Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.01.2014, Az.: 4 LA 51/13
Kriterien zur Auslegung des Begriffs "Semester" gem. § 5 Abs. 2 S. 3 BAföG i.R. eines Auslandsstudiums
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 13.01.2014
- Aktenzeichen
- 4 LA 51/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 10631
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0113.4LA51.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 07.02.2013 - AZ: 4 A 48/12
Rechtsgrundlage
- § 5 Abs. 2 S. 3 BAföG
Fundstellen
- DÖV 2014, 403
- NJW 2014, 1130
- NordÖR 2014, 197
Amtlicher Leitsatz
Der Begriff des Semesters in § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG bezeichnet einen auch weniger als sechs Monate dauernden, durch Rechtsvorschriften bestimmten üblichen Ausbildungsabschnitt an einer ausländischen Ausbildungsstätte, in dem eine sinnvolle Teilausbildung betrieben werden kann. Daher umfasst der Begriff des Semesters grundsätzlich auch ein Trimester, wenn an einer ausländischen Hochschule die Ausbildungsabschnitte nicht in Semester, sondern in Trimester gegliedert sind.
Tenor:
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 4. Kammer - vom 7. Februar 2013 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag der Beklagten,
die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen,
hat keinen Erfolg. Denn die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. März 2012 verpflichtet, der Klägerin Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Auslandsaufenthalt an der James Cook University in Singapur für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis zum 29. Februar 2012 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, und zur Begründung ausgeführt, dass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung in § 5 Abs. 2 Nr. 1 BAföG seine Rechtsgrundlage finde. Nach dieser Vorschrift werde Ausbildungsförderung für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte geleistet, wenn dieser der Ausbildung nach dem Ausbildungsstand förderlich sei und - bei Hochschulen - zumindest ein Teil der Ausbildung auf die vorgeschriebene oder übliche Ausbildungszeit angerechnet werden kann. Die Ausbildung müsse nach § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG außerdem mindestens sechs Monate oder ein Semester dauern; finde sie im Rahmen einer mit der besuchten Ausbildungsstätte vereinbarten Kooperation statt, müsse sie mindestens zwölf Wochen dauern. Diese Voraussetzungen lägen hier vor. Die Ausbildung der Klägerin an der James Cook University in Singapur genüge insbesondere auch den Maßgaben des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG, da unter Semester im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG auch ein Trimester gefasst werden könne, wenn die Ausbildungsabschnitte an einer ausländischen Hochschule nicht in Semester, sondern in Trimester gegliedert seien. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der akademische Kalender der o. a. Universität drei Studiensemester pro Kalenderjahr und damit Trimester vorsehe. Die Klägerin habe ein solches Trimester auch vollständig an der Universität verbracht und eine sinnvolle Teilausbildung betrieben.
Die Berufung gegen dieses Urteil der Vorinstanz kann nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Dass das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, dass auch ein Trimester unter dem Begriff des Semesters im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG fällt, wenn an einer ausländischen Hochschule die Ausbildungsabschnitte nicht in Semester, sondern in Trimester gegliedert sind, begründet nämlich entgegen der Annahme der Beklagten keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Vielmehr erweist sich diese Rechtsauffassung der Vorinstanz - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zu der von der Beklagten ebenfalls geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ergibt - als zutreffend. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht schon in seinem Urteil vom 12. Juli 2012 (- 5 C 14/11 -, BVerwGE 143, 314) betont, dass Überwiegendes dafür spricht, dass ein Semester im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG auch ein Trimester sein kann, wenn an einer ausländischen Hochschule die Ausbildungsabschnitte nicht in Semester, sondern in Trimester gegliedert sind.
Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt hier gleichfalls nicht in Betracht. Die Beklagte hat zwar die Rechtsfrage, "ob ein Trimester bzw. eine sinnvolle Teilausbildung an einer ausländischen Ausbildungsstätte immer auch ein Semester im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG ist", als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet. Diese Frage lässt sich jedoch auch außerhalb eines Berufungsverfahrens ohne weiteres beantworten und rechtfertigt daher die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht.
Nach § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG muss die Ausbildung, sofern sie nicht im Rahmen einer mit der besuchten Ausbildungsstätte vereinbarten Kooperation stattfindet, mindestens sechs Monate oder ein Semester dauern. Dabei kann der Begriff Semester nicht generell als Studienhalbjahr, das - wie an deutschen Hochschulen - den Zeitraum von sechs Monaten umfasst, verstanden werden. Andernfalls wäre nämlich die Bestimmung, dass die Ausbildung mindestens sechs Monate dauern muss, überflüssig, weil eine sechsmonatige Mindestausbildungsdauer schon durch den Begriff des Semesters vorgeschrieben würde, wenn ein Semester im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG immer ein sechsmonatiger Ausbildungsabschnitt wäre. Folglich führt die systematische Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG zu dem eindeutigen Ergebnis, dass von dem Begriff des Semesters in § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG auch ein Ausbildungsabschnitt, der weniger als sechs Monate dauert, umfasst sein kann.
Dafür spricht zudem die Entstehungsgeschichte der Norm. § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG sah ursprünglich vor, dass die Ausbildung mindestens sechs Monate oder - wenn sie im Rahmen einer mit der besuchten Ausbildungsstätte vereinbarten Kooperation stattfindet - mindestens drei Monate dauern muss. Diese Bestimmung ist durch das Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19. März 2001 (BGBl. I S. 390) dahingehend geändert worden, dass nach der Angabe "sechs Monate" die Wörter "oder ein Semester" eingefügt worden sind und die Angabe "drei Monate" durch die Angabe "zwölf Wochen" ersetzt worden ist. Diese Gesetzesänderung ergibt in Bezug auf die Einfügung der Wörter "oder ein Semester" in Anschluss an die Angabe "sechs Monate" aber nur dann einen Sinn, wenn unter einem Semester auch ein Ausbildungsabschnitt von weniger als sechs Monaten zu verstehen ist, weil die Gesetzesänderung ansonsten zu keiner inhaltlichen Änderung der Norm geführt hätte. Dass der Gesetzgeber § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG durch das Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19. März 2001 nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich ändern wollte, ist nach den Gesetzesmaterialien aber nicht zu bezweifeln.
Dass unter einem Semester im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG auch eine kürzere Ausbildungsperiode als sechs Monate zu verstehen sein kann, bestätigen zudem die Gesetzesmaterialien. Diese geben auch zweifelsfrei Aufschluss darüber, wie der Begriff des Semesters nach dem Willen des Gesetzgebers auszulegen ist.
Wie bereits ausgeführt ist § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG, der ursprünglich vorsah, dass die Ausbildung mindestens sechs Monate oder - wenn sie im Rahmen einer mit der besuchten Ausbildungsstätte vereinbarten Kooperation stattfindet - mindestens drei Monate dauern muss, durch das Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19. März 2001 dahingehend geändert worden, dass nach der Angabe "sechs Monate" die Wörter "oder ein Semester" eingefügt und die Angabe "drei Monate" durch die Angabe "zwölf Wochen" ersetzt worden ist. Zur Begründung dieser Gesetzesänderung heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, dass die Leistung von Ausbildungsförderung durch die flexiblere Bestimmung der Mindestausbildungsdauer im Ausland auch in den Fällen ermöglicht wird, in denen ein nach ausländischem Recht bestimmter Ausbildungsabschnitt nicht exakt drei Monate bzw. sechs Monate dauert, aber gewährleistet ist, dass innerhalb der an der ausländischen Ausbildungsstätte üblichen Ausbildungsperiode eine sinnvolle Teilausbildung betrieben werden kann (BT-Drs. 14, 4731 S. 31). Dem Gesetzentwurf lag demnach in Bezug auf die Änderung des § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG die klare Vorstellung zugrunde, dass ein Semester nicht generell ein sechsmonatiger Ausbildungsabschnitt ist, sondern eine nach ausländischem Recht bestimmte, an der ausländischen Ausbildungsstätte übliche, auch kürzere Ausbildungsperiode, in der eine sinnvolle Teilausbildung noch betrieben werden kann. Da § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG nach Maßgabe des o. a. Gesetzentwurfs geändert worden ist, ist davon auszugehen, dass dieses dem Gesetzentwurf zugrundeliegende Verständnis vom Begriff des Semesters auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Ferner ist nicht zu bezweifeln, dass die vorstehende Auslegung des Begriffs des Semesters auch mit dem Ziel des Ausbildungsförderungsreformgesetzes im Einklang steht, die Mindestausbildungsdauer im Ausland flexibler zu gestalten und die Auslandsförderung auszuweiten (vgl. dazu BT-Drs. 14, 4731 S. 31, 26).
Demnach bezeichnet der Begriff des Semesters in § 5 Abs. 2 Satz 3 BAföG einen auch weniger als sechs Monate dauernden, durch Rechtsvorschriften bestimmten üblichen Ausbildungsabschnitt an einer ausländischen Ausbildungsstätte, in dem eine sinnvolle Teilausbildung betrieben werden kann. Daher umfasst der Begriff des Semesters grundsätzlich auch ein Trimester, wenn an einer ausländischen Hochschule die Ausbildungsabschnitte nicht in Semester, sondern in Trimester gegliedert sind (ebenso OVG Bremen, Beschl. v. 23.1.2012 - 2 B 261/11 -). Denn es besteht kein begründeter Zweifel daran, dass eine sinnvolle Teilausbildung grundsätzlich auch in einem Trimester betrieben werden kann, worauf es nach den Gesetzesmaterialien entscheidend ankommt.
Die Berufung ist schließlich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Denn die Rechtssache weist in rechtlicher Hinsicht keine besonderen, d. h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.