Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 20.09.2004, Az.: 203-VgK-46/2004

Vergabe von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr; Zuständigkeit der Vergabekammer als ausschließliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VK Lüneburg
Datum
20.09.2004
Aktenzeichen
203-VgK-46/2004
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 33633
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgegenstand

Vergabe von Leistungen im Schienenpersonennahverkehr im "Nordost-Hessen-Netz"

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg hat
durch
den Vorsitzenden RD Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR'in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ök. Brinkmann
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Das Nachprüfungsverfahren wird an die zuständige Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt, Wilhelminenstr. 3, 64283 Darmstadt, verwiesen.

  2. 2.

    Der Beschluss ergeht kostenfrei.

Begründung

1

Die Auftraggeber haben unter der Federführung der Auftraggeberin zu 1 mit Bekanntmachung vom 20.02.2004 Leistungen im Schienenpersonennahverkehr für das sog. "Nordost-Hessen-Netz" für den Zeitraum 12/2006 bis 12/2016 ausgeschrieben. Es handelt sich dabei um die Verkehre auf den Strecken KBS 611 Göttingen - Eichenberg - Kassel (R 1), KBS 610 Kassel - Bebra - Fulda (R 5/51), KBS 605 Bebra - Eisenach (R 6), KBS 613 Göttingen - Eschwege - Bebra (R 7). In der Vergabebekanntmachung hatten die Auftraggeber keine zuständige Vergabekammer angegeben. In den Verdingungsunterlagen wurde darauf hingewiesen, dass die Verkehrsleistung in öffentlicher Ausschreibung gemäß § 4 Abs. 1 VgV i.V.m. § 1 a Nr. 2 Abs. 2 VOL/A und §§ 8 a, 28 a der VOL/A erfolgt. Unter "Sonstiges" auf Seite 18 der Verdingungsunterlagen heißt es:

"Bei behaupteten Verstößen gegen die Vergabebestimmungen kann sich der Bieter wahlweise an eine der folgenden Vergabekammern wenden:
Regierungspräsidium Darmstadt - Vergabekammer - Luisenplatz 2, 64278 Darmstadt
Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg, Postfach 2520, 21332 Lüneburg"

2

Mit Anwaltsschriftsatz vom 14.09.2004 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg einen Nachprüfungsantrag gestellt. Die Vergabekammer hat am 14.04.2004 - vorab per Telefax und anschließend auf dem Postwege - den Nachprüfungsantrag der in der Vergabebekanntmachung ausdrücklich als federführend genannten Auftraggeberin zu 1 zugestellt. Der Eingang wurde mit Telefax vom gleichen Tage bestätigt. Auf Nachfrage der Vergabekammer teilten die verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälte der Auftraggeber mit Telefax vom 15.09.2004 mit, dass sich die zum streitbefangenen Auftrag gehörenden Verkehrsleistungen wie folgt auf die beteiligten Bundesländer verteilen:

  • Hessen: 2.754.069 Zug-km/Jahr (ca. 77 %)
  • Niedersachsen: 597.719 Zug-km/Jahr (ca. 17 %)
  • Thüringen: 227.269 Zug-km/Jahr (ca. 6 %)

3

Die Antragstellerin hatte in ihrem Antragsschriftsatz und mit Schriftsatz vom 17.09.2004 unter Berufung auf den Beschluss des OLG Koblenz vom 05.09.2002, Az.: 1 Verg. 2/02, die Auffassung dargelegt, dass die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg ungeachtet des "Schwergewichts der Maßnahme" für das Nachprüfungsverfahren zuständig sei.

4

Nur äußerst hilfsweise hat sie die Verweisung des Nachprüfungsverfahrens an die in den Verdingungsunterlagen ebenfalls benannte Vergabekammer des Landes Hessen beantragt.

5

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg ist für die Nachprüfung dieses länderübergreifenden Vergabeverfahrens jedoch unzuständig.

6

Nach der Zuständigkeitsregelung des § 18 Abs. 7 VgV ist dann, wenn ein Auftraggeber einem Land zuzuordnen ist, die Vergabekammer des jeweiligen Landes zuständig. Gemäß § 18 Abs. 8 VgV wird in allen anderen Fällen die Zuständigkeit der Vergabekammern nach dem Sitz des Auftraggebers bestimmt. Das geltende Vergaberecht enthält jedoch keine ausdrückliche Zuständigkeitsregelung für den Fall einer gemeinsamen Ausschreibung durch in verschiedenen Bundesländern ansässige Auftraggeber (vgl. Vergabekammer bei der Finanzbehörde Hamburg, Beschluss v. 21.04.2004, Az.: VgV FB 1/04, m.w.N.). Der Gesetzgeber hat insoweit von seiner Ermächtigung gem. § 27 Nr. 5 GWB zur genauen Abgrenzung der Zuständigkeiten der Vergabekammern der Länder voneinander noch keinen Gebrauch gemacht. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichtes in Bremen (vgl. Beschluss v. 17.08.2000, Verg 2/2000 - dort zur Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern des Bundes und der Vergabekammer des Landes Bremen), der sich die Vergabekammer anschließt, ist § 18 Abs. 8 VgV bei länderübergreifenden Beschaffungen dahingehend auszulegen, dass allein die Vergabekammer für das gesamte Vergabeverfahren zuständig ist, in dessen Zuständigkeitsbereich der Hauptauftraggeber seinen Sitz hat. Da 77 % der ausgeschriebenen Verkehrsleistungen den im Bundesland Hessen ansässigen Auftraggebern zu 1 und 2 zuzurechnen sind, lediglich 17 % Niedersachsen und 6 % Thüringen, ist die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg für die Nachprüfung des streitbefangenen länderübergreifenden Vergabeverfahrens unzuständig. Zwar wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung zum Teil die Auffassung vertreten, dass bei mehreren Auftraggebern im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB, an denen der Bund und/oder mehrere Länder beteiligt sind, mehrere Vergabekammern zuständig sein können, so dass insoweit eine Wahlmöglichkeit bestehe (vgl. Reidt/Stickler/Glahs, VergabeR, Rn. 7 und 8 zu § 104 GWB; VK Brandenburg, Beschluss v. 14.03.2003, Az.: VK 14/03). Dieser Auffassung schließt sich die Vergabekammer jedoch nicht an, weil diese Verfahrensweise bei einer Vielzahl von sich benachteiligt fühlenden Bietern dazu führen könnte, dass Nachprüfungsverfahren in ein und derselben Sache bei mehreren Vergabekammern anhängig werden. Die Zuständigkeit der Vergabekammer muss deshalb eine ausschließliche sein (vgl. VK Bremen, Beschluss v. 11.08.2000, Az.: VK 2/00). Demgegenüber vertritt das OLG Koblenz in seinem Beschluss vom 05.09.2002, Az.: 1 Verg. 2/02, die Auffassung, dass im Falle gemeinsamer Ausschreibung durch in verschiedenen Bundesländern ansässige Auftraggeber die Vergabekammer eines jeden in Frage kommenden Landes zuständig ist. Zur Begründung weist das OLG darauf hin, dass eine Zuständigkeitsbestimmung nach dem "Schwergewicht der Maßnahme" in der Regel bei Eingang des Nachprüfungsantrages, wenn über die Frage der ein Zuschlagsverbot auslösenden Zustellung (§§ 110 Abs. 2 Satz 1, 115 Abs. 1 GWB) zu befinden ist, in der Regel noch nicht möglich sei. Außerdem seien Fälle denkbar, in denen der Schwerpunkt der Leistungserbringung eben nicht eindeutig ist, was zu Zuständigkeitsstreitigkeiten und in der Folge zu mit dem Beschleunigungsgebot im Nachprüfungsverfahren nicht zu vereinbarenden Verzögerungen führen könne.

7

Dies ist bei dem vorliegenden zu beurteilenden Sachverhalt jedoch gerade nicht der Fall. Aus der umgehenden Stellungnahme des Auftraggebers vom 15.09.2004 ergibt sich vielmehr, dass der eindeutige Schwerpunkt der ausgeschriebenen Verkehrsleistungen, nämlich 77 %, den Auftraggebern mit Sitz im Land Hessen zuzurechnen ist. Auch eine Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens ist nicht zu besorgen, weil die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag - da nicht offensichtlich unzulässig im Sinne des § 110 Abs. 2 Satz 1 GWB - mit Verfügung vom 14.09.2004 dem federführenden Auftraggeber zu 1 zugestellt hat mit der Maßgabe, dass dieser bis zum 24.09.2004 unter Beifügung der Vergabeakte zum Nachprüfungsantrag Stellung nimmt. Ein wesentlicher Zeitverlust durch die Verweisung an die zuständige Vergabekammer ist daher nicht ersichtlich.

8

Die Vergabekammer hatte zu berücksichtigen, dass sich die Möglichkeit einer Verweisung des Nachprüfungsverfahrens an die zuständige Vergabekammer nicht aus einer unmittelbaren Anwendung der §§ 83 VwGO,§ 17 a Abs. 2 GVG ergibt. Denn das Verfahren vor der Vergabekammer ist ein Verwaltungs- und kein Gerichtsverfahren. Die Vergabekammer schließt sich jedoch der Rechtsauffassung des Hanseatischen OLG in Bremen (Beschluss v. 17.08.2000, Az.: Verg 2/2000) an, dass auch dann, wenn das damit ergänzend zum GWB anwendbare Verwaltungsverfahrensgesetz eine Verweisung nicht ausdrücklich zulässt, zu berücksichtigen ist, dass die Regelung des § 17 a Abs. 2 GVG doch einem allgemeinen Rechtsgedanken entspricht, der auch hier anwendbar ist. Auf einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin war daher, wie geschehen, die Verweisung so zügig auszusprechen, dass das Nachprüfungsverfahren noch vor Ablauf der Entscheidungsfrist der zuständigen Vergabekammer vorliegt. Selbst wenn durch die Anrufung einer unzuständigen Vergabekammer die Zeit für die zuständige Vergabekammer so kurz werden sollte, dass die Sachentscheidung innerhalb der Frist nicht mehr möglich erscheint, so liegen regelmäßig die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB vor (vgl. OLG Bremen, a.a.O.). Damit wird auch in diesem Fall dem Beschleunigungsgebot Rechnung getragen, ohne dass die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren durch die Anrufung einer unzuständigen Vergabekammer unnötige Nachteile erleidet. Das Nachprüfungsverfahren war daher an die zuständige Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt zu verweisen.

Gause,
Schulte,
Brinkmann