Landgericht Braunschweig
Urt. v. 12.06.2017, Az.: 9 O 950/17

Freihaltebedürfnis; Euphrat; Zwischenrecht

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
12.06.2017
Aktenzeichen
9 O 950/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53762
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Das Zeichen "Euphrat" ist freihaltebedürftig für Restaurants und nicht als Marke eintragungsfähig. Ein regionaler Schutz nach § 5 MarkenG ist möglich.

2. Geht der Kläger aus einer nicht eintragungsfähigen Marke (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) vor, die bereits seit zehn Jahren eingetragen ist und nicht mehr gelöscht werden kann (§ 50 Abs. 2, S. 2 MarkenG) kann dem Unterlassungsanspruch ein Zwischenrecht (§ 22 MarkenG) aus einer geschäftlichen Bezeichnung entgegen gehalten werden.

Tenor:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

II. Der Verfügungskläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %  des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Verfügungskläger (im folgenden Kläger) nimmt den Verfügungsbeklagten (im folgenden Beklagter) aus Markenrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger ist eingetragener Inhaber der unter der Registernummer 39707709 eingetragenen nationalen Wortmarke „Euphrat“ (K2). Die Marke wurde am 21.02.1997 angemeldet und am 10.02.1998 eingetragen. Sie ist in den Klassen 39, 43 eingetragen für Verpflegung von Gästen und Auslieferung von Fertiggerichten. Die Marke steht in Kraft.

In einem Parallelverfahren (9 O 930/17) zu diesem einstweiligen Verfügungsverfahren wurden vom dortigen Verfügungsbeklagten Löschungsanträge beim DPMA angebracht. Das Verfahren 9 O 930/17 wurde durch Vergleich beendet, der auch die Rücknahme der Löschungsanträge umfasst.

Der Beklagte betreibt ein Restaurant in . unter der Bezeichnung „Euphrat Grill“. Er bietet unter anderem einen „Euphrat-Döner“ an.

Der Kläger behauptet, dass die für ihn eingetragene Marke durchgängig benutzt worden sei. Im Rahmen der Vorbereitung eines Franchisekonzeptes habe er erstmalig am 03.04.17 von der Existenz des Beklagten erfahren. Eine Lizenz habe er ihm nicht erteilt. Der Beklagte habe das Zeichen markenmäßig ohne Zustimmung des Klägers benutzt. Es liege eine Markenverletzung gem. § 14 MarkenG vor. Auf eine Abmahnung habe er nicht reagiert. Es liege keine Massenabmahnung und kein Rechtsmissbrauch vor.

Der Kläger beantragt,

dem Antragsgegner wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, untersagt,

im geschäftlichen Verkehr unter der Bezeichnung „Euphrat“ die Dienstleistungen „Verpflegung von Gästen“ und/oder „Auslieferung von Fertiggerichten“ anzubieten und/oder zu bewerben.

Der Beklagte beantragt:

Den Antrag zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Ansicht, es liege eine missbräuchliche Massenabmahnung vor.

Der Beklagte behauptet, das von ihm betriebene Restaurant werde seit 2006 unter diesem Namen betrieben. Er habe es 2010 übernommen.

Es gebe Löschungsanträge gegen die Marke.

Es fehle auch an einer Verwechslungsgefahr der Zeichen, die Marke habe eine unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft und sei durch vielfache Verwendung geschwächt.

Der Beklagte wendet Verwirkung und Verjährung ein.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2017 Bezug genommen. Es wird weiter Bezug genommen auf das Protokoll vom 12.06.2017 in dem Verfahren 9 O 930/17.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht begründet.

1. Das Landgericht Braunschweig ist als das für Niedersachsen zuständige Markenstreitkammer örtlich und sachlich zuständig (§ 12 ZPO, § 140 MarkenG, § 5 ZustVO-Justiz Niedersachsen). Der Beklagte betreibt sein Restaurant in Niedersachsen.

2. Es ist bereits fraglich, ob ein Verfügungsgrund glaubhaft gemacht ist.

Der Kläger hat in der eidesstattlichen Versicherung vom 02.05.2017 angegeben, erstmalig am 03.04.2017 von der Existenz des Beklagten erfahren zu haben. Die eidesstattliche Versicherung ist nur bedingt zur Glaubhaftmachung geeignet, da sie offensichtlich vom Anwalt vorformuliert ist und wenig Substantiierung aufweist. Der Kläger war trotz der Anordnung des persönlichen Erscheinens im Termin nicht erschienen und konnte nicht weiter angehört werden.

Die eidesstattliche Versicherung vom 02.05.2017 ist vor allem deshalb zweifelhaft, da sie in einem zentralen Punkt dem späteren Vortrag widerspricht. In der ersten eidesstattlichen Versicherung heißt es „… sowie Inhaber des gleichnamigen seit 1996 in der XYstraße  in  F. betriebenen Restaurants“. Ebenso heißt es in der Antragsschrift: „Der Antragsteller ist Inhaber des … Restaurants „Euphrat“.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2017 in der Sache 9 O 930/17 hat der Klägervertreter erklärt, dass der Kläger schon seit über 10 Jahren nicht mehr Inhaber des Lokals sei. Dies sei vielmehr die Schwester. Dies wurde durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Schwester bestätigt.

3. Es fehlt an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs:

a) Der Kläger ist eingetragener Inhaber der Wortmarke Euphrat. Die Marke steht in Kraft. Die Marke wurde 1997 angemeldet und 1998 eingetragen.

Ein mit dieser Marke verwechslungsfähiges Zeichen wird durch den Beklagten im geschäftlichen Verkehr markenmäßig benutzt.

b) Dem Anspruch des Klägers steht der Erwerb eines Zwischenrechts gemäß § 22 MarkenG durch den Beklagten entgegen.

aa) Der Beklagte hat durch seine eidesstattliche Versicherung und die eingescannte Gewerbeanmeldung seiner Frau glaubhaft gemacht, dass diese bereits seit 2006 das Restaurant unter der Bezeichnung „Euphrat“ betreibt und er es 2011 von ihr unter dieser Bezeichnung übernommen hat. Der Beklagte kann sich damit auf eine geschäftliche Bezeichnung gemäß § 5 MarkenG mit einer Priorität zumindest von 2006 berufen.

Der Beklagte hat damit die Rechte an der geschäftlichen Bezeichnung Euphrat für den Betrieb eines Restaurants in W. gemäß § 5 MarkenG erworben. Für die Unterscheidungskraft für ein Zeichenrecht gemäß § 5 MarkenG gelten für Gaststätten relativ geringe Anforderungen (Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. A. § 5, Rn. 43). Es handelt sich um sog. Platzgeschäfte mit einem örtlich begrenzten Kundenkreis. Der Verkehr ist gewohnt, dass es in aller Regel in einer Stadt nur jeweils eine Gaststätte mit einem bestimmten Namen gibt, die mit anderen Gaststätten mit der gleichen Bezeichnung in anderen Städten nichts zu tun hat (BGH GRUR 1995, 507 (508) [BGH 30.03.1995 - I ZR 60/93] – City-Hotel; Goldmann, Der Schutz des Unternehmenskennzeichens, 3. A., § 5, Rn. 149 ff.; Kur/v.Bomhard/Albrecht, Markenrecht, § 5, Rn. 82).

Mit der Benutzungsaufnahme entstand daher das Recht gemäß § 5 MarkenG.

Die Rechte an der geschäftlichen Bezeichnung sind mit dem Geschäftsbetrieb übertragen worden (vgl. § 27 Abs. 2 MarkenG; Ströbele/Hacker a.a.O. § 27, Rn. 72 f.).

bb) Gemäß § 22 MarkenG hat der Inhaber einer Marke nicht das Recht die Benutzung einer Marke mit jüngerem Zeitrang zu untersagen, wenn sein Antrag auf Löschung der jüngeren Marke zurückzuweisen wäre, weil die Eintragung der Marke mit älterem Zeitrang am Tag der Veröffentlichung der Eintragung der Marke mit jüngerem Zeitrang wegen absoluter Schutzhindernisse hätte gelöscht werden können (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG). Diese Regelung ist entsprechend auch auf eine geschäftliche Bezeichnung anzuwenden (BGH GRUR 1991, 155 [BGH 11.10.1990 - I ZR 8/89] - Rialto; Ströbele/Hacker, a.a.O. § 22 Rdnr. 9). Dies bedeutet praktisch, dass der Inhaber einer prioritätsälteren Marke dann nicht gegen eine später entstandene geschäftliche Bezeichnung vorgehen kann, wenn zum Zeitpunkt der Entstehung des Schutzes nach § 5 MarkenG die ältere Marke löschungsreif gewesen wäre. Der Markeninhaber kann sich gegenüber während der Löschungsreife entstanden Rechten nicht auf seine ältere Priorität berufen.

Die Entscheidung über das Vorliegen absoluter Schutzhindernisse obliegt grundsätzlich dem Deutschen Patent- und Markenamt. Für die Verletzungsgerichte gilt der sogenannte Bindungsgrundsatz (vgl. Ingerl/Rohnke, MarkenR, 3. A. § 14 Rn. 17). Das Verletzungsgericht ist an die eingetragene Marke grundsätzlich gebunden und muss einen Beklagten, der sich auf das Vorliegen absoluter Schutzhindernisse beruft auf das Löschungsverfahren vor dem DPMA verweisen (§ 54 MarkenG). Im Hauptsacheverfahren kann dann ggf. das Verfahren bis zur Entscheidung über die Eintragungsfähigkeit ausgesetzt werden. Inwieweit ein solcher Einwand im einstweiligen Verfügungsverfahren berücksichtigt werden kann, ist streitig (vgl. zum  Meinungsstand: Ströbele-Hacker, a.a.O., § 14 Rdnr. 22; Ingerl/Rohnke a.a.O. vor § 14 Rdnr. 209; Lange, Marken- und Kennzeichenrecht 2. A. Rdnr. 2811). Diese Frage kann hier aber offenbleiben.

Die Marke wurde bereits 1998 eingetragen. Nach § 50 Abs. 2 S. 2 MarkenG kann eine Nichtigkeit wegen eines absoluten Schutzhindernisses gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG nur geltend gemacht werden, wenn der Antrag auf Löschung innerhalb von 10 Jahren seit dem Tag der Eintragung gestellt wird. Ein Löschungsantrag wegen eines bestehenden Freihaltebedürfnisses konnte daher nur bis zum 10.02.2008 gestellt werden. Ein Löschungsverfahren vor dem DPMA ist daher jetzt nicht mehr möglich.

Für diesen Fall durchbricht das Gesetz den Bindungsgrundsatz und gestattet auch dem Verletzungsgericht zu prüfen, ob ein absolutes Schutzhindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vorlag. (BGH GRUR 2003, 1040 (1042) [BGH 28.08.2003 - I ZR 257/00] – Kinder; Ströbele/Hacker, a.a.O., § 22 Rdnr. 11; Ingerl/Rohnke, a.a.O., § 22 Rdnr. 12: Kur/v.Bomhard/Albrecht, a.a.O., § 22 Rn. 14).

cc) Zum Zeitpunkt des Entstehens der Rechte an der geschäftlichen Bezeichnung des Beklagten (2006) war Löschungsreife des klägerischen Zeichens wegen absoluter Schutzhindernisse gegeben.

Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können.

Ortsangaben können zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der beanspruchten Produkte dienen und sind freihaltebedürftig im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, wenn Herstellungs- oder Leistungsunternehmen für solche Produkte an dem bezeichneten Ort tatsächlich bestehen und der Handel oder die beteiligten Verkehrskreise den Ort mit den beanspruchten Produkten in Verbindung bringen, oder die Möglichkeit der Eröffnung solcher Herstellungs- oder Leistungsunternehmen angesichts der objektiven Gesamtumstände, insbesondere der Bedeutung des Ortes und der Infrastruktur der Region vernünftigerweise nicht auszuschließen ist und vernünftigerweise zu erwarten ist, dass der Handel oder die beteiligten Verkehrskreise zukünftig eine solche Verbindung herstellen können. Bei Namen von Ländern, Regionen, größeren Städten oder wirtschaftlich bedeutenden Orten wird das Freihaltebedürfnis grundsätzlich vermutet. Ortsangaben, die Verbraucher auf andere Art und Weise beeinflussen können, insbesondere durch positiv besetzte Vorstellungen wie einen bestimmten Lebensstil, Flair, Tradition oder Modernität sind freihaltebedürftig im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG (BPatG Beschl. v. 14.11.2012 – 26 W (pat) 1/12, BeckRS 2013, 617, samoa; BPatG GRUR 2006, 109 – Portland; . BPatG BeckRS 2013, 00632 – viterbo; vgl. a. Ströbele/Hacker, a.a.O., § 8 Rn. 421 ff.; Ingerl/Rohnke a.a.O., § 8 Rn. 234; Lange a.a.O., Rn. 964).

Das trifft für Euphrat zu. Der Euphrat ist der größte Strom Vorderasiens. Er durchfließt die Türkei, Syrien und den Irak. Nach Vereinigung mit dem Tigris mündet er im Persischen Golf. Die Flüsse prägen das Zweistromland (Mesopotamien), eine Kulturlandschaft in Vorderasien (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Mesopotamien). Das Gebiet gilt auch als Wiege der menschlichen Zivilisation. Hier soll sich der Garten Eden befunden haben.

Der Verkehr knüpft an den Begriff daher bestimmte (regionale) Vorstellungen und wird bei einem Restaurant eine dieser Kulturlandschaft entsprechende Küche erwarten.

Die umfangreiche Verwendung bundesweit durch zahlreiche Restaurants belegt dieses Verständnis.

Es tritt damit ein Fall der Koexistenz ein. Der Kläger kann aus seiner eingetragenen Marke nicht gegen die Benutzung durch den Beklagten vorgehen, da seine Marke zum Zeitpunkt des Erwerbs der Zeichenrechte durch den Beklagten löschungsreif war. Der Beklagte seinerseits kann aus seinem Zeichenrecht nicht gegen den Kläger vorgehen (§ 22 Abs. 2 MarkenG).

4. Da der Beklagte den Erwerb eines Zwischenrechtes glaubhaft gemacht hat, kann offenbleiben inwieweit der Einwand der Nichtbenutzung dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen könnte.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.