Landgericht Braunschweig
Urt. v. 29.09.2017, Az.: 9 O 1362/17

Patentverletzung; Rasierklingen

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
29.09.2017
Aktenzeichen
9 O 1362/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53644
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt es zu unterlassen,

im Bereich der Bundesrepublik Deutschland eine austauschbare Rasierklingeneinheit mit einer Klingeneinheit und einer Einheiten-Verbindungsstruktur zur Verbindung der genannten Klingeneinheit mit einem Handgriff, wobei die die genannte Verbindung bewirkt wird durch die Bewegung des genannten Handgriffs entlang einer Verbindungsachse in Richtung der genannten Einheiten-Verbindungsstruktur, dadurch gekennzeichnet,

dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen ausgesparten Abschnitt zur Aufnahme einer Eingriffsoberfläche an dem genannten Handgriff aufweist, wenn der genannte Handgriff entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, wobei die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen Eingang aufweist, wobei der genannte ausgesparte Abschnitt an dem genannten Eingang angeordnet ist, wobei der genannte Eingang in eine Richtung ausgerichtet ist, die parallel zu der Verbindungsachse ist, wobei der genannte Eingang und der genannte ausgesparte Abschnitt einen ungehinderten Durchgang für die genannte Eingriffsoberfläche bereitstellen, wenn der Handgriff entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, wodurch die genannte Eingriffsoberfläche in dem genannten ausgesparten Abschnitt aufgenommen werden kann, ohne dass die genannte Eingriffsoberfläche abgelenkt wird oder sich die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur verursacht durch die Bewegung der genannten Eingriffsoberfläche in den genannten ausgesparten Abschnitt verformt, und

dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen Ausschnittabschnitt aufweist, der eine Plattform des genannten Handgriffs aufnimmt, wobei der genannte Ausschnittabschnitt angrenzend an den genannten ausgesparten Abschnitt angeordnet ist, und

dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einwärts gerichtete Oberflächen aufweist, die mit auswärts gerichteten Oberflächen einer Handgriff-Verbindungsstruktur des genannten Handgriffs zusammenpassen,

anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen

2. Für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot gemäß Ziffer 1. wird den Verfügungsbeklagten Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten oder ein Ordnungsgeld von bis zu EUR 250.000,00 angedroht; an die Stelle des Ordnungsgeldes tritt bei Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft. Ordnungshaft ist zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Verfügungsbeklagten.

3. Der Verfügungsbeklagten zu 1) wird aufgegeben, die unter Ziffer 1. bezeichneten Rasierklingeneinheiten, die sich in ihrem Besitz oder Eigentum befinden, an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung herauszugeben, wobei die Verwahrung andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.

4. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.

5. Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens tragen die Verfügungsklägerin zu 20 %, die Verfügungsbeklagten zu 80 %.

6. Die Vollstreckung der einstweiligen Verfügung zu Ziffer 1 – 3 durch die Verfügungsklägerin ist davon abhängig, dass die Verfügungsklägerin vor der Vollstreckung eine Sicherheit in Höhe von 1.000.000,- € leistet.

Das Urteil ist hinsichtlich Ziffer 5. für die Verfügungsklägerin ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vorläufig vollstreckbaren Betrages abwenden soweit nicht die Verfügungsbeklagten zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

7. Der Streitwert wird auf 1.000.000,- € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin (im folgenden Klägerin) nimmt die Verfügungsbeklagten (im folgenden Beklagte) aus Patentrecht auf Unterlassung, Herausgabe und Rückruf  patentverletzender Gegenstände in Anspruch.

Die Klägerin ist die im Register (DE 698 37 405 T2; Anl. ASt 7a) des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) eingetragene Inhaberin (Anl. ASt 8) des deutschen Teils des europäischen Patents EP 1 306 172 B1 (Anl. ASt 7, nachfolgend Verfügungspatent). Das Verfügungspatent wurde am 18.02.1998 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 19.02.1997 der US 802 382 angemeldet und die Anmeldung am 02.05.2003 offengelegt. Die Erteilung des Verfügungspatents wurde am 21.03.2007 veröffentlicht.

Das Verfügungspatent steht in Kraft. Die Beklagte zu 1. reichte zwischenzeitlich beim Bundespatentgericht (BPatG) eine Nichtigkeitsklage gegen das Verfügungspatent ein (Anl. AR 7). Über diese Klage ist noch nicht entschieden.

In der englischen Verfahrenssprache des Verfügungspatents lauten die geltend gemachten Ansprüche 1, 3 und 4 wie folgt:

In der deutschen Übersetzung lauten die Ansprüche 1, 3 und 4 wie folgt:

[1] Austauschbare Rasierklingeneinheit (12 ) mit einer Klingeneinheit (14 ) und einer Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) zur Verbindung der genannten Klingeneinheit (14 ) mit einem Handgriff (63 ), wobei die genannte Verbindung bewirkt wird durch die Bewegung des genannten Handgriffs (63 ) entlang einer Verbindungsachse (72 ) in Richtung der genannten Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ), dadurch gekennzeichnet, dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) einen ausgesparten Abschnitt (78 ) zur Aufnahme einer Eingriffsoberfläche (70 ) an dem genannten Handgriff (63 ) aufweist, wenn der genannte Handgriff (63 ) entlang der genannten Verbindungsachse (72 ) bewegt wird, wobei die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) einen Eingang aufweist, wobei der genannte ausgesparte Abschnitt (78 ) an dem genannten Eingang angeordnet

ist, wobei der genannte Eingang in eine Richtung ausgerichtet ist, die parallel zu der genannten Verbindungsachse (72 ) verläuft, wobei der genannte Eingang und der genannte ausgesparte Abschnitt (78 ) einen ungehinderten Durchgang für die Eingriffsoberfläche (70 ) bereitstellen, wenn der Handgriff (63 ) entlang der genannten Verbindungsachse (72 ) bewegt wird, wodurch die genannte Eingriffsoberfläche (70 ) in dem genannten ausgesparten Abschnitt (78 ) aufgenommen werden kann, ohne dass die genannte Eingriffsoberfläche (70 ) abgelenkt wird oder sich die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) verursacht durch die Bewegung der genannten Eingriffsoberfläche (70 ) in den genannten ausgesparten Abschnitt (78 ) verformt.

[3] Austauschbare Rasierklingeneinheit (12 ) nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) einen Ausschnittabschnitt (80 ) aufweist, der eine Plattform (74 ) des genannten Handgriffs (63 ) aufnimmt, wobei der genannte Ausschnittabschnitt (80 ) angrenzend an den genannten ausgesparten Abschnitt (78 ) angeordnet ist.

[4] Austauschbare Rasierklingeneinheit (12 ) nach einem der vorstehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur (16 ) einwärts gerichtete Oberflächen aufweist, die mit auswärts gerichteten Oberflächen einer Handgriff-Verbidungsstruktur (64 )des genannten Handgriffs (63 ) zusammenpassen.

Zur Veranschaulichung werden folgende Figuren der Patentschrift wiedergegeben:

·Fig. 2: Perspektivansicht einer auswechselbaren Rasierklingeneinheit, die mit einem Handgriff (Teilansicht) ausgerichtet ist, an dem die Einheit zur Verbindung verbunden ist.
·Fig. 8: Ein Aufriss der Handgriff-Verbindungsstruktur aus Fig. 7;
·Fig. 9: Eine Schnittansicht einer Einheiten-Verbindungsstruktur der Einheit aus der Abbildung aus Fig. 2;

Die Klägerin ist ein großer Hersteller für Nassrasierer. Sie vertreibt seit 1998 mit den „Gillette Mach 3“ einen Nassrasierer mit austauschbaren Rasierklingeneinheiten (Systemrasierer). Ein „Mach 3“ Handgriff ist der Akte im Original beigefügt (Anl. ASt 1).

Die Beklagte zu 1) ist die wichtigste Mitbewerberin der Klägerin auf dem Markt der Nassrasierer. Sie gehört zum US-Konzern E.. Die Beklagte zu 3) ist die amerikanische Konzernmuttergesellschaft. Die Beklagte zu 2) ist eine tschechische Konzerngesellschaft. Die Organe der Beklagten sind teilweise personenidentisch (Anl ASt 2 – 4).

Während bisher Rasierklingenköpfe nur zu den Handgriffen des jeweiligen Herstellers passten, bringen die Beklagten jetzt Rasierklingeneinheiten auf den Markt, die mit dem „Mach 3“ – Handgriff kompatibel sind. Diese auswechselbare Rasierklingeneinheit für den „Mach 3“ Rasierer (im folgenden angegriffene Ausführungsform; Original Anl. ASt 5) wird etwa 30 % günstiger vertrieben als die „Gillette Mach 3“ Klingen der Klägerin.

Der Vertrieb erfolgt unter Eigenmarken der Drogerieketten (Rossmann – Isana; Budni Care: ; Müller – Aveo Men RightFit; Globus). Die Produkte werden dabei überwiegend mit dem Zusatz „entwickelt für GILLETTE Mach 3“ beworben (Anl. ASt 6, 11, 12).

Die angegriffene Ausführungsform wird von der Beklagten zu 1) in Niedersachsen und bundesweit über große Drogerieketten vermarktet. Die Beklagte zu 2) ist die Herstellerin. Die Beklagte zu 3) vertreibt die angegriffene Ausführungsform über ihren Online-Shop (Anl. ASt 13).

Die angegriffene Ausführungsformen ist wie folgt gestaltet:

Wegen der Einzelheiten wird auf das bei der Akte befindliche Original (Anl. ASt 1) Bezug genommen.

Die Klägerin hat die Beklagten vor dem Landgericht Düsseldorf wegen einer identischen Ausführungsform aus einem anderen Patent in Anspruch genommen. Nach mündlicher Verhandlung hat das Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung durch Urteil erlassen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil (4a O 66/17) vom 18.07.2017 (Anlage K 21) genommen. Die Beklagten haben beim Oberlandesgericht Düsseldorf Berufung eingelegt und diese zwischenzeitlich auch begründet (Anl. AR 14). Ein Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung ist gestellt. Dieser wurde – nach der mündlichen Verhandlung vor der Kammer - durch Beschluss des OLG Düsseldorf (I-15 U 66/17) vom 22.08.2017 – zurückgewiesen.

Vor dem Landgericht Düsseldorf ist die Klägerin aus dem Patent EP 1 695 800 B1 (im folgenden EP 800) vorgegangen, welches zur selben Patentfamilie wie das Verfügungspatent gehört. Auch das EP 800 wurde am 18.02.1998 unter Inanspruchnahme des Prioritätsdatums 19.02.1997 der US 802 382 angemeldet. Das EP 800 war Gegenstand eines Nichtigkeitsverfahrens vor dem BPatG (1 Ni 18/12 (EP)). Das BPatG hat am 22.01.2013 einen sog. qualifizierten Hinweis gem. § 83 PatG erteilt (Anl. ASt 16). Die Nichtigkeitsklage wurde zurückgenommen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine wortsinngemäße Verletzung ihres Patentes vorliege.

Der Rechtsbestand des Verfügungspatents sei ausreichend gesichert.

Die Entgegenhaltungen seien nicht neuheitsschädlich. Sie bestreitet den Vertrieb und die Ausgestaltung des „Wilkinson Sword Extra II“ vor dem Prioritätsdatum. Ohnehin sei der nicht neuheitsschädlich.

Da sich das Patent kurz vor Ablauf seiner Gültigkeitsdauer befinde und die Beklagten mit Preisunterbietungen eine Marktverdrängungsstrategie betreiben würden, sei eine einstweilige Verfügung geboten. Da die Beklagten den bereits vorliegenden Unterlassungstitel des Landgerichts Düsseldorf nicht ausreichend beachten würden, sei hier auch ausnahmsweise ein Rückrufsanspruch im einstweiligen Verfügungsverfahren gegeben

Die Klägerin beantragt:

I. Den Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung – wegen der besonderen Dringlichkeit ohne vorherige mündliche Verhandlung – untersagt,

im Bereich der Bundesrepublik Deutschland eine austauschbare Rasierklingeneinheit mit einer Klingeneinheit und einer Einheiten-Verbindungsstruktur zur Verbindung der genannten Klingeneinheit mit einem Handgriff, wobei die die genannte Verbindung bewirkt wird durch die Bewegung des genannten Handgriffs entlang einer Verbindungsachse in Richtung der genannten Einheiten-Verbindungsstruktur, dadurch gekennzeichnet,

- dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen ausgesparten Abschnitt zur Aufnahme einer Eingriffsoberfläche an dem genannten Handgriff aufweist, wenn der genannte Handgriff entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, wobei die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen Eingang aufweist, wobei der genannte ausgesparte Abschnitt an dem genannten Eingang angeordnet ist, wobei der genannte Eingang in eine Richtung ausgerichtet ist, die parallel zu der Verbindungsachse ist, wobei der genannte Eingang und der genannte ausgesparte Abschnitt einen ungehinderten Durchgang für die genannte Eingriffsoberfläche bereitstellen, wenn der Handgriff entlang der genannten Verbindungsachse bewegt wird, wodurch die genannte Eingriffsoberfläche in dem genannten ausgesparten Abschnitt aufgenommen werden kann, ohne dass die genannte Eingriffsoberfläche abgelenkt wird oder sich die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur verursacht durch die Bewegung der genannten Eingriffsoberfläche in den genannten ausgesparten Abschnitt verformt, und

- dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einen Ausschnittabschnitt aufweist, der eine Plattform des genannten Handgriffs aufnimmt, wobei der genannte Ausschnittabschnitt angrenzend an den genannten ausgesparten Abschnitt angeordnet ist, und

-  dass die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur einwärts gerichtete Oberflächen aufweist, die mit auswärts gerichteten Oberflächen einer Handgriff-Verbindungsstruktur des genannten Handgriffs zusammenpassen,

anzubieten und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen.

II. Für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot gemäß Ziffer I. wird den Verfügungsbeklagten Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten oder ein Ordnungsgeld von bis zu EUR 250.000,00 angedroht; an die Stelle des Ordnungsgeldes tritt bei Nichtbeitreibbarkeit Ordnungshaft. Ordnungshaft ist zu vollziehen an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Verfügungsbeklagten.

III.  Der Verfügungsbeklagten zu 1) wird aufgegeben, die unter Ziffer I bezeichneten Rasierklingeneinheiten, die sich in ihrem Besitz oder Eigentum befinden, an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Verwahrung herauszugeben, wobei die Verwahrung andauert, bis über das Bestehen eines Vernichtungsanspruchs zwischen den Parteien rechtskräftig entschieden oder eine einvernehmliche Regelung herbeigeführt worden ist.

IV. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt die unter Ziffer 1 bezeichneten, seit Mai 2017 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmer unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackung und Transport kosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll und Lagekosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.

Die Beklagten beantragen:

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass eine Patentverletzung fehle.

Das Patent schütze zwar formal eine Rasierklingeneinheit. Es gehe jedoch um einen besonders gestalteten Spender und einen Handgriff der geeignet sei, diese Klingen allein aus dem Spender zu entnehmen. Weder Handgriff noch Spender würden von den Beklagten vertrieben. Daher werde die Kernfunktion des Patents nicht verwirklicht. Der ausgesparte Abschnitt und der Ausschnittsabschnitt hätten für sich genommen keine technische Funktion. Nach diesem Verständnis sei jede zweistückige Ausgestaltung eine austauschbare Einheit. Jede Ausnehmung sei ein ausgesparter Abschnitt; Form und Ausgestaltung des Ausschnittsabschnitts sein beliebig. Es seien daher insbesondere die Merkmale 1.2.3., 1.2.3.1, 1.2.4 und 1.2.4.1 nicht verwirklicht.

Jedenfalls sei aber das Patent nicht rechtsbeständig. Ein kontradiktorisches Verfahren habe das Patent nicht überstanden. Eine Ausnahmesituation, die gleichwohl den Erlass einer einstweiligen Verfügung rechtfertigen könne, liege nicht vor. Der Hinweis des Patentgerichtes sowie das Urteil des Landgerichts Düsseldorf beträfen ein anderes Patent und sei schon aus diesem Grunde nicht zu berücksichtigen. Das Patent bestehe zu großen Teilen aus Zweck- und Funktionsangaben. Diese seien aber bereits offenbart. Es fehle an der Neuheit.

Die WO 94/08761 sei neuheitsschädlich. Die US 4,413,411 und WO 95/10398 seien ebenfalls neuheitsschädlich.

Die Beklagte zu 1. vertreibe bereits seit 1994 ihren „Wilkinson Sword Extra II“. Durch eine offenkundige Vorbenutzung sei das Patent neuheitsschädlich vorweggenommen.

Bei dem Verfügungspatent handele es sich um eine Teilanmeldung aus dem Jahr 2003. Zu diesem Zeitpunkt sei der „Mach 3“ der Klägerin aber bereits auf dem Markt gewesen. Die Teilanmeldung nehme zu Unrecht die frühere Priorität der Stammanmeldung in Anspruch.

Es fehle auch an der erfinderischen Tätigkeit.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.8.2017 Bezug genommen.

Es wird weiter Bezug genommen auf die Schutzschrift vom 19.04.2017.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat die Rechtsverletzung und die Rechtsbeständigkeit des Patents glaubhaft gemacht. Ein Rückrufsanspruch steht ihr nicht zu. Im Einzelnen:

I.

1.

Das Landgericht Braunschweig ist als für Niedersachsen zuständige Patentstreitkammer sachlich, örtlich und international zuständig (§ 32 ZPO, § 143 PatG, § 5 ZuStVO-Justiz, Art. 7 Abs. 2 EuGVVO). Der Vertrieb der angegriffenen Produkte fand auch in Niedersachsen statt.

2.

Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, auch wenn zurzeit eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vorliegt, die diese Ausführungsform betrifft.

Bei Einreichung des Antrages lag eine solche Entscheidung nicht vor.

Sie kann auch jederzeit durch ein Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben werden.

Die Klägerin geht hier zudem aus einem anderen Patent und anderen Gesichtspunkten vor.

Es ist anerkannt, dass selbst die Verfolgung des identischen Wettbewerbsverstoßes durch mehrere Gläubiger nicht das Rechtsschutzbedürfnis beseitigt (BGH GRUR 2001, 82 [BGH 06.04.2000 - I ZR 67/98]; Cepl/Voß, Prozesskommentar zum gewerblichen Rechtsschutz § 940, Rn. 21). Dies muss auch hier gelten.

Die Klägerin hat auch nicht das Verfahren unnötig aufgespalten, sondern nachvollziehbar erklärt, dass eine Antragserweiterung in Düsseldorf zu erheblichen Verfahrensverzögerungen geführt hätte.

II.

Ein Verfügungsgrund in zeitlicher Hinsicht ist gegeben.

Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie an der Verletzung des Verfügungspatentes und dem Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland erst durch einen Testkauf am 26.5.2017 konkrete Kenntnis erlangt hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 2.6.2010 bei dem Landgericht eingegangen (Anl. ASt 11, 14, 15).

III.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Verfügungsanspruch aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG auf Unterlassung.

Die angegriffene Ausführungsform verletzt das Verfügungspatent wortsinngemäß.

1.

Das Verfügungspatent betrifft eine austauschbare Rasierklingeneinheit (Ansprüche 1-13), einen Rasierer (Ansprüche 14 bis 16), ein Verfahren zum Verwenden einer austauschbaren Rasierklingeneinheit (Ansprüche 17 bis 19), ein Verfahren zur Verbindung einer austauschbaren Rasierklingeneinheit mit einem Handgriff (Ansprüche 20 bis 24) sowie eine Rasiersystemkombination (Anspruch 25).

Die Klägerin geht aus einer Kombination der Ansprüche 1, 3 und 4 vor.

Während Rasierklingen der Abnutzung unterliegen und regelmäßig ausgetauscht werden müssen, kann der Handgriff längere Zeit benutzt werden. Solche Nassrasierer mit austauschbaren Rasierklingeneinheiten werden als Systemrasierer bezeichnet. Typischerweise wird zum Wechseln der Rasierklingeneinheit diese vom Handstück abgenommen und das Handstück in eine in einem Spender bereit gehaltene neue Rasierklingeneinheit eingesteckt und anschließend dem Spender entnommen.

Das Verfügungspatent nennt als druckschriftlichen Stand der Technik die WO 1995/10398 (im Folgenden WO 398; Anl. ASt 9) und ein älteres Patent der Klägerin (WO 94/9872). Systemrasierer mit austauschbaren Klingenköpfen sind aus der WO 398 bekannt.

Ein ausdrückliches technisches Problem nennt das Verfügungspatent nicht.

Als Aufgabe kann allgemein die alternative Verbindung zwischen Rasierklingeneinheit und Handgriff gesehen werden. Dabei soll die Rasierklingeneinheit so gestaltet sein, dass sie auch einen Handgriff, der mit einem Nocken (Cam surface, Eingriffsoberfläche) versehen ist, leicht und ohne Ablenkung oder Verformung aufnehmen kann.

2.

Zur Lösung schlägt das Verfügungspatent eine auswechselbare Rasierklingeneinheit nach Maßgabe von den Ansprüchen 1, 3 und 4 vor, die sich in Form einer Merkmalsgliederung wie folgt darstellen (Anl. ASt 10):

[1] Austauschbare Rasierklingeneinheit (12) mit

[1.1] einer Klingeneinheit (14) und

[1.2] einer Einheitenverbindungsstruktur (16)

[1.2.1] zur Verbindung der genannten Klingeneinheit (14) mit einem Handgriff (63),

[1.2.1.1] die genannte Verbindung wird bewirkt durch die Bewegung des genannten Handgriffs (63) entlang einer Verbindungsachse (72) in Richtung der genannten Einheitenverbindungsstruktur (16),

[1.2.2]  die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einen Eingang (BPatG: Aufnahme/Öffnung) auf, wobei der genannte Eingang in eine Richtung ausgerichtet ist, die parallel zu der Verbindungsachse (72) verläuft,

[1.2.3]  die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einen ausgesparten Abschnitt (78) (resessed portion) zur Aufnahme einer Eingriffsoberfläche (70) auf dem genannten Handgriff (63) auf, wenn der genannte Handgriff (63) entlang der genannten Verbindungsachse (72) be

[1.2.3.1] der genannte ausgesparte Abschnitt (78) ist an dem genannten Eingang angeordnet,

[1.2.4]  der genannte Eingang und der genannte ausgesparte Abschnitt (78) stellen einen ungehinderten Durchgang für die Eingriffsoberfläche (70) bereit, wenn der Handgriff (63) entlang der genannten Verbindungsachse (72) bewegt wird,

[1.2.4.1] wodurch die genannte Eingriffsoberfläche (70) (cam Surface = Nocken) in dem genannten ausgesparten Abschnitt (78) aufgenommen werden kann, ohne dass die genannte Eingriffsoberfläche (70) abgelenkt wird oder sich die genannte  Einheitenverbindungsstruktur (16) verursacht durch die Bewegung der genannten Eingriffsoberfläche (70) in den genannten ausgesparten Abschnitt (78) verformt,

[1.2.5]  die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einen Ausschnittabschnitt (80) (cutaway Portion)  auf, der eine Plattform (74) des genannten Handgriffs (63) aufnimmt,

[1.2.5.1] der genannte Ausschnittabschnitt (80) ist angrenzend an den genannten ausgesparten Abschnitt (70) angeordnet,

[1.2.6] die genannte Einheitenverbindungsstruktur (16) weist einwärts gerichtete Oberflächen auf, die mit auswärts gerichteten Oberflächen einer Handgriffverbindungsstruktur (64) des genannten Handgriffs (63) zusammenpassen.

3.

Die anspruchsgemäße austauschbare Rasierklingeneinheit besteht aus der oder den Klingen (Merkmal 1) und einer Einheitenverbindungsstruktur (Merkmal 1.2) zur Verbindung der Klingeneinheit mit dem Handstück des Rasierers. Die Verbindung von Klingeneinheit und Handgriff erfolgt durch eine Bewegung des Handgriffs entlang einer Verbindungsachse in Richtung der Einheitenverbindungsstruktur.

Zur Aufnahme des Handstücks bzw. eines Teil des Handstücks weist die Einheitenverbindungstruktur einen Eingang auf. Damit eine Verbindung durch Bewegung entlang der Verbindungsachse hergestellt werden kann, ist der Eingang in eine Richtung parallel zur Verbindungsachse ausgerichtet.

Damit die Eingriffsoberfläche an dem Handgriff aufgenommen werden kann, weist die Einheitenverbindungsstruktur einen ausgesparten Abschnitt auf. Dafür ist der ausgesparte Abschnitt am Eingang angeordnet und so ausgestaltet, dass die Eingriffsoberfläche ohne Ablenkung und Verformung aufgenommen werden kann. Zusätzlich weist die Einheitenverbindungsstruktur einen Ausschnittsabschnitt auf, um eine Plattform des Handgriffs aufzunehmen. Dieser Ausschnittsabschnitt ist angrenzend an den ausgesparten Abschnitt angeordnet. Die Einheitenverbindungsstruktur verfügt über einwärts gerichtete Oberflächen, die mit auswärts gerichteten Oberflächen der Handgriffverbindungsstruktur zusammenpassen.

Gegenstand des in diesem Verfahren zu prüfenden Anspruchs ist nur die Rasierklingeneinheit nicht das dazugehörige Handstück/Handgriff (so auch Landgericht Düsseldorf Seite 16). Auch wenn vorliegend die Rechtsbeständigkeit des kombinierten Anspruchs 1,3, 4 zu prüfen ist, darf für die Beurteilung die restliche Patentschrift nicht außer Acht gelassen werden. Die Bedeutung der Eingriffsoberfläche (Nocken) an dem Handgriff erschließt sich zwar erst im Zusammenwirken mit der Entnahme aus dem Spender (vgl. Anl. ASt 7a, Abs. 42, 46). Die räumlich körperliche Ausgestaltung der Rasierklingeneinheit muss geeignet sein mit (irgend)einem Handgriff zusammenzupassen, der wiederum bestimmte Eigenschaften aufweisen muss. Nach der technischen Lehre des Patents muss die Eingriffsoberfläche (Nocken) geeignet sein den Verriegelungsmechanismus in der Spendereinheit zu betätigen. Die patentgemäße Rasierklingeneinheit muss in der Lage sein einen solchen Nocken ohne Ablenkung und Verformung aufzunehmen.

Die Merkmale 1.2.4 und 1.2.4.1 beschreiben eine konkrete räumliche Anforderung an die Rasierklingeneinheit. Entsprechendes gilt für die Plattform, die eine fehlerhafte Ausrichtung des Handgriffs beim Zusammenfügen mit verhindern soll (vgl. ASt 7a Abs. 47). Auch hier beschreibt das Merkmal 1.2.5. die räumlichen Anforderungen an die Rasierklingeneinheit, die eine solche Plattform aufnehmen können muss.

4.

Die angegriffene Ausführungsform verletzt alle Merkmale der Ansprüche 1, 3 und 4 des Verfügungspatents wortsinngemäß.

Der Schwerpunkt der Auseinandersetzung in den Schriftsätzen und der mündlichen Verhandlung lag bei der Frage der Rechtsbeständigkeit. Soweit die Verletzung zwischen den Parteien streitig ist gilt folgendes:

Das Merkmal 1.2.3 ist verwirklicht. Eine recessed portion (ausgesparter Abschnitt) ist vorhanden. In diesen greift auch der Nocken des „Original-Griffs“ des „Mach 3“ ein. Genau dafür ist die angegriffe Ausführungsform ausgelegt („entwickelt für Gillette Mach 3“).

Auf eine vollständige „formschlüssige“ Aufnahme kommt es nicht an.

Das Merkmal 1.2.3.1 ist verwirklicht. Der ausgesparte Abschnitt der angegriffenen Ausführungsform  ist am Eingang angeordnet. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist er nicht beabstandet. Dieses Verständnis scheitert bereits an der Definition der „Eingangsebene“  wie sie die Beklagten vornehmen. Das ist im Patent so nicht vorgegeben.

Weiter müsste man das „an dem Eingang angeordnet“ im Sinne von „ohne Beabstandung“ verstehen. Auch das ist im Patent nicht vorgegeben. Auch aus Merkmal 1.2.5.1 folgt, dass es vor dem ausgesparten Abschnitt noch den Ausschnittsabschnitt gibt.

Vielmehr ist es so, dass es in den Ausführungsbeispielen Fig. 2 und 9 auch so  dargestellt ist, wie es in der angegriffenen Ausführungsform umgesetzt ist. Es ist nicht zulässig, den Patentanspruch so zu interpretieren, dass die Ausführungsbeispiele nicht mehr darunter fallen (vgl. Kühnen, HdB der Patentverletzung, 9. A. Kap. A, Rn. 24).

Die Merkmale 1.2.4. und 1.2.4.1 sind ebenfalls wortsinngemäß verwirklicht.

Beim Zusammenfügen des „Mach 3-Handgriffs“ mit der angegriffenen Ausführungsform kann die Kammer keine Ablenkung oder Verformung feststellen. Das Material ist dafür auch ungeeignet, da es nicht flexibel oder komprimierbar ist.

Die eidesstattliche Versicherung (Anl. AR 1) enthält keinen nachvollziehbaren Vortrag zur Verformung.

Mit dem Landgericht Düsseldorf (Anl. ASt 21) ist weiter festzustellen, dass es auf den konkreten Handgriff nicht ankommt. Entscheidend ist die Eignung im Sinne der technischen Lehre des Patents, einen Handgriff mit einem Nocken ohne Ablenkung und Verformung aufzunehmen.

5.

Der Unterlassungsanspruch besteht gegenüber den Beklagten als Hersteller und Anbietern.

6.

Die Wiederholungsgefahr wird vermutet.

IV.

Der Rechtsbestand des Verfügungspatents ist ausreichend glaubhaft gemacht. Es bestehen keine erheblichen Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Patents, die dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen würden.

1.

Für die Beurteilung der Rechtsbeständigkeit ist die im Antrag geltend gemachte Kombination der Ansprüche 1,3 und 4 zu prüfen.

Die Klägerin hat von vornherein in diesem Verfahren diese Anspruchskombination geltend gemacht und darüber hinaus erklärt, das Patent auch nur in diesem Umfang verteidigen zu wollen. Dies ist dann auch der für die Rechtsbeständigkeit zu prüfende Patentanspruch (Kühnen a.a.O. Kap. G, Rn. 65 m.w.Nachw. vgl. a. BGH GRUR 2010, 904 [BGH 06.05.2010 - Xa ZR 70/08] – Maschinensatz).

2.

Bei einem Patent handelt es sich um ein geprüftes Schutzrecht. Die Erteilung durch die zuständigen Behörden ist von dem Verletzungsgericht zu respektieren. Das Trennungsprinzip verlangt grundsätzlich, dass die Frage des Rechtsbestandes eines Patents durch die Patentämter und insb. das BPatG zu klären ist. In einem Hauptsacheverfahren kann diesem Grundsatz durch Aussetzung (§ 148 ZPO) des Verletzungsprozesses Rechnung getragen werden. Eine Aussetzung ist im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen des Eilcharakters nicht möglich. Das Verletzungsgericht muss daher neben der Verletzungsfrage auch die Frage beantworten, ob der Rechtsbestand des Verfügungspatentes ausreichend gesichert ist und so eine valide Grundlage für den Erlass einer einstweiligen Verfügung darstellt.

Ausgangspunkt der Überlegungen muss nach Auffassung der Kammer der Umstand sein, dass das Patent durch die zuständigen Behörden geprüft und erteilt worden ist.

Würde bereits jede nicht offensichtlich von der Hand zu weisende Einwendung gegen das Schutzrecht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegenstehen, wäre die Durchsetzung von Schutzrechten stark erschwert und ihre wirtschaftliche Bedeutung entwertet. In vielen innovativen Bereichen sind Patente nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum technisch relevant. Gerade in diesem Zeitraum müssen sie Schutz entfalten. Auch Art. 50 Abs. 1 des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) regelt, dass die Gerichte befugt sind, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen anzuordnen um die Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern. Die sog. Enforcement-Richtlinie (2004/48/EG) sieht ebenfalls eine schnelle und effektive Rechtsdurchsetzung vor. Dies hat u.a. zu der Regelung des § 140b Abs. 3 PatG geführt, die ausdrücklich eine Durchsetzung der Rechte des Patentinhabers durch einstweilige Verfügung vorsieht.

Der Schutzrechtsinhaber hat auch nach Erteilung des Patents keine Möglichkeit, den Bestand seines Schutzrechtes zusätzlich überprüfen oder absichern zu lassen.

Daraus folgt:

Solange es keine Angriffe auf das Verfügungspatent gibt, hat das Verletzungsgericht von der Gültigkeit auszugehen.

Wird der Rechtsbestand des Verfügungspatents in Frage gestellt, dürfen die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Rechtsbestandes des Verfügungspatentes nicht überspannt werden. Es kann nicht verlangt werden, dass das Patent in jedem Fall bereits ein Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren (sog. kontradiktorisches Verfahren) erfolgreich überstanden hat (vgl. OLG Braunschweig GRUR–RR 2012, 97 – Scharniere auf Hannover Messe). Dies würde das bereits geprüfte Patent für einen längeren Zeitraum entscheidend schwächen. Ein potentieller Verletzter bräuchte zunächst keinen Einspruch zu erheben bzw. kein Nichtigkeitsverfahren anzustrengen, da er sich im einstweiligen Verfügungsverfahren damit verteidigen könnte, dass es an einem durch ein kontradiktorischen Verfahren gesicherten Rechtsbestand fehle. Er könnte das Hauptsacheverfahren abwarten, Nichtigkeitsklage erheben und dann die Aussetzung verlangen.

Da eine Unterlassungsverfügung aber andererseits einschneidende Konsequenzen für die wirtschaftliche Betätigung des Gegners hat und zu erheblichen Schäden führen kann, sind Zweifel an der Schutzfähigkeit des Patents im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes bei der dort erforderlichen Interessenabwägung mit zu berücksichtigen. Die Kammer verkennt auch nicht, dass etwa 50 % der Nichtigkeitsverfahren Erfolg haben und das Patent vernichtet oder nur in eingeschränkter Form aufrechterhalten wird.

Soweit das Patent angegriffen ist, muss sich das Verletzungsgericht daher mit den Argumenten auseinandersetzen und prüfen, ob ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Verfügungspatent keinen Bestand haben wird (LG Braunschweig 9 O 842/11 Urteil vom 01,06.2011; OLG Braunschweig GRUR –RR 2012 97 – Scharniere auf Hannover Messe).

Nach Auffassung der Kammer wäre es auch zu weitgehend zu verlangen, dass der Rechtsbestand „über jeden Zweifel erhaben“ ist (vgl. zu den unterschiedlichen Maßstäben die Übersichten bei Mes, PatG, 4. A. § 139, Rn. 524 ff.; Cepl/Voß, a.a.O. § 940 ZPO, Rn. 106 ff.; Kühnen a.a.O. Kap G, Rn. 41 ff.; Schramm, Der Patentverletzungsprozess, 7. A. Kap. 11, Rn. 15 ff.; jew. m. zahlr. Nachw.)

Jedenfalls wenn bei einer Gesamtschau deutliche Anhaltspunkte erkennbar sind, die die Schutzwürdigkeit des Streitpatents ernsthaft in Frage stellen und hieran gewichtige Zweifel begründen, kommt der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht in Betracht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Rechtsbestand des Verfügungspatents

ausreichend gesichert.

Unabhängig von den nachfolgend zu erörternden konkreten Entgegenhaltungen ist auch zu berücksichtigen, dass das Patent seit 19 Jahren besteht und bis zu diesem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht angegriffen worden ist. Dabei ist davon auszugehen, dass den Beklagten als unmittelbare Wettbewerber sämtliche Patente der Klägerin bekannt sind. Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach einem Hinweis des BPatG ein Patent der Klägerin, welches in nahezu allen Merkmalen mit diesem Verfügungspatent übereinstimmt und auf dieselbe Priorität zurückgeht, für rechtsbeständig gehalten worden ist. Dies hat auch das Landgericht Düsseldorf in dem dortigen einstweiligen Verfügungsverfahren so gesehen.

3. WO 94/08761

Diese Entgegenhaltung ist als Anl. ASt 17 vorgelegt (in deutscher Übersetzung Anl. ASt 17a).

a)

Allgemein gilt: In der Neuheitsprüfung gelten die allgemeinen Regeln, denen zufolge es darauf ankommt, was einer Vorveröffentlichung unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist (vgl. etwa BGH, GRUR 2009, 382 [BGH 16.12.2008 - X ZR 89/07] - Olanzapin). Diese Anforderungen gelten auch für die objektive Eignung eines Gegenstands mit Blick auf Zweck, Wirkung oder Funktionsangaben in dem Patentanspruch, um dessen Vorwegnahme durch den Stand der Technik es geht (BGH, X ZR 67/13, Urteil v. 16.06.2015).

Eine Entgegenhaltung muss daher insgesamt gewürdigt werden. Sie darf nicht so gelesen werden, als enthalte die jeweilige Entgegenhaltung nur eine Rasierklingeneinheit aber keinen Griff. Der Offenbarungsgehalt ergibt sich nur aus der Kombination Klinge und Griff. Es kann nicht in Kenntnis von und aus der Perspektive des erteilten Patents rückblickend geprüft werden, ob sich einzelne Merkmale des Verfügungspatents darin finden. Dies wäre einer solchen Vorveröffentlichung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.

Die von den Beklagten angeführte Entscheidung (BGH, Urteil vom 02. Juni 2015 – X ZR 55/13) kommt im konkreten Fall auf der Grundlage vergleichbarer Überlegungen gerade zu dem Ergebnis, dass keine neuheitsschädliche Offenbarung vorliege. Eine Veränderung werde nicht eindeutig und unmittelbar gelehrt. Der Fachmann lese die Möglichkeit einer solchen Veränderung aus dem Offenbarungsmittel auch nicht mit (BGH a.a.O. Rn. 24).

b)

Die Entgegenhaltung beschäftigt sich nicht mit einer austauschbaren Rasierklingeneinheit. Die Entgegenhaltung betrifft einen Einwegrasierer. Der ist einmalig zusammensteckbar, aber nicht wieder trennbar. Griff und Klingeneinheit werden gemeinsam entsorgt. Austauschbar im Sinne des Patents ist etwas anderes als zweiteilig. Die Rasierklingeneinheit muss abnehmbar und aufsetzbar sein.

Der Fachmann wird nicht den Klingenkopf einer  nicht austauschbaren Rasierklingeneinheit nehmen um dann einen Griff zu konstruieren, der ein Austauschen ermöglicht. Er wird keine Merkmale vorsehen, deren Bedeutung erst im Zusammenhang mit einem besonders gestalteten Handgriff und der Entnahme der Klingeneinheit aus einem Spender deutlich werden.

Die Figur 7 der Entgegenhaltung offenbart nicht eine bevorzugte Ausführungsform des Verfügungspatents. Was die Beklagten in Kenntnis des Verfügungspatents in die Figuren der Entgegenhaltung nachträglich „hineinzeichnen“ ist nicht das, was der Fachmann der Offenbarung „unmittelbar und eindeutig“ entnehmen kann.

Ein Ausschnittsabschnitt (cutaway portion) im Sinne des Patents ist nicht gleichzusetzen mit einem kürzeren „Schenkel“ in der Figur 7 der Entgegenhaltung.

In der Entgegenhaltung geht es um eine zusätzliche Rippe, die dient der Führung und dann das untere Stück als „Anschlag“.

Es wird ergänzend auf die Ausführungen des BPatG (dort war die Entgegenhaltung die Anlage N 5) und des LG Düsseldorf (dort ASt 18/18a) Bezug genommen, die sich in Zusammenhang mit der Prüfung des Rechtsbestandes des Patents EP 1 695 800 B1 mit dieser Entgegenhaltung beschäftigt haben.

4. US 4,413,411

Diese Entgegenhaltung ist als Anl. ASt 20 vorgelegt (in deutscher Übersetzung Anl. ASt 20a).

Es kann zunächst auf die Ausführungen oben zu 3. a) verwiesen werden.

Auch hier interpretieren die Beklagten eine Veröffentlichung in Kenntnis des erteilten Patents rückblickend um. Das ist aber nicht dasjenige, was der Fachmann der Offenbarung unmittelbar und eindeutig entnehmen kann.

Die Entgegenhaltung weist keinen ausgesparten Abschnitt (recessed portion) auf. Offenbart ist das Gegenteil: Vertiefungen am Handgriff und Vorsprünge an der Klingeneinheit. Dabei handelt es sind nach der Beschreibung um Arretierungen, die einschnappen.

Ein Ausschnittsabschnitt (cutaway portion) im Sinne des Patents ist nicht gleichzusetzen mit einem kürzeren „Schenkel“ in der Figur 7 der Entgegenhaltung.

Es wird ergänzend auf die Ausführungen des LG Düsseldorf Bezug (dort AR 9, ASt 26) genommen, das sich in Zusammenhang mit der Prüfung des Rechtsbestandes des Patents EP 1 695 800 B1 mit dieser Entgegenhaltung beschäftigt hat.

5. WO 95/10398

Diese Entgegenhaltung ist als Anl. ASt 9 (deutsche Übersetzung Anl. AR 9) vorgelegt.

Sie war bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens und ist bereits deshalb grundsätzlich nicht geeignet den Rechtsbestand des Verfügungspatents in Frage zu stellen.

Es wird im Übrigen auf die Ausführungen oben zu 3. a) Bezug genommen. Was die Beklagten in die Zeichnungen hineininterpretieren ist nicht das, was unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.

Es fehlt am ausgesparten Abschnitt und am Ausschnittsabschnitt.

Die Verbindung von Klingeneinheit und Griff erfolgt in der Entgegenhaltung durch „federnde Klauen“ (vgl. Anl. AR 9).

Es wird ergänzend auf die Ausführungen des BPatG (dort Entgegenhaltung N 7) und des LG Düsseldorf Bezug (dort ASt 12) genommen, die sich in Zusammenhang mit der Prüfung des Rechtsbestandes des Patents EP 1 695 800 B1 mit dieser Entgegenhaltung beschäftigt haben.

6. Wilkinson Sword Extra II

Die Beklagten haben Fotografien und ein Original mit Handgriff zur Akte (Anlage AR 21) gereicht.

Es kann offen bleiben, ob es glaubhaft gemacht ist, dass der „Wilkinson Sword Extra II“ in der von den Beklagten behaupteten Ausführung und als Systemrasierer bereits 1994 auf dem belgischen Markt angeboten worden ist.

Die Struktur, die von den Beklagten als ausgesparter Abschnitt (recessed portion) bezeichnet wird, steigt nach hinten an und hat die Gestalt einer schiefen Ebene. Diese dient der Führung und Ablenkung des „mittleren Zinkens“ am „Dreizack“ des Handgriffs. Beim Zusammenfügen ist der Reibungswiderstand deutlich zu spüren. Am Ende schnappt die Nase des mittleren Zinkens hörbar ein. Dies ist auch durch ein „kleines Fenster“ an der Rasierklingeneinheit deutlich zu sehen. Der ausgesparte Abschnitt dient nicht der Aufnahme des Nockens ohne Ablenkung, sondern soll genau das Gegenteil bewirken. Dies entspricht der Technik die in der Entgegenhaltung WO 95/10398 (Anl. ASt9; Übersetzung Anl. AR 9) veröffentlicht ist. Die Verbindung von Griff und Klingeneinheit erfolgt durch „federnde Klauen“.

Es ist auch kein patentgemäßer Ausschnittsabschnitt zur Aufnahme einer Plattform vorhanden.

7. Mach 3

Der schon länger angebotene „Mach 3“ der Klägerin steht einer Rechtsbeständigkeit nicht entgegen.

a)

Das Verfügungspatent geht auf eine europäische Teilanmeldung zurück. Diese Teilanmeldung wurde am 08.01.2003 beim EPA angemeldet (Anmeldenummer 03000263.8, Antragsformular = Anl. AR 10). Diese Teilanmeldung ist dann am 02.05.2003 veröffentlicht worden (EP 1 306 172 A1 = Anl. ASt 28).

Auf dieser Grundlage ist das Verfügungspatent (Anl. ASt 7) veröffentlicht worden.

Das Verfügungspatent nimmt die Priorität (19.02.1997) und den Anmeldetag (18.02.1998) der ursprünglichen Patentanmeldung (Stammanmeldung EP-A 98 906 463.9 0 = WO 98/36879 = Anl. AR 11) in Anspruch.

Art. 76 Abs. 1 EPÜ regelt dazu:

Eine europäische Teilanmeldung ist nach Maßgabe der Ausführungsordnung unmittelbar beim Europäischen Patentamt einzureichen. Sie kann nur für einen Gegenstand eingereicht werden, der nicht über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht; soweit diesem Erfordernis entsprochen wird, gilt die Teilanmeldung als an dem Anmeldetag der früheren Anmeldung eingereicht und genießt deren Prioritätsrecht.

Zum Zeitpunkt der Teilanmeldung im Jahre 2003 war das Produkt „Mach 3“ der Klägerin unstreitig bereits länger auf dem Markt. Es ist weiter unstreitig, dass der „Mach 3“ alle Merkmale der hier geltend gemachten Ansprüche des Verfügungspatents verwirklicht. Wenn die Klägerin die Priorität des Ursprungspatents (Stammanmeldung) nicht in Anspruch nehmen kann, sondern es auf das Prioritätsdatum der Teilanmeldung 2003 ankäme, wäre das Verfügungspatent nicht mehr neu und nicht rechtsbeständig (vgl. BGH, GRUR 1979, 289 – Dia-Rähmchen IV).

b)

Für die Offenbarung gelten folgende Grundsätze:

Alle in der Teilanmeldung offenbarten Merkmale müssen entweder in der Beschreibung oder den Ansprüchen oder in den Zeichnungen der Stammanmeldung eine Entsprechung finden. Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnungen sind dabei gleichwertige Offenbarungsmittel (BGH, GRUR 2010, 599 [BGH 18.02.2010 - Xa ZR 52/08] – Formteil). Der Gegenstand der Teilanmeldung muss sich direkt und unzweideutig aus der ursprünglichen Offenbarung der Stammanmeldung ergeben und mit ihr übereinstimmen (“…need not be presented in express terms in the original disclosure but it must be sufficiently clear to a person skilled in the art to be directly and unambiguously recognizable as such and not of a vague and general character”, EPA v. 11.12.1990 T 527/88; vgl. Benkard, EPÜ 2. A. , Art. 76, Rn. 9, Art. 123, Rn. 156). Ein Verstoß ist ein Nichtigkeitsgrund (Benkard, EPÜ,  a.a.O.).

Die Beschwerdekammern des EPA fassen dies wie folgt zusammen:

For the requirements of Article 76(1) EPC to be fulfilled, it is thus necessary that the content of the patent in suit does not go beyond the content of the parent application as filed.
In accordance with the established jurisprudence of the Boards of Appeal, the relevant question to be decided in assessing whether an amendment adds subject-matter extending beyond the content of the parent application as filed, is whether the proposed amendment was directly and unambiguously derivable from the parent application as filed, either explicitly or implicitly, implicit disclosure meaning no more than the clear and unambiguous consequence of what is explicitly disclosed (T 2285/09 of 20.1.2011; vgl. Schulte PatG, 10. A. § 39/Art. 66 Rn. 82).

Prüfungsgegenstand ist damit die ursprüngliche Anmeldung des Stammpatents und nicht das Stammpatent in der erteilten Fassung.  Der Kammer steht nur die veröffentlichte Anmeldung zu Verfügung. Dabei wird gem. Art. 123 Abs. 2 EPÜ davon ausgegangen, dass diese veröffentlichte Anmeldung nicht über seine ursprüngliche Anmeldung hinausgeht.

Das Prioritätsdokument (8US 98/02949 = AR 13) ist für diese Prüfung nicht maßgeblich.

c)

Der Hauptanspruch der Teilanmeldung (Anl. ASt 28) verlangt u.a. einen „Entrance“ (Eingang). Dieser Begriff wird in der Stammanmeldung (Anl. AR 11) nicht im Wortlaut, der Beschreibung oder der Ansprüche erwähnt.

Der Hauptanspruch 1 der Teilanmeldung verlangt „ … said cartridge connection structure having an entrance, said recessed portion being disposed at said entrance … („… einen Eingang aufweist, wobei der genannte ausgesparte Abschnitt an dem genannten Eingang angeordnet ist …”).

Der ausgesparte Abschnitt (recessed portion) wird in der Stammanmeldung mehrfach erwähnt. Die Zuordnung zum Eingang wird weder in der Beschreibung noch den Ansprüchen im Wortlaut erwähnt.

Diese Merkmale sind durch die Zeichnungen 2, 7, 8 und 9 ohne weiteres offenbart. Die Beschreibung und die Ansprüche erläutern die Verbindung von Griff und Rasierklingeneinheit entlang einer Verbindungsachse. Der ausgesparte Abschnitt soll die Eingriffsoberfläche aufnehmen und muss sich daher am Eingang befinden, wie dies auch auf  den Zeichnungen zu sehen ist.

Die Offenbarung durch die Stammanmeldung gilt auch für folgende Merkmale:

Der Hauptanspruch 1 der Teilanmeldung verlangt  „ … providing unobstructed passage for the cam surface …“ („….einen ungehinderten Durchgang für die Eingriffsoberfläche bereitstellen …“).

und

„ … whereby said am surface can be received in said recessed portion without deflection of said cam surface or deformation of said cartridge connecting structure caused by the movement of said cam surface into said recessed portion.“

“… wodurch die genannte Eingriffsoberfläche in dem genannten ausgesparten Abschnitt aufgenommen werden kann, ohne dass die genannte Eingriffsoberfläche abgelenkt wird oder sich die genannte Einheiten-Verbindungsstruktur verursacht durch die Bewegung der genannten Eingriffsoberfläche in den genannten ausgesparten Abschnitt verformt”.

Der ungehinderte Durchgang wird als Begriff weder in dem Wortlaut der Beschreibung noch den Ansprüchen der Stammanmeldung erwähnt.

Der Begriff „deflection“ (Ablenkung) findet sich in der Stammanmeldung nur in Zusammenhang  mit der Verriegelungseinrichtung (22) des Spenders.

Der Begriff „deformation“ (Verformung) wird als Begriff weder in dem Wortlaut der Beschreibung noch den Ansprüchen erwähnt.

Die Merkmale „ungehinderter Durchgang“, „ohne Ablenkung“ und „ohne Verformung“

lassen sich der Stammanmeldung aber ohne weiteres entnehmen.

Die Stammanmeldung verwendet „Ablenkung“ (deflection) vielfach in Zusammenhang mit der Verriegelungseinrichtung (latch) des Spenders (vgl. z.B. Anl. AR 11 S. 9, Z 4 ff.). Dieser Vorgang der Bewegung wird in den Figuren 11 und 12 anschaulich dargestellt. Bereits daraus kann der Fachmann im Umkehrschluss schließen, dass ansonsten eine solche Ablenkung nicht stattfindet. Eine Ablenkung oder Verformung wird im Übrigen weder beschrieben, noch zeichnerisch dargestellt.

Dass ein ungehinderter Durchgang vorhanden ist und die Verbindung ohne Ablenkung und Verformung stattfindet, folgt vor allem aus der Beschreibung in Zusammenschau mit den Figuren. Dort wird beschrieben und ist zu sehen, dass die Teile genau zusammenpassen.

The cartridge connecting structure includes a cutaway portion functioning as a keyway for receiving a mating key structure on the handle as the as the handle is moves along the connection axis …. (Anl. AR 11 S. 3, Z 5)

Die Einheitenverbindungstruktur beinhaltet einen ausgeschnittenen Abschnitt. der als Keilnut dient, um eine zusammenpassende Schlüsselstruktur auf dem Handgriff aufzunehmen, wenn der Handgriff entlang der Verbindungsachse bewegt wird …

Es wird noch mehrfach wiederholt, dass eine „recessed portion for receiving the cam surface on the handle“ vorhanden ist (Anl. AR 11 S. 3, Z. 26; S. 9 Z. 13, Ansprüche 47, 55, 75). Darauf wird auch bei der Beschreibung der Fig. 9 Bezug genommen (Anl. AR 11 S. 9, Z 29).

Dies dient der leichten Verbindung (Handles are easily connected to new cartridges … (Anl. AR 11 S. 6 Z. 3). Die leichte Verbindung legt es nahe, dass dies ohne Verformung und Ablenkung geschieht.

Die feste Verbindung wird nach der Stammanmeldung auch durch eine Verriegelung sichergestellt. Daher ist dem Fachmann auch klar, dass es an dieser Stelle nur auf ein leichtes und passgenaues Zusammenfügen ankommt.

Es liegt in der Teilanmeldung auch kein Aliud sondern allenfalls eine Einschränkung der Stammanmeldung vor. Ob es sich um eine Einschränkung im genannten Sinne oder um ein „Aliud” handelt, kann nicht allein nach formalen Kriterien entschieden werden. Insbesondere kann eine bloße Einschränkung nicht schon deshalb bejaht werden, weil alle in Betracht kommenden Ausführungsformen, die die Merkmale des Patentanspruchs in der erteilten Fassung aufweisen, formal auch unter den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen subsumiert werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Hinzufügung des Merkmals lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 [BGH 21.10.2010 - Xa ZB 14/09], Rz. 22 – Winkelmesseinrichtung).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt dem Bescheid des EPA vom 10.01.2006 (Anl. ASt 25) sehr wohl eine Aussagekraft zu,

Die europäische Teilanmeldung wird wie eine normale Anmeldung recherchiert, veröffentlicht und geprüft (Singer/Stauder, a.a.O. Art. 76, Rn. 7). Im Rahmen der Sachprüfung wird dann auch geprüft, ob der Gegenstand der Teilanmeldung über den Inhalt der ursprünglichen Stammanmeldung hinausgeht (Singer/Stauder, a.a.O. Rn. 14; Benkard, EPÜ Art. 123, Rn. 159; Schulte, PatG10. A. , § 39 PatG/Art. 76 EPÜ, Rn. 82). Das EPA hat diese Frage somit geprüft und das entsprechende Patent dann erteilt. Diese Merkmale sind vom EPA auch nicht „übersehen“ worden. Das ist bereits deshalb auszuschließen, da sie im Hauptanspruch stehen. Außerdem sind diese Merkmale in Zusammenhang mit Art. 82 EPÜ (Einheitlichkeit) in dem Bescheid des EPA (Anl. ASt 25, S. 2 ausdrücklich erwähnt:

The first aspect is based on geometry of the connecting structure of a razor blade and the handle that allows both parts to e connected without any deflection or deformation. This allows an easy and precise plug-in connection”

Zu Unrecht haben die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen (S. 11 des Protokolls), dass eine Bezugnahme auf den „spitzen Winkel“ entfallen sei.

Der „spitze Winkel“ (acute angle) wird in der Stammanmeldung (Anl. AR 11) schon in der Zusammenfassung (Abstract), auf S. 9 in Z 9, in Anspruch 42 und Anspruch 58 erwähnt. In der Teilanmeldung (Anl. ASt 28) ist er in Abs. 30, im Anspruch 2 und Anspruch 19 erwähnt. Im erteilten Patent (Anl. ASt 6) ist er im Abs. 30 und im Anspruch 2 erwähnt.

8.

Die erfinderische Tätigkeit ist glaubhaft gemacht.

Eine Erfindung gilt als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt (§ 4 PatG).

Maßgeblicher Fachmann ist hier ein Maschinenbauingenieur (FH) mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion von Sicherheits-Rasierern.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist eine rückschauende Betrachtungsweise unzulässig. Der Stand der Technik darf nicht in Kenntnis der mit der Erfindung gefundenen Lösung betrachtet und ausgewertet werden (Benkard PatG, 11. A. § 4, Rn. 29 m. zahlr. Nachw.),

Ansatzpunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist das Auffinden des technischen Problems, das aus dem zu entwickeln ist, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet. Die Ermittlung des technischen Problems ist Teil der Auslegung des Patentanspruchs. Dabei können in der Beschreibung enthaltene Angaben zur Aufgabe der Erfindung einen Hinweis auf das richtige Verständnis des Patentanspruchs enthalten; sie sind ein Hilfsmittel bei der Ermittlung des objektiven technischen Problems. Dabei ist zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zunächst zu ermitteln, was die Erfindung gegenüber dem Stand der Technik tatsächlich leistet und welches objektive technische Problem demnach der Erfindung zugrunde liegt (BGH, GRUR 2012, 803, 805 Tz. [31] - Calcipotriol-Monohydrat m. w. N.). Hierbei können verschiedene Ausgangspunkte in Betracht zu ziehen sein (BPatG GRUR 2004, 317 [BPatG 26.02.2003 - 20 W (pat) 46/01] - Programmartmitteilung), denen gegenüber zu klären ist, ob der Fachmann Veranlassung hatte, diesen Stand der Technik zu ändern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die technische Entwicklung erfahrungsgemäß nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als plausibel oder sogar mehr oder weniger zwangsläufig darstellt bzw. dass nicht bereits die Kenntnis eines zum allgemeinen Fachwissen gehörenden technischen Sachverhaltes von vornherein eine Veranlassung impliziert. Vielmehr ist es erforderlich, dass dieser Stand der Technik dem Fachmann Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstige Anlässe dafür vermittelt, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (vgl. BGH GRUR 2009, 746 [BGH 30.04.2009 - Xa ZR 92/05] - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; BGH GRUR 2009, 743 [BGH 30.04.2009 - Xa ZR 56/05] - Airbag-Auslösesteuerung) und es einer angemessenen Erfolgserwartung für die Lösung des sich stellenden technischen Problems bedarf, um eine im Stand der Technik bereits beschriebene Maßnahme aufzugreifen und anzuwenden (vgl. BGH, GRUR 2012, 803 [BGH 15.05.2012 - X ZR 98/09] Ls., 807 Tz. [46] - Calcipotriol-Monohydrat; BPatG Urt. v. 23.7.2013 – 3 Ni 36/11, BeckRS 2013, 18400, beck-online).

Auch wenn vorliegend die Rechtsbeständigkeit des kombinierten Anspruchs 1,3, 4 zu prüfen ist, darf auch für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die restliche Patentschrift nicht außer Acht gelassen werden (vgl. o. III. 3.). Die räumlich körperliche Ausgestaltung der Rasierklingeneinheit muss geeignet sein mit einem Handgriff zusammenzupassen, der wiederum bestimmte Eigenschaften aufweisen muss. Nach der technischen Lehre des Patents muss die Eingriffsoberfläche (Nocken) geeignet sein den Verriegelungsmechanismus in der Spendereinheit zu betätigen. Die patentgemäße Rasierklingeneinheit muss in der Lage sein einen solchen Nocken ohne Ablenkung und Verformung aufzunehmen. Die Plattform an dem Handgriff muss im Zusammenwirken mit  dem Ausschnittsabschnitt so ausgestaltet sein, dass sie ein falsches Zusammenfügen verhindert.

Es ist im Stand der Technik nicht nahegelegt, vorhandene Einheitenverbindungsstrukturen so abzuändern, dass sie die Merkmale des Patents aufweisen.

Es wird weiter auf die obigen Ausführungen zur Rechtsbeständigkeit Bezug genommen (IV. 3, a). Die Beklagten entnehmen in Kenntnis des Patents den vorveröffentlichten Unterlagen einen ihnen nicht zukommenden Offenbarungsgehalt und kombinieren diese in nicht naheliegender Weise.

Es wird ergänzend auf die Ausführungen des BPatG und des LG Düsseldorf Bezug genommen, die sich in Zusammenhang mit der Prüfung des Rechtsbestandes des Patents EP 1 695 800 B1 mit der erfinderischen Tätigkeit beschäftigt und diese bejaht haben.

V.

Der gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Herausgabe- und Sequestrationsanspruch dient der Sicherung des Vernichtungsanspruchs aus § 140 a PatG.

VI.

Die Ordnungsmittelandrohung hat ihre Grundlage in § 890 ZPO.

VII.

Die Klägerin kann keinen Rückrufsanspruch gem. § 140a Abs. PatG im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen. Dabei würde es sich um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache handeln (Kühnen a.a.O., Kap D, Rn. 619: Benkard, PatG, 11. A. § 140a, Rn. 21; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. A. § 140a, Rn. 21; a.A. OLG München 6 U 1560/12).

Dies folgt aber auch aus der systematischen Auslegung des Gesetzes. Das Gesetz sieht in § 140 b Abs. 7 PatG in bestimmten Fällen die Möglichkeit vor, einen Auskunftsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung geltend zu machen. Dies hat der Gesetzgeber bei dem Rückrufsanspruch bewusst nicht vorgesehen.

Es besteht auch kein Bedürfnis für eine entsprechende Regelung. Die Klägerin kann die ihr bekannten Abnehmer der Beklagten selber auf Unterlassung und Sequestration in Anspruch nehmen. Wenn sie das damit verbundene Schadensersatzrisiko meiden will oder auch die Beziehung zu ihren Abnehmern nicht belasten möchte, kann sie dieses Risiko nicht auf die Beklagten abwälzen.

VIII.

Neben der Glaubhaftmachung des Rechtsbestandes ist bei der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gebotenem Interessenabwägung weiter zu berücksichtigen, dass das Patent bereits im Februar 2018 ausläuft. Es ist daher nicht mehr möglich in einem Hauptsacheverfahren einen Unterlassungsanspruch durchzusetzen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die von der Beklagten hergestellt und vertriebenen Produkte erheblich günstiger als die Produkte der Klägerin angeboten werden, sodass durch die Patentverletzung die wirtschaftlichen Interessen der Klägerin massiv beeinträchtigt werden.

IX.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO

Die Vollstreckung der einstweiligen Verfügung war von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen. Auch in einem Hauptsacheverfahren wäre die vorläufige Vollstreckbarkeit von einer hohen Sicherheitsleistung abhängig. Da die Beklagten in großem Umfang bedeutende Drogerieketten beliefern, ist von einer erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung für die Beklagten zu gehen. Weiter ist es so, dass nach dem Verständnis der Klägerin die Unterlassungsverpflichtung auch die Pflicht zum Rückruf mit umfasst. Sollte die Beklagte im Ergebnis verpflichtet sein auch bereits ausgelieferte Waren zurückzurufen wäre mit erheblichen weiteren Schäden zu rechnen.

Von einer Sicherheitsleistung ist nicht deshalb abzusehen, weil es bereits eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf gibt. Wenn dieses Urteil abgeändert wird, kommt diese Verfügung zum Tragen.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt im Übrigen aus § 708, § 711 ZPO. Im Übrigen sind einstweilige Verfügungen ihrem Wesen nach aus sich heraus streckbar.

X.

Der Streitwert war gemäß § 51 GKG festzusetzten.

XI.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom

·24.08.2017
·06.09.2017
·12.09.2017
·14.09.2017
·28.09.2017

waren gem. § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung kommt im einstweiligen Verfügungsverfahren von vornherein nicht in Betracht.