dass dies hier der Fall ist.

Wie der Senat bereits entschieden hat, ist als Mindestanforderung, die an die Begründungs- und Nachweispflicht der Behörde zu stellen ist, dass es an einer zumutbaren Alternative für die Erteilung der Ausnahmezulassung fehlt, jedenfalls zu verlangen, dass sich die Behörde nachvollziehbar an den Vorgaben orientiert, die sich hierzu in dem von der Umweltministerkonferenz im Oktober 2021 beschlossenen, im Dezember 2023 überarbeiteten Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen (im Internet abrufbar auf der Homepage des Bundesamts für Naturschutz unter der Adresse https://www.bfn.de/grossraubtiere; im Folgenden: Praxisleitfaden Wolf) orientiert (Senatsbeschl. v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Leitsatz 4 und Rn. 25).

In Abschnitt C Ziffer 3.2.3 des Praxisleitfadens Wolfs ist zunächst allgemein bestimmt, dass die Anwendung des von den Ländern für den Entnahmefall jeweils vorgegebenen Herdenschutzes u.a. bei Schafen in der Regel eine zumutbare Alternative im Rahmen der Alternativenprüfung gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG darstellt, sofern der Herdenschutz im konkreten Fall bisher nicht ausreichend war. Die dabei in Bezug genommene Niedersächsische Wolfsverordnung (NWolfsVO) vom 20. November 2020 (Nds.GVBl. S. 401) ist allerdings schon seit dem 21. Mai 2022 nicht mehr in Kraft (vgl. Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Jagdgesetzes und weiterer Vorschriften sowie zur Aufhebung der Niedersächsischen Wolfsverordnung v. 17.5.2022, Nds.GVBl. S. 315). Demgemäß kann auch die Vorgabe in Abschnitt B Ziffer 1.5 ,Zumutbarer wolfsabweisender Schutz bei Schafhaltung auf Deichen' der Anlage zu § 3 Abs. 3, 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 NWolfsVO, nach der bei der Beweidung von Deichen die üblichen ausbruchssicheren Einzäunungen entsprechend der guten fachlichen Praxis der Haltung von Schafen gemäß den Leitlinien der Landwirtschaftskammer Niedersachsen als grundsätzlich zumutbar galten, keine rechtliche Wirkung mehr entfalten. Die von dem Antragsgegner in der Beschwerdebegründung wiederholte Aussage aus seinem Bescheid vom 4. Juli 2024, dass sich für den Deich "entsprechend der guten fachlichen Praxis" die zumutbare Zäunung in der Regel auf die Zäunung der wasserabgewandten Seite mit einem ausbruchsicheren Festzaun beschränke, ist, sofern sie sich auf die Niedersächsische Wolfsverordnung beziehen sollte, daher nicht mehr aktuell. Im Übrigen ist für den Senat ohne nähere Darlegung des Antragsgegners unter Auseinandersetzung mit den konkreten topographischen Begebenheiten hierzu auch nicht zu erkennen, dass hier "entsprechend der guten fachlichen Praxis" eine Umzäunung der Schafsherden nur auf der wasserabgewandten Seite möglich und zumutbar ist.

Auch Abschnitt C Ziffer 3.2.4.5 des Praxisleitfadens Wolfs mit Hinweisen zu Herdenschutzmaßnahmen an Deichen senkt die Anforderungen an die Alternativenprüfung nicht herab. Zwar wird angemerkt, dass, was eine wolfsabweisende Zäunung anbelange, der empfohlene Schutz (s. C 3.2.3) in besonderen Fällen, z.B. bei topographischen Besonderheiten wie etwa Deiche oder hoher Windlast, nicht mit zumutbarem Aufwand umsetzbar sein bzw. nur unzureichende Wirkung entfalten könne. Weiter heißt es aber, dass auch bei Binnen- und Küstendeichen die Umsetzung von zumutbaren Herdenschutzmaßnahmen die Voraussetzung jeder Ausnahmegenehmigung bleibe. Vor jeder Ausnahmegenehmigung zur Entnahme eines Wolfs im Bereich von Deichen sei daher zu prüfen, ob die Durchführung von Herdenschutzmaßnahmen (u.a. stromführende Wolfsschutzzäune und/oder Herdenschutzhunde, Änderungen im Herdenmanagement) im Einzelfall eine zumutbare Alternative im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG bzw. eine "anderweitige zufriedenstellende Lösung" im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der FHH-Richtlinie sei.

Als Maßnahmen, die sich seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland als wirksam für einen effizienten Herdenschutz erwiesen haben, benennt Abschnitt C Ziffer 3.2.4.1 des Praxisleitfadens Wolfs hinsichtlich Schafen an erster Stelle mobile (elektrifizierte) Zaunanlagen. Konkret empfohlen werden insbesondere Elektrozäune mit mindestens 120 cm Höhe, straff gespannt und bodenbündig abschließend (Netzzaun) bzw. unterster Draht/Litze bei max. 20cm, oder elektrifizierte Draht-/Litzenzäune, die aus mindestens fünf Drähten/Litzen mit einem Abstand vom Boden von 20, 40, 60, 90 und 120 cm bestehen. Demgegenüber werden Festzaunanlagen, deren Errichtung im Bescheid des Antragsgegners vom 4. Juli 2024 als Alternativmaßnahme umfassend erörtert, allerdings sowohl im Hinblick auf die damit verbundenen Kosten als auch aufgrund erheblicher hochwasserschutzrechtlicher Bedenken als unverhältnismäßig und unzumutbar abgelehnt worden ist, im Praxisleitfaden im Weiteren zwar auch als Möglichkeit zur Abwendung von Wolfsübergriffen genannt, bei Schafen als zumutbare Alternative jedoch nur im Rahmen der Umrüstung bereits bestehender Festzaunanlagen in Betracht gezogen. Im Praxisleitfaden Wolf wird dies damit begründet, dass es mit elektrischen Zäunen gute und einfachere Alternativen gebe und Festzaunanlagen zudem aus Sicht der gewünschten Offenhaltung der Landschaft für Wildtiere grundsätzlich problematisch seien.

Mit der Möglichkeit, die Deichschafe durch mobile Elektrozäune zu schützen, setzt sich der Bescheid vom 4. Juli 2024 indes nicht auseinander. Dies hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend gerügt (Beschlussabdruck, S. 18) und dazu nimmt die Beschwerdebegründung auch Stellung. Die den Einsatz einer mobilen Zaunanlage betreffenden Darlegungen des Antragsgegners in der Beschwerdebegründung reichen allerdings nicht als Nachweis aus, dass diese Maßnahme keine anderweitige zufriedenstellende Lösung darstellt, um das verfolgte Ziel zu erreichen:

Der Vortrag des Antragsgegners, dass der Einsatz eines mobilen Elektrozaunes aus Gründen des Hochwasserschutzes (an der Seeseite) nur im Sommerhalbjahr eines jeden Jahres möglich sei, in der sturmflutgefährdeten Zeit, dem Winterhalbjahr, der Zaun hingegen vollständig zu entfernen wäre, ist nicht von Belang. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der betreffende Deichabschnitt im Winterhalbjahr beweidet wird. Wie der zuständige Schäfer in einem Interview erklärt hat, gehen die ersten Deichschafe, soweit sie bereits ihre Lämmer bekommen haben, Anfang März auf die Deiche und ab August/September schon wieder vom Deich herunter auf die Winterweiden der umliegenden Bauern; in der Zeit von Dezember bis Februar sind sie aufgestallt ("Die Wächter der Deiche - Zu Besuch bei Deichschäfer J." Deichschafe - die Wächter an der Nordsee (I. -Stadt.de).

Nicht nachvollziehbar ist für den Senat auf der Grundlage der bisherigen Darlegungen des Antragsgegners auch das Argument, dass der Zaun im Sommerhalbjahr aufgrund des schwankenden Pegels einer dauerhaften Überwachung bedürfen und bei schnell ansteigender Flut eine Gefahr für den Boots- und Schiffsverkehr darstellen würde. Nach den in der Behördenakte befindlichen Fotos (Bl. 67, 68 und 70 BA001) und auch dem von dem Antragsgegner mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Lichtbild (Bl. 377 GA) schließt sich an den seeseitigen Fuß des Hauptdeiches, an dem der Elektrozaun aufzustellen wäre, ein weites Deichvorland - gemäß § 21 NDG die zwischen Hauptdeich und Uferlinie (mittleres Tidehochwasser) liegende Fläche - an, das nach dem eigenen Vortrag des Antragsgegners von Kühen beweidet wird. Dass das Wasser in den Sommermonaten, die nach den eigenen Angaben des Antragsgegners nicht sturmflutgefährdet sind, plötzlich so schnell steigen soll, dass es den seeseitigen Fuß des Hauptdeichs erreicht, ist nicht plausibel. Soweit der Antragsgegner dazu noch vorgetragen hat, dass eine der Flut angepasste Standortänderung aufgrund des Untergrabungsschutzes nur schwer im gebotenen kurzfristigen Umfang durchzuführen sei, lässt er unberücksichtigt, dass bei mobilen Elektrozäunen wie den empfohlenen der Untergrabungsschutz durch den bodenbündigen Abschluss (Netzzaun) bzw. die unterste, in einem Abstand von nur 20 cm zum Boden angebrachte Litze bewirkt wird, so dass mehr als der Zaun selbst nicht umzusetzen sein dürfte.

Schließlich trägt auch der von dem Antragsgegner als maßgeblich angesehene Einwand, dass für diese Art der Beweidung durch den Deichschäfer eine dauerhafte regelmäßige Pflege organisiert werden müsste, nicht.

Der Vortrag, dass bei Einsatz eines mobilen Elektrozaunes entsprechend ausgebildetes Personal angeworben, eingearbeitet und ein Zaunmanagement aufgebaut werden müsste, das die Zeitintervalle und die Örtlichkeiten der Schafsbeweidung enthalten müsste, stellt sich zunächst nur als Behauptung dar. Näher dürfte liegen, dass der zuständige Schäfer, in dessen Eigeninteresse der Schutz seiner Schafe vor dem Wolf liegen dürfte, sich selbst mit dem Einsatz von Elektrozäunen vertraut macht; dass dieser dazu nicht willens oder in der Lage wäre, führt die Beschwerde nicht an. In Betracht zu ziehen wäre wohl auch, dass die bei dem Deichverband "Deichacht D-Stadt" beschäftigten Mitarbeiter, die ohnehin vor Ort sind, den Schäfer bei der Aufstellung und Umsetzung der Elektrozäune unterstützen könnten.

Selbst wenn man aber von der Richtigkeit des Vorbringens des Antragsgegners ausgeht, fehlt es jedenfalls an der Darlegung, dass die mit dem zusätzlichen Einsatz von Fachpersonal für Elektrozäune einhergehende Veränderung bei der Schafbeweidung nicht zumutbar wäre. Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) hat in seiner jüngsten Entscheidung - wie bereits ausgeführt - betont, dass die zuständigen nationalen Behörden die Möglichkeit prüfen müssen, nicht tödliche vorbeugende Maßnahmen anzuwenden, die auch in dem Erlass von Maßnahmen zur weitestmöglichen Anpassung der den Konflikten zugrundeliegenden menschlichen Praktiken bestehen können, um eine Kultur der Koexistenz zwischen der Wolfspopulation, den Herden und den Viehzüchtern zu fördern (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 81). Der Gerichtshof hat ausdrücklich in den Blick genommen, dass die Durchführung der nach Art. 12 FFH-Richtlinie zu erstellenden Systemmaßnahmen und -pläne Änderungen an den betreffenden landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit sich bringen, die zudem zwangsläufig mit bestimmten Kosten verbunden sind, und zugleich klargestellt, dass solche Änderungen in Anbetracht der Ziele der FFH-Richtlinie, nämlich einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Union zu bewahren oder wiederherzustellen, per se kein hinreichender Grund dafür sein können, nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der FFH-Richtlinie eine Ausnahme von den in Art. 12 dieser Richtlinie vorgesehenen Verboten zu gestatten (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 83).

Dafür, dass hier ausnahmsweise etwas Anderes zu gelten hat, fehlt es an jeglichen Darlegungen. Die Alternativenprüfung enthält keine für den Senat nachvollziehbaren Angaben zu dem konkreten Aufwand für das Errichten und das Unterhalten eines mobilen Zauns. Insbesondere enthält die Beschwerdebegründung nicht einmal eine Abschätzung der durch den Einsatz von Fachpersonal für Elektrozäune entstehenden Kosten. Nach den Ziffern III. 2.2.1, 5.2 der Richtlinie Wolf (Richtlinie über die Gewährung von Billigkeitsleistungen und Zuwendungen zur Minderung oder Vermeidung von durch den Wolf verursachten wirtschaftlichen Belastungen in Niedersachen, RdErl. d. MU v. 29.11.2022) fördert das Land Niedersachsen die Neuanschaffung von Zäunen und Anlagen nebst Zubehör zur Umsetzung eines wolfsabweisenden Grundschutzes von Schafen bis zu einer Höhe von 30.000,00 EUR jährlich. Dieser Betrag dürfte für eine nicht unerhebliche Anzahl von mobilen Elektrozäunen, die den Anforderungen von Abschnitt C Ziffer 3.2.4.1 des Praxisleitfadens Wolfs entsprechen, ausreichen; im Fachhandel werden nach einer Internetrecherche des Senats beispielsweise 50 m Wolfsnetz 122/2 mit Plus/Minus Anschluss für ca. 127 EUR angeboten. Je mehr Elektrozäune zur Verfügung stehen, desto mehr der insgesamt 12,8 km bewirtschafteten Deichfläche kann den 1.850 Schafen des Pächters eingeräumt werden und umso seltener wird ein Umbau der Elektrozäune erforderlich sein. All diese Erwägungen stellt die Beschwerdebegründung aber nicht an und legt deshalb nicht plausibel dar, dass der Einsatz mobiler Elektrozäune keine zumutbare Alternative darstellt. Soweit noch angeführt wird, dass die Maßnahme nicht kurzfristig umsetzbar sei, ist auch diese Behauptung nicht belegt. Ungeachtet dessen lässt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entnehmen, dass die als Alternative zur Entnahme des Wolfes zu prüfenden vorbeugenden Maßnahmen sofort wirksam sein müssen.

Soweit das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Alternativenprüfung des Antragsgegners weiterhin gerügt hat, dass es an jeglichen Darlegungen dazu fehle, ob und ggf. zu welchen Kosten die Erhöhung und Umrüstung des vorhandenen landseitigen Festzauns nach den Standards des Praxisleitfaden Wolf als Alternative zur gänzlichen Neuerrichtung möglich gewesen wäre (Beschlussabdruck, S. 20), hat sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde hierzu nicht verhalten. Eine alleinige Aufrüstung des landseitig am Deichfuß entlang des Deichverteidigungsweges vorhandenen, ca. 0,95 m Festzaunes, der am 15. und erneut am 16. Juni 2024 von einem Wolf untergraben wurde, dürfte allerdings nicht ausreichend sein, da an der Wasserseite des Deiches bislang nur ein (nicht elektrifizierter) mobiler Zaun vorhanden ist und dies - wie der Antragsgegner in der Beschwerde klargestellt hat - auch nur teilweise, nämlich nur dort, wo durch die topografischen Gegebenheiten keine natürliche Abgrenzung des beweideten Abschnittes zum Watt gegeben ist.

Da nicht auszuschließen ist, dass es zu weiteren Rissvorfällen in dem fraglichen Deichbereich kommt und der Antragsgegner daher gegebenenfalls den erneuten Erlass einer Ausnahmegenehmigung zur Entnahme des schadenverursachenden Wolfs unter Vertiefung und Ergänzung der Prüfung zumutbarer Alternativen zum Herdenschutz erwägen wird, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kommt hier für die erteilte Ausnahmegenehmigung die Rechtsgrundlage des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG in Betracht. Im Rahmen der Anwendung von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG genügt es, wenn sich die Ausnahmegenehmigung in Anknüpfung an die enge zeitliche und räumliche Nähe zu bisherigen Rissereignissen auf ein oder mehrere Tiere bezieht, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr des ernsten wirtschaftlichen Schadens ausgeht (Senatsbeschl.v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Rn. 51). Denn auch in diesem Fall ist nach Auffassung des Senats der Schaden auf das Exemplar der Tierart zurückzuführen, wie es der Erlass einer Ausnahmegenehmigung nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der FFH-Richtlinie fordert (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 74). Eine "eindeutige" Identifizierung des schadensverursachenden Wolfes - etwa durch eine genetische Bestimmung oder durch unverkennbare äußere Merkmale - bedarf es daher zur Anwendung von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG nicht zwingend.

Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen scheidet eine Berücksichtigung der Rissereignisse vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 nicht deshalb aus, weil die gerissenen Deichschafe einem Wolf gegenüber schutzlos ausgeliefert gewesen seien.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Frage, welche Herdenschutzmaßnahmen zur Abwendung von Nutztierrissen geeignet und zumutbar sind, erst im Rahmen von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG umfassend zu prüfen ist, der die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nur dann zulässt, wenn keine zumutbaren Alternativen bestehen. Im Rahmen der Gefahrenprognose kommt es nur darauf an, ob die Rissereignisse den Schluss zulassen, dass bei dem Wolf, dessen Tötung genehmigt wird, der Angriff auf die betroffenen Nutztiere als erlerntes und gefestigtes Jagdverhalten anzusehen ist. Dies verbietet es, Rissereignisse in die Schadensprognose einzubeziehen, bei denen die Weidetiere dem Wolf geradezu schutzlos ausgeliefert waren. In diesem Fall wäre nämlich nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Riss um ein Zufallsereignis handelt, bei der ein oder mehrere Wölfe, die ansonsten ein unauffälliges Jagdverhalten zeigen, lediglich eine leichte Gelegenheit zum Beutemachen ausgenutzt haben. Das spricht dafür, dass ein Rissereignis nur dann in die Gefahrenprognose einbezogen werden kann, wenn für die betroffenen Nutztiere ein Mindestmaß an wolfsabweisendem Schutz gegeben war (Senatsbeschl. v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 17).

Ein Mindestmaß an wolfabweisendem Schutz dürfte hier gegeben gewesen sein. Vor Ort ist landseitig am Deichfuß ein ca. 0,95 m hoher Festzaun entlang des Deichverteidigungswegs und wasserseitig teilweise dort, wo durch die topografischen Gegebenheiten keine natürliche Abgrenzung des beweideten Abschnitts zum Watt gegeben ist, ein mobiler Zaum vorhanden. Das Maschendrahtgeflecht des Festzauns (Maschenbreite ca. 15 x 18 cm) erreicht vom Boden aus gemessen eine Höhe von 80 cm und im Abstand von weiteren 15 cm ist als Abschluss des Zauns vertikal ein Stacheldraht gespannt. Die vorhandenen Zäune dürften ein Mindestmaß an wolfsabweisendem Schutz darstellen, so dass die Weidetiere dem Wolf bei den Rissereignissen vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 nicht schutzlos ausgeliefert waren. Dass die vorhandenen Zaunanlagen nicht die Voraussetzungen erfüllen, unter denen das Land Niedersachsen Billigkeitsleistungen zum Ausgleich von Schafsrissen gewährt, ist für die Gefahrenprognose insoweit nicht von entscheidender Bedeutung (Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 97/20 -, juris Rn. 34). Wenn die Rissereignisse von einem Wolf verursacht worden sind, ist auch die Annahme gerechtfertigt, dass bei diesem Wolf ein Überwinden von Schutzzäunen zum erlernten und gefestigten Jagdverhalten gehört. Denn der vorhandene Festzaun wurde am 15. Juni 2024 untergraben und nach Verfüllung durch die Deichacht D-Stadt an der identischen Stelle erneut untergraben.

Allerdings hat zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung der Antragsgegner nicht - wie es von ihm gefordert ist - den Nachweis erbracht, dass auch das Rissereignis vom 16. Juni 2024 in die Schadensprognose einbezogen werden konnte.

Der Antragsgegner hat insoweit - was im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden ist - seiner Schadensprognose in der Ausnahmegenehmigung vom 4. Juli 2024 die Feststellung der mit der Begutachtung der Rissereignisse beauftragen Landwirtschaftskammer Niedersachen zugrunde gelegt, dass die Rissereignisse vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 von einem Wolf verursacht worden seien (Bl. 61 BA0001). Hinsichtlich des Rissereignisses vom 16. Juni 2024 hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren allerdings mit Schriftsatz vom 18. Juli 2024 eine E-Mail des Wolfbüros des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz vom 4. Juli 2024 eingereicht, in welcher mitgeteilt wird, dass das Rissereignis mit der NTS-Nr. 2704, d.h. das Rissereignis vom 16. Juni 2024, von einem Hund (canis familiaris) verursacht worden sei. Auf Nachfrage des Antragsgegners hat das Wolfsbüro dann mit weiterer Mail vom 18. Juli 2024 mitgeteilt, dass sich bei dem Riss am 16. Juni 2024 durch eine Genprobe (an der Kehle) habe nachweisen lassen, dass ein Wolf Schadensverursacher gewesen sei. Nach Mitteilung des Wolfbüros sei durch eine weitere Genprobe an der Fraßstelle zwar auch ein Hund nachgewiesen worden. Dies weise allerdings darauf hin, dass ein Hund als Nachnutzer an dem Kadaver gefressen habe oder lediglich Kontakt zu dem Kadaver gehabt habe, nicht jedoch, dass ein Hund das Tier gerissen habe. Mit weiterer E-Mail vom 19. Juli 2024 hat das Wolfsbüro schließlich mitgeteilt, dass im Falle des Nutztierschadens mit der Nummer 2704 aufgrund eines Softwareproblems ein falsches Genetikprobenergebnis hinterlegt worden sei und "für den Schaden tatsächlich ein Hund rausgekommen" sei. Dennoch gelte, dass ein Hund an dem Kadaver gefressen haben könne, ebenso sei es möglich, dass ein Hund lediglich Kontakt zu dem Kadaver gehabt habe. Eine Verursacherfeststellung beziehe sich abgesehen von einem Gesamtergebnis auf weitere Fakten wie das Rissbild, so dass weiter davon auszugehen sei, dass ein Wolf den Schaden verursacht habe, ein Hund als Verursacher aber nicht ausgeschlossen werden könne. Bei dieser Sachlage hätte es wegen der die der Ausnahmegenehmigung erteilenden Stelle obliegenden Nachweispflicht weiterer Darlegungen durch den Antragsgegner bedurft, auf welcher Grundlage und mit welcher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Schaden am 16. Juni 2024 von einem Wolf verursacht worden ist. Zumindest hätte es einer näheren Auseinandersetzung mit dem bei dem konkreten Rissereignis vorzufindenden Rissbild und den nach besten wissenschaftlichen Kenntnissen hieraus ziehbaren Schlüssen bedurft, an welcher es - wegen des geschilderten zeitlichen Ablaufs auch nachvollziehbar - bislang allerdings fehlt.

Ob der Antragsgegner auch das Rissereignis vom 15. Juni 2024 seiner Gefahrenprognose hätte zugrunde legen können, obwohl dies nicht von einem Gutachter der Landwirtschaftskammer untersucht worden ist, bedarf hier keiner weiteren Erörterung. Der Antragsgegner geht zwar davon aus, dass auch dieses Rissereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Wolf zurückgeführt werden kann, berücksichtigt dieses Rissereignis bei seiner Gefahrenprognose aber nicht. Eine Berücksichtigung auch dieses Ereignisses setzte ohnehin voraus, dass der Antragsgegner den Nachweis erbringt, dass der Riss vom 15. Juni 2024 auf einen Wolf zurückzuführen ist.

Unter Berücksichtigung von drei Rissereignissen in der Zeit vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 begegnet die Begründung des Antragsgegners für die Prognose, dass bei Fortführung der Risstätigkeit künftig ein ernster wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu erwarten sei, im Übrigen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen der drohende Eigentumsschaden als ernst anzusehen ist, kann auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a) 3. Spiegelstrich Vogelschutzrichtlinie zurückgegriffen werden. Denn § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG dient auch der Umsetzung dieser Vorschrift, die zudem im Wesentlichen den gleichen Wortlaut hat wie Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b FFH-Richtlinie. Nach Ansicht des Gerichtshofs bezweckt die Bestimmung der Vogelschutzrichtlinie nicht, die Gefahr von Schäden geringeren Umfangs abzuwenden; verlangt ist das Vorliegen von Schäden eines gewissen Umfangs (EuGH, Urt. v. 8.7.1987 - 247/85 -, juris Rn. 56). Ausgeschlossen ist eine Ausnahme vom europäischen Artenschutz somit, wenn lediglich geringfügige Schäden für Eigentumsgüter drohen. Es kommt aber nicht darauf an, dass der drohende Schaden eine betriebswirtschaftlich beachtliche Größenordnung erreicht, der den Gewinn der betroffenen Betriebe unter die Rentabilitätsschwelle drücken kann (Senatsbeschl. v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Rn 42 und v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 25; a. A. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.11.2017 - 2 K 127/15 -, NuR 2019, 45). Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung Gerichtshofs auch geklärt, dass der in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b FFH-Richtlinie enthaltene Begriff "ernste Schäden" künftige mittelbare Schäden, die nicht auf das Exemplar der Tierart zurückzuführen sind, für das die nach dieser Bestimmung gewährte Ausnahme gilt, nicht umfasst (EuGH, Urt. v. 11.7.2024 - C-601/22 -, juris Rn. 75).

Außerdem hat die an diesen rechtlichen Vorgaben auszurichtende Schadensprognose nicht schematisch zu erfolgen und hängt daher nicht pauschal von einer bestimmten Mindestzahl von Rissvorfällen innerhalb eines bestimmten Zeitraums ab (Senatsbeschl. v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Rn. 43 und v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 15). Entsprechend genügt die in Anknüpfung an den Beschluss der Umweltministerkonferenz vom 1. Dezember 2023 zur Einführung des sogenannten Schnellabschussverfahrens von der niedersächsischen Naturschutzverwaltung praktizierte Klassifizierung von bestimmten Regionen als Gebiete mit erhöhten Rissvorkommen, wenn dort innerhalb von sechs Monaten drei bzw. innerhalb von neun Monaten vier von Wölfen verursachte Nutztierschäden zu verzeichnen sind, nicht, um alleine deshalb davon auszugehen, dass in dem betroffenen Gebiet ein ernster wirtschaftlicher Schaden droht. Erforderlich ist für die Schadensprognose vielmehr eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Umstände. Indizien, die im Rahmen dieser Würdigung für einen drohenden ernsten wirtschaftlichen Schaden sprechen können, sind etwa Anzahl, zeitliche Frequenz und räumlicher Zusammenhang der bisherigen Rissereignisse, die Anzahl und Art der dabei gerissenen Weidetiere (insbesondere Pferde und Rinder als große Weidetiere) und der wirtschaftliche Wert der gerissenen Tiere (Senatsbeschl. v. 12.4.2024 - 4 ME 73/24 -, juris Rn. 43; vgl. ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9.2.2024 - 21 B 74/24 -, juris Rn. 19 m.w.N.; Praxisleitfaden Wolf, S. 17).

Hinsichtlich der vom Antragsgegner vorgenommenen Schadensprognose ist - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (Beschlussabdruck, S. 14) - im Ausgangspunkt zu beanstanden, dass in Bezug auf keines der zugrunde gelegten Rissereignisse konkrete Schadenssummen beziffert oder auch nur vorläufige Schadensschätzungen erfolgt sind. Allerdings ist der wirtschaftliche Wert der gerissenen Tiere nur eines von mehreren Kriterien, die im Rahmen der Schadensprognose zu berücksichtigen sind. Auch wenn der Wert der gerissenen Schafe deutlich unter denen von größeren Weidetieren wie Pferden und Rindern liegt, hat der Antragsgegner im Rahmen der von ihm vorgenommen Schadensprognose einzelfallbezogen zutreffend maßgeblich darauf abgestellt, dass zwischen den Rissereignissen vom 16. Juni 2024, 20. Juni 2024 und 30. Juni 2024 nur wenige Tage gelegen haben. Mit Blick auf die Anzahl der in sehr kurzer Zeit getöteten Tiere ist bei Fortführung der Risstätigkeit in kurzem zeitlichen Abstand in einem Gebiet, in dem sich dem schadenverursachenden Wolf eine Vielzahl von Angriffsmöglichkeiten bietet, der dann eintretende Schaden - auch wenn der Wert eines Schafes vergleichsweise geringer ist - ersichtlich nicht mehr geringfügig, sondern überschreitet die Schwelle zu einem ernsten Schaden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. und 2. sind nicht aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, weil sie im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit nicht einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 1.2 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Eine Halbierung des Streitwerts ist nicht angezeigt, weil die Entscheidung des Senats im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsache vorwegnimmt (vgl. Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 116/20 -, juris Rn. 43).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).