Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.01.2014, Az.: 7 OA 112/13
Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.01.2014
- Aktenzeichen
- 7 OA 112/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 10330
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0115.7OA112.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 31.10.2013 - 5 B 4724/13
Rechtsgrundlagen
- § 9 JVEG
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 86 VwGO
- § 162 Abs. 1 VwGO
- § 164 VwGO
Fundstellen
- DÖV 2014, 404
- GuG 2014, 318
- GuG aktuell 2014, 31
- JurBüro 2014, 201-202
- NVwZ-RR 2014, 6
- NVwZ-RR 2014, 495-496
- NordÖR 2014, 198
Amtlicher Leitsatz
Die Aufwendungen für die Einholung eines Privatgutachtens sind als erstattungsfähig anzuerkennen (§ 162 Abs. 1 VwGO), wenn eine verständige Partei es im Hinblick auf ihre prozessuale Lage und die Bedeutung der Sache vernünftigerweise für erforderlich halten durfte, wobei in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschränkung des gerichtlichen Amtsermittlungsgrundsatzes und die gesteigerte Darlegungslast der Beteiligten zu berücksichtigen ist. Die Erstattung der Kosten für ein Privatgutachten wird nicht durch die Vergütungssätze des Justizvergütungs und entschädigungsgesetz (JVEG) begrenzt.
Tenor:
Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 23. September 2013 und der ihn bestätigende Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 31. Oktober 2013 werden geändert. Der Antragstellerin sind von dem Antragsgegner - über den bereits im Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin festgesetzten Betrag hinaus - weitere 600 € nebst Zinsen iHv 5% über dem Basiszinssatz ab dem 26.08.2013 zu erstatten.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin zu 7/8; der Antragsgegner zu 1/8.
Gründe
Die Beschwerde gegen die gerichtliche Entscheidung vom 31.10.2013 über die Erinnerung (§§ 165, 151 VwGO) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts vom 23.09.2013, mit dem die Antragstellerin die Erstattung außergerichtlicher Kosten für einen von ihr beauftragten privaten Sachverständigen begehrt, hat teilweise Erfolg.
Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind - neben den Gerichtskosten - die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten erstattungsfähig und auf Antrag gemäß § 164 VwGO festzusetzen.
Notwendigkeit in diesem Sinne bedeutet, dass ein verständiger Beteiligter die Aufwendungen im Hinblick auf seine Lage und die Bedeutung der Sache sowie wegen deren rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten vernünftigerweise für erforderlich halten durfte (Senat, Beschl. v. 15.01.2002 - 7 OA 3824/01 -, NVwZ-RR 2002, 703). Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den von der Untersuchungsmaxime (§ 86 VwGO) beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahren es grundsätzlich Aufgabe des Verwaltungsgerichts ist, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen und den Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen ist, wobei allerdings die Einschränkung des Amtsermittlungsgrundsatzes und die gesteigerte Darlegungslast der Beteiligten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht außer Betracht bleiben darf (vgl. BayVGH, Beschl. v. 26.7.2000 - 22 C 00.1767 -, NVwZ-RR 2001, 69). Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten ist daher aus Gründen der prozessualen Chancen- und Waffengleichheit als notwendig anzuerkennen, wenn die betreffende Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Vorbringen tragende Behauptungen nur mithilfe eines solchen Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann, die Prozesssituation dies erfordert und dessen Inhalt auf die Verfahrensförderung zugeschnitten ist (BVerwG, Beschl. v. 11.04.2001 - 9 KSt 2.01 -; u.v. 08.10.2008 - 4 KSt 2000/08, 4 A 2001/06 -; beide [...]; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.12.2009 - 5 S 1904/09 -, [...]; BayVGH, Beschl. v. 12.11.2013 - 8 C 13.313 -, [...]; Senat, aaO). Abzustellen ist auf eine ex-ante-Betrachtung bezogen auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist dagegen, ob sie sich im Nachhinein als unnötig herausstellt (BVerwG, Beschl. v. 06.12.2007 - 4 KSt 1004.07 -, sowie v. 08.10.2008 - 4 KSt 2000/08 - und - 4 A 2001/06 - mit Anm. Gatz, alle [...]).
Hiervon ausgehend sind die Aufwendungen der Antragstellerin für das Gutachten B. vom 03.04.2013 als notwendig und daher erstattungsfähig anzuerkennen. Sie sind aus der Sicht eines verständigen Beteiligten im Hinblick auf die damalige Prozesslage als vernünftigerweise erforderlich zu beurteilen. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsgegner am 22.03.2013 - nachdem von dem Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelrecht (LAVES) bereits am 22.02.2013 ein Verarbeitungs- und Verkehrsverbot gegenüber dem Lagerhalter ausgesprochen worden war - aufgrund entsprechender Erlasse des Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 04.03.2013 und 06.03.2013 eine abfallrechtliche Verfügung getroffen hatte, in der er die Antragstellerin aufforderte, den "... mit Schimmelanhaftungen verunreinigten Futtermais unverzüglich unter dem Abfallschlüssel 02 01 99 mit der Abfallbezeichnung "Abfälle a.n.g." einem Entsorgungsverfahren zuzuführen, bei dem die Abfälle aus dem biologischen Kreislauf ausgeschleust werden." Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, wenn die Antragstellerin zur Stützung ihres gegenteiligen Standpunktes, dass es sich bei dem aflatoxinbelasteten Mais nicht um Abfall handele, der entsorgt werden müsse, ein Gutachten des Instituts für Umweltforschung der Fakultät Chemie, Prof. Dr. Dr. h.c. M. B., einholte, das sich mit den Fragen einer Reduzierung des Aflatoxingehaltes, der Reinigung des Maises, seiner energetischen Verwertbarkeit sowie des Umgangs mit den anfallenden Rückständen befasste. Denn sie musste befürchten, dass das Verwaltungsgericht sich im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO im Rahmen einer lediglich summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ohne ein solches aufgrund des Gewichts der fachbehördlichen Äußerungen der Auffassung des Antragsgegners anschließen und die Anordnung des Sofortvollzuges bestätigen würde, wie es dann im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 06.05.2013 auch geschehen ist. Auch kam dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren angesichts der fortlaufenden Zeit und des drohenden (weiteren) Verderbs des Futtermittels eine hohe - dem Hauptsacheverfahren vergleichbare - Bedeutung zu. Dass die Sache sich schließlich erledigte, weil die Möglichkeit des Exports des aflatoxinbehafteten Maises in die USA bestand und der Antragsgegner dem ohne förmliche Aufhebung seiner Verfügung zustimmte, ist unerheblich, da für die Erforderlichkeit der Gutachterkosten - wie oben ausgeführt - auf eine ex-ante-Betrachtung abzustellen ist.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners aus dessen Schriftsatz vom 29.08.2013 ist die gutachterliche Tätigkeit auch nicht nach den Stundensätzen, die für Zeugen und gerichtliche Sachverständige nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) gelten, zu kürzen. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein von einem Prozessbeteiligten eingeholtes Privatgutachten richtet sich nicht nach den Vergütungssätzen des JVEG (BGH, Beschl. v. 25.01.2007 - VII ZB 74/06 -, NJW 2007, 1532f.; BayVGH, Beschl. v. 07.04.2011 - 22 C 10.1854 -, [...]). Das JVEG regelt lediglich das dem gerichtlichen Sachverständigen zustehende Honorar. Eine entsprechende Anwendung auf Privatgutachten kommt nicht in Betracht, weil in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einem Privaten möglich sein wird, einen geeigneten Sachverständigen zu den darin vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen (vgl. BGH, aaO). Die für ein notwendiges Privatgutachten entstandenen Kosten sind vielmehr in der Regel in vollem Umfang zu erstatten, wenn die Überschreitung der Stundensätze des genannten Gesetzes nicht offensichtlich unangemessen ist (BayVGH, Beschl. v. 07.04.2011, aaO, u. Beschl. v. 26.7.2000, aaO). Von Unangemessenheit ist hier auch im Hinblick auf den berechneten Stundensatz von 200 € im Ergebnis nicht auszugehen. Das JVEG ordnet in Anlage 1 dem Sachgebiet "Abfallstoffe" die Honorargruppe 11 zu, für die die Tabelle zu § 9 JVEG einen Stundensatz von 115 € vorsieht. Der vom Gutachter berechnete Ansatz liegt damit um gut 70 % über den JVEG-Sätzen, was hoch ist. Der Senat berücksichtigt in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass lediglich 3 Stunden für das 3seitige Gutachten vom 03.04.2013 angesetzt worden sind, was im Hinblick auf den erforderlichen Zeitaufwand für die Einarbeitung und für die Erfassung des Sachverhalts zu Kosten führt, die insgesamt nicht als übersetzt angesehen werden können. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 247 BGB.
Anders verhält es sich dagegen mit den Kosten für das 2. Gutachten B. vom 19.04.2013. Diese 17seitige ergänzende Stellungnahme des Gutachters enthält zwar instruktive Ausführungen "... zu Aflatoxin B1 kontaminiertem Mais aus Serbien und Handlungsempfehlungen", seine zusätzliche Erforderlichkeit über die bereits erstellte und in das Verfahren eingeführte Stellungnahme vom 03.04.2013 erschließt sich indes nicht recht. Zwar enthält die Stellungnahme vom 19.04.2013 weitere Ausführungen zu Fragen der Bioethanol-Herstellung allgemein und aus aflatoxinbelastetem Mais im Besonderen; der zusätzliche Erkenntnisgewinn im Hinblick auf die Frage der Abfalleigenschaft des Maises gegenüber der Stellungnahme vom 03.04.2013 erscheint aber gering, zumal ohnehin nicht zu erkennen ist, weshalb die Prozesssituation so kurz nach dem Gutachten vom 03.04.2013 eine Zweitbegutachtung herausgefordert hätte. Einer Erstattungsfähigkeit dieser Gutachterkosten, die mit 15 (weiteren) Arbeitsstunden angesetzt sind, zu Lasten des gegnerischen Verfahrensbeteiligten steht daher das prozessuale Kostenminimierungsgebot (vgl. BVerwG, aaO) entgegen. Gleiches gilt für die Kosten für weitere 6 Arbeitsstunden aus der Rechnung vom 02.05.2013 für den "ersten und zweiten Zusatz zum Gutachten".
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis), der eine Festgebühr von 50 EUR vorsieht, nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).