Landgericht Braunschweig
Urt. v. 13.06.2017, Az.: 11 O 3706/16 (150)

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
13.06.2017
Aktenzeichen
11 O 3706/16 (150)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt als Nachlieferung für den von der Beklagten gekauften Pkw XXX mit dem Dieselmotor EA 189 ein Fahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion mit identischer technischer Ausstattung.

Mit Kaufvertrag vom 22.03.2014 erwarb der Kläger einen Pkw XXX 2.0 TDI zum Preis von 27.910,00 €. Der Kaufpreis wurde gezahlt, das Fahrzeug an den Kläger ausgeliefert und zugelassen.

Der Abschluss des Kaufvertrages erfolgte unter Einbeziehung folgender Klausel:

„6. Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers bleiben während der Lieferzeit vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder der Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte hergeleitet werden“ (Anlagenkonvolut K 1).

In dem Fahrzeug ist ein Motor der Baureihe EA 189 verbaut. Es verfügt über eine Typgenehmigung nach Euro 5. Die Einhaltung der dafür maßgeblichen Grenzwerte für Stickoxide (Art. 10 Verordnung EG Nr. 715/2007, Anhang I, Tabelle 1) hängt davon ab, in welchem Ausmaß Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden. Im streitgegenständlichen Fahrzeug lässt die das Abgasrückführungsventil steuernde Software des Motorsteuerungsgerätes eine Abgasrückführung im zur Einhaltung der Grenzwerte nötigen Umfang nur unter den Bedingungen des zur Erlangung der Typgenehmigung durchgeführten gesetzlich vorgeschriebenen Testlaufs zu. Es ist nahezu ausgeschlossen, dass im normalen Straßenverkehr die Fahrkurven dieses Testlaufs - neuer europäischer Fahrzyklus (NEFZ) - exakt nachgefahren werden.

Das Kraftfahrbundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziff. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und ordnete einen Rückruf an.

Das streitgegenständliche Model XXX 2.0 TDI 103 kW der II. Generation (Erstzulassung März 2013) wird seit Juni 2015 nicht mehr produziert. Es wurde ersetzt durch die Modellgeneration XXX III. Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion unterscheiden sich in der Motorleistung (110 kW oder 140 kW), einem höheren Hubraum (1986 cm³ gegenüber 1968 cm³) und sonstigen technischen Weiterentwicklungen, die unter anderem zur Erlangung der Typgenehmigung nach der Euro 6 Norm - also der Einhaltung wesentlich geringerer Schadstoffgrenzwerte - führten.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe mangelbedingt einen Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion. Diese weiche von der von ihm gekauften Modellgeneration nur unwesentlich ab. Das streitgegenständliche Fahrzeug könne noch beschafft werden. Die Produktion sei nicht eingestellt worden

Ein solcher Nacherfüllungsanspruch ergebe sich zunächst als Nachlieferungsanspruch aus §§ 434, 437 Nr. 1, 439 BGB.

Des Weiteren ergebe sich der Anspruch auf ein Fahrzeug der aktuellen Serienproduktion nach den Grundsätzen der Prospekthaftung.

Mit der Ausstellung einer unwirksamen EG-Übereinstimmungsbescheinigung - das verfahrensgegenständliche Fahrzeug habe im Zeitpunkt seiner Herstellung in diverser Hinsicht nicht den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften entsprochen - hafte XXX als Hersteller des Motors auch aus einer Garantie im Sinne von § 443 BGB. Ferner nehme XXX mit der Ausstellung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung besonderes Vertrauen in Anspruch, welches zu einer entsprechenden Vertrauenshaftung führe. Da die Vorschriften über die EG-Übereinstimmungsbescheinigung auch drittschützenden Charakter hätten, hafte XXX wegen der Ausstellung einer unwirksamen EG -Übereinstimmungsbescheinigung auch nach § 823 Abs. 2 BGB. Folge für den Händler - den Beklagten - der die EG-Übereinstimmungsbescheinigung übergeben habe, sei eine Haftung für das Verhalten von XXX aus § 437 BGB. Verantwortliche Personen bei XXX hätten ferner betrogen und sittenwidrig gehandelt.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihm ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug XXX 2,0 I TDI, FIN: XXX Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeuges XXX 2,0 I TDI, FIN: XXX nachzuliefern;

2. festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Rücknahme des im Klagantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet;

3. den Beklagten zu verurteilen, ihn von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.077,74 € freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Lieferung eines typengleichen Ersatzfahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers.

I. Der Kläger begehrt als „Nachlieferung“ im Sinne des § 439 BGB: Ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das von ihm erworbene Fahrzeug XXX 2,0 I TDI.

1. Der Kläger kann keinen Pkw XXX 2,0 TDI aus der aktuellen Serienproduktion als Nacherfüllung im Sinne des § 439 BGB verlangen. Fahrzeuge aus der aktuellen XXX Serienproduktion sind vom ursprünglichen Erfüllungsanspruch nicht erfasst. Der Nacherfüllungsanspruch kann nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch. Der Verkäufer schuldet nochmals die Übergabe des Besitzes und die Verschaffung des Eigentums einer mangelfreien Sache - nicht weniger, aber auch nicht mehr (BGH, Urteil vom 17.12.2012, VIII ZR 226/11, juris, Rn 24). Die Fahrzeuge aus der aktuellen XXX Serienproduktion unterscheiden sich zu gravierend von dem laut Kaufvertrag geschuldeten Fahrzeug (XXX II, Anlagenkonvolut K 1). Die Motorleistung ist mit 110 kW höher und sonstige technische Weiterentwicklungen haben unter anderem zur Erlangung der Typgenehmigung nach der Euro 6 Norm geführt. Die Fahrzeuge der aktuellen Serienproduktion halten also wesentlich geringere Schadstoffgrenzwerte ein (vgl. Verordnung 715/2007/EG mit Ergänzungs-Verordnungen).

Auch unter Berücksichtigung des durch Auslegung zu ermittelnden Willens der Parteien bei Vertragsschluss folgt aus dem Kaufvertrag kein Anspruch des Klägers auf die Lieferung eines XXX der 3. Generation (zur Erforderlichkeit der Vertragsauslegung vgl. BGH, Urteil vom 07.06.2006, VIII ZR 209/05, juris, Rn 23). Dem Willen des Verkäufers entsprach es - auch und gerade bei Berücksichtigung von Ziffer III.6. der einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen - nicht, bei eventuellen Mängeln ein Fahrzeug aus einer neuen Modellreihe zu liefern. Diese Klausel stellt schon vom Wortlaut her ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verkäufers dar. Sie erweitert einseitig die Rechte des Verkäufers, wobei bezüglich der Rechte des Käufers nur eine Billigkeitskontrolle auf Zumutbarkeit stattfindet. Dieser Charakter der Klausel verbietet es, sie im Wege der Vertragsauslegung zur Begründung einer Benachteiligung des Verkäufers bei gleichzeitiger Erweiterung der Rechte des Käufers heranzuziehen.

2. Eine etwaig begehrte Nachlieferung eines Fahrzeugs im Sinne des § 439 BGB ist gemäß § 275 BGB ausgeschlossen. Das vom Kläger erworbene Modell (XXX II, 103 kW) wird nicht mehr hergestellt. Aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers gibt es kein Fahrzeug, das nach den Vorstellungen beider Parteien noch gleichartig und gleichwertig im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH zum Stückkauf/Gebrauchtwagenkauf, Urteil vom 07.06.2006, VIII ZR 209/05, juris, Rn 23) wäre (s.o. I.1.).

II. Der Kläger hat keinen Anspruch aus §§ 311, 241 Abs. 2 BGB:

Ein Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeuges ist auch unter dem Gesichtspunkt einer (nicht spezialgesetzlich geregelten) Prospekthaftung gem. §§ 311, 241 Abs. 2 BGB nicht schlüssig dargelegt. Die Grundsätze der Prospekthaftung sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Sie wurde von der Rechtsprechung für den sog. „grauen“, nicht organisierten Kapitalmarkt vor dem Hintergrund entwickelt, dass in jenem Markt das Emissionsprospekt die einzige Informationsquelle für den interessierten Kapitalanleger darstellt. Nur wenn die dortigen Angaben vollständig und richtig sind, kann der Interessent die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilten und vor allem sein Anlagerisiko richtig einschätzen (vgl. BGHZ 111, 114 ff.). Im vorliegenden Fall eines Autokaufs ist die Ausgangslage des interessierten Kunden gänzlich anders. Er kann sich nicht nur aus Verkaufsprospekten sondern auch aus Testberichten einer Vielzahl einschlägiger Zeitschriften und im Internet informieren. Ferner kann er sich ein vergleichbares Fahrzeug anschauen und gegebenenfalls Probe fahren.

III. Der Kläger hat keine Ansprüche im Zusammenhang mit einer eventuell unwirksamen EG-Übereinstimmungsbescheinigung:

Durch die in Erfüllung des Kaufvertrages übergebene EG-Übereinstimmungs-bescheinigung der Herstellerin nach Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG hat der Beklagte weder eine Garantieerklärung nach § 443 BGB abgegeben noch haftet er dadurch für besonderes Vertrauen in „XXX“ im Sinne des § 311 Abs.3 BGB. Er war vielmehr dazu verpflichtet, diese Erklärung der Herstellerin - hier XXX a.s. - nach Abschluss des Kaufvertrages zu übergeben.

IV. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Art. 12 und Art.18 der Richtlinie 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG-FGV oder iVm § 263 Abs. 1 StGB:

Als schädigendes Ereignis kommt nach der Darstellung des Klägers allein der Abschluss des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrages in Betracht. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB aber ist auf Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB gerichtet, d.h. darauf, den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stehen würde. Ohne Abschluss des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrages aber hätte der Kläger auch kein Fahrzeug erhalten. Nur wenn feststeht, dass bei Unterbleiben der unerlaubten Handlung der Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen worden wäre, kann Herstellung dieses Zustands verlangt werden (Palandt-Sprau BGB, 76. Aufl. 2017, Vor § 823 Rn 24). Dafür dass der Beklagte einen Kaufvertrag über einen XXX aus der jetzt aktuellen Serienproduktion zu demselben Preis wie ursprünglich für den XXX II abgeschlossen hätte, bestehen nach dem Vortrag des Klägers gerade keine Anhaltspunkte (vgl. oben I.1.).

V. Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 826 BGB auf Lieferung eines Neufahrzeugs.

Als ihn schädigendes Verhalten beruft sich der Kläger allenfalls auf die sittenwidrige Herbeiführung des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrags (allerdings unter dem Gliederungspunkt „Sittenwidrigkeit des Handelns von XXX“). Besteht der im Sinne von § 826 BGB geltend gemachte Schaden in der sittenwidrigen Herbeiführung eines Vertrages, richtet sich der Anspruch allein auf Ersatz des negativen Interesses und nicht des vorliegend geltend gemachten Erfüllungsinteresses (Palandt-Sprau, BGB, 76. Aufl. 2017, § 826 Rn 15).

VI.

Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass sich der Beklagte mit der Rücknahme des ursprünglich gelieferten Fahrzeugs im Verzug befindet, ist die Klage ebenfalls nicht schlüssig. Der Beklagte befindet sich nicht im Annahmeverzug, weil der Kläger keinen Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Produktion hat.

Ein Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht dem Kläger mangels begründeter Hauptforderung ebenfalls nicht zu.

VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S.1, S.2 ZPO.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 31.05.2017 bot keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.