Landgericht Braunschweig
Urt. v. 29.11.2017, Az.: 3 O 331/17

Abgasskandal; Anfechtung; Rücktritt; Schadensersatz

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
29.11.2017
Aktenzeichen
3 O 331/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53770
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Aus den bindenden Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) im bestandskräftigen Rückrufbescheid vom 15.10.2015 und der sich darauf beziehenden Freigabebestätigung des KBA ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung, dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten, zu beseitigenden unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 um einen Sachmangel i. S. von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB handelt und dass die vom KBA freigegebene technische Überarbeitung durch ein Software-Update geeignet ist, diesen Mangel gem. § 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist.

2. Der direkt mit dem Fahrzeughersteller geschlossene Autokaufvertrag kann nicht wegen arglistigen Verschweigens der unzulässigen Abschalteinrichtung angefochten werden, weil es insoweit an einer Aufklärungspflicht des Verkäufers fehlte.

3. Ein Rücktritt vom Autokaufvertrag wegen des sog. Abgasskandals setzt auch beim Direkterwerb vom Fahrzeughersteller voraus, dass diesem zuvor gem. § 323 Abs. 1 BGB erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt worden ist. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung ist in diesen Fällen weder nach §§ 326 Abs. 5, § 275 Abs. 1 BGB noch nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB oder § 440 S. 1 3. Alt. BGB entbehrlich.

4. Dem Käufer eines beim Fahrzeughersteller direkt gekauften, vom sog Abgasskandal betroffenen Pkws steht gegen den Fahrzeughersteller kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: Wertstufe bis 22.000,00 €

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe seines bei der Beklagten gekauften Autos.

Der Kläger erwarb durch Internetbestellung und Auftragsbestätigung vom 28.02.2011 (Anlage K 19) direkt bei der Beklagten einen neuen Pkw xxx mit xxx 6-Gang zu einem rabattierten Kaufpreis von 27.760,40 €, welchen er am 23.05.2011 in der xxx xxx abgeholt hat.

Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 EU5 ausgestattet. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kam mit - nicht angefochtenem - Bescheid vom 15.10.2015 - xxx - (Anlage B 6) zu dem Ergebnis, dass diese Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet seien, und ordnete als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typgenehmigungen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV an, dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen ist.

Mit Schreiben vom 21.07.2016 (Anlage B 1) bestätigte das KBA unter Bezugnahme auf seinen Bescheid xxx vom 15.10.2015 (bei der Datumsangabe 14.10.2015 handelt es sich um einen offenbaren Übertragungsfehler), dass für die betroffenen Fahrzeugtypen aus xxx (Verkaufsbezeichnungen: u. a. xxx) dieser Nachweis inzwischen geführt worden und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen.

Die Beklagte informierte den Kläger mit Rundschreiben aus August 2016 (Anlage K 20), dass auch dessen xxx von der „Stickoxidproblematik bei xxx“ betroffen sei, aus diesem Grund eine Umprogrammierung des Motorsteuergeräts erforderlich sei und die dafür benötigte Software zur Verfügung stehe, und bat ihn, sich umgehend mit einem autorisierten Partner für xxx in Verbindung zu setzen, damit ein Termin vereinbart werden könne. Die Maßnahme werde je nach Arbeitsumfang zwischen 30 Minuten und einer Stunde in Anspruch nehmen und sei für den Kläger selbstverständlich kostenlos.

Der Kläger, der seinen Pkw weiterhin ohne Einschränkungen nutzt, hat davon bislang keinen Gebrauch gemacht. Er erklärte vielmehr mit Anwaltsschreiben an die Beklagte vom 09.09.2016 (Anlage K 21) die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung. Zugleich forderte er die Beklagte bis zum 16.09.2016 auf mitzuteilen, wann und wo er eine Mängelbeseitigung durchführen lassen könne, eine Erklärung abzugeben, wonach sich die Beklagte dazu verpflichte, für sämtliche künftigen Mängel und Schäden aufzukommen, die ihm aufgrund und infolge der Verwendung der illegalen Abschalteinrichtung entstünden, und zu bestätigen, dass sich die Beklagte weder auf den Ablauf der Anfechtungsfrist noch auf einen Ablauf der Gewährleistungsfrist sowie den Ablauf von Fristen im Zusammenhang mit der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aus Delikt berufen werde. In ihrem Antwortschreiben vom 15.09.2016 (Anlage K 22) wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass alle betroffenen Fahrzeuge weiterhin technisch sicher, fahrbereit und uneingeschränkt im Straßenverkehr nutzbar seien sowie dass das KBA die von ihr vorgeschlagene technische Maßnahme für 2,0 l-Aggregate in Form eines Software-Updates nach intensiver Begutachtung bestätigt habe. Sie bat den Kläger erneut, sich zur Durchführung des Software-Updates mit dem betreuenden Xxx Partner in Verbindung zu setzen, und verzichtete bis zum 31.12.2017 auf die Erhebung der Verjährungseinrede.

Der Kläger antwortete darauf mit Anwaltsschreiben vom 26.09.2016 (Anlage K 23), in dem er die Beklagte aufforderte, bis zum 04.10.2016 eine schriftliche Garantieerklärung abzugeben, dass mit der vorgeschlagenen Nachrüstung des Fahrzeugs sämtlich Mängel behoben würden und dass die Beklagte auch für sämtliche Mängel und Folgeschäden hafte, die aus der Verwendung des Software-Updates resultierten. Nachdem die Beklagte dem mit Antwortschreiben vom 05.10.2016 nicht nachgekommen war, erklärten die Kläger-Vertreter mit Schreiben vom 16.11.2016 (Anlage K 24), dass mangels Bereitschaft der Beklagten, eine Garantie abzugeben, ihr Nachbesserungsangebot nicht akzeptabel sei, und sie deshalb dem Kläger empfohlen hätten, seine Rückabwicklungsansprüche nach der bereits erfolgten Anfechtung gerichtlich zu verfolgen. Grundsätzlich könne sich der Kläger aber auch eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung vorstellen. Er würde sich bereit erklären, einen Jahres- oder Testwagen der Marke xxx zu kaufen, wenn sich die Beklagte im Gegenzug verpflichtete, den streitgegenständlichen Xxx zu einem sehr guten Peis zurückzunehmen. Er bitte um die Unterbreitung eines konkreten Kaufangebots bis zum 30.11.2016. Darauf antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 17.11.2016 (Anlage K 25), in dem sie noch einmal auf die vom KBA bestätigte technische Maßnahme verwies, ausdrücklich auf die Freigabebestätigung vom 21.07.2016 Bezug nahm und vor diesem Hintergrund um Verständnis dafür bat, dass sie dem Wunsch des Klägers, das Fahrzeug zurückzugeben, nicht entsprechen könne.

Der Kläger behauptet, beim Kauf des streitgegenständlichen Autos hätte für ihn die Umwelt- und Klimaverträglichkeit des erworbenen Fahrzeugs eine maßgebliche Rolle gespielt. Durch seine Teilnahme an der UN-Klimakonferenz 2007 auf Bali als NDR-Chefreporter sei er diesbezüglich besonders sensibilisiert. Während seiner mehrfachen beruflichen USA-Aufenthalte habe ihn die „Clean Diesel“-Kampagne stark beindruckt. Der Kläger ist der Ansicht, er sei von der Beklagten über die in seinen xxx eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung arglistig getäuscht worden und habe infolge der mit Anwaltsschreiben vom 09.09.2016 erklärten Anfechtung des Kaufvertrages einen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückabwicklung, den er nachrangig auch auf kaufrechtliche Gewährleistung stützt, nachdem er zu diesem Zweck mit seiner Klageschrift vom 10.02.2017 hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt hat, ferner auf einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 27.760,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen die Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges xxx xxx, Fahrgestell-Nr. xxx, abzüglich der Zahlung einer Nutzungsentschädigung in Euro pro gefahrenem Kilometer seit dem 28.02.2011 (Laufleistung zum Zeitpunkt des Kaufvertrages: 0 Kilometer), die sich nach folgender Formel berechnet: 27.760,40 € x gefahrene Kilometer: 300.000 km, zu zahlen;

2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der unter Ziff. 1. bezeichneten Gegenleistung in Annahmeverzug befindet;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie den Kläger getäuscht und geschädigt zu haben. Sie meint, der hilfsweise erklärte Rücktritt sei nicht nur wegen Fehlens eines Mangels, sondern auch deshalb unwirksam, weil der Kläger ihr keine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Fahrzeug zwar entgegen ihrer Ansicht eine unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verwendet (1.). Gleichwohl steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückabwicklung des streitbefangenen Autokaufs weder aus §§ 812 Abs. 1, 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB (2.) noch aus §§ 434 Abs. 1, 437 Nr. 2, 323, 346 BGB (3.), aber auch nicht aus § 826, 831, 249 BGB (4.) zu. Mangels Begründetheit der Hauptforderung konnten auch die Klageanträge zu 2. und 3. keinen Erfolg haben.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. hierzu und zum Folgenden: BGH NJW-RR 2007, 398, 399 [BGH 21.09.2006 - IX ZR 89/05] m. w. N.). Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, d. h. ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zu Grunde zu legen. Durch den bestandskräftigen Rückrufbescheid des KBA vom 15.10.2015 und dessen Freigabebestätigung vom 21.07.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt,

dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt;

dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, diese unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen ist;

dass für die betroffenen Fahrzeuge dieser Nachweis inzwischen geführt wurde und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen;

dass das KBA dabei folgende Sachverhalte mit folgenden Ergebnissen überprüft hat: keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr, vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig, Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen eingehalten, ursprünglich vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen Technischen Dienst bestätigt, bisherige Motorleistung und maximales Drehmoment unverändert sowie bisherige Geräuschemissionswerte unverändert.

Aus diesen Feststellungen und Regelungen ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung

auf der einen Seite, dass es sich bei der unzulässigen, zu beseitigenden Abschalteinrichtung um einen Sachmangel i. S. von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB handelt, womit dem Kläger die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB eröffnet sind,

auf der anderen Seite aber auch, dass die vom KBA freigegebene technische Überarbeitung durch ein Software-Update geeignet ist, diesen Mangel gem. § 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist (so im Ergebnis auch OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016 - 28 W 14/16 -, juris Rn. 37).

2. Die mit Anwaltsschreiben vom 09.09.2016 gegenüber der Beklagten erklärte Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB ist nicht wirksam geworden.

Eine aktive Täuschungshandlung der Beklagten gegenüber dem Kläger ist weder hinreichend dargetan noch ersichtlich. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang vorträgt, die werksseitig benannten Angaben zum Schadstoffausstoß seien nicht zutreffend, ist gerichtsbekannt, dass in den Verkaufsprospekten der Beklagten lediglich die Emissionsklasse (hier: Euro 5), der Kraftstoffverbrauch und die CO2-Emissionen angegeben werden. Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen stehen nicht im Zusammenhang mit der verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtung, die allein die Stickoxidwerte (NOx) betrifft. Wie das KBA in seiner Freigabebestätigung vom 21.07.2016 festgestellt hat, hat ein Technischer Dienst die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen auch nach dem Software-Update für bestätigt befunden. Auch die Zulassung nach Euro 5 besteht fort. Konkrete, darüber hinausgehende Angaben der Beklagten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die Emissionsgrenzwerte nach Euro 5 im realen Straßenverkehr einhalte oder die Messung auf dem Rollenprüfstand nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) den Schadstoffausstoß im Realbetrieb wenigstens annähernd abbilde, hat der Kläger nicht dargelegt.

In Betracht kommt deshalb allein ein arglistiges Verschweigen des Verwendens der unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Verschweigen von Tatsachen stellt aber nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsache eine Aufklärungspflicht besteht. Entscheidend dafür ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Grundsätzlich ist es Sache jeder Vertragspartei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für den Kaufvertrag, der von gegensätzlichen Interessen geprägt ist. Es besteht daher keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Es muss sich vielmehr um besonders wichtige Umstände handeln, die für die Willensbildung der anderen Seite offensichtlich von ausschlagender Bedeutung sind. Das gilt vor allem für Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können oder geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (vgl. Palandt-Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 123 Rn. 5, 5b m. w. N.).

Eine solche Aufklärungspflicht würde in der Tat bestehen, wenn durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung die EG-Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erloschen wäre oder deren Entziehung drohen würde. Das ist aber nicht der Fall. Nach § 19 Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 2 StVZO erlischt die Betriebserlaubnis - in Form der Wirksamkeit der EG-Typgenehmigung für das einzelne Fahrzeug - zwar dann, wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird. Nach Auffassung der Kammer sind damit jedoch nur Veränderungen am Fahrzeug gemeint, die nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden. Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die historische Auslegung der Vorschrift. Der Gesetzgeber hat nämlich in der Bundesrats-Drucksache 629/93 zur 16. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, mit dem unter anderem § 19 Abs. 2 StVZO geändert wurde und ihre im Wesentlichen bis heute geltende Fassung erhielt, ausgeführt, dass „die bisherigen EWG-Vorschriften keine Aussagen über Veränderungen an bereits zugelassenen Fahrzeugen treffen“ und daher „gegenwärtig der Schluss gezogen werden [kann], dass den EG-Mitgliedstaaten die Regelungen von Veränderungen an bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeugen überlassen ist“. (vgl. Urteil der Kammer vom 31.08.2017 - 3 O 21/17 -, Rn. 117 ff., 137 ff.).

Auch droht keine Entziehung der Gesamtfahrzeug-Typgenehmigung, weil das KBA in seinem Bescheid vom 15.10.2015 sein gem. § 25 Abs. 3 EG-FGV zustehendes Ermessen gerade nicht dahingehend ausgeübt hat, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Die Behörde ist vielmehr nach § 25 Abs. 2 EG-FGV vorgegangen und hat Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet. Doch selbst eine Entziehung der Typgenehmigung hätte erst dann die Folge der Nichtnutzbarkeit des klägerischen Fahrzeugs, wenn die zuständige Landesbehörde daraufhin wiederum von dem ihr gem. § 5 FZV zustehenden Ermessen Gebrauch machen würde, die Nutzung des Fahrzeugs dauerhaft zu untersagen, was eine Entziehung der Zulassung beinhalten würde.

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf einen Artikel im Hamburger Abendblatt vom 26.07.2017 (Anlage K 46) beruft, wonach das KBA ein Rundschreiben an xxx-Besitzer versandt habe, mit dem diese ermahnt würden, die neue Software „sehr zeitnah“ aufspielen zu lassen, andernfalls werde man die Rückruf-Verweigerer „zum 28.08.2017“ den zuständigen Zulassungsbehörden melden, die wiederum eine Stilllegung anordnen könnten, hätte - eine zutreffende Wiedergabe des Sachverhalts in dem Artikel unterstellt - das KBA damit lediglich seine Haltung bestätigt, dass die EG-Fahrzeugtypgenehmigung selbst nicht in Frage steht und - im Falle ihrer Umrüstung - auch nicht die uneingeschränkte Nutzbarkeit der betroffenen Fahrzeuge im Straßenverkehr.

Bei der Verwendung der zwar unzulässigen, aber allein durch das vom KBA freigegebene Software-Update zu beseitigende Abschalteinrichtung handelt es sich auch nicht auf andere Weise um einen besonders wichtigen Umstand. Soweit der Kläger geltend macht, für ihn habe die Umwelt- und Klimaverträglichkeit des erworbenen Fahrzeugs eine maßgebliche Rolle gespielt, fehlt es jedenfalls an der Offensichtlichkeit der ausschlagenden Bedeutung dieses Umstandes für die Willensbildung des Klägers, zumal er selbst nicht behauptet, dies der Beklagten im Zuge seiner Internetbestellung offengelegt zu haben.

3. Der Kläger hat mit seiner Klageschrift auch nicht wirksam den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, weil er der Beklagten zuvor entgegen § 323 Abs. 1 BGB nicht erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat und eine solche Fristsetzung auch nicht entbehrlich war.

Der Kläger hat der Beklagten zwar mit seinen vorprozessualen Anwaltsschreiben vom 09.09., 26.09. und 16.11.2016 jeweils Fristen gesetzt, jedoch keine Fristen zu Nacherfüllung i. S. von § 323 Abs. 1 BGB, sondern mit Schreiben vom 09.09.2016 nur zur Mitteilung, wann und wo er eine Mängelbeseitigung durchführen lassen könne, worauf ihn die Beklagte mit Schreiben vom 15.09.2016 bat, sich mit dem betreuenden xxx Partner in Verbindung zu setzen, damit die Durchführung des Software-Updates erfolgen könne, mit Schreiben vom 26.09.2016 zur Abgabe einer schriftlichen Garantieerklärung und mit Schreiben vom 16.11.2016 zur Unterbreitung eines konkreten Kaufangebots.

Eine Fristsetzung war entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht entbehrlich, weil keiner der hier in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände erfüllt ist:

a) § 326 Abs. 5 i. V. m. § 275 Abs. 1 BGB berechtigt zum Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung, wenn die Nacherfüllung unmöglich ist. Das ist vorliegend nicht der Fall, weil durch die Freigabebestätigung des KBA vom 21.07.2016 festgestellt ist, dass der in der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung bestehende Mangel durch die von der Beklagten vorgestellte technische Maßnahme behoben wird und dass dadurch auch keine Nachteile für Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen, ursprünglich vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen, bisherige Motorleistung und maximales Drehmoment sowie bisherige Geräuschemissionswerte verbleiben. Die Freigabebestätigung des KBA vom 21.07.2016 und die Information des Klägers darüber durch das Schreiben der Beklagten vom 17.11.2016 lagen zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung in der Klageschrift vom 10.02.2017 auch schon vor.

Einen verbleibenden merkantilen Minderwert hat der Kläger nicht hinreichend dargetan. Soweit er sich hierzu auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Minderwert von Unfallwagen beruft (vgl. Urteil vom 10.10.2007 - VIII ZR 330/06 -, juris Rn. 23), ist diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Deren Hintergrund ist die über Jahrzehnte gewonnene Erfahrung, dass trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines Fahrzeugs bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Fahrzeuge besteht (so schon BGH, Urteil vom 29.04.1958 - VI ZR 82/57 -, juris Rn. 4). Für den sog. Abgasskandal fehlt es aber an einer vergleichbaren Erfahrung auf dem Gebrauchtwagenmarkt.

Der Kläger hätte deshalb einen Preisverfall, die gerade auf die unzulässige Abschalteinrichtung zurückzuführen ist, schon konkret darlegen müssen. Das wäre ihm, wenn es eine solche Wertverschiebung denn gäbe, auch ohne Weiteres möglich gewesen, weil der Kraftfahrzeugmarkt generell schon sehr transparent ist (wie z. B. durch die sog. Schwacke-Liste) und die Preisentwicklung von gebrauchten Dieselfahrzeugen zudem unter besonderer medialer Aufmerksamkeit (wie z. B. durch das „DAT Diesel-Barometer“) steht. Ohne solche Anknüpfungstatsachen würde aber die dazu angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens auf einen im Zivilprozess nicht zulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen.

b) Nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist eine Fristsetzung entbehrlich, wenn im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Das kommt hier unter vier Gesichtspunkten in Betracht, nämlich dem Gesichtspunkt des arglistigen Verschweigens des Mangels (aa), dem Gesichtspunkt der Befürchtung vor Folgemängeln (bb), dem Gesichtspunkt der von der Beklagen trotz Aufforderung nicht abgegebenen Garantieerklärung (cc) und dem Gesichtspunkt der Sorge um den Bestand der EG-Typgenehmigung (dd). Sämtliche Gesichtspunkte dringen im Ergebnis aber nicht durch.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 08.12.2006 - V ZR 249/05 -, juris m. w. N.) ist der Käufer im Regelfall berechtigt, gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB sofort vom Kaufvertrag zurückzutreten, wenn der Verkäufer dem Käufer einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat. Soweit hier wieder ein arglistiges Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung und des damit verbundenen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in den Blick kommt, gebietet § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB gleichwohl eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, weshalb auch der BGH ausdrücklich nur von einem „Regelfall“ spricht. Hinter diesem Regelfall steht die Erwägung, dass eine arglistige Täuschung die für die Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage in der Regel beschädigt. Der Käufer hat dann ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen weiteren Täuschungsverboten zu schützen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 13). Demgegenüber handelt es sich bei der vorliegenden Konstellation insofern um einen Sonderfall, als die von der Beklagten angebotene Nachbesserung in Abstimmung mit dem KBA, d. h. der dafür zuständigen, unabhängigen Bundesbehörde und damit unter staatlicher Aufsicht erfolgt. Die Befürchtung vor einem neuerlichen Täuschungsversuch ist vor diesem Hintergrund von vornherein unbegründet. An dieser Wertung vermag sich, anders als der Kläger meint, auch nichts dadurch zu ändern, dass die Beklagte die unzulässige Abschalteinrichtung nicht nur in Einzelfällen, sondern massenhaft verwendet hat.

bb) Die bloße Möglichkeit oder Befürchtung, dass nach der (ersten) Nachbesserung Mängel verbleiben oder neue Mängel entstehen, begründet nicht die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Mangelbeseitigung. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber vielmehr in § 440 S. 2 BGB ausdrücklich berücksichtigt. Danach gilt eine Nachbesserung jedenfalls grundsätzlich erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen. Der Kläger hat das von ihm beschriebene Risiko also zunächst hinzunehmen. Die Rechte aus § 437 Nr. 2 BGB bleiben ihm für den Fall, dass die durchgeführte Nachbesserung fehlschlagen sollte, unbenommen.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang insbesondere auf eine mögliche Lebenszeitverkürzung von Motorbauteilen verweist, kommt hinzu, dass die Beklagte dem Kläger bei Abschluss des Kaufvertrages gar keine Zusagen betreffend die Lebensdauer von Motorbauteilen gemacht hat, die darüber hinausgehen, dass auftretende Mängel innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung beseitigt werden. Der Nacherfüllungsanspruch des Käufers kann aber nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch.

cc) Vor diesem Hintergrund musste die Beklagte auch die vom Kläger mit Anwaltsschreiben vom 26.09.2016 geforderte Garantieerklärung nicht abgeben, weshalb das Ausbleiben einer solchen Erklärung den Kläger ebenfalls nicht zum sofortigen Rücktritt berechtigen konnte.

dd) Und dass die Sorge um den Bestand der EG-Typgenehmigung unbegründet ist, ist oben bereits im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht (§ 123 BGB) ausgeführt worden (siehe oben I. 2.).

c) Bleibt allein noch der in § 440 S. 1 3. Alt. BGB geregelte Ausnahmetatbestand, dass die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung diesem unzumutbar ist. Diese Vorschrift setzt schon begrifflich voraus, dass die Nacherfüllung als solche möglich ist. Daraus und aus der verwendeten Formulierung „außer in den Fällen des … § 323 Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht“ ergibt sich, dass es sich um eine Spezialregelung für Fälle handelt, die nicht schon von den §§ 326 Abs. 5 und 323 Abs. 2 BGB erfasst werden. Unter welchem Gesichtspunkt danach § 440 S. 1 3. Alt. BGB hier noch einschlägig sein sollte, ist nicht ersichtlich.

4. Der Kläger kann seine Rückabwicklungsforderung schließlich auch nicht als Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 831, 249 BGB herleiten.

Für eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung reicht allein der - feststehende - Verstoß der Beklagten gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht aus. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr schon 1985 entschieden (Urteil vom 11.11.1985 - II ZR 109/84 -, juris Rn. 15 m. w. N.), dass für Ansprüche aus unerlaubter Handlung allgemein gilt, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden begrenzt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen und dass auf eine derartige Eingrenzung der Haftung, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden kann.

Aus den Erwägungsgründen (1) bis (6) und (27) der verletzten EG-Verordnung ergibt sich aber, dass diese nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient, sondern der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, insbesondere mit dem Ziel der erheblichen Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte. Der vom Kläger geltend gemachte Vermögensschaden fällt daher nicht in den Schutzbereich dieser Norm.

Damit verbleibt auch insoweit allenfalls eine Täuschung durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Verschweigen eines Umstandes rechtfertigt aber nicht ohne Weiteres den Vorwurf eines Sittenverstoßes, sondern nur dann, wenn eine Seite der anderen zu entsprechender Offenbarung verpflichtet ist. Eine Offenbarungspflicht entsteht, wenn die andere Seite nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eine Mitteilung erwarten durfte. Auch innerhalb einer vertraglichen Beziehung darf der Vertragspartner nach Treu und Glauben nicht eine vollumfängliche Information über alle Belange des Geschäftes erwarten. Es besteht keine allgemeine Offenbarungspflicht, weil im Vertragsrecht zunächst jedes Privatrechtssubjekt für die Verteidigung seiner Interessen selbst verantwortlich ist. Die Grenze des nach der Verkehrsauffassung Hinnehmbaren ist erst dann überschritten, wenn es um erhebliche wertbildende Umstände beim Kaufvertragsabschluss geht (Palandt-Sprau, a. a. O., § 826 Rn. 20 m. w. N.). Auf die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung trifft das nicht so. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zur Aufklärungspflicht (siehe oben I. 2) und zum behaupteten merkantilen Minderwert (siehe oben I. 3. a) verwiesen werden.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

III.

Die im Beschlusswege erfolgte Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 48 GKG, § 3 ZPO.