Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.01.2014, Az.: 12 ME 243/13
Einheitliche Bestimmung des Halterbegriffs im Straßenverkehrsrecht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.01.2014
- Aktenzeichen
- 12 ME 243/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 10622
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0130.12ME243.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 06.11.2013 - AZ: 7 B 6460/13
Rechtsgrundlagen
- § 7 StVG
- § 31a StVZO
Fundstellen
- DAR 2014, 338-339
- DÖV 2014, 451
- FStBW 2014, 768-770
- FStHe 2014, 648-650
- FStNds 2014, 346-348
- GV/RP 2014, 554-556
- NJW 2014, 1690-1691
- NZV 2014, 6
- NZV 2014, 485-486
- NordÖR 2014, 200
- NordÖR 2014, 248
- ZAP 2014, 492
- ZAP EN-Nr. 208/2014
- r+s 2014, 407
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Halterbegriff ist im Straßenverkehrsrecht wie in § 7 StVG und § 31a StVZO einheitlich zu bestimmen.
- 2.
In der Regel ist der Zulassungsinhaber und Versicherungsnehmer eines Fahrzeugs auch dessen Halter. Die sich aus den genannten Indizien ergebende Vermutung kann jedoch wie im vorliegenden Fall geschehen widerlegt werden.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 7. Kammer - vom 6. November 2013 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (7 A 6459/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Oktober 2013 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.800,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Fahrtenbuchanordnung.
Mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug mit dem Kennzeichen D. wurde am 23. Februar 2013 auf der B 213 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um (nach Toleranzabzug) 41 km/h überschritten. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2013 ordnete der Antragsgegner nach Anhörung gegenüber dem Antragsteller für die Dauer von neun Monaten die Führung eines Fahrtenbuchs für das oben benannte Fahrzeug und ggf. ein Ersatzfahrzeug an.
Den dagegen gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.
Der Antragsteller macht geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er Halter des Fahrzeugs sei. Er (der Antragsteller) habe den betreffenden Pkw zur ausschließlichen Nutzung seiner namentlich benannten Tochter überlassen. Das Verwaltungsgericht habe nicht - ohne die angebotenen Beweise zu erheben - davon ausgehen dürfen, dass es sich insoweit um eine Schutzbehauptung handele. Das Argument des Verwaltungsgerichts, er hätte auf die fehlende Haltereigenschaft schon im Ordnungswidrigkeitenverfahren hinweisen müssen, gehe fehl, da er dieses mit Schreiben vom 25. September 2013 getan habe und er zudem aufgrund seines Zeugnisverweigerungsrechts nicht verpflichtet gewesen sei, im Ordnungswidrigkeitenverfahren Angaben zur Sache zu machen.
Die dargelegten Gründe, die der Senat allein zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts geht der Senat bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass Überwiegendes für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Fahrtenbuchauflage und einen Erfolg der gegen diese erhobenen Anfechtungsklage spricht.
Halter des Fahrzeugs i. S. d. § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist grundsätzlich unabhängig von der Eigentümerstellung derjenige, der den Pkw für eigene Rechnung in Gebrauch hat (d.h. die Nutzungen aus der Verwendung zieht und die Kosten für Unterhaltung und laufenden Betrieb trägt) und die tatsächliche Verfügungsgewalt innehat, die ein solcher Gebrauch voraussetzt (d. h. Anlass, Zeit, Dauer und Ziel der Fahrten selbst bestimmen kann; vgl. BVerwG, Urt. v. 16.02.1968 - VII C 155.66 -, BVerwGE 29, 136 und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.10.1991 - 10 S 2544/91 -, NZV 1992, 167). Bei dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt es weniger auf die rechtlichen Bezüge des Fahrzeugs, sondern vielmehr auf die Intensität der tatsächlichen Beziehungen zum Pkw an. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass im Einzelfall von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, auf wen das Fahrzeug zugelassen ist. Weil das Straßenverkehrsrecht im weitesten Sinne nahezu alle aus der Zulassung und dem Betrieb folgenden Pflichten dem Halter auferlegt, liegt die Annahme nahe, dass der Fahrzeughalter regelmäßig mit dem Zulassungsinhaber identisch ist (vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O.). Für diese Deutung sprechen bereits die Vorschriften über das Fahrzeugregister, namentlich § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 StVG, der Daten über denjenigen, dem ein Kennzeichen für das Fahrzeug zugeteilt oder ausgegeben oder an den ein Fahrzeug mit einem amtlichen Kennzeichen veräußert wurde, als "Halterdaten" legaldefiniert, und § 32 Abs. 2 Nr. 1 StVG, nach welchem im Fahrzeugregister Daten über Personen "in ihrer Eigenschaft als Halter von Fahrzeugen" gespeichert werden. Nicht zuletzt wegen der Zielrichtung des Verkehrsregisters, schnell und zuverlässig Auskunft über das Fahrzeug und seinen Halter zu geben (§ 32 Abs. 2 StVG), und im Interesse einer einheitlichen Bestimmung des Halterbegriffs im Straßenverkehrsrecht - d. h. im Geltungsbereich des StVG und der auf ihm beruhenden Rechtsverordnungen wie der StVZO - kommt der Erfassung im Verkehrsregister als objektivem Gesichtspunkt im Außenverhältnis zu anderen Verkehrsteilnehmern und der Allgemeinheit sowie zu Behörden nach Auffassung des Gerichts eine ausschlaggebende Rolle zu (vgl. Beschl. d. Sen. v. 18.08.2009 - 12 LA 226/08 - u. v. 19.1.2012 - 12 ME 259/11 -). Soweit das Verwaltungsgericht von einem gegenüber § 7 StVG abweichenden "Halterbegriff" in § 31a StVZO ausgeht, folgt der Senat ihm mit der herrschenden Meinung nicht (Beschl. d. Sen. v. 19.1.2012 - 12 ME 259/11 -; Hess. VGH, Beschl. v. 23.11.2011 - 2 A 1618/11.Z -, [...]; Bay. VGH, Beschl. v. 13.8.2008 - 11 ZB 08.1390 -, [...]; Beschl. d. Sen. v. 18.8.2009 - 12 LA 226/08 -, ZfS 2008, 356; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Auflage, § 31a StVZO Rn. 9 m. w. N.). Da gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FZV im Zulassungsverfahren der Name des Halters bei der Zulassung anzugeben und bei einer Änderung der Angaben zum Halter diese unverzüglich der Zulassungsstelle mitzuteilen ist (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FZV), der Verstoß gegen diese Bestimmung gar eine zu ahndende Ordnungswidrigkeit darstellt (vgl. § 48 Nr. 12 FZV), dürfte - rechtstreues Verhalten unterstellt - in aller Regel derjenige, auf den der Pkw (als Halter) zugelassen ist, auch tatsächlich der Halter sein. Ist der Betroffene zudem Versicherungsnehmer, kann dies als (weiteres) Indiz für seine Haltereigenschaft gewertet werden (vgl. Beschl. d. Sen. v. 18.8.2009 - 12 LA 226/08 -, ZfS 2008, 356).
Die sich aus diesen Umständen grundsätzlich ergebende und für seine Haltereigenschaft sprechende Indizwirkung hat der Antragsteller vorliegend jedoch bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung durch den gegenteiligen Vortrag und insbesondere die vorgelegten Unterlagen entkräftet. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug habe ausschließlich seine Tochter Karin, die auch die Kosten für Benzin, Steuern und Versicherung trage. Mithin sei sie und nicht er Halter des Fahrzeugs. Der Antragsgegner hätte diesen Vortrag zum Anlass für weitere Ermittlungen nehmen können bzw. müssen: Insbesondere hätte es nahegelegen, um Glaubhaftmachung dieser Behauptung etwa durch Belege o. ä. zu bitten und, falls sie sich dann als korrekt herausgestellt hätte, die Fahrtenbuchauflage sogleich gegen die Tochter des Antragstellers zu richten. Dieses hat der Antragsgegner jedoch unterlassen. Im Bescheid hat er sich mit der diesbezüglichen Argumentation nicht auseinandergesetzt, sondern ohne weitere Begründung ausgeführt: "Sie sind Halter des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen KW 181." Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Antragsteller dann durch Vorlage von Unterlagen belegt, dass die Steuern für den Pkw von dem Konto seiner Tochter eingezogen werden und diese ihm (dem Antragsteller) auch den verauslagten Versicherungsbeitrag für das streitgegenständliche Fahrzeug per Überweisung erstattet hat. Zudem hat er zum Beweis der Tatsache, dass die alleinige Verfügungsgewalt hinsichtlich des betroffenen Pkws bei seiner Tochter liege und diese neben Steuern und Versicherung auch die Kosten für Benzin und Reparaturen trage, sich selbst und seine Tochter E. als Zeugin benannt. Selbst wenn eine Zeugenvernehmung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht angezeigt war, spricht nach der Gesamtschau der vorliegenden Indizien bei summarischer Prüfung mehr dafür, dass nicht der Antragsteller, sondern vielmehr seine Tochter Halterin des betreffenden Fahrzeugs war, und mithin die Fahrtenbuchauflage gegen diese hätte gerichtet werden müssen. Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass entgegen seinen Angaben der Antragsteller jedenfalls (Mit-)Halter des Fahrzeugs ist, fehlen. Insbesondere erweist sich sein Vortrag nicht etwa als unschlüssig. So hat - anders als der Antragsgegner erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 5. November 2013 geltend gemacht hat - der Antragsteller nicht etwa behauptet, das Fahrzeug werde lediglich von seiner Tochter geführt, sondern darauf verwiesen, diese - und nicht er - habe ausschließlich die tatsächliche Verfügungsgewalt. Dieser - ein für die Haltereigenschaft maßgeblicher - Umstand besagt aber nicht, dass nicht im Einzelfall auch eine andere, von der die Verfügungsmacht ausübenden Person bestimmte (hier männliche) Person das Fahrzeug führt.
Dass der Antragsteller nicht bereits im Ordnungswidrigkeitenverfahren, sondern erst in dem Verwaltungsverfahren bezüglich der Fahrtenbuchauflage auf seine fehlende Haltereigenschaft hingewiesen hat, mag nicht hilfreich gewesen sein, ist jedoch nicht geeignet, eine Haltereigenschaft i. S. d. § 31a StVZO zu begründen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und Nr. 46.11 sowie 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).