Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.01.2014, Az.: 4 LA 3/14
Anspruch auf Unterhaltsvorschuss bei Verhinderung der Feststellung der Vaterschaft durch ein Elternteil
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.01.2014
- Aktenzeichen
- 4 LA 3/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 10628
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0116.4LA3.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 19.11.2013 - AZ: 3 A 3553/11
Rechtsgrundlage
- § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG
Fundstellen
- FamRB 2014, 120
- NordÖR 2014, 199
Amtlicher Leitsatz
Ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG nicht, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und damit die des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils von vornherein aussichtslos ist.
Tenor:
Die Anträge der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 3. Kammer - vom 19. November 2013 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren werden abgelehnt.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des gerichtsgebührenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf
Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, mit das Verwaltungsgericht die auf die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren am 26. Oktober 2006 unehelich geborenen Sohn gerichtete Klage abgewiesen hat,
hat keinen Erfolg. Denn die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.
Die Berufung kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden.
Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 Rn. 30 ff., m.w.N.). Daher ist die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet worden und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 a Rn. 103 ff., m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag der Klägerin nicht. Diese hat zwar ausgeführt, dass das Verfahren der Klärung der Frage diene, "ob die gesetzlichen Vorschriften auch den hier vorliegenden Einzelfall erfassen". Damit hat die Klägerin aber keine konkrete Rechtsfrage und erst recht keine Rechtsfrage, die im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf, bezeichnet. Folglich ist die Darlegung des geltend gemachten Zulassungsgrundes unzureichend.
Abgesehen davon liegt der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aber auch nicht vor, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Mai 2013 (- 5 C 28.12 -, NJW 2013, 2775 [BVerwG 16.05.2013 - BVerwG 5 C 28.12]) ausgeführt, dass § 1 Abs. 1 UVG, der die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistungen normiert, nicht in der Weise teleologisch reduziert werden kann, dass die Anspruchsvoraussetzungen um das Erfordernis, dass der Rückgriff des Landes bei dem anderen Elternteil grundsätzlich möglich sein muss, ergänzt werden. Die Auffassung, dass es dem Plan des Gesetzgebers entsprochen habe, die Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach § 1 Abs. 1 UVG setze voraus, dass der öffentlichen Hand in jedem Einzelfall die Möglichkeit eröffnet sei, ihre Aufwendungen von dem anderen Elternteil erstattet zu bekommen, sei unzutreffend. Die Konzeption des Unterhaltsvorschussgesetzes stehe auch der Annahme entgegen, der Gesetzgeber habe einen Anspruch in den Fällen ausschließen wollen, in denen der alleinerziehende Elternteil die prekäre Lage selbst herbeigeführt habe. Die der gesetzgeberischen Konzeption zugrunde liegende Erwartung, dass sich der Elternteil, bei dem das Kind lebe, in der Regel so verhalte, dass die Unterhaltsvorschussleistung nicht zur Unterhaltsausfallleistung wird, werde allerdings dann nicht Rechnung getragen, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und damit die des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteil von vornherein aussichtslos ist und deshalb die öffentliche Unterhaltsleistung nur als Ausfallleistung gewährt werden kann. In diesem Fall stehe die Gewährung einer Unterhaltsleistung mit der Intention des Gesetzgebers nicht im Einklang. Die planwidrige Lücke sei durch eine analoge Anwendung des Anspruchsausschlusses nach § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG zu schließen. Die Rechtsfolge dieser Norm, dass der Anspruch nach § 1 Abs. 1 UVG nicht besteht, sei auf diesen Sachverhalt übertragbar, weil eine vergleichbare Sach- und Interessenlage vorliege. Mit dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist der rechtliche Rahmen auch für die Beurteilung von Fallkonstellationen wie der vorliegenden grundsätzlich geklärt, so dass der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO mangels grundsätzlichen Klärungsbedarfs zu verneinen ist.
Die Berufung kann entgegen der Annahme der Klägerin auch nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Wie bereits ausgeführt besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss oder -ausfallleistung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2013 (a.a.O.) in entsprechender Anwendung des § 1 Abs. 3 Alt. 2 UVG nicht, wenn der Elternteil, bei dem das Kind lebt, durch ein bewusstes und gewolltes Verhalten vor der Geburt des Kindes eine Situation schafft, in der die Feststellung der Vaterschaft und damit des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils von vornherein ausgeschlossen ist und deshalb die öffentliche Unterhaltsleistung nur als Ausfallleistung gewährt werden kann. Nach den Feststelllungen, die das Verwaltungsgericht getroffen hat, ist im vorliegenden Fall von einer solchen Fallkonstellation auszugehen. Die Klägerin hat dem zwar entgegengehalten, dass sie nicht bewusst auf die Kenntnis des Vaters ihres Sohnes verzichtet habe. Als sie von ihrer Schwangerschaft erfahren habe, habe sie sich aus der Clique zurückgezogen. Die Nachricht sei ein Schock für sie gewesen. Dass sich die Clique in dieser Situation schnell und spurlos aufgelöst habe, dürfte aus der Sicht der potenziellen Väter ebenfalls verständlich sein. Sie habe auch keine Möglichkeit mehr gehabt, noch intensiv nachzuforschen, wer der tatsächliche Vater sein könnte. Dieser Vortrag begründet aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, da er der Feststellung nicht entgegensteht, dass die Klägerin vor der Kenntniserlangung von ihrer Schwangerschaft und damit auch vor der Geburt des Kindes bewusst und gewollt, nämlich billigend in Kauf nehmend, eine Situation geschaffen hat, in der die Feststellung der Vaterschaft bei realistischer Betrachtungsweise von vornherein keine Aussicht auf Erfolg versprach.
Die Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Rechtsverfolgung der Klägerin schon bei Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht gefehlt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 188 VwGO sowie § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.