Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 17.08.2023, Az.: 1 A 188/22

Anhörung; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchauflage; Zugang

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
17.08.2023
Aktenzeichen
1 A 188/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 30450
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2023:0817.1A188.22.00

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem ihm die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten auferlegt wurde.

Mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D., dessen Halter der Kläger ist, wurde am E. um F. Uhr in der Gemarkung G., H., A-Stadter Straße, folgender Verkehrsverstoß begangen: Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h; zulässige Geschwindigkeit: 70 km/h; festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 91 km/h.

Daraufhin wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 3. März 2022 wurde der Kläger als Zeuge zu dem begangenen Verkehrsverstoß angehört. Unter dem 24. März 2022 schickte die Bußgeldstelle des Beklagten eine Erinnerung an den Kläger. Nachdem innerhalb der Verjährungsfrist keine Antwort bei der Bußgeldstelle eingegangen war, stellte sie das Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Verfügung vom 21. Juni 2022 ein.

Nach Anhörung des Klägers ordnete der Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2022 die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. oder ein entsprechendes Ersatzfahrzeug an.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 10. November 2022 erhobenen Klage.

Zur Begründung macht er geltend, er habe weder den Zeugenfragebogen vom 3. März 2022 noch das Erinnerungsschreiben vom 24. September 2022 erhalten. Er habe schon des Öfteren zu beklagen gehabt, dass Postzustellungen an seinem Wohnort nicht vorgenommen worden seien; schon mehrfach seien Briefe nicht angekommen. Da er die Anhörungsschreiben nicht erhalten habe, habe er auch einer etwaigen Mitwirkungspflicht nicht nachkommen können. Überdies sie die Fahrerermittlung auch deshalb ohne Erfolg geblieben, weil der Beklagte allein eine Heckaufnahme von dem Fahrzeug gefertigt habe. Dies sei ein untaugliches Beweismittel. Vielmehr sei das "Blitzen von vorne" bundesweiter Standard. Die Fahrtenbuchauflage sei ferner unverhältnismäßig, da kein erheblicher Verkehrsverstoß vorliege.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid des Beklagten vom 10. Oktober 2022 (Fahrtenbuchauflage) aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt seinen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Beiakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die die Einzelrichterin mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 10. Oktober 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat gegenüber dem Kläger zu Recht die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von 6 Monaten angeordnet.

Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Kläger als Halter des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen D. verfügte Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein auf ihn zugelassenes Fahrzeug die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Verwaltungsbehörde kann ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen (Satz 2). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

1.

Zunächst bestehen keine Bedenken, dass mit dem Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften begangen wurde. Bei der vom Gericht im Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage (auch) zu prüfenden Frage, ob die (objektiven) Tatbestandsmerkmale der Bußgeld- bzw. Strafvorschrift vorliegen, genügt es, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass ein Verkehrsverstoß begangen worden ist. Dies ist hier der Fall und ergibt sich aus den in der Beiakte vorhandenen Unterlagen, insbesondere aus dem auf Blatt 4 befindlichen Heckfoto mitsamt Messergebnis. Anhaltspunkte dafür, dass die Feststellungen zum Verkehrsverstoß (hier: Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h nach Toleranzabzug bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 70 km/h) fehlerhaft waren, sind weder von dem Kläger substantiiert vorgebracht worden noch anderweitig ersichtlich, zumal es sich bei dem genutzten Messgerät Poliscan Speed um ein standardisiertes Messverfahren handelt. Bestreitet aber der Halter eines Fahrzeugs, der ein Fahrtenbuch führen soll, es habe sich ein Verkehrsverstoß ereignet, so muss er - soll seinem Vortrag gefolgt werden - substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.2.2023 - 3 C 14.21 -, juris Rn. 24 und 43 ff.; Nds. OVG, Beschl. v. 14.6.1999 - 12 M 2491/99 -, juris Rn. 2; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9.5.2006 - 8 A 3429/04 -, juris Rn. 4); hieran fehlt es.

Dass in den Verwaltungsvorgängen als Beweis lediglich ein Lichtbild von dem Heck des Fahrzeuges des Klägers enthalten ist (siehe Bl. 4 der Beiakte), lässt keine Bedenken daran aufkommen, dass mit dem Fahrzeug die benannte Verkehrsordnungswidrigkeit begangen wurde. Dies stellt entgegen der Annahme des Klägers auch kein Ermittlungsdefizit seitens des Beklagten dar.

Die in dem Gemeinsamen Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration sowie des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 25. November 1994 (Nds. MBl. S. 1555) in der Fassung des Runderlasses vom 7. Oktober 2010 (Nds. MBl. S. 1016) formulierten Richtlinien für die Überwachung des fließenden Straßenverkehrs durch Straßenverkehrsbehörden schließen weder die Anfertigung von Heckaufnahmen im Rahmen von Geschwindigkeitsüberwachungsmaßnahmen aus, noch ergibt sich daraus, dass das Vorliegen eines Heckfotos zur Rechtswidrigkeit der Messung führt. Auch wenn nach Nr. 7 Satz 1 der Anlage zu dem Erlass Fahrzeuge grundsätzlich von vorn zu fotografieren sind, sofern es der Verkehrsraum, die Art des Einsatzes und die Konstruktion des Überwachungsgerätes zulassen, war der Beklagte nicht dazu verpflichtet, zum Nachweis eines Verkehrsverstoßes ein Fahrerfoto bzw. Frontfoto zu fertigen (zur Zulässigkeit von Heckaufnahmen vgl. u.a. Urt. d. erk. Kammer vom 22.8.2022 - 1 A 153/20 -, n.v.; Nds. OVG, Urt. v. 1.4.2022 - 1 A 62/20 -, n.v.; Nds. OVG, Beschl. v. 7.8.2013 - 12 LA 243/12 -, n.v., BA S. 4 m.w.N., Beschl. v. 17.1.2013 - 12 LA 312/11 -, n.v., BA S. 4). Die Richtlinien stellen nur Empfehlungen für den Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten zum Zwecke des Nachweises der Person des Fahrers für die sich an einen Verkehrsverstoß anschließende Ahndung der Ordnungswidrigkeit im Bußgeldverfahren dar. Die Empfehlung hat, wie durch den erläuternden Erlass vom 5. Dezember 2011 klargestellt wird, die Beweissicherung bei Geschwindigkeitskontrollen und gegebenenfalls die Beweisführung im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren im Blick und besagt nichts über die Frage, ob ein Verkehrsverstoß hinreichend dokumentiert ist, um präventiv eine Fahrtenbuchauflage gemäß § 31a StVZO zu rechtfertigen beziehungsweise ob die Messung mittels Heckfoto insoweit verwertbar ist (Nds. OVG, Beschl. v. 17.1.2013 - 12 LA 312/11 -, n.v., BA S. 4).

2.

Die Feststellung des Fahrzeugführers nach dem Verkehrsverstoß vom E. war unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO.

Die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist nicht möglich, wenn die zuständige Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen traf. Es kommt mithin darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen veranlasst, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob die Fahrerfeststellung unmöglich war, ist der Eintritt der Verfolgungsverjährung der Ordnungswidrigkeit. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. u.a. BVerwG, Urt. v. 17.12.1982 - 7 C 3.80 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 21.10.1987 - 7 B 162.87 -, juris Rn. 5; Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, juris Rn. 17, Beschl. v. 1.2.2013 - 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 - 12 ME 44/10 -, juris Rn. 5). An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Bußgeldstelle nicht zurücksendet oder keine weiteren Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer macht. Die Bußgeldbehörde kann daher in aller Regel davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden, und mit dieser Begründung auf weitere Ermittlungsversuche verzichten. Ihr werden weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet (Urt. d. erk. Kammer v. 21.8.2019 - 1 A 181/18 -, juris Rn. 17 f.; Nds. OVG, Beschl. v. 1.2.2013 - 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7, Beschl. v. 7.6.2010 - 12 ME 44/10 -, juris Rn. 8, Beschl. v. 6.4.2010 - 12 ME 47/10 -, juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Weitere Ermittlungen zum Fahrzeugführer sind in diesen Fällen nur ausnahmsweise erforderlich, nämlich dann, wenn sich im Einzelfall besondere Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuten. Zur Anwendung bestimmter Ermittlungsmethoden ist die Behörde allerdings keinesfalls verpflichtet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.1.2008 - 10 S 129/08 -, juris Rn. 4; Nds. OVG, Beschl. v. 31.10.2006 - 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4).

Nach Maßgabe dessen war es der Verfolgungsbehörde nicht im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO möglich, den Fahrzeugführer zu ermitteln, da sie alle nach den Umständen des Einzelfalles angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen traf. Der Beklagte hat die Feststellung des Fahrzeugführers zureichend betrieben. Bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung veranlasste er unter sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Mittel ohne Ermessensfehler die Maßnahmen, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können, ohne dass dies zur Ermittlung des Fahrzeugführers geführt hätte. Er übersandte dem Kläger als Halter einen Zeugenfragebogen vom 3. März 2022 sowie ein Erinnerungsschreiben vom 24. März 2022, um den Fahrzeugführer feststellen zu können. Der Kläger hat auf beide Anhörungsschreiben indes keine Angaben getätigt. Daher konnte der Beklagte davon ausgehen, dass der Kläger nicht willens ist, an der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken. Weitere Ermittlungsversuche, die über die (hier gescheiterte) Anhörung des Fahrzeughalters hinausgehen, wären bereits deshalb nicht erforderlich gewesen (st. Rspr. des Nds. OVG, vgl. etwa Urt. v. 23.1.2014 - 12 LB 19/13 -, juris Rn. 15; Beschl. v. 1.2.2013 - 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7; Beschl. v. 7.6.2010 - 12 ME 44/10 -, juris Rn. 8 jeweils m.w.N.) und drängten sich vorliegend auch deshalb nicht auf, weil lediglich eine Heckaufnahme vorlag. Hinweise auf die Identität des verantwortlichen Fahrzeugführers gab es nicht; es war anhand des Beweisfotos noch nicht einmal erkenntlich, ob ein Mann oder eine Frau das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hatte. Welche weitergehenden Ermittlungsmaßnahmen der Beklagte bei dieser Sachlage hätte einleiten sollen, erschließt sich der Einzelrichterin nicht.

Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, keines der beiden Anhörungsbögen im Ordnungswidrigkeitenverfahren erhalten zu haben.

Dem Kläger ist indes darin beizupflichten, dass zur Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage erforderlich ist, dass der Halter zuvor im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu dem betreffenden Verstoß angehört wurde. Dies erfordert den Zugang mindestens eines Anhörungsschreibens (ebenso u.a. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 4.4.2013 - 8 B 173/13 -, juris; BayVGH, Beschl. v. 10.10.2006 - 11 CS 06.607 -, juris; in diese Richtung wohl auch BVerwG, Beschl. v. 25.6.1987 - 7 B 139.87 -, juris Rn. 2 ["benachrichtigen"]; Beschl. v. 14.5.1997 - 3 B 28.97 -, juris Rn. 3 ["in Kenntnis setzen"]; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.3.2015 - OVG 1 B 1.13 -, juris). Die Einzelrichterin hält an der von der Beklagtenseite zitierten Rechtsprechung der Kammer vom 3. Dezember 2018 (-1 A 246/17 -, juris) nicht fest, soweit darin ein Zugang der Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht für erforderlich erachtet wurde. Auch der 12. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hält an seiner (von der Kammer in der Entscheidung vom 3.12.2018 maßgeblich herangezogenen) Rechtsprechung in seinem Beschluss vom 10.3.2006 (- 12 ME 48/06 -, juris Rn. 14) nicht mehr fest und führte in seinem Beschluss vom 27.10.2021 (- 12 ME 125/21 -, V.n.b.) unter anderem aus: "[...] Deshalb sei hier nur angemerkt, dass die von dem beschließenden Senat (vgl. Beschl. v. 10.3.2006 - 12 ME 48/06 -, juris, Rn. 14) in der Vergangenheit vertretene Auffassung, der Zugang eines Anhörungsschreibens bei dem von der Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften zu unterrichtenden Fahrzeughalter sei nicht erforderlich, nach heutiger Auffassung des Spruchkörpers (vgl. Beschl. v. 15.3.2021 - 12 ME 44/21 -, Seite 6, vorletzter Absatz, des Abdrucks) erheblichen Bedenken begegnet. Denn die Rechtsprechung des Eufach0000000009s (vgl. Beschl. v. 14.997 - BVerwG 3 B 28.97 -, juris, Rn. 3) geht davon aus, dass die Verfolgungsbehörde ihrer in § 31a StVZO vorausgesetzten Pflicht, alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Feststellung des Täters zu ergreifen, grundsätzlich nur dann genügt, wenn sie den Kraftfahrzeughalter unverzüglich von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung in Kenntnis setzt (d. h. also wohl nicht nur: "in Kenntnis zu setzen versucht"). Letzteres spricht entscheidend dagegen, dass allein die Absendung eines Zeugenfragebogens ausreicht und dessen Zugang im Machtbereich des Kraftfahrzeughalters entbehrlich ist.")."

Den Einwand des Klägers, er habe keines der beiden Anhörungsschreiben im Ordnungswidrigkeitenverfahren erhalten, erachtet die Einzelrichterin als Schutzbehauptung. Nach ständiger Rechtsprechung reicht ein Datensatzauszug - wie er hier mit Bl. 2-5 der Beiakte vorliegt - aus, um die Zusendung zu belegen, und gilt dieser Anhörungsbogen sodann auch als zugegangen, wenn ein Rücklauf nicht feststellbar ist (vgl. dahingehend auch Nds. OVG, Beschl. v. 6.4.2010 - 12 ME 47/10 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 21.4.2021 - 12 ME 44/21 -, V.n.b.). Zwar enthalten die in dem Verwaltungsvorgang enthaltenen Durchschriften des Zeugenfragebogens sowie des Erinnerungsschreibens keine handschriftlichen Vermerke über die Absendung. Aus dem "Statusblatt" (Bl. 3 der Beiakte) geht indes hinreichend hervor, welche Verfahrensschritte unternommen worden sind. Dieser Nachweis ist ausreichend (st. Rspr. der Kammer, vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 6.4.2010 - 12 ME 47/10 -, juris Rn. 6). Vorliegend sprechen zudem gewichtige Anhaltspunkte gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers. Das Vorbringen, keines der beiden Anhörungsschreiben erhalten zu haben, widerspricht jeder Wahrscheinlichkeit. Zu dieser Schlussfolgerung kommt die Einzelrichterin insbesondere aufgrund der Tatsache, dass beide Schreiben an die richtige Adresse des Klägers adressiert waren und es äußerst lebensfremd beziehungsweise unwahrscheinlich erscheint, dass beide - innerhalb weniger Wochen nacheinander versandten - Schreiben verlorengehen oder nicht ordnungsgemäß zugestellt werden. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands, dass der Kläger den streitgegenständlichen Fahrtenbuchbescheid unter derselben Adresse erhalten hat und Rückläufer bei dem Beklagten nicht zu verzeichnen waren. Nach allgemeiner Lebenserfahrung spricht grundsätzlich wenig dafür, dass korrekt adressierte und abgesandte Schreiben den Empfänger nicht erreichen, wenn - wie hier - keine besonderen Umstände vorliegen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18.12.2017 - 7 B 1104/17 -, juris Rn. 22 f. m.w.N.). Vielmehr streitet dann ein (Anscheins- oder Indizien-) Beweis für den Zugang (zum Anscheinsbeweise u.a. BayVGH, Urt. v. 18.2.2016 - 11 BV 15.1164 -, juris; zum Indizienbeweis u.a. OVG Hamburg, Beschl. v. 23.9.2021 - 4 Bs 140/21 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.2.2015 - 1 B 1/13 -, juris); so auch hier.

3.

Der Beklagte erließ die angefochtene Verfügung gegen den richtigen Adressaten, weil der Kläger Halter des Fahrzeuges war, mit dem der zugrunde liegende Verkehrsverstoß begangen worden war. Für den Halterbegriff des § 31a StVZO gelten die zu § 7 StVG entwickelten Grundsätze (vgl. u.a. Nds. OVG, Beschl. v. 30.1.2014 - 12 ME 243/13 -, juris Rn. 7; Beschl. v. 12.12.2007 - 12 LA 267/07 -, juris Rn. 18).

4.

Die Fahrtenbuchanordnung lässt schließlich Ermessensfehler nicht erkennen (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).

Der Beklagte beachtete bei seiner Anordnung die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens. Die Anordnung verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine solche Anordnung ist nur gerechtfertigt, wenn ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht vorliegt. Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt. Vorliegend liegt indes ein wesentlicher Verkehrsverstoß vor. Bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von - wie hier - mehr als 20 km/h stellt regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung dar, dass die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage geboten ist; dies gilt selbst dann, wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (so bereits Urt. v. 3.12.2018 - 1 A 257/17 -, juris Rn. 23 unter Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 10.8.2015 - 10 S 278/15 -, juris Rn. 14; ebenso BVerwG; Urt. v. 17.12.1982 - 7 C 3.80 -, juris Rn. 9; Nds. OVG, Urt. v. 8.7.2014 - 12 LB 76/14 -, juris Rn. 26; BayVGH, Beschl. v. 12.2.2007 - 11 B 05.427 -, juris Rn. 19; VG Braunschweig, Urt. v. 15.2.2017 - 6 A 181/16 -, juris Rn. 21).

Die Anordnung lässt auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage von 6 Monaten keine Ermessensfehler erkennen. Um die Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist es erforderlich, das Führen des Fahrtenbuchs für eine gewisse, nicht zu geringe Dauer anzuordnen. Bei der Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage ist insbesondere das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen. Stellt die Behörde im Regelfall hinsichtlich der Dauer auf die Schwere des Verkehrsverstoßes ab, so darf sie die Dauer der Fahrtenbuchauflage anhand dieses Kriteriums staffeln (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.5.2015 - 3 C 13.14 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Urt. v. 8.7.2014 - 12 LB 76/14 -, juris Rn. 28, Urt. v. 23.1.2014 - 12 LB 19/13 -, juris Rn. 19). Das Interesse der Allgemeinheit, einer Gefahr entgegenzuwirken, bei weiteren Zuwiderhandlungen vergleichbarer Schwere den Fahrer nicht ermitteln zu können, wächst je schwerer der Verstoß wiegt. Bei einem schweren Verstoß kann es deshalb gerechtfertigt sein, dem Halter eine längere Überwachung der Nutzung seines Fahrzeuges abzuverlangen. Dabei darf sich die Behörde - wie hier der Beklagte - bei der Bemessung des Gewichtes einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften an dem Punktsystem nach der Anlage 13 der FeV orientieren (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 8.7.2014 - 12 LB 76/14 -, juris Rn. 28). Bei Fahrtenbuchanordnungen für die Dauer von - wie hier - 6 Monaten wird in der Rechtsprechung ein intendiertes Ermessen angenommen, welches nicht oder jedenfalls nicht im Einzelnen begründet werden muss (Nds. OVG, Urt. v. 10.2.2011 - 12 LB 318/08 -, juris Rn. 24 m.w.N; vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 9.1.2017 - 11 CS 16.2585 -, juris Rn. 15). Bereits deshalb war vorliegend ausreichend, dass der Beklagte die von ihm konkret angeordnete Fahrtenbuchauflage mit der Höhe der für den Verkehrsverstoß vorgesehenen Sanktionen (100,- EUR Geldbuße und 1 Punkt im Verkehrszentralregister) begründete (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 30.4.2015 - 12 LA 156/14 -, juris Rn. 7; Urt. v. 3.12.2018 - 1 A 257/17 -, juris Rn. 24).

Ohne Belang ist schließlich, ob den Kläger ein Verschulden an der Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers trifft. Dies folgt aus dem gefahrenabwehrrechtlichen Charakter der Regelung mit dem Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs bei gegebenem Anlass dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit über das Fahrtenbuch alsbald ermittelt werden kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, juris Rn. 16 f., Urt. v. 23.1.2014 - 12 LB 19/13 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Die Fahrtenbuchauflage richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Eine Fahrtenbuchauflage ist daher schon dann erforderlich, wenn nach den Erfahrungen in dem Anlassfall nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Fahrzeughalter in einer vergleichbaren Konstellation erneut nicht angegeben wird oder nicht angegeben werden kann, wer das Fahrzeug gefahren hat (vgl. zu alledem auch: VG Braunschweig, Urt. v. 26.6.2018 - 6 A 161/17 -, juris Rn. 28 und Beschl. v. 12.3.2012 - 6 B 40/12 -, juris Rn. 33). Das Verhalten des Klägers bietet vorliegend Anlass genug, ihn zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung anzuhalten, denn er hat an der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nach der begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nicht hinreichend mitgewirkt (dazu oben). Er hat auch weder Umstände vorgetragen noch sind dem Gericht solche sonst ersichtlich, die darauf schließen ließen, dass er bei einem künftigen Verkehrsverstoß zu einer hinreichenden Mitwirkung bei der Fahrerermittlung bereit sein würde. Die Führung des Fahrtenbuchs ist vorliegend geeignet, zukünftige Ermittlungen nach Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug des Klägers zu fördern. Zudem trägt die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs dazu bei, dass etwaige Verstöße künftig unterbleiben. Ein Fahrzeugführer, der damit rechnen muss, dass er wegen der durch das Fahrtenbuch feststellbaren Fahreridentität für einen von ihm begangenen Verkehrsverstoß zur Verantwortung gezogen wird, wird Verkehrszuwiderhandlungen zu vermeiden suchen.

5.

Die in der Ordnungsverfügung geregelte Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf Ersatzfahrzeuge findet in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO eine ausreichende Rechtsgrundlage und erweist sich vorliegend als hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG. Anhaltspunkte für eine Veräußerung ohne Wiederbeschaffung liegen nicht vor.

Die weiteren, in der Ordnungsverfügung enthaltenen Bestimmungen, die Inhalt, Vorlage und Aufbewahrung des Fahrtenbuches betreffen, rechtfertigen sich aus § 31a Abs. 2 und 3 StVZO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124a Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.