Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.01.2014, Az.: 4 ME 311/13

Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag eines schwerbehinderten Menschen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses (hier: Zustimmung des Integrationsamts)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.01.2014
Aktenzeichen
4 ME 311/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 10066
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0109.4ME311.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 13.11.2013 - AZ: 13 B 6526/13

Fundstellen

  • DÖV 2014, 356
  • NVwZ-RR 2014, 5
  • NVwZ-RR 2014, 351
  • NordÖR 2014, 199
  • br 2014, 182

Amtlicher Leitsatz

Es fehlt regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag eines schwerbehinderten Menschen, die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen die Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts anzuordnen, wenn das Arbeitsverhältnis bereits gekündigt worden ist.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 13. November 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. Oktober 2013 über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuordnen, zu Recht abgelehnt, weil die Antragstellerin nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses kein Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag vorweisen kann.

Das Rechtsschutzbedürfnis, das auch bei einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vorliegen muss, fehlt, wenn das gerichtliche Rechtsschutzverfahren die Rechtstellung des Antragstellers offensichtlich nicht verbessern kann (vgl. Sodan / Ziekow, VwGO, § 42 Rn. 350). Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Zustimmung des Antragsgegners zur Kündigung würde sich nicht auf die Rechtswirksamkeit der Kündigung auswirken und der Antragstellerin für ihr arbeitsgerichtliches Verfahren somit keine rechtlichen Vorteile erbringen.

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 18. Februar 2009 (4 ME 9/09) zur Rechtslage Folgendes ausgeführt:

"Das Bundesarbeitsgericht hat für den vergleichbaren Fall der Zulässigkeitserklärung nach § 9 Abs. 3 MuSchG, gegen die Widerspruch und Anfechtungsklage nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung haben, entschieden, dass die Einlegung des Widerspruchs oder die Erhebung einer Anfechtungsklage nicht dazu führen, die Kündigung als rechtsunwirksam zu qualifizieren. Die Wirksamkeit der Kündigung sei vielmehr davon abhängig, ob der Verwaltungsakt endgültig rechtmäßig bzw. bestandskräftig sei. Solange die verwaltungsrechtliche Fehlerhaftigkeit der Zulässigkeitserklärung nicht feststehe, sei die ausgesprochene Kündigung nur schwebend wirksam (Urt. v. 17.6.2003 - 2 AZR 245/02 -, NJW 2004, 796). Dementsprechend hätte auch im vorliegenden Fall die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zustimmungserklärung des Antragsgegners nach §§ 85, 88 SGB IX keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung und würde dem Antragsteller für die von ihm vor dem Arbeitsgericht erhobene Kündigungsschutzklage keinen rechtlichen Vorteil bringen. Die Kündigungsschutzklage kann im Hinblick auf die vom Antragsgegner erteilte Zustimmung zur Kündigung nur dann Erfolg haben, wenn das Verwaltungsgericht die Zustimmungserklärung rechtskräftig aufgehoben hat und es damit an einer Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung fehlt. Solange die beanstandete Zustimmungserklärung dagegen nicht rechtskräftig aufgehoben worden ist, bleibt die Kündigung - schwebend - wirksam und kann der Kündigungsschutzklage nicht wegen einer fehlenden bzw. rechtswidrig erteilten Zustimmungserklärung stattgegeben werden."

Nach dieser Rechtsprechung, die der Senat in seinen Beschlüssen vom 3. August 2009 (4 ME 165/09), 29. Juli 2010 (4 ME 180/10) und 16. August 2013 (4 ME 122/13) unter Auseinandersetzung mit der teilweise gegenteiligen und auch von der Antragstellerin angeführten Rechtsprechung anderer Obergerichte bekräftigt hat, kann die Antragstellerin nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht vorweisen. Die von ihr im Beschwerdeverfahren dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Das gilt zunächst für den Einwand der Antragstellerin, dass "nichts dafür ersichtlich" sei, "dass es auf dem Gebiet des präventiven Kündigungsschutzes nach den Vorschriften des SGB IX Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichte nur im Hauptsacheverfahren geben sollte", und dass das Verfahren "auch keine strukturellen Besonderheiten" aufweise, "die dazu nötigen würden, ein Rechtsschutzinteresse des Schwerbehinderten am vorläufigen Rechtsschutz" gegen die Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt "zu verneinen". Denn entscheidend ist insofern allein, dass das erforderliche Rechtsschutzinteresse für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zustimmungserklärung nach dem oben Gesagten deshalb fehlt, weil eine solche Anordnung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hätte und der Antragstellerin für die von ihr erhobene Kündigungsschutzklage somit keinen rechtlichen Vorteil bringen würde, da die Kündigungsschutzklage im Hinblick auf die Zustimmung zur Kündigung nur dann Erfolg haben kann, wenn die Zustimmungserklärung rechtskräftig aufgehoben worden ist, was nur im Hauptsacheverfahren erfolgen kann.

Auch soweit die Antragstellerin geltend gemacht hat, dass die "tatsächliche Rechtsposition" eines schwerbehinderten Arbeitnehmers im zeitgleich laufenden Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht verbessert werden kann, wenn das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnet, da dies dazu beitragen könnte, einen gegebenenfalls bestehenden arbeitsrechtlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht durchzusetzen, begründet dies nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung verbessert als solche nicht die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Weiterbeschäftigungsantrags (OVG NRW, Beschluss vom 29.12.2003 - 12 B 957/03 - m. N. zur arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung). Allein die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass eine verwaltungsgerichtliche Aussetzungsentscheidung bzw. ihre Begründung faktischen Einfluss auf die richterliche Willensbildung im arbeitsgerichtlichen Kündigungsrechtsstreit beispielsweise bei der Entscheidung über einen solchen Weiterbeschäftigungsantrag haben könnte, begründet jedenfalls in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.1.2012 - 12 S 3214/11 -, NJW 2012, 2603; OVG NRW, Beschluss vom 29.12.2003 - 12 B 957/03 -). Im vorliegenden Fall kann unter diesem Gesichtspunkt zudem schon deshalb kein Rechtsschutzinteresse angenommen werden, weil die Antragstellerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass sie einen Antrag auf Weiterbeschäftigung im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Eilverfahrens gestellt hat. Soweit die Antragstellerin ferner eine Verbesserung ihrer Position im Rahmen der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht annimmt und auf die (dem Arbeitsgericht auch unabhängig vom Ausgang des Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beim Verwaltungsgericht offen stehende) Möglichkeit hinweist, dass das Arbeitsgericht im Falle einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zustimmungserklärung das Kündigungsschutzverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchverfahrens bzw. eines sich eventuell anschließenden Klageverfahrens aussetzen könnte, gilt erst recht, dass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung insoweit keine konkreten Vorteile bewirken würde, denen eine rechtliche Bedeutung beizumessen wäre und die ein Rechtsschutzinteresse für das im vorliegenden Verfahren von der Antragstellerin verfolgte Rechtsschutzbegehren begründen könnten.

Unzutreffend ist schließlich die Auffassung der Antragstellerin, dass der Arbeitgeber im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gehindert wäre, sich auf die Rechtsfolgen einer ausgesprochenen Kündigung gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zu berufen. Denn ein erfolgreicher Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hemmt nur die Vollziehbarkeit eines Verwaltungsaktes, berührt jedoch nicht dessen Wirksamkeit. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Kündigung ist aber die Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.1.2012 - 12 S 3214/11 -). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zustimmungserklärung hätte daher keinen Einfluss auf die ausgesprochene Kündigung, die nach der oben wieder gegebenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts "schwebend wirksam" bleibt, und brächte der Antragstellerin für die von ihr erhobene Kündigungsschutzklage somit keinen rechtlichen Vorteil.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.