Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 30.09.2004, Az.: 203-VgK-44/2004

Vergabe von förmlichen Zustellungsaufträgen; Beschränkung der Kalkulationsmöglichkeiten durch Ausschluss des Einsatzes von Subunternehmern; Präklusion von Verstößen gegen Vergabevorschriften; Anforderungen an die positive Kenntnis eines Vergaberechtsverstoßes; Berechtigtes Interesse an der Selbstausführung der Leistungen durch den Auftragnehmer; Kontrollinteresse auf Grund weit reichender prozessualer Bedeutung der Postzustellungen; Sinn und Zweck des § 10 Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A); Verpflichtung zur Bekanntmachung der Zuschlagskriterien; Erfordernis der Dokumentation der Auswahlentscheidung

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
30.09.2004
Aktenzeichen
203-VgK-44/2004
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 33786
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe von förmlichen Zustellungsaufträgen

In dem Nachprüfungsverfahren
hat die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ing. Dierks
auf die mündliche Verhandlung vom 24.09.2004
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

  3. 3.

    Die Kosten werden auf 4.818,- EUR festgesetzt.

  4. 4.

    Die Antragstellerin hat der Beigeladenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die Beigeladene notwendig.

Begründung

1

I.

Der Auftraggeber hat mit Bekanntmachung vom 12.05.2004 die förmlichen Postzustellungsaufträge nach §§ 166 ff der Zivilprozessordnung (ZPO) europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. In der Vergabebekanntmachung war unter Ort der Dienstleistungserbringung genannt: "Zustellgebiet Niedersachsen - die Gerichte der ...

2

Die Bieter wurden darauf hingewiesen, dass es sich um einen Rahmenvertrag handelt mit einer maximalen Zustellungsmenge von ca. 150.000 Zustellungen im Monat.

3

Vorbedingung für die Teilnahme am Wettbewerb war, dass der Auftragnehmer ausschließlich eigene, direkt angestellte Mitarbeiter sozial- und rentenversicherungspflichtig beschäftigen muss. Bietergemeinschaften, Subunternehmer, Kooperationen o. ä. waren nicht zugelassen. Hinsichtlich des genauen Anforderungsprofils und des verbindlichen Vertragsmusters wurde auf die Verdingungsunterlagen verwiesen.

4

Hinsichtlich der Rechtslage war als Nachweis die Lizenz und Entgeltgenehmigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) gefordert. Zum Nachweis ihrer wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit wurde auf die Verdingungsunterlagen verwiesen. Dort wurden folgende Bescheinigungen gefordert: Nachweis über die Eintragung im Berufsregister (IHK); Bescheinigung der Berufsgenossenschaft bzw. des Versicherungsträgers und ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister.

5

Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlich günstigste Angebot aufgrund der in den Unterlagen genannten Kriterien erfolgen. Nach dem dortigen Anforderungsprofil sollte der Auftrag nach der Gesamtbeurteilung folgender Kriterien vergeben werden:

  • Allgemeine und auftragsbezogene Unternehmensstruktur
  • fachkundig, leistungsfähig, zuverlässig
  • Spezielle umfassende Schulungen der Mitarbeiter durch juristisch vorgebildetes Fachpersonal
  • Logistisches Konzept für die Auftragsabwicklung
  • Referenzen allgemein und auftragsbezogen (vergleichbare, überregionale Projekte)
  • Nachweis durch detaillierte Angaben: Institution, Adresse, Ansprechpartner, Telefon, Zeitraum der Leistung
  • Existieren bereits Zustellgebiete außerhalb Niedersachsens?
  • Übernahme aller PZUs deutschlandweit (Weiterleitung an DP AG/ggf. in eigene Gebiete)
  • Preis

6

Die Bieter wurden darauf hingewiesen, dass die Auflistung keine Rangfolge darstellt.

7

Intern hatte der Auftraggeber in einem undatierten Vermerk einen Wertungsmaßstab festgelegt und dabei auch festgehalten, warum er welche Punkte für wichtig hält und mit wie viel Prozent die einzelnen Punkte bei der Wertung berücksichtigt werden sollten.

8

Mit Fax vom 08.06.2004 rügte die Antragstellerin den Ausschluss von Sub- oder Nachunternehmern. Der Auftraggeber erklärte der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.06.2004, dass es für ihn eine zwingende Voraussetzung sei, über diese Voraussetzung eine möglichst reibungslose Abwicklung der ausgeschriebenen, überaus sensiblen Dienstleistung zu erhalten. Alle Erfahrungen hätten gezeigt, dass ein direkter, zeitnaher Zugriff auf die einzelnen Organisationsstrukturen unabdingbar sei. Dies könne durch Subunternehmer nicht Gewähr leistet werden.

9

Bei der Angebotseröffnung am 05.08.2004 ergab sich, dass insgesamt sieben Bieter ein Angebot eingereicht hatten.

10

Die Preisgegenüberstellung der Angebote ergab, dass die Antragstellerin - wie nach dem mit den Verdingungsunterlagen vorgegebenen Vertragsentwurf vorgesehen - jeweils einen Preis für die unmittelbare Zustellung durch das eigene Unternehmen und einen für die Weiterleitung von bundesweiten Zustellungsaufträgen an die DP AG gefordert hat. Die Beigeladene bot eine bundesweite Zustellung an, d. h. dass alle Zustellungen zu einem einheitlichen Preis abgerechnet werden sollen, unabhängig davon, ob sie die Zustellung selbst durchführt oder aber der DP AG übergibt. Der Preis sollte von den durchschnittlichen Sendungen/Tage abhängig sein (Staffelpreis).

11

Bei einer Preisgegenüberstellung mit verschiedenen Mischpreisen aufgrund der Angebote ergab sich, dass die Beigeladene jeweils an erster Stelle lag, während sich die Antragstellerin den fünften bzw. sechsten Rang mit einem weiteren Bieter teilte.

12

Sodann hat der Auftraggeber eine Bewertung der Angebote aufgrund der veröffentlichten Wertungskriterien vorgenommen. Er vergab dabei Punkte abgestuft nach "besonders erfüllt" (zwei Punkte) bis "nicht erfüllt" (- zwei Punkte). Ferner berücksichtigte er die Gewichtung der einzelnen Kriterien dahingehend, dass die Kriterien, die zu 20% berücksichtigt werden sollten, 4-fach, die zu 10% doppelt und die zu 5% nur einfach zählten. Hierbei ergab sich, dass die Beigeladene mit klarem Abstand vor der Antragstellerin insgesamt die meisten Punkte erzielte.

13

Eine nähere Erläuterung der konkreten Punktevergabe enthielt die Vergabeakte nicht. Diese wurde vom Auftraggeber mit Fax vom 14.09.2004 in Form einer Tabelle mit der stichwortartigen Begründung der Punkteverteilung nachgereicht.

14

Mit Schreiben vom 18.08.2004 informierte der Auftraggeber die Antragstellerin gem. § 13 VgV, dass er beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Ferner teilte er mit, dass ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei. Es läge ein Angebot vor, welches die aufgeführten Kriterien uneingeschränkt erfülle und zudem den günstigsten Preis beinhalte.

15

Mit Anwaltsschriftsatz vom 27.08.2004, eingegangen per Telefax beim Auftraggeber am selben Tage, rügte die Antragstellerin diese Entscheidung des Auftraggebers.

16

Mit Anwaltsschriftsatz vom 02.09.2004, eingegangen bei der Vergabekammer am selben Tage, hat die Antragstellerin die Vergabekammer angerufen. Sie begründet ihren Nachprüfungsantrag im Wesentlichen unter Zugrundelegung ihrer Argumente in den beiden Rügeschreiben gegenüber dem Auftraggeber.

17

Sie macht folgende Verstöße gegen Vergaberecht geltend, die sie nach Durchführung der Akteneinsicht ergänzt:

18

Zunächst weist die Antragstellerin darauf hin, dass sie ebenso wie die Beigeladene ein bundesweit tätiges Postdienstleistungsunternehmen sei. Es sei unzutreffend, wenn der Auftraggeber annehme, sie würde nur im Raum ... (Postleitzahlbereich 30) tätig sein. Durch ihre Zusammenarbeit mit anderen Postdienstleistungsunternehmen vermittele ihr Unternehmen für Auftraggeber die Zustellung von Sendungen über das ehemalige Staatsunternehmen.

19

In § 1 Abs. 3 des vorgesehenen Vertrages sei festgelegt worden, dass alle Sendungen, die nicht das Land Niedersachsen betreffen, zwingend der DP AG zu übergeben sind. Die Weiterleitung sei bisher so verstanden worden, dass die Übergabe dieser Sendungen namens und im Auftrage des Auftraggebers erfolgt und nicht dahingehend, dass der Bieter selbst Vertragspartner der DP AG werde. Mit dieser Regelung habe der Auftraggeber vorgegeben, dass alle überregionalen Zustellungen bundesweit zwingend über die DP AG zu erfolgen haben. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass allein die DP AG für diese Zustellungen in Betracht kommt. Soweit der Auftragnehmer verpflichtet werden soll, sämtliche bundesweiten Postzustellungsaufträge der DP AG im Namen der Vergabestelle zur Zustellung zu übergeben, handele es sich um eine De-facto-Vergabe, die zur Folge habe, dass die dahinter stehende Vereinbarung gemäß § 13 Satz 5 VgV nichtig ist.

20

Nicht nachvollziehbar sei jedoch die Bewertung hinsichtlich der Zustellungen außerhalb Niedersachsens. Sie, die Antragstellerin, habe für Gebiete außerhalb Niedersachsens die Wertung "nicht erfüllt" erhalten und für deutschlandweite Gebiete "besonders erfüllt".

21

In diesen Zusammenhang weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Beigeladene offenbar für die deutschlandweite Zustellung einen niedrigeren Preis angeboten hat, obwohl sie bei der DP AG ein höheres Entgelt zu zahlen habe.

22

Auch sei nicht erkennbar, dass das von der Beigeladenen angebotene Staffelentgelt von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post genehmigt worden sei.

23

Sie, die Antragstellerin, habe bereits unverzüglich das vorgesehene Sub- oder Unterauftragnehmerverbot gerügt. Da der Auftraggeber keine kleinen oder mittleren Unternehmen als Sub- oder Unterauftragnehmer zulassen wolle, liege ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A vor.

24

Abschießend weist die Antragstellerin darauf hin, dass kaum mehr nachvollziehbar sei, weshalb der Vergabevermerk erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens gefertigt worden sei.

25

Die Antragstellerin beantragt,

der Vergabestelle aufzugeben, der Beigeladenen nicht den Zuschlag auf deren Angebot für die Durchführung der förmlichen Postzustellungsaufträge nach §§ 166 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) - Aktenzeichen 1420 SH - zu erteilen;

  • festzustellen, dass der beabsichtigte Zuschlag durch die Vergabestelle an die Beigeladene für die Durchführung der förmlichen Postzustellungsaufträge nach §§ 166 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) - Aktenzeichen 1420 SH - rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist;
  • die Vergabestelle zu verpflichten, die zu Grunde liegenden Leistungen im Rahmen eines förmlichen Vergabeverfahrens unter Beachtung der einschlägigen Vergabevorschriften neu zu vergeben;
  • der Vergabestelle die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der durch diese Hinzuziehung von Rechtsanwälten entstandenen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen.

26

Der Auftraggeber beantragt,

den Nachprüfungsantrag der Firma ... GmbH kostenpflichtig zurückzuweisen.

27

Der Auftraggeber tritt den Behauptungen und Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen. Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet.

28

Mit Verwunderung habe er zur Kenntnis genommen, dass sich die Antragstellerin als ein "bundesweit tätiges Postdienstleistungsunternehmen" bezeichnet. Seines Wissens ist die Antragstellerin lediglich im Raum ... (Postleitzahlbereich 30) tätig.

29

Soweit die Antragstellerin erstmalig mit dem Antragsschriftsatz behaupte, durch die in § 1 Abs. 3 der vorgesehenen "Vereinbarung über die Auslieferung förmlicher Zustellungen" werde eine - unzulässige - De-facto-Vergabe zu Gunsten der DP AG vorgenommen, verkenne die Antragstellerin, dass von einer Auftragsvergabe an die DP AG keine Rede sein kann. Die zitierte Regelung diene ausschließlich der technischen Abwicklung derjenigen Postzustellungen, die über den Zustellbereich des Auftragnehmers hinausgehen. Insoweit müsse geregelt sein, was mit diesen Zustellungen zu geschehen habe. Der § 1 Abs. 3 des Vertragsentwurfes diene letztlich nur der Vereinfachung in den Fällen, in denen der Zustellbereich des Auftragnehmers überschritten wird. Anstatt dass er diese Zustellungen bei der jeweiligen Justizbehörde zurücklässt und diese dann selbst die Zustellung durch die DP AG ausführen lässt, übernehme der Auftragnehmer zusätzlich zu seinen eigentlichen Zustellaufgaben an Stelle der jeweiligen absendenden Justizbehörde die Frankierung und Weiterleitung an die DP AG.

30

Zu Unrecht rüge die Antragstellerin, dass nach den Vorbedingungen der Ausschreibung Bietergemeinschaften, Subunternehmer und Kooperationen o. ä. nicht zugelassen sind. Die in § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A enthaltenen Regeln greifen, wie aus § 4 Abs. 4 VOL/B folgt, nur, wenn der Auftraggeber sein Einverständnis zu Unteraufträgen erteilt habe. Ob er sein Einverständnis erteile, stehe in seinem Ermessen. Er habe sein Ermessen bereits in der Vergabebekanntmachung ausgeübt, indem er Bietergemeinschaften, Subunternehmer und Kooperationen o. ä. nicht zugelassen habe.

31

Die Beigeladene beantragt,

  1. 1.

    den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,

  2. 2.

    der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen und die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Beigeladene für notwendig zu erklären.

32

Die Beigeladene unterstützt den Vortrag des Auftraggebers. Sie hält den Nachprüfungsantrag für unzulässig, jedenfalls aber für offensichtlich unbegründet.

33

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Vergabeakte, die Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 24.09.2004 Bezug genommen.

34

II.

Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig, soweit die Antragstellerin sich erstmals im Zuge des Nachprüfungsverfahrens gegen die Vorgabe des Auftraggebers wendet, dass der Bieter Zustellungen außerhalb Niedersachsens, die er nicht unmittelbar selbst im eigenen Unternehmen befördert, der DP AG zu übergeben hat. Die Antragstellerin hat versäumt, diese Vorgabe, die ihr aufgrund der eindeutigen Festlegung in den Verdingungsunterlagen spätestens bei Erstellung des Angebotes bekannt war, gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB zu rügen. Gleiches gilt für die von ihr monierten fehlenden Angaben in den Verdingungsunterlagen zur voraussichtlichen Verteilung des Auftragsvolumens auf Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens. Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag zulässig, aber unbegründet. Der Auftraggeber war und ist nicht gehalten, auch Angebote zuzulassen, die zur Erfüllung des Auftrages den Einsatz von Subunternehmern vorsehen. Die Forderung des Auftraggebers, die Zustellungen im eigenen Unternehmen oder aber - außerhalb Niedersachsens - ggf. durch Übergabe der Zustellungen an die DP AG zu Gewähr leisten, verstößt weder gegen das Diskriminierungsverbot gemäß 97 Abs. 2 GWB noch gegen § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A. Der Auftraggeber kann ein auch unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten berechtigtes Interesse an der von ihm geforderten Form der Leistungserbringung geltend machen. Der Auftraggeber hat die Angebotswertung auch auf der Grundlage der in den Verdingungsunterlagen bekannt gemachten Zuschlagskriterien in nicht zu beanstandender Weise durchgeführt und das wirtschaftlichste Angebot auf der Grundlage eines zwar nicht bekannt gemachten, aber vorab festgelegten Bewertungssystems ermittelt. Der Auftraggeber war auch nicht gehalten, das Angebot der Beigeladenen deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie einen Staffelpreis in Abhängigkeit von der tatsächlichen Zahl der Zustellungen angeboten hat. Auch unter Zugrundelegung des Maximalpreises hat die Beigeladene das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A abgegeben.

35

1.

Der Nachprüfungsantrag ist nur teilweise zulässig. Bei dem Auftraggeber handelt es sich um eine Justizbehörde des Landes Niedersachsen und damit um einen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der streitbefangene Auftrag übersteigt auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei den ausgeschriebenen Leistungen handelt es sich um die förmlichen Postzustellungsaufträge nach §§ 166 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) und damit um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 und Abs. 4 GWB, für den gemäß § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) vom 09.01.2001 ein Schwellenwert von 200.000,-- EUR gilt. Bereits unter Zugrundelegung des vom Auftraggeber ermittelten niedrigsten Mischpreises von 3,65 EUR netto und unter Zugrundelegung einer Verteilung der Zustellungen von 70 % innerhalb und 30 % außerhalb Niedersachsens und unter Berücksichtigung einer geschätzten und vom Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung als Kalkulationsgrundlage vorgegebenen maximalen Zustellungsmenge von ca. 150.000 Zustellungen im Monat ergibt sich ein Auftragswert von 547.500,-- EUR/Monat netto. Unter Berücksichtigung der gesamten ausgeschriebenen Vertragslaufzeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2005 beträgt der Gesamtauftragswert 6.570.000,-- EUR netto. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet damit deutlich den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert.

36

Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, die Auftraggeberin habe ihr den Einsatz von Subunternehmern unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A untersagt und sie wie auch die anderen Bieter damit in ihren Kalkulationsmöglichkeiten in vergaberechtswidriger Weise beschränkt. Ferner beabsichtige der Auftraggeber, den Zuschlag auf ein nicht berücksichtigungsfähiges Angebot zu erteilen, da die Beigeladene ein Staffelentgelt angeboten habe, das von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post nicht genehmigt werden könne, da die Beigeladene offenbar nicht das für Zustellungen über die DP AG selbst zu entrichtende Entgelt in voller Höhe an den Auftraggeber weitergeben wolle. Voraussetzung für die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB ist, dass das antragstellende Unternehmen einen durch die behauptete Rechtsverletzung entstandenen oder drohenden Schaden darlegt. Das bedeutet, dass der Antragsteller diejenigen Umstände aufzeigen muss, aus denen sich die Möglichkeit eines solchen Schadens ergibt. Die diesbezüglichen Anforderungen oder die Darlegungslast dürfen nicht überspannt werden (vgl. Byok/Jaeger, VergabeR, § 107, Rn. 677). Die Antragstellerin hat ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis dargelegt. Sie hat zumindest schlüssig vorgetragen, dass sie bei aus ihrer Sicht vergaberechtskonformer Angebotswertung zumindest eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte. Es ist nicht erforderlich, dass die Antragstellerin auch schlüssig darlegt, dass sie bei vergabekonformem Verhalten des Auftraggebers den Zuschlag auch tatsächlich erhalten hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 13.04.1999, Az.: Verg 1/99, S. 24).

37

Die Antragstellerin ist aber nur teilweise ihrer Pflicht gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer die behaupteten Verstöße gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren selbst gegenüber der Auftraggeberin unverzüglich zu rügen. Soweit sich die Antragstellerin erstmalig im Zuge des Nachprüfungsverfahrens mit Antragsschriftsatz vom 02.09.2004 gegen die Regelung in § 1 Abs. 3 des Vertragsentwurfes über die streitbefangenen Postdienstleistungen wendet, wonach sämtliche Sendungen der Vergabestelle, die nicht das Bundesland Niedersachsen betreffen, zwingend der Deutschen Post AG zum Zwecke der Durchführung der förmlichen Zustellung zu übergeben sind, ist die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB präkludiert. Diese Tatsache selbst war ihr unstreitig spätestens bei Abfassung des Angebotes aus dem Leistungsverzeichnis positiv bekannt. Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie habe diese Tatsache erst aufgrund der anwaltlichen Beratung im Zuge des Nachprüfungsverfahrens als vergaberechtswidrig erkannt, steht dies einer positiven Kenntnis des vermeintlichen Vergaberechtsverstoßes nicht entgegen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Werden beim Durcharbeiten des Leistungsverzeichnisses Ungenauigkeiten festgestellt, liegt bereits positive Kenntnis vor (vgl. Byok/Jaeger, a.a.O., § 107 Rn. 681). Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 22.08.2002, Az.: Verg 9/02).

38

Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden Maßstabes ist der Nachprüfungsantrag daher unzulässig, soweit er sich auf eine Verletzung von Rechten der Antragstellerin aufgrund des aus den Verdingungsunterlagen ersichtlichen Leistungsumfanges stützt. Dies gilt neben der aus den Verdingungsunterlagen klar ersichtlichen Regelung bezüglich der Übergabe von Zustellungen an die DP AG auch bezüglich des ebenfalls ohne vorherige Rüge erstmals im Zuge des Nachprüfungsverfahrens erhobenen Vorwurfs, die Leistungsbeschreibung sei unter Verstoß gegen § 8 Nr. 1 Abs. 2 und Abs. 3 VOL/A mangelhaft, weil sie keinerlei Aussagen zur voraussichtlichen prozentualen Verteilung der vorzunehmenden Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens enthalte. Dieser wegen der erforderlichen Einschaltung der DP AG unstreitig kalkulationsrelevante Aspekt war der Antragstellerin, wie sie selbst eingeräumt hat, bereits bei Abfassung des Angebotes bekannt und war von ihr als Kalkulationsrisiko zu berücksichtigen. Sie selbst ist bei der Kalkulation ihres Angebotes von einem 25-prozentigen Anteil der Zustellungen außerhalb Niedersachsens ausgegangen. Es war der Antragstellerin als fachkundigem Unternehmen zuzumuten, die vermeintlich lückenhafte Darstellung der Kalkulationsgrundlagen in den Verdingungsunterlagen ausdrücklich zu rügen oder zumindest, was noch näher gelegen hätte, zunächst entsprechende ergänzende Auskünfte gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 1 VOL/A vom Auftraggeber zu erbitten. Auch dies hat die Antragstellerin nicht getan. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Auftraggeber überhaupt in der Lage war, eine realistische Prognose hinsichtlich der Aufteilung der streitbefangenen Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens zu geben. Ausweislich der Vergabeakte war sich der Auftraggeber diesbezüglich selbst nicht sicher. Denn er hat in der zum Vergabevermerk gehörenden Preisgegenüberstellung dokumentiert, dass er drei Vergleichsberechnungen mit Mischpreisen von 50 % zu 50 %, 70 % zu 30 % und 75 % zu 25 % des Verhältnisses der Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens durchgeführt hat, wobei er durch Fettdruck hervorgehoben hat, dass er von einem voraussichtlichen Verhältnis von 70 % zu 30 % ausgeht. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob er diesbezüglich nähere Auskünfte von der Beigeladenen hätte erfragen können, die bereits im Rahmen eines Pilotprojektes für den Auftraggeber tätig ist. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der diesbezügliche, als Ablichtung im Angebot der Beigeladenen enthaltene Vertrag vom 02./05.12.2003 lediglich einen Teil der Gerichte umfasst, die nunmehr mit der streitbefangenen Ausschreibung bedient werden sollen. Es handelt sich hierbei um die Land- und Amtsgerichte sowie die Staatsanwaltschaften im Bezirk des Oberlandesgerichtes ... mit Ausnahme des Land- und Amtsgerichtes sowie der Staatsanwaltschaft ... und der Amtsgerichte ... und ..., soweit die dortigen Zustellungen den Postleitzahlbereich ... betreffen. Diese Zustellungen werden zurzeit von der Antragstellerin durchgeführt. Selbst wenn der Auftraggeber in der Lage gewesen wäre, die Erfahrungen der Beigeladenen aus dem Pilotprojekt für eine realistische Prognose hinsichtlich der Aufteilung der Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens zu nutzen, ist festzustellen, dass die Antragstellerin diesen kalkulationsrelevanten Aspekt weder zum Gegenstand einer Rüge noch zum Gegenstand einer Anfrage gemäß § 17 Nr. 6 VOL/A gemacht hat.

39

Im Übrigen ist der Nachprüfungsantrag dagegen zulässig. Die Antragstellerin hat bereits im Zuge der Angebotserstellung mit Schreiben vom 08.06.2004 gegenüber dem Auftraggeber ausdrücklich den in den Verdingungsunterlagen geregelten Ausschluss des Einsatzes von Subunternehmern als kartellrechtswidrig gerügt. Mit Schreiben vom 19.08.2004 hat der Auftraggeber die Antragstellerin gemäß § 13 VgV darüber informiert, dass der Zuschlag nicht auf ihr Angebot erteilt werden könne, weil sie nicht das wirtschaftlichste Angebot gemäß § 25 Nr. 3 VOL/A abgegeben habe. Es sei beabsichtigt, den Zuschlag am 06.09.2004 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Daraufhin erfolgte mit Anwaltsschriftsatz vom 12.05.2004 eine weitere Rüge der Antragstellerin, in der die Antragstellerin auf eine vermeintliche Unzuverlässigkeit der Beigeladenen hinwies. Dieser Vorwurf ist von der Antragstellerin dann aber im Zuge des Nachprüfungsverfahrens in der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2004 ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten worden. Beide Rügen erfolgten unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB. Soweit sich die Antragstellerin im Zuge des Nachprüfungsverfahrens darüber hinaus gegen die aus ihrer Sicht fehlerhafte Angebotswertung, insbesondere hinsichtlich der Verteilung der Punkte und gegen vermeintliche Verstöße gegen die Dokumentationspflicht gemäß § 30 VOL/A wendet, konnte sie positive Kenntnis über den zu Grunde liegenden Sachverhalt erst aufgrund der gewährten Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren erlangen. Diesbezüglich war eine vorherige Rüge daher entbehrlich.

40

2.

Der Nachprüfungsantrag ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin ist nicht im Sinne der §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB in ihren Rechten verletzt. Der Auftraggeber war weder aufgrund der Regelungen des § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A noch unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbots gemäß § 97 Abs. 2 GWB verpflichtet, den Einsatz von Nachunternehmern zuzulassen, weil er ein berechtigtes Interesse an der Selbstausführung der zu erbringenden Leistungen durch den Bieter und künftigen Auftragnehmer geltend machen kann (im Folgenden a). Der Auftraggeber hat die Angebotswertung auch entgegen der Auffassung der Antragstellerin aufgrund der in den Verdingungsunterlagen bekannt gemachten Zuschlagskriterien in nicht zu beanstandender Weise durchgeführt und das wirtschaftlichste Angebot auf der Grundlage eines zwar nicht bekannt gemachten, aber vorab festgelegten Bewertungssystems ermittelt und Wertung und Ergebnis in einer den Anforderungen des § 30 VOL/A genügenden Weise in der Vergabeakte dokumentiert (im Folgenden b). Schließlich war der Auftraggeber auch nicht gehalten, das Angebot der Beigeladenen deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie einen Staffelpreis in Abhängigkeit von der tatsächlichen Zahl der Zustellungen angeboten hat. Selbst unter Zugrundelegung des von der Beigeladenen angebotenen Maximalpreises hat diese das wirtschaftlichste Angebot im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A abgegeben (im Folgenden c).

41

a)

Der vom Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen geregelte Ausschluss des Einsatzes von Subunternehmern verstößt entgegen der Auffassung der Antragstellerin weder gegen die Regelungen des § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 10 Nr. 1 und 2 VOL/A noch gegen das Diskriminierungsverbot gemäß § 97 Abs. 2 GWB. Der Auftraggeber hatte in den Verdingungsunterlagen ausdrücklich erklärt, dass die Vergabe des Auftrages unter folgender Vorbedingung erfolgt:

"Eigene direkt angestellte Mitarbeiter - sozial- und rentenversicherungspflichtig, keine Subunternehmer, Bietergemeinschaften, Kooperationen o. ä."

42

Auf die entsprechende Rüge der Antragstellerin vom 08.06.2004 hat der Auftraggeber diese Bedingung mit Schreiben vom 09.06.2004 gegenüber der Antragstellerin dahingehend erläutert, dass der Einsatz eigener Mitarbeiter für ihn eine zwingende Voraussetzung zur möglichst reibungslosen Abwicklung der ausgeschriebenen überaus sensiblen Dienstleistung ist. Alle Erfahrungen zeigten, dass ein direkter, zeitnaher Zugriff auf die einzelnen Organisationsstrukturen unabdingbar sei und durch Subunternehmer o. a. nicht Gewähr leistet werden könne. Diese Beweggründe für die Forderung nach einer Durchführung der ausgeschriebenen förmlichen Zustellungen "in einer Hand", nämlich innerhalb des Unternehmens des künftigen Auftragnehmers selbst bzw., soweit dies nicht möglich ist, durch Übergabe der Zustellungen an die bislang unstreitig allein bundesweit flächendeckend tätige DP AG hat der Auftraggeber im Zuge des Nachprüfungsverfahrens sowohl schriftsätzlich wie auch in der mündlichen Verhandlung weiter hervorgehoben. Wenngleich Bieterunternehmen durch die Untersagung des Subunternehmereinsatzes in ihren Kalkulationsgrundlagen beschränkt werden, ist der völlige Ausschluss des Einsatzes von Nachunternehmern nicht per se vergaberechtswidrig. Die Regelungen des § 10 VOL/A haben entgegen der Auffassung der Antragstellerin keinen bieterschützenden Charakter (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 1. Auflage 2001, § 10, Rn. 26). Diese Vorschrift bezweckt vielmehr eine Schutzfunktion für Unterauftragnehmer und mittelständische Unternehmen selbst, sofern Unterauftragnehmer zugelassen werden. Irgendwelche Vorteile für das sich um einen Auftrag bewerbende Unternehmen sind dagegen hieraus nicht abzuleiten. Richtig ist, dass diese Vorschrift davon ausgeht, dass die Vergabe von Unteraufträgen zulässig, bei Großaufträgen sogar erwünscht ist (vgl. § 10 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A). Dies ist jedoch vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Auftraggeber die Leistung in den Fällen, in denen dies nach Art und Umfang zweckmäßig ist, selbst in Lose zerlegen soll, damit sich auch kleine und mittlere Unternehmen bewerben können (§ 5 Nr. 1 VOL/A, § 97 Abs. 3 GWB). Diesem Ziel, kleinen und mittleren Unternehmen die Beteiligung an größeren Aufträgen zu ermöglichen, soll über § 10 VOL/A auch dann Rechnung getragen werden, wenn ein Großauftrag entgegen § 5 Nr. 1 VOL/A ausnahmsweise an ein Unternehmen vergeben wird. Daraus lässt sich indessen nicht ableiten, dass es dem Auftraggeber von vornherein untersagt wird, die Leistungen teilweise oder wie im vorliegenden Fall grundsätzlich völlig im eigenen Betrieb zu erbringen (vgl. BayObLG, Beschluss v. 12.04.2000, Az.: Verg 1/00 3/Str/v/Str, zitiert nach VERIS, m.w.N.). Vielmehr gestattet § 9 Nr. 4 lit. d VOL/A es nicht nur ausdrücklich, in den Vertragsbedingungen auch die Weitervergabe des Auftrages an Unterauftragnehmer zu regeln. Nach § 4 Nr. 4 Abs. 1 VOL/B darf der Auftragnehmer vielmehr die Ausführung der Leistung oder wesentliche Teile davon nur mit vorheriger Zustimmung des Auftraggebers auf andere übertragen. Daraus folgt grundsätzlich, dass Art und Maß der Zulassung eines Subunternehmereinsatzes in das Ermessen des Auftraggebers gestellt werden. Der Bieter im Vergabeverfahren hat deshalb nur einen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber die Beteiligung von Subunternehmen nicht willkürlich unter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 97 Abs. 2 GWB untersagt. Denn aus dem Gleichbehandlungsgebot erfolgt nur das Verbot der Diskriminierung aus vergaberechtsfremden Aspekten. Der teilweise oder völlige Ausschluss eines Subunternehmereinsatzes ist daher dann nicht zu beanstanden, wenn der Auftraggeber ein unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten berechtigtes Interesse an dieser Form der Leistungserbringung geltend machen kann (vgl. BayObLG, a.a.O.). Dies ist vorliegend der Fall. Zu Recht ist der Auftraggeber davon ausgegangen, dass die besondere prozessuale Bedeutung der streitgegenständlichen förmlichen gerichtlichen und staatsanwaltlichen Postzustellungen die Forderung nach einer Dienstleistungserbringung "aus einer Hand" und damit auch den Ausschluss des Subunternehmereinsatzes rechtfertigen. Die Postzustellungen, denen weit reichende Rechtswirkungen materiellrechtlicher und prozessrechtlicher Art zukommen, müssen mit äußerster Sorgfalt, Zuverlässigkeit und auch Schnelligkeit durchgeführt werden. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Auftraggeber die Zahl der für die Zustellung notwendigen Schnittstellen möglichst gering halten will, und von dem zu beauftragenden Unternehmen verlangt, dass es auch den mit der konkreten Zustellung beauftragten Mitarbeiter in jedem Stadium der Zustellung leiten und kontrollieren kann. Dieses vom Auftraggeber zu Gewähr leistende öffentliche Interesse einer kontrollierbaren ordnungsgemäßen Durchführung der förmlichen gerichtlichen und staatsanwaltlichen Postzustellungen überwiegt das betriebswirtschaftlich nachvollziehbare Interesse des Bieters an der Erweiterung seiner Kalkulationsmöglichkeiten durch den Einsatz von Nachunternehmern.

43

b)

Der Auftraggeber hat die Angebotswertung ausweislich der Vergabeakte auch in nicht zu beanstandender Weise unter Berücksichtigung der in den Verdingungsunterlagen bekannt gemachten Zuschlagskriterien durchgeführt. Dabei ist insbesondere die konkrete Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes unter Zugrundelegung eines den Bietern mit den Verdingungsunterlagen zwar nicht bekannt gemachten, aber vorab festgelegten Bewertungssystems in Form eines Punkteschemas vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Gemäß § 9 a VOL/A geben die Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung alle Zuschlagskriterien an, deren Verwendung sie vorsehen, möglichst in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung. Die Vorschrift zielt auf eine Verbesserung der Vergleichbarkeit der Angebote und eine Versachlichung bei der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebotes. Die Angabe der Zuschlagskriterien "in der Reihenfolge der ihnen zuerkannten Bedeutung" ist, worauf das Wort "möglichst" hinweist, jedoch nicht in jedem Vergabefalle zwingend (vgl. Zdzieblo in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Auflage, § 9 a, Rn. 3, 8, m.w.N.). Auch folgt aus § 9 a VOL/A nach der Rechtsprechung nicht, dass der Auftraggeber den Bietern eine Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien schon in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen mitteilen muss. Insbesondere ist nach derzeitiger Rechtslage nicht vorgeschrieben, eine Bewertungsmatrix frühzeitig zu erstellen und diese in der Vergabebekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 02.09.2004, Az.: 13 Verg 14/04, m.w.N.; Noch in: Müller-Wrede, a.a.O., § 25, Rn. 90, 91). Nur wenn der Auftraggeber nicht erst vor Öffnung der Angebote, sondern bereits vor Veranlassung der Bekanntmachung oder vor Versendung der Verdingungsunterlagen Regeln für die Gewichtung der Wertungskriterien aufstellt, ist er verpflichtet, diese in der Vergabebekanntmachung oder den Ausschreibungsunterlagen anzugeben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29.10.2003, Az.: Verg 43/03; Zdzieblo, a.a.O., § 9 a, Rn. 8; EuGH, Beschluss v. 25.02.2003 in der Rechtssache Rs. T-183/00 = ZfBR 2003, 400 und Beschluss v. 12.12.2002 in der Rechtssache Rs. C 470/99 = VergabeR 2003, 141). Der Auftraggeber hat den Bietern die Zuschlagskriterien mit den Verdingungsunterlagen unter der Rubrik "Anforderungsprofil" bekannt gemacht, verbunden mit dem Hinweis: "Die Auflistung stellt keine Rangfolge dar!" In einem in der Vergabeakte enthaltenen, nicht datierten Vermerk werden diese Kriterien noch einmal erläutert. Eingefügt ist hier erstmalig (in Rot hervorgehoben) die Gewichtung der einzelnen Kriterien. Danach sollten die Kriterien allgemeine und auftragsbezogene Unternehmensstruktur, logistisches Konzept für die Auftragsabwicklung, Referenzen allgemein und auftragsbezogen (vergleichbare überregionale Projekte) und der Preis mit jeweils 20 % gleichgewichtig bei der Wertung berücksichtigt werden. Das Kriterium Spezielle umfassende Schulungen der Mitarbeiter durch juristisch vorgebildetes Fachpersonal sollte mit 10 %, die Kriterien Existierende Zustellgebiete außerhalb Niedersachsens und Übernahme aller PZUs deutschlandweit (Weiterleitung an die DP AG / ggf. in eigene Gebiete) mit jeweils 5 % berücksichtigt werden. Ausweislich des ebenfalls nicht datierten, in der Vergabeakte enthaltenen "Bewertungsbogen Angebote PZUs" hat der Auftraggeber die Angebote unter Berücksichtigung dieser intern festgelegten Gewichtung bewertet (Seite 105 der Vergabeakte). Ausweislich dieses Bewertungsbogens wurden für alle Zuschlagskriterien Punkte nach folgendem Schlüssel vergeben:

Punkte
2besonders erfüllt
1 standardmäßig erfüllt
0zwar erfüllt, aber unter erwartetem Standard
-2nicht erfüllt
44

Die dort von den einzelnen Angeboten erzielten Punkte flossen dann unter Berücksichtigung folgender Multiplikatoren in die Gesamtbewertung ein:

"20 % zählt 4-fach

10 % zählt 2-fach

5 % zählt 1-fach"

45

Die Bewertung des Kriteriums "Preis" ist in einer gesonderten "Preisgegenüberstellung Anbieter" (Blatt 104 der Vergabeakte) dokumentiert. Daraus ergibt sich, dass die Beigeladene nicht nur den niedrigsten Angebotspreis abgegeben hat, sondern auch in der Gesamtbewertung mit 40 Punkten auf Rang 1 liegt. Auf Rang 2 folgt die Antragstellerin mit 28 Punkten, wobei sie hinsichtlich des Kriteriums Preis mit einem weiteren Bieter lediglich den 5. Rang teilt, was in der Gesamtbewertung des Kriteriums Preis nach dem oben beschriebenen Punkteschlüssel zu 0 Punkten (zwar erfüllt, aber unter erwartetem Standard) führte.

46

Während diese Bewertung sich ohne weiteres aus dem in der Vergabeakte enthaltenen Bewertungsbogen und der Preisgegenüberstellung erschließt, hat der Auftraggeber zunächst nicht ausreichend im Sinne des § 30 VOL/A dokumentiert, warum die Antragstellerin für das Kriterium "Existieren bereits Zustellgebiete außerhalb Niedersachsens?" einen Malus von minus 2 Punkten (= nicht erfüllt) erhalten hat, obwohl sie beim Kriterium "Übernahme aller PZUs deutschlandweit (Weiterleitung an die DP AG / ggf. in eigene Gebiete) 2 Punkte (= besonders erfüllt) erhalten hat. Beide Kriterien fließen mit jeweils 5 % in die Gesamtbewertung ein. Gemäß § 30 Nr. 1 VOL/A ist über die Vergabe ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellung sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Der Anwendungsbereich des § 30 Nr. 1 VOL/A erstreckt sich dabei sowohl auf den formalen Verfahrensablauf als auch materiell auf die Maßnahmen, Feststellungen und Begründungen der einzelnen Entscheidungen (vgl. Zdzieblo in: Daub/Eberstein, VOL/A, 5. Aufl., § 8, Rn. 33). § 30 Nr. 1 VOL/A beinhaltet eine die Vergabestelle betreffende, zwingende Pflicht, die Auswahlentscheidung als wesentliche Entscheidung in nachvollziehbarer Weise zu dokumentieren, um für den Bewerber die erforderliche Prüfbarkeit zu Gewähr leisten (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss v. 03.08.1999, NZBau 2000, S. 44 ff.). Eine fehlende Dokumentation wesentlicher Schritte bis zur Vergabeentscheidung ist daher rechtsfehlerhaft und führt zu einer Nichtvollziehbarkeit der getroffenen Entscheidung (ebenso VK Sachsen, Beschluss v. 30.04.2001; Az.: 1/SVK/23-01). Da § 30 VOL/A ebenso wie § 30 VOB/A keine Anforderungen an die Form der Dokumentation in der Vergabeakte stellt, ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Auftraggeber statt eines Vergabevermerks in Textform eine Dokumentation der Wertung in tabellarischer Form in die Vergabeakte aufnimmt. Dies kann, wie im vorliegenden Fall, in Form einer ausgefüllten Bewertungsmatrix geschehen. Die Gründe für die Punktevergabe sind dann aber wenigstens stichwortartig zu skizzieren, damit die Bewertung nicht nur rechnerisch, sondern auch inhaltlich nachvollziehbar ist. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs war daher auch bereits ursprünglich in der Vergabeakte ein Vergabevermerk in Form einer ausgefüllten Bewertungsmatrix und einer Preisgegenüberstellung vorhanden. Der Auftraggeber hat auch in einem in der Vergabeakte enthaltenen Vermerk dokumentiert, worauf es ihm bei den einzelnen Zuschlagskriterien ankam. Danach war maßgebend z.B. für das Kriterium "Existieren bereits Zustellgebiete außerhalb Niedersachsens?", dass weitere Zustellgebiete auf eine erfolgreiche Expansion und damit auf eine positive Geschäftsentwicklung des Unternehmens hindeuten. Darüber hinaus könnte dadurch das Einsparpotenzial des Landes Niedersachsen deutlich erhöht werden. Das Kriterium "Übernahme aller PZUs deutschlandweit (Weiterleitung an die DP AG / ggf. in eigene Gebiete)", wo sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene die volle Punktzahl erhalten haben, soll der Tatsache Rechnung tragen, dass die komplette Übernahme aller PZUs erhebliche Sortierarbeit bei den einzelnen Gerichten/Staatsanwaltschaften spart und sich somit erheblich kostendämpfend auswirkt. Die Begründung für die Punkteverteilung selbst wird jedoch erst ersichtlich aus dem vom Auftraggeber im Zuge des Nachprüfungsverfahrens erstellten und mit Schriftsatz vom 13.09.2004 nachgereichten ergänzten"Bewertungsbogen Punkteverteilung", in dem die Punktevergabe für alle Angebote und Kriterien stichwortartig erläutert wird. Daraus folgt, dass die Antragstellerin für das Kriterium "Existieren bereits Zustellgebiete außerhalb Niedersachsens?" deshalb einen Malus von minus 2 Punkten erhalten hat, weil sie im Gegensatz etwa zur Beigeladenen keine unmittelbaren Zustellungen und keine eigenen entsprechenden Strukturen außerhalb des Landes Niedersachsen nachweisen konnte. Der Auftraggeber hat in der mündlichen Verhandlung aber betont, dass man der Antragstellerin angesichts ihres mit dem Angebot dargelegten Konzeptes zutraut, die PZUs - wie von den Verdingungsunterlagen vorgegeben und von der Antragstellerin auch angeboten - über die DP AG deutschlandweit zuzustellen. Deshalb habe man ihr hinsichtlich dieses Kriteriums, wie allen anderen Bietern auch, die volle Punktzahl eingeräumt. Die Punktevergabe ist damit auch bezüglich dieser Kriterien nachvollziehbar, der ursprünglich vorhandene Mangel in der Dokumentation durch den erweiterten, erläuterten Vermerk vom 13.09.2004 geheilt.

47

c)

Einer Berücksichtigung des Angebotes der Beigeladenen bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes steht auch nicht entgegen, dass die Beigeladene im Gegensatz zu allen anderen Bietern einen Staffelpreis in Abhängigkeit von der tatsächlichen Zahl der Zustellungen angeboten hat. Selbst unter Berücksichtigung des höchsten Preises hat die Beigeladene das preislich niedrigste Angebot abgegeben. Gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. a VOL/A i.V.m. § 21 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VOL/A sind Angebote, für deren Wertung wesentliche Preisangaben fehlen, zwingend von der Wertung auszuschließen. Der Sinn und Zweck der Regelung liegt darin, der ausschreibenden Stelle verlässliche und nicht nachträglich manipulierbare Daten für die Angebotswertung zur Verfügung zu stellen. Es muss demnach entscheidend darauf ankommen, ob das Ergänzen der fehlenden Angaben die Wettbewerbsstellung des Bieters ändert oder nicht. Gerät weder der Wettbewerb noch die Eindeutigkeit bzw. die Verbindlichkeit des Angebotes in Gefahr, so besteht kein Anlass, solche Angebote auszuschließen (vgl. Kulartz in: Daub/Eberstein, a.a.O., § 25, Rn. 11, m.w.N.). Gemäß § 2 Abs. 1 des mit den Verdingungsunterlagen vorgegebenen Entwurfs der Vereinbarung über die Auslieferung förmlicher Zustellungen waren von dem Bieter zwei Einheitspreise einzutragen. Dort heißt es:

"Der Preis pro Zustellung beträgt ... EUR zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer. Bei fehlerhaften Zustellungen oder anderen Mängeln entstehen keine Kosten. Insoweit sind nachträglich ggf. Verrechnungen vorzunehmen. Der Preis für die an die DP AG weitergeleiteten Zustellungen (§ 1 Abs. 3 Satz 1) beträgt pro Stück ... EUR zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer (maximal der DP AG-Preis z. Z. 5,60 EUR brutto)."

48

Erwartet wurden somit vom Bieter die Angabe eines Einheitspreises für die unmittelbar durch das eigene Unternehmen innerhalb und außerhalb Niedersachsens durchgeführten förmlichen Zustellungen sowie die Angabe eines Preises für die Kosten, die durch die Übergabe von Zustellungsaufträgen an die Deutsche Post AG entstehen. Aus der Formulierung "maximal der DP AG-Preis" ergab sich dafür für den Bieter entgegen der Auffassung der Antragstellerin ohne weiteres, dass der Auftraggeber es dem Bieter überlassen hat, ob er die durch die Weiterleitung an die DP AG im einzelnen entstehenden Portokosten von zurzeit 5,60 EUR brutto in voller Höhe an den Auftraggeber weitergibt oder im Zuge der Gesamtkalkulation ein geringeres Entgelt vom Auftraggeber fordert - zumal der unmittelbare Zustellbereich des Auftragnehmers gemäß § 1 Abs. 2 des Vereinbarungsentwurfs ausdrücklich nicht nur das gesamte Land Niedersachsen umfassen sollte, sondern ausdrücklich auch eventuelle (auch zukünftige) Erweiterungen des Zustellbereichs des Auftragnehmers, so dass der Auftragnehmer auch außerhalb Niedersachsens selbst zustellen darf, sofern er dies im eigenen Unternehmen und ohne Einschaltung von Subunternehmern Gewähr leisten kann. Die Beigeladene hatte in ihrem Angebot vom 30.07.2004 im Vertragsvordruck unmittelbar keine Einheitspreise eingetragen, sondern stattdessen in einem Fußnotenvermerk auf eine beigefügte separate Preisseite verwiesen. Aus dieser gesondert unterschriebenen Preisseite geht hervor, dass die Beigeladene einen bundesweit einheitlichen Staffelpreis in Abhängigkeit von der tatsächlichen Zahl der Zustellungen angeboten hat. Dieser variierte von einem Einheitspreis von 3,75 EUR netto für eine maximale durchschnittliche Tagesmenge von 249 Sendungen über 3,65 EUR netto für eine durchschnittliche Tagesmenge von bis zu 499 Sendungen bis zu einem Minimalpreis von 3,55 EUR netto für 500 und mehr Sendungen pro Tag. Die Beigeladene hat somit für die Zustellungen innerhalb und außerhalb Niedersachsens einen einheitlichen Einheitspreis in Form des Maximalpreises von 3,75 EUR netto pro Zustellung (Staffel I) angeboten.

49

Die niedrigeren Einheitspreise von 3,65 EUR und 3,55 EUR netto gemäß den Staffeln II und III sind vergaberechtlich als Nachlässe zu behandeln, die im vorliegenden Fall an Bedingungen, nämlich das Erreichen einer bestimmten durchschnittlichen Tagesmenge der Zustellungen geknüpft sind. Werden Preisnachlässe an Bedingungen geknüpft, so sind sie nur dann bei der Wertung und für die dort ermittelte Rangfolge der Angebote zu berücksichtigen, wenn der Auftraggeber nach Prüfung positiv festgestellt hat, dass er diese Bedingungen auch einhalten kann (vgl. Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Auflage, A § 25, Rn. 162, m.w.N.). Unter Berücksichtigung der vom Auftraggeber vorab geschätzten und den Bietern der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen mitgeteilten Gesamtzustellungsmenge von maximal ca. 150.000 Zustellungen monatlich konnte der Auftraggeber davon ausgehen, dass er die Bedingung der Beigeladenen für den höchsten Nachlass und damit den niedrigsten Staffelpreis von 3,55 EUR netto für eine durchschnittliche Tagesmenge von 500 und mehr Sendungen ohne weiteres erfüllen kann. Ausgehend davon, dass der Auftragnehmer an 5 Tagen in der Woche (von montags bis freitags) Zustellungsaufträge bei den von der Ausschreibung erfassten Gerichten und Staatsanwaltschaften in Empfang nimmt und selbst ausgehend von maximal 23 möglichen Zustellungstagen pro Monat wird der Auftragnehmer im Schnitt ca. 6500 Zustellungsaufträge pro Tag abzuwickeln haben. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die in der Vergabebekanntmachung genannten 150.000 Zustellungen pro Monat lediglich ein geschätzter Maximalwert sind, konnte der Auftraggeber bei der Wertung ohne weiteres davon ausgehen, dass er die Bedingung für den höchsten Preisnachlass und damit den niedrigsten Staffelpreis von 3,55 EUR netto erfüllen wird. Der Auftraggeber hat gleichwohl bei der Bewertung den mittleren Staffelpreis von 3,65 EUR netto zu Grunde gelegt, was ebenfalls nicht zu beanstanden ist. Die Beigeladene hätte auch dann das preislich niedrigste Angebot abgegeben, wenn der Maximalpreis von 3,75 EUR netto pro Zustellung zu Grunde gelegt worden wäre. Da sich somit die für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes erforderlichen Preisangaben eindeutig aus dem Angebot der Beigeladenen ergaben, hatte der Auftraggeber keine Veranlassung, das Angebot der Beigeladenen gemäß § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. a VOL/A von der Wertung auszuschließen.

50

Der Auftraggeber hatte entgegen der Antragstellerin auch keine Veranlassung, das Angebot der Beigeladenen wegen eines vermeintlich nicht angemessenen Preises gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 und 3 VOL/A von der Wertung auszuschließen. Gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A muss der Auftraggeber Angebote, die im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen, vor Vergabe des Auftrags überprüfen. § 5 Abs. 1 des Niedersächsischen Landesvergabegesetzes vom 2. September 2002 (Nds. GVBl. S. 370 - VORIS 72080) konkretisiert diese Regelung dahingehend, dass der Auftraggeber die Kalkulation eines Angebotes immer dann zu überprüfen hat, wenn es um mindestens 10 v. H. vom nächsthöheren Angebot abweicht. Dies ist vorliegend ausweislich der in der Vergabeakte enthaltenen Preisgegenüberstellung (Blatt 104 der Akte) nicht der Fall. Zwischen dem erstplatzierten Angebot der Beigeladenen und dem Angebot des zweitgünstigsten Bieters ... mit einem ermittelten Mischpreis (70 % innerhalb / 30 % außerhalb Niedersachsens) von 3,76 EUR liegt lediglich eine Differenz von nur 3 %. Selbst zum ermittelten Durchschnittspreis aller sieben gewerteten Angebote von 4,02 EUR beträgt der Abstand des Angebotes der Beigeladenen lediglich 9,2 %. Der Auftraggeber hatte daher keine Veranlassung, die Angemessenheit des von der Beigeladenen angebotenen Preises zu bezweifeln und einer Überprüfung gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 2 VOL/A zu unterziehen.

51

Dies gilt entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch angesichts der Tatsache, dass die Beigeladene im Rahmen ihrer Mischkalkulation offenbar nicht beabsichtigt, die ihr bei Weiterleitung von Zustellungsaufträgen an die DP AG von dieser in Rechnung gestellten Portokosten in Höhe von zurzeit 5,60 EUR brutto in voller Höhe dem Auftraggeber in Rechnung zu stellen. Zwar weist die Antragstellerin zu Recht darauf hin, dass das Entgelt für Postzustellungen gemäß § 19 Postgesetz genehmigungspflichtig ist. Dies ergibt sich auch aus einem Schreiben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 21.07.2004, das als Ablichtung im Angebot der Beigeladenen enthalten ist. Dort wird auf die Genehmigungspflichtigkeit noch einmal ausdrücklich hingewiesen. Ferner heißt es dort:

"Bei einer Beteiligung an einer Ausschreibung hingegen ist der Lizenznehmer zunächst frei in seiner Angebotsunterbreitung, insbesondere in seiner Entgeltgestaltung. Soweit sein Angebot allerdings zum Tragen kommt, hat der Lizenznehmer dann, bevor er seine Tätigkeit aufnimmt, die Entgeltgenehmigung einzuholen."

52

Weiterhin wird dort auf die Maßstäbe des § 20 Abs. 1 und 2 Postgesetz hingewiesen. Es ist daher richtig, dass zurzeit nicht absehbar ist, ob der von der Beigeladenen angebotene Preis im Zuschlagsfalle auch tatsächlich die erforderliche postrechtliche Entgeltgenehmigung erhält. Dem trägt jedoch der in den Verdingungsunterlagen enthaltene Vertragsentwurfs des Auftraggebers Rechnung. In § 2 Abs. 2 heißt es:

"Der Auftragnehmer weist nach, dass er die erforderliche Lizenz der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post und die Entgeltgenehmigung zu vorstehendem/n Preis/en erhalten hat. Er wird einen evtl. Entzug oder eine Änderung der Lizenz bzw. der Entgeltgenehmigung dem Auftraggeber unverzüglich anzeigen."

53

Für den Fall der fehlenden oder entfallenden Entgeltgenehmigung sieht § 8 Abs. 4 des Vereinbarungsentwurfes ein beiderseitiges Kündigungsrecht vor. Dort heißt es:

"Verändert sich das von der Regulierungsbehörde zu genehmigende Zustellungsentgelt, so sind beide Partner berechtigt, den Vertrag zum Ende des auf das Veränderungsverlangen folgenden Monats zu kündigen. Wird Einvernehmen über die neue Höhe des Entgelts erzielt, läuft der Vertrag nach Maßgabe des Absatzes 1 weiter."

54

Auch die Regelungen des Postgesetzes stehen daher einer Berücksichtigung des Angebotes der Beigeladenen nicht entgegen.

55

Der Auftraggeber hat somit in zutreffender und vergaberechtlich nicht zu beanstandender Weise das Angebot der Beigeladenen als wirtschaftlichstes Angebot im Sinne des § 25 Nr. 3 VOL/A ermittelt. Die beabsichtigte Zuschlagserteilung auf das Angebot der Beigeladenen verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten gemäß §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB. Der Nachprüfungsantrag war daher zurückzuweisen.

56

III.

Kosten

57

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro - Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 Euro, die Höchstgebühr 25.000 Euro bzw., in Ausnahmefällen, 50.000 Euro beträgt.

58

Es wird eine Gebühr in Höhe von 4.818,- EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt.

59

Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach dem Ergebnis der streitbefangenen Ausschreibung 7.326.000,- EUR. Dieser Betrag entspricht den Kosten nach dem Angebot der Antragstellerin über die gesamte ausgeschriebene einjährige Vertragslaufzeit (4.07 EUR x 150.000 Zustellungen/Monat x 12) unter Zugrundelegung des vom Auftraggeber ermittelten Mischpreises (70 % der Zustellungen innerhalb, 30 % der Zustellungen außerhalb Niedersachsens) und damit ihrem Interesse am Auftrag.

60

Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von 7.326.000,- EUR ergibt sich eine Gebühr von 4.818,- EUR.

61

Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten oder Kosten durch Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung sind nicht angefallen.

62

Die im Tenor verfügte Kostentragungspflicht ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren i.S.d. § 128 Abs.3 Satz 1 GWB im vollen Umfang unterlegen ist.

63

Kosten der Beigeladenen:

64

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen folgt aus analoger Anwendung des § 162 Abs. 3 VwGO. Dort ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geregelt, dass die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig sind, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Die analoge Anwendung dieser Vorschrift zu Gunsten eines obsiegenden Beigeladenen ist im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer geboten (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 155, 158; sowie OLG Düsseldorf, Beschluss v. 15.06.2000, Az.: Verg 6/00). Die für eine analoge Anwendung von Vorschriften erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass gem. § 128 Abs. 4 Satz 2 lediglich geregelt wird:"Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen des Antragsgegners zu tragen. § 80 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und die entsprechenden Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder gelten entsprechend." Eine daraus folgende Ungleichbehandlung eines Beigeladenen gegenüber den anderen Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens wäre jedoch nicht sachgerecht, zumal der Beigeladene schließlich gem. § 109 GWB deshalb den Beteiligten-Status erhält, weil "dessen Interessen durch die Entscheidung schwer wiegend berührt werden".

65

Einerseits darf daher zwar für den Antragsteller durch (mögliche) Beiladungen kein unkalkulierbares und damit abschreckendes Kostenrisiko entstehen. Andererseits dürfen aber auch Kosten des Beigeladenen nicht zu einer Waffenungleichheit zu seinen Lasten führen (vgl. Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 128, Rdnr. 1034).

66

Unter Berücksichtigung dieser sachgerechten Grundsätze entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit i.S.d. hier analog anzuwendenden § 162 Abs. 3 VwGO, dass die unterlegene Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Nachprüfungsverfahren erforderlichen Aufwendungen der Beigeladenen, zu denen auch die Kosten einer in einem derartig komplexen, nicht nur materielles Vergaberecht, sondern auch prozessuale Rechtsfragen berührenden Verfahren ohne weiteres erforderlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gehören, zu tragen hat.

67

Der Auftraggeber war nicht anwaltlich vertreten und hat keinen Aufwendungsantrag gestellt.

68

Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von 4.818,- EUR unter Angabe des Kassenzeichens ... innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen:

69

xxx

Gause
Schulte
Dierks