Landgericht Braunschweig
Urt. v. 11.10.2017, Az.: 3 O 2990/16

Abgasskandal; Neulieferung

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
11.10.2017
Aktenzeichen
3 O 2990/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53754
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Aus den bindenden Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) im bestandskräftigen Bescheid vom 15.10.2015 und der sich darauf beziehenden Freigabe ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung, dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten, zu beseitigenden unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 um einen Sachmangel i. S. von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB handelt und dass die vom KBA freigegebene technische Überarbeitung durch ein Software-Update geeignet ist, diesen Mangel gem. § 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist.

2. Im Falle eines zwischenzeitlichen Modellwechsels kann der Käufer die Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion nicht beanspruchen, weil eine solche Leistung nicht mehr vom Erfüllungsanspruch umfasst ist. Eine Ersatzlieferung des ursprünglichen, nicht mehr hergestellten Modells scheidet wegen Unmöglichkeit aus (§ 275 Abs. 1 BGB);

3. In jedem Falle aber wäre die Nachlieferung gegenüber dem geringen Aufwand der angebotenen Nachbesserung unverhältnismäßig, weshalb sich der Anspruch des Käufers gem. § 439 Abs. 3 BGB auf die Mangelbeseitigung beschränkt.

4. Auf unerlaubte Handlung kann das Neulieferungsverlangen nicht gestützt werden, weil solche Schadensersatzansprüche gem. § 249 BGB auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet sind und die Parteien ohne die unzulässige Abschalteinrichtung keinen anderen, sondern denselben Vertrag geschlossen hätten.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: Wertstufe bis 35.000,00 €

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Abgas-Skandal die Lieferung eines Neufahrzeugs Zug um Zug gegen Rückgabe des beim Beklagten gekauften Autos.

Die Klägerin kaufte am 13.06.2014 im Autohaus des Beklagten einen neuen xxx 7-Sitzer mit manuellem 6-Gang-Getriebe zum Preis von 32.230,00 €. Das Fahrzeug wurde der Klägerin noch am selben Tag übergeben.

Der Abschluss des Kaufvertrages erfolgte unter Einbeziehung der Neuwagen-Verkaufsbedingungen des Volkswagen-Konzerns, die unter Ziffer IV. folgende Klausel enthalten:

„6. Konstruktions- oder Formänderungen, Abweichungen im Farbton sowie Änderungen des Lieferumfangs seitens des Herstellers bleiben während der Lieferzeit vorbehalten, sofern die Änderungen oder Abweichungen unter Berücksichtigung der Interessen des Verkäufers für den Käufer zumutbar sind. Sofern der Verkäufer oder der Hersteller zur Bezeichnung der Bestellung oder des bestellten Kaufgegenstandes Zeichen oder Nummern gebraucht, können allein daraus keine Rechte hergeleitet werden.“

Der streitgegenständliche Pkw ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 EU5 ausgestattet. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kam mit - nicht angefochtenem - Bescheid vom 15.10.2015 - 400-52.V/001#018 - (Anlage R 2) zu dem Ergebnis, dass diese Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet seien, und ordnete als nachträgliche Nebenbestimmungen für die jeweils erteilten Typgenehmigungen gem. § 25 Abs. 2 EG-FGV an, dass die xxx als Fahrzeugherstellerin zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und dies durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen.

Die Klägerin forderte den Beklagten vor diesem Hintergrund mit Anwaltsschreiben vom 26.01.2016 (Anlage K 2) auf, bis zum 08.03.2016 einen nach aktuellen Vorschriften zulassungsfähigen, mangelfreien und vertragsgemäßen Neuwagen zu liefern. Mit Antwortschreiben vom 04.02.2016 (Anlage K 3) verwies der Beklagte die Klägerin auf einen vom VW-Konzern seinerzeit noch zu erarbeitenden Zeit- und Maßnahmenplan für „Rückruf-, Servicemaßnahmen bzw. Nachbesserungen“ und teilte ihr mit, dass eine Nacherfüllung durch Nachlieferung wegen unverhältnismäßiger Kosten gegenüber der - auch vom Gesetz vordergründig vorgesehenen - Nachbesserung nicht möglich sei.

Mit Schreiben vom 20.12.2016 (Anlage B 1) bestätigte das KBA unter Bezugnahme auf seinen Bescheid 400-52.V/001#018 vom 15.10.2015 (bei der Datumsangabe 14.10.2015 handelt es sich um einen offenbaren Übertragungsfehler), dass für die betroffenen Fahrzeugtypen aus Cluster 8 (Verkaufsbezeichnungen: u. a. xxx) der geforderte Nachweis inzwischen geführt worden und dass die von der xxx vorgestellte Änderung der Applikationsdaten - mittels Software-Update - geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen. Mit Schreiben der Streithelferin vom 23.01.2017 wurde die Klägerin darüber informiert, dass die technische Maßnahme zur Überarbeitung ihres Fahrzeugs zur Verfügung stehe. Der Beklagte wies die Klägerin mit seiner Duplik vom 08.08.2017 darauf hin, dass sie ihr Fahrzeug jederzeit von einem Xxx-Vertragspartner in Deutschland überarbeiten lassen könne. Gleichwohl hat die Klägerin, die das Fahrzeug weiterhin ohne Gebrauchseinschränkungen nutzt, davon keinen Gebrauch gemacht.

Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe mangelbedingt einen Anspruch gegen den Beklagten auf Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Serienproduktion. Sie stützt diese Forderung in erster Linie auf kaufrechtliche Gewährleistung, in zweiter Linie auf Prospekt-, Vertrauens- bzw. Garantiehaftung und schließlich auf unerlaubte Handlung.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihr ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit identischer technischer Ausstattung wie das Fahrzeug xxx Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs xxx, FIN: xxx, nachzuliefern;

2. festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Neulieferung und mit der Rücknahme der im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeuge in Verzug befindet;

3. den Beklagten zu verurteilen, sie von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, es liege schon kein Sachmangel vor. Selbst wenn ein solcher gegeben sei, könne die Klägerin nicht Nachlieferung aus der aktuellen Serienproduktion verlangen, sondern allenfalls die Lieferung desselben Modells. Diese sei aber unmöglich, jedenfalls aber wäre eine Neulieferung gegenüber der von ihm angebotenen Nachbesserung durch einen Xxx-Vertragspartner unverhältnismäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Lieferung eines Neufahrzeugs zu, und zwar weder aus §§ 434, 437 Nr. 1, 439 BGB (1.) noch aus Prospekthaftung (2.), Verschulden bei Vertragsschluss (3.) bzw. selbständiger Garantie (4.), aber auch nicht aus § 823 Abs. 2 oder § 826 BGB (5.). Mangels Begründetheit der Hauptforderung sind auch die Klageanträge zu 2. und 3. unbegründet.

1. Das streitgegenständliche Fahrzeug war zwar bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet war, die aufgrund des Bescheides des KBA vom 15.10.2015 zu beseitigen ist, womit der Klägerin die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB grundsätzlich eröffnet sind (a). Doch kann sie vom Beklagten keine Nachlieferung aus der aktuellen Serienproduktion verlangen, sondern allenfalls die Lieferung desselben Modells (b). Eine solche wäre indes - wie vom Beklagten weiter eingewandt - unmöglich (c), jedenfalls aber beschränkt sich der Anspruch der Klägerin gem. § 439 Abs. 3 BGB auf die vom Beklagten angebotene Nachbesserung durch einen Xxx-Vertragspartner (d).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. hierzu und zum Folgenden: BGH NJW-RR 2007, 398, 399 [BGH 21.09.2006 - IX ZR 89/05] m. w. N.). Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, d. h. ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zu Grunde zu legen. Durch den bestandskräftigen Rückrufbescheid des KBA vom 15.10.2015 und dessen Freigabebestätigung vom 20.12.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt,

dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt;

dass die xxx zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und dies durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen;

dass für die betroffenen Fahrzeuge dieser Nachweis inzwischen geführt wurde und dass die von der Volkswagen AG vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen;

dass das KBA dabei folgende Sachverhalte mit folgenden Ergebnissen überprüft hat: keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr, vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig, Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen eingehalten, ursprünglich vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen Technischen Dienst bestätigt, bisherige Motorleistung und maximales Drehmoment unverändert sowie bisherige Geräuschemissionswerte unverändert.

Aus diesen Feststellungen und Regelungen ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung, dass

es sich bei der unzulässigen, zu beseitigenden Abschalteinrichtung um einen Sachmangel i. S. von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB handelt und

dass die vom KBA freigegebene technische Überarbeitung durch ein reines Software-Update geeignet ist, diesen Mangel gem. § 439 Abs. 1, 1. Alt. BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist (so im Ergebnis auch OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016 - 28 W 14/16 -, juris Rn. 37).

Dass der Beklagte selbst nicht xxx-Vertragspartner ist, ist dabei unschädlich, weil er die Nachbesserung nicht in Person erbringen muss, sondern die Klägerin, wie geschehen, auf einen Vertragspartner verweisen kann.

b) Eine Nachlieferung aus der aktuellen Serienproduktion kann die Klägerin vom Beklagten schon deshalb nicht beanspruchen, weil die Auslegung des Kaufvertrages nicht ergibt, dass die Klägerin im Falle eines Mangels einen Anspruch auf Lieferung des Nachfolgemodells des xxx 2,0 l TDI hat. Der Nacherfüllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1, 2. Alt. BGB beschränkt sich vielmehr auf die Lieferung einer anderen Sache, die der verkauften Sache gleich, aber mangelfrei ist (vgl. Palandt-Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 437 Rn. 7), kann also nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch. Die Klägerin hat das substantiierte Vorbringen des Beklagten, dass das von der Klägerin gekaufte Modell seit dem Modelljahr 2016, welches mit der Woche 22/15 produktseitig eingeführt worden sei, nicht mehr hergestellt werde und dass sich das Nachfolgemodell von der vorangegangenen Modellgeneration nicht nur hinsichtlich der Motorisierung (Euro 6 statt Euro 5, 184 PS statt 177 PS), sondern auch hinsichtlich der verbauten neuen Generation des Infotainments und - infolge eines Facelifts - hinsichtlich der Optik (Kühlergrill, Felgen, Heckleuchten, Innenraumdesign) wesentlich unterscheide, nicht bestritten.

Dass die Klägerin einen Anspruch auf die Lieferung eines xxx aus der aktuellen Serienproduktion hat, lässt sich auch nicht aus der Klausel Ziffer IV. 6. der Neuwagen-Verkaufsbedingungen herleiten. Diese Klausel stellt nämlich rechtlich ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Verkäufers gem. § 315 Abs. 1 BGB, d. h. eine einseitige Erweiterung der Rechte des Verkäufers bei gleichzeitiger Beschränkung des Rechtes des Käufers auf eine Billigkeitskontrolle dar. Das verbietet es, sie im Wege der Vertragsauslegung zur Begründung einer Benachteiligung des Verkäufers bei gleichzeitiger Erweiterung der Rechte des Käufers heranzuziehen.

c) Da das Vorgängermodell des xxx nicht mehr hergestellt wird, ist die Nachlieferung einer mangelfreien Sache unmöglich geworden. Ein Anspruch der Klägerin auf diese Leistung besteht mithin schon gem. § 275 Abs. 1 BGB nicht.

d) In jedem Fall aber wäre eine Neulieferung nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich. § 439 Abs. 3 BGB ist richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass nur die Berufung auf die relative Unverhältnismäßigkeit der vom Käufer gewählten Art der Nachlieferung statthaft ist (vgl. OLG Hamm, a. a. O., Rn. 34 m. w. N.). Zu vergleichen sind daher die voraussichtlichen Kosten der vom Beklagten angebotenen Nachbesserung durch einen xxx-Vertragspartner auf der einen Seite mit denen der von der Klägerin geforderten Nachlieferung auf der anderen Seite. Bei der dafür vorzunehmenden Gesamtabwägung sind gem. § 439 Abs. 3 S. 2 BGB der Wert des Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die vom Beklagten angebotene Nachbesserung ohne erhebliche Nachteile für die Klägerin zurückgegriffen werden kann.

Die Bedeutung des Mangels ist für die Klägerin selbst gering, weil sie das Fahrzeug unstreitig weiterhin ohne Gebrauchseinschränkungen nutzt. Dass sich durch die vom Beklagten angebotene Mangelbeseitigung keine Nachteile hinsichtlich der Einhaltung von Grenzwerten und anderen Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen, der ursprünglich vom Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchswerte und CO2-Emissionen, der bisherigen Motorleistung, dem maximalen Drehmoment und der bisherigen Geräuschemissionswerte ergeben, hat das KBA in seiner Freigabebestätigung vom 20.12.2016 ausdrücklich festgestellt.

Soweit die Klägerin darüber hinaus eine Lebenszeitverkürzung von Motorbauteilen infolge des Software-Updates befürchtet, hat der Beklagte der Klägerin bei Abschluss des Kaufvertrages keine Zusagen betreffend die Lebensdauer von Motorbauteilen gemacht, die darüber hinausgehen, dass auftretende Mängel innerhalb der gesetzlichen Gewährleistung beseitigt werden. Der Nacherfüllungsanspruch des Käufers kann aber, wie bereits ausgeführt (s. o. I. 1. b), nicht weiter reichen als der ursprüngliche Erfüllungsanspruch. Eine Verkürzung der Lebensdauer von Motorbauteilen wird die Klägerin daher erst im Falle deren Realisierung im Umfang noch bestehender Gewährleistungsansprüche geltend machen können.

Soweit die Klägerin des Weiteren den Verbleib eines merkantilen Minderwertes behauptet, ist ihr Vorbringen gegenüber dem qualifizierten Bestreiten des Beklagten nicht hinreichend substantiiert. Der Kraftfahrzeugmarkt ist generell schon sehr transparent (wie z. B. durch die sog. Schwacke-Liste), und die Preisentwicklung von gebrauchten Dieselfahrzeugen steht vor dem Hintergrund des sog. Abgasskandals zudem unter besonderer medialer Aufmerksamkeit (wie z. B. durch das „DAT Diesel-Barometer“), so dass es der Klägerin ohne Weiteres möglich wäre, etwaige Wertverschiebungen, die gerade auf die unzulässige Abschalteinrichtung zurückzuführen sind, konkret darzulegen. Daran fehlt es hier. Ohne solche Anknüpfungstatsachen würde die dazu angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens aber auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinauslaufen.

Ferner ist entgegen der Ansicht der Klägerin weder die EG-Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erloschen noch droht deren Entziehung. Nach § 19 Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 2 StVZO erlischt die Betriebserlaubnis - in Form der Wirksamkeit der EG-Typgenehmigung für das einzelne Fahrzeug - zwar dann, wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird. Nach Auffassung der Kammer sind damit aber nur Veränderungen am Fahrzeug gemeint, die nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden. Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die historische Auslegung der Vorschrift. Der Gesetzgeber hat nämlich in der Bundesrats-Drucksache 629/93 zur 16. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, mit dem unter anderem § 19 Abs. 2 StVZO geändert wurde und ihre im Wesentlichen bis heute geltende Fassung erhielt, ausgeführt, dass „die bisherigen EWG-Vorschriften keine Aussagen über Veränderungen an bereits zugelassenen Fahrzeugen treffen“ und daher „gegenwärtig der Schluss gezogen werden [kann], dass den EG-Mitgliedstaaten die Regelungen von Veränderungen an bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeugen überlassen ist“ (vgl. Urteil der Kammer vom 31.08.2017, a. a O., Rn. 117 ff., 137 ff.).

Auch droht keine Entziehung der Gesamtfahrzeug-Typgenehmigung, weil das KBA in seinem Bescheid vom 15.10.2015 sein gem. § 25 Abs. 3 EG-FGV zustehendes Ermessen gerade nicht dahingehend ausgeübt hat, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Die Behörde ist vielmehr nach § 25 Abs. 2 EG-FGV vorgegangen und hat Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet. Doch selbst eine Entziehung der Typgenehmigung hätte erst dann die Folge der Nichtnutzbarkeit des klägerischen Fahrzeugs, wenn die zuständige Landesbehörde daraufhin wiederum von dem ihr gem. § 5 FZV zustehenden Ermessen Gebrauch machen würde, die Nutzung des Fahrzeugs dauerhaft zu untersagen, was eine Entziehung der Zulassung beinhalten würde.

Der Beklagte hat die Kosten der von ihm angebotenen Mängelbeseitigung durch einen Xxx-Vertragspartner mit weniger als 100,00 € beziffert sowie die Kosten einer Nachlieferung wie folgt berechnet (wobei die Kammer das vom Beklagten nicht nachvollziehbar mit 9.250,00 € bezifferte Ergebnis berichtigt hat):

Netto-Beschaffungskosten (ohne Begleitkosten)

26.890,00 €

abzgl. Veräußerungswert des zurückzugebenden Fahrzeugs (ursprüngl. Veräußerungswert

30.910,00 €

abzgl. Wertverlust

-  9.910,00 €

Differenz)

-21.000,00 €

Kosten der Nachlieferung

  5.890,00 €

Danach würden die Nachlieferungs- die Nachbesserungskosten um das 58(!)-fache übersteigen. Auch wenn die Klägerin diese Berechnung im Einzelnen bestritten hat, bedarf es auch insoweit keiner Einholung eines Sachverständigengutachtens, weil die voraussichtlichen Kosten ohnehin zu schätzen (vgl. Palandt-Weidenkaff, a. a. O., § 439 Rn. 16a), mithin auch einer richterlichen Schätzung gem. § 287 Abs. 2 ZPO zugänglich sind und es auf der Hand liegt, dass sich die Lieferung eines Neufahrzeugs gegen Rücknahme eines inzwischen über 3 Jahre lang gefahrenen Gebrauchtwagens gegenüber dem geringen Aufwand für die technische Überarbeitung mittels reinen Software-Updates als evident unverhältnismäßig darstellt.

Nach alledem beschränkt sich der Anspruch der Klägerin gem. § 439 Abs. 3 BGB auf die vom Beklagten angebotene Mängelbeseitigung durch einen xxx-Vertragspartner. Das hat allerdings auch zur Folge, dass der Klägerin im Falle des Fehlschlagen der Nachbesserung gem. § 440 S. 2 BGB die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB weiter zustehen.

2. Für einen Anspruch der Klägerin aus den von der Rechtsprechung zur Prospekthaftung entwickelten Grundsätzen ist daneben kein Raum. Die Prospekthaftung hat ihre Grundlage in dem nicht gesetzlich regulierten und organisierten sog. Grauen Kapitalmarkt. Sie fußt maßgeblich auf dem Umstand, dass der Emissionsprospekt in der Regel die einzige Informationsquelle des Anlegers ist. Nur unter der Voraussetzung, dass die durch den Prospekt vermittelte Information vollständig und richtig ist, kann der Kunde die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilten und sein Anlagerisiko, das ihm ohnehin verbleibt, richtig einschätzen. Anders als bei Kapitalanlagen steht für die Entscheidung über den Erwerb eines bestimmten Fahrzeugs eine Vielzahl verschiedener Informationsquellen zur Verfügung. Der Kaufinteressent kann sich etwa in diversen Autotest- und Fachzeitschriften sowie im Internet über das jeweilige Fahrzeug informieren und ein ihn interessierendes Fahrzeug anschauen und sogar probefahren (vgl. Urteil der Kammer vom 31.08.2017 - 3 O 21/17 -, juris Rn. 56).

3. Eine Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) kann die Klägerin auf die EG-Übereinstimmungsbescheinigung (Anlage R 31a) schon deshalb nicht stützen, weil diese nicht vom Beklagten ausgestellt worden ist, sondern von der xxx. als Herstellerin. Unabhängig davon konnte sich die Übereinstimmungsbescheinigung auch nicht auf die Vertragsanbahnung auswirken, weil sie erst nach Vertragsschluss in Erfüllung desselben zusammen mit dem Fahrzeug übergeben worden ist.

4. Da die EG-Übereinstimmungsbescheinigung weder vom Beklagten ausgestellt noch an die Klägerin adressiert ist, sondern gem. § 6 Abs. 1 S. 1 EG-FGV lediglich dem Fahrzeug beizufügen ist, ist durch die Entgegennahme der EG-Übereinstimmungsbescheinigung auch keine selbständige Garantie i. S. von § 443 BGB zwischen den Parteien zustande gekommen.

5. Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 2 bzw. § 826 BGB scheiden unabhängig von den dazu vorgebrachten Schutzgesetzen (§ 263 StGB, § 4 Nr. 11 UWG a. F., 16 UWG, §§ 6, 27 EG-FGV) hier schon deshalb aus, weil solche Schadensersatzansprüche gem. § 249 BGB auf den Ersatz des negativen Interesses gerichtet sind (vgl. Palandt-Sprau, a. a. O.., vor § 823 Rn. 24), die Klägerin mit der begehrten Lieferung eines Neufahrzeugs aber das Erfüllungsinteresse beansprucht. Nur wenn feststeht, dass bei Unterbleiben der unerlaubten Handlung der Vertrag mit einem anderen Inhalt zustande gekommen wäre, kann der Geschädigte auch die Herstellung des Zustandes verlangen, der bei Abschluss dieses Vertrages gegeben wäre, im Ergebnis also das Erfüllungsinteresse verlangen (vgl. Palandt-Sprau, a. a. O.). Ohne die unzulässige Abschalteinrichtung hätten die Parteien aber keinen anderen, sondern denselben Vertrag geschlossen.

II.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 27.09.2017 bot der Kammer keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

III.

Die im Beschlusswege erfolgte Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 48 GKG, § 3 ZPO.