Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.09.2014, Az.: 1 MN 102/14
Auslegung des Begriffs des Anschmiegens an einen zentralen Versorgungsbereich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 29.09.2014
- Aktenzeichen
- 1 MN 102/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 22892
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0929.1MN102.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 2 S. 1 BauGB
- Plansatz 2.3 03 S. 6 LROP 2008
Fundstellen
- BauR 2015, 232-234
- BauR 2015, 1017
- DÖV 2014, 1066
- FStNds 2015, 43-47
- FuNds 2015, 43-47
- NordÖR 2014, 550
- ZfBR 2015, 69-71
Amtlicher Leitsatz
Der vom Senat für die Beschreibung einer integrierten Lage i.S.d. Plansatzes 2.3 03 Satz 6 LROP 2008 verwendete Begriff des Anschmiegens an einen zentralen Versorgungsbereich ist nicht dahingehend zu verstehen, dass nur unmittelbar neben diesem gelegene Standorte integriert sein könnten. Je weiter der Standort aber vom zentralen Versorgungsbereich entfernt liegt, desto deutlicher müssen die Indizien dafür sein, dass der großflächige Einzelhandelsbetrieb seine Unterstützungsfunktion für den zentralen Versorgungsbereich tatsächlich erfüllt.
Tenor:
Der vom Rat der Antragsgegnerin am 26.2.2014 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 1.46 "Am Brettbach" wird bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin vom 23.05.2014 - 1 KN 83/14 - einstweilen außer Vollzug gesetzt.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils zur Hälfte. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 25.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, eine im Regionalen Raumordnungsprogramm für den Landkreis Harburg 2000 (nachfolgend: RROP 2000) als Grundzentrum ausgewiesene Gemeinde, wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 1.46 "Am Brettbach" der Antragsgegnerin, in dem ein Sondergebiet für einen Verbrauchermarkt mit rund 3.000 m2 Grundfläche festgesetzt wird. Sie befürchtet nachteilige Auswirkungen auf ihr eigenes Ortszentrum.
Die Antragsgegnerin ist eine im RROP 2000 ebenfalls als Grundzentrum ausgewiesene Gemeinde mit rund 7.600 Einwohnern und zugleich Verwaltungssitz der Samtgemeinde Jesteburg mit rund 11.000 Einwohnern. Der Kernort der Antragsgegnerin wird von einer in Ost-West-Richtung verlaufenden Bahnlinie zerschnitten. Nördlich der Bahnlinie liegt im Wesentlichen Wohnbebauung. Südlich findet sich die wesentliche Konzentration von Einzelhandelsnutzungen und Dienstleistungen entlang der nach Unterquerung des Bahndamms in Nordost-Südwestrichtung ausgerichtete Hauptstraße (L 213), die im Westen nach Süden abschwenkt und erst - unter Querung der annähernd in West-Ost-Richtung fließenden Seeve - als Brückenstraße, sodann als Schützenstraße Richtung Süden verläuft. Von Westen mündet in die genannte Kurve der L 213 die Lüllauer Straße ein, an der - am Westrand der Ortslage - das Gewerbegebiet Allerbeeksring liegt. Ca. 650-700 m südlich der Kurve befindet sich an der Ostseite der Schützenstraße das hier streitige Plangebiet, das bisher von der Festhalle und Schießanlage des örtlichen Schützenvereins eingenommen wird. Vor dem Gelände liegt eine Bushaltestelle. Im unmittelbaren Umfeld des Plangebiets gibt es ein Restaurant
("B."), Sportstätten - u.a. einen Tennisclub, ein Sportfeld, ein Freibad und eine Reitschule - sowie das Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr. In diesem Bereich finden auch mehrmals jährlich Flohmärkte und Zirkusveranstaltungen statt. Weiter nördlich schließen sich Schulen, eine Kindertagesstätte und Wohnbebauung an. Südwestlich der Schützenstraße liegt ein für die Verhältnisse der Antragsgegnerin ausgedehntes Wohngebiet. Insgesamt leben in einem Umkreis von 700 m um das Vorhaben 1.200 - 1.300 Menschen. Die Sportstätten markieren das Ende der Ortslage und des Gemeindegebietes der Antragstellerin. Südlich davon verläuft die L 213 weiter in Richtung des ca. 1,5 km entfernten Asendorf - einer Mitgliedsgemeinde der Samtgemeinde Hanstedt - und des in Luftlinie ca. 6 km entfernten Kernortes der Antragstellerin.
Am 9.6.2004 beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin die Aufstellung des streitgegenständlichen (Angebots-)Bebauungsplans; den Aufstellungsbeschluss bestätigte bzw. änderte er mit nachfolgenden Beschlüssen. Ziel der Planung war die Ansiedlung eines Verbrauchermarktes mit rund 3.200 m2 Verkaufsfläche auf dem ehemaligen Schützenvereinsgelände; als Vorhabenträgerin war die Beigeladene vorgesehen. Vom 10.6.2013 bis 12.7.2013 fand die frühzeitige Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung, vom 7.10.2013 bis 8.11.2013 eine erste, vom 16.12.2013 bis 15.1.2014 eine erneute öffentliche Auslegung und Beteiligung der Träger öffentlicher Belange statt. Gegenstand der Beteiligung war unter anderem ein Verträglichkeitsgutachten der Dr. C. & Partner Gesellschaft für Unternehmens- und Kommunalberatung mbH (DLP) vom August 2013, das zu dem Ergebnis kam, das Vorhaben verstoße nicht gegen die raumordnerischen Vorgaben zur Einzelhandelssteuerung und gefährde insbesondere nicht die Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs der Antragstellerin und deren grundzentrale Funktion. Im Rahmen aller drei Behördenbeteiligungen äußerte sich die Antragstellerin kritisch zu dem Vorhaben und stellte insbesondere das DLP-Gutachten mit einer Plausibilitätsprüfung der BBE Handelsberatung vom 28.10.2013 in Frage. In seiner Sitzung vom 26.2.2014 entschied der Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und beschloss den Bebauungsplan als Satzung. Die Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt für den Landkreis Harburg vom 17.4.2014.
Der Bebauungsplan setzt im Wesentlichen ein Sondergebiet Einzelhandelszentrum fest. Nach Ziffer 1 der textlichen Festsetzungen sind darin folgende Nutzungen zulässig:
"a) Ein Verbrauchermarkt inklusive Getränkemarkt mit maximal 3.000 m2 Verkaufsfläche.
[Es folgt eine Definition der Verkaufsfläche]
b) Ein Bäcker mit zusätzlich maximal 180 m2 Verkaufsfläche.
c) Ein Shop mit einer Verkaufsfläche von zusätzlich maximal 40 m2.
[d) bis h) betreffen Nebenräume und -anlagen]
Die maximale Verkaufsfläche beträgt insgesamt 3.220 m2."
[Unterstreichungen im Original]
Die Antragstellerin hat am 26.5.2014 einen Normenkontrollantrag (1 KN 83/14), am 14.7.2014 den vorliegenden Normenkontrolleilantrag gestellt. Zur Begründung macht sie geltend, der Antrag sei zur Abwehr schwerer Nachteile geboten, da der Landkreis die Erteilung einer Baugenehmigung für den Markt der Beigeladenen beabsichtige, der die Antragstellerin in den eigenen Planungen für die ortsnahe Versorgung ihrer Bevölkerung stark behindern werde. Der Plan sei rechtswidrig. Er verletze das über § 1 Abs. 4 BauGB beachtliche Kongruenzgebot. Nach den Erläuterungen zum Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen (LROP) 2008 sei dies der Fall, wenn mehr als 30 % des Umsatzes aus Räumen außerhalb des jeweiligen zentralörtlichen Verflechtungsbereichs erzielt werde. Der Verflechtungsbereich sei hier - anders als in dem vom Senat in seinem Urteil vom 15.3.2012 - 1 KN 152/10 - beurteilten RROP Hannover - hinreichend konkretisiert, so dass die Vorschrift Zielcharakter habe. Er erstrecke sich auf das Samtgemeindegebiet. Das angenommene Kundenpotential von rd. 24.000 Kunden übersteige die Einwohnerzahl der Antragsgegnerin um mehr als das Dreifache, lediglich 48 % der am Planstandort zu erwartenden Umsätze stammten aus dem Samtgemeindegebiet; selbst wenn der Verflechtungsbereich unwesentlich über dieses hinausreiche, sei die 30%-Schwelle überschritten. Der Plan verstoße auch gegen das Integrationsgebot. Das Plangebot liege mehr als 10 Gehminuten vom eigentlichen Ortskern der Antragsgegnerin an der Hauptstraße entfernt. Die Entfernung vom Ortskern werde nicht durch ein auch für Innenstadtnutzer attraktives Parkplatzangebot kompensiert; schon für die Kunden seien nicht ausreichend Parkplätze verfügbar. Der Standort sei auf Kunden ausgerichtet, die dort ausschließlich ihren Einkauf erledigten. Die umliegenden Nutzungen seien typisch für die Ortsrandlage, ein Bestreben zur Etablierung eines neuen Stadt- oder Nebenzentrums sei nicht erkennbar. Das Vorhaben verstoße auch gegen das Beeinträchtigungsverbot; dies sei bei einem sortimentsspezifischen Kaufkraftabzug von mehr als 10 % aus zentralen Versorgungsbereichen oder benachbarten zentralen Orten anzunehmen. Die BBE Handelsberatung habe in einer Auswirkungsanalyse entsprechende über 10 % liegende Umverteilungsquoten ermittelt. Es liege auch ein Verstoß gegen das interkommunale Abstimmungsgebot - § 2 Abs. 2 BauGB - vor. Großflächige Einzelhandelsvorhaben lösten einen qualifizierten Abstimmungsbedarf aus, dem mit der Beteiligung nach § 4 BauGB nicht genügt sei; erforderlich sei darüber hinaus eine Beteiligung vor Auslegung der Bauleitpläne, die hier nicht erfolgt sei. Auch die Abwägung sei mangelhaft. Das DLP-Gutachten sei methodisch fehlerhaft. Das Integrationsgebot sei in seiner Bedeutung verkannt worden. Die Antragsgegnerin habe nicht berücksichtigt, dass das Vorhaben neue Verkehrsströme hervorrufe. Schließlich sei das Entwicklungsgebot, § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB verletzt. Aus der Begründung des Flächennutzungsplans ergebe sich, dass im Plangebiet nur Einzelhandel mit einer Verkaufsfläche von 1.800 m2 entstehen sollte.
Die Antragstellerin beantragt,
den vom Rat der Antragsgegnerin am 26.2.2014 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan Nr. 1.46 "Am Brettbach" bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerin vom 23.5.2014 außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie meint, der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Der Plan verstoße nicht gegen das Integrationsgebot. Der zentrale Versorgungsbereich der Antragsgegnerin erstrecke sich - spätestens nach Verwirklichung des Vorhabens - auch über die Lüllauer Straße und die Schützenstraße. Das zeige auch der Entwurf des RROP 2025 für den Landkreis Harburg, in dem dieser Bereich kartographisch dargestellt sei. Selbst wenn dies anders zu sehen sei, sei der zentrale Versorgungsbereich jedenfalls fußläufig erreichbar, nämlich allenfalls knapp 700 m entfernt. Parkplätze seien im oder neben dem Plangebiet ausreichend vorhanden und könnten von Besuchern der Innenstadt genutzt werden; durch den Anschluss an den ÖPNV sei die Erreichbarkeit hergestellt. Die umliegenden öffentlichen Einrichtungen würden ohnehin stark frequentiert, so dass auch eine Verkehrsvermeidung erreicht werde. Das Kongruenzgebot könne schon nicht verletzt sein, da ihm kein Zielcharakter zukomme; das RROP 2000 definiere den Begriff des Verflechtungsbereichs nicht hinreichend bestimmt, zumal es sich nicht auf das LROP 2008, sondern auf dessen Vorgängerregelung beziehe. Die von der Antragstellerin angeführten Erläuterungen fänden im Text des RROP 2000 keinen Anknüpfungspunkt. Das interkommunale Abstimmungsgebot sei nicht verletzt; es beinhalte keine Verpflichtung zu einer Art Moderation neben der Beteiligung nach § 4 BauGB. Das Beeinträchtigungsverbot werde eingehalten. Umsatzeinbußen über 10 % seien nur im - nicht geschützten - Gewerbegebiet Allerbeeksring zu erwarten. Im Ortskern der Antragstellerin betrage die Einbuße beim hier relevanten periodischen Bedarf 8 %, was auf die bestehenden Einzelhandelsstrukturen nur unwesentliche Auswirkungen habe. Die Kritik der BBE am DLP-Gutachten sei unbegründet, wie eine Gegenstellungnahme der DLP im Einzelnen zeige. Gegen das Entwicklungsgebot werde nicht verstoßen, da der Flächennutzungsplan eine Verkaufsflächenbegrenzung auf 1.800 m2 nicht enthalte.
Die Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist auf die Voraussetzungen für den Erfolg eines Normenkontrolleilantrages und macht geltend, die Antragstellerin habe keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen rechtlich geschützter Positionen zu erwarten. Die von DLP prognostizierten Kaufkraftabflüsse von ca. 8% im Ortskern der Antragstellerin stellten keine nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art auf deren städtebauliche Ordnung dar. Selbst Umsatzverluste von 10% böten insoweit nur einen Anhaltspunkt. Die Kritik der Antragstellerin an der o.g. Prognose werde in der Erwiderung der DLP widerlegt. Auch ihre Funktion als Grundzentrum werde nicht in einer über § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB abwehrbaren Weise beeinträchtigt. Eine etwaige offensichtliche Rechtsfehlerhaftigkeit des Plans könne dem Eilantrag schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehle. Insoweit gelte das oben Gesagte. Der Plan sei zudem rechtmäßig. Das Kongruenzgebot habe keinen Zielcharakter. Das Integrationsgebot sei nicht verletzt. Das Vorhaben liege in einem zentralen Versorgungsbereich; in seinem Umfeld finde sich ein vielfältiges und dichtes Angebot an Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen mit einem wesentlichen fußläufigen Einzugsbereich; die Gemeinde plane zudem, auf dem Reitgelände weitere Wohnungen zu ermöglichen. Jedenfalls mache es für Kunden des Vorhabens Sinn, die Geschäfte weiter nördlich aufzusuchen. Zu Beeinträchtigungsverbot, interkommunalem Abstimmungsgebot, Abwägungsgebot und Entwicklungsgebot trägt die Beigeladene ähnlich vor wie die Antragsgegnerin.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Er ist zulässig; insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt, da nicht nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen ist, dass diese durch den angegriffenen Bebauungsplan in ihren Rechten verletzt wird. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass Umsatzeinbußen im Segment des periodischen Bedarfs im Ortskern der Antragstellerin von mehr als 10 % zumindest ein gewichtiges Indiz für eine über § 2 Abs. 2 Satz 2, 2. Var. BauGB abwehrfähige Beeinträchtigung von deren zentralem Versorgungsbereich wären. Selbst das Einzelhandelsgutachten der Antragsgegnerin kommt zu Umsatzeinbußen von über 8 %. Dass die Kritik der Antragstellerin an diesem Gutachten zumindest in Teilen zutrifft und die Annahme von um 2 % höheren Umsatzeinbußen rechtfertigen könnte, ist nicht nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen.
Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Wegen der weitreichenden Folgen, welche die Aussetzung einer Satzung nach dem Baugesetzbuch zur Folge hat, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen ein strenger Maßstab anzulegen. Ein schwerer Nachteil im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO liegt nur vor, wenn rechtlich geschützte Interessen des Antragstellers in ganz besonderem Maße beeinträchtigt oder ihm außergewöhnliche Opfer abverlangt werden (vgl. Erichsen/ Scherzberg, DVBl. 1987, 168, 174 m.w.N.). Aus "anderen wichtigen Gründen" ist der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung erst dann geboten, wenn der Normenkontrollantrag mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 21.3.1988 - 1 D 6/87 -, juris = BRS 48 Nr. 30; siehe auch Beschl. v. 30.8.2001 - 1 MN 2456/01 -, juris = NVwZ 2002, 109 = BRS 64 Nr. 62). Letzteres ist der Fall.
Der angegriffene Bebauungsplan verstößt gegen § 1 Abs. 4 BauGB, da die Antragsgegnerin das als Ziel der Raumordnung in Nr. 2.3 03 Satz 6 LROP 2008 enthaltene Integrationsgebot nicht beachtet hat. Nach diesem Plansatz sind neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Kernsortimente innenstadtrelevant sind, nur innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässig. Dass es sich bei dem mit dem Bebauungsplan ermöglichten Vorhaben um ein Einzelhandelsgroßprojekt mit innenstadtrelevantem Kernsortiment handelt, ist unstreitig. Das Plangebiet liegt nicht in einer städtebaulich integrierten Lage.
Die Rechtsprechung des Senats zu diesem Begriff (Beschl. v. 17.5.2013 - 1 ME 56/13 -, juris Rn. 29 ff.; Beschl. v. 20.3.2014 - 1 MN 7/14 - juris Rn. 62 ff. = BauR 2014, 949; Urt. v. 10.7.2014 - 1 KN 121/11 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) lässt sich wie folgt zusammenfassen: Eine städtebaulich integrierte Lage liegt unproblematisch bei Standorten innerhalb eines zentralen Versorgungsbereichs, also der Innenstadt, aber auch eines Nahversorgungszentrums, vor. Auch andere Standorte können noch integriert sein, wenn sie, sich räumlich an einen zentralen Versorgungsbereich "anschmiegend", diesen funktional ergänzen. Letztere Komponente setzt voraus, dass sich die großflächigen Einzelhandelsbetriebe dort dem zentralen Versorgungsbereich unterordnen, wofür sie räumlich und funktionell keinen Umfang annehmen dürfen, welcher gleichberechtigt neben die Innenstadt tritt. Hinzu kommen muss - gleichsam als Kompensation für den auch bei Erfüllung der ersten Bedingung nicht ganz zu vermeidenden Anteil an potentiellen Innenstadtnutzern, bei denen der Besuch des großflächigen Einzelhandelsbetriebs den der Innenstadt "ersetzt" - ein gewisser Beitrag zur Attraktivität des zentralen Versorgungsbereichs, der insbesondere in der Bereitstellung von in der Innenstadt fehlenden Parkplätzen liegen kann. Bei der Prüfung der Lage in oder nahe einem zentralen Versorgungsbereich ist nicht allein auf den Ist-Zustand im Zeitpunkt der Bauleitplanung, sondern unter Umständen auch auf einen Soll-Zustand, auf den die Gemeinde erkennbar planerisch hinarbeitet, abzustellen. Gemessen hieran vermag der Senat eine städtebaulich integrierte Lage des Vorhabens nicht zu erkennen.
Er geht dabei davon aus, dass der zentrale Versorgungsbereich "Ortskern" der Antragsgegnerin zwar entgegen der Auffassung der Antragstellerin über die Hauptstraße nach Süden hinausreicht, jedoch nicht, wie die Antragsgegnerin und die Beigeladene meinen, bis zum Ortsausgang, sondern vermutlich nur bis zur Seeve, allenfalls noch bis zur Einmündung des Schierhorner Weges. Zentrale Versorgungsbereiche sind räumlich abgrenzbare Bereiche einer Gemeinde, denen auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen - häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote - eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt (BVerwG, Urt. v. 11.10.2007 - 4 C 7.07 -, juris Rn. 11 = BVerwGE 129, 307[BVerwG 11.10.2007 - BVerwG 4 C 7.07]). Einzelhandelsnutzungen, Dienstleistungen und gastronomische Angebote, die nach ihrer Zahl, Art und Konzentration in der Lage sind, Kunden aus einem über den unmittelbaren Nahbereich hinausgehenden Raum anzuziehen, finden sich nicht nur entlang der Hauptstraße, sondern auch im nördlichen Bereich der Brückenstraße bis zur Seeve; dort gibt es noch zahlreiche "innenstadttypische" Nutzungen, insbesondere aus dem Bereich des Gesundheitswesens. Bezeichnenderweise ist auch dieser Bereich (aber eben auch nur er) vom Masterplan "Ortsmitte" der Antragsgegnerin erfasst. Südlich der Seeve folgen demgegenüber bis zur Einmündung des Schierhorner Weges mit einem Möbelhaus und einer Tischlerei zumindest teilweise Nutzungen, die typischerweise Gewerbegebiete oder Ortsrandlagen prägen; lediglich zwei Gaststätten, "D." und "E.", die Spielhalle sowie der Laden "F." in einer Querstraße mögen noch den typischen Innenstadtnutzer ansprechen. Selbst wenn man erst hier das Ende des zentralen Versorgungsbereiches der Antragsgegnerin annähme, läge das Plangebiet noch eine Wegstrecke von ca. 350 m von diesem entfernt. Dieser Bereich der L 213 ist von Wohnbebauung gesäumt und kann daher dem zentralen Versorgungsbereich nicht mehr zugerechnet werden. Der vorliegende Entwurf des RROP Harburg 2025 ändert daran nichts; er ist - und war zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses der Antragsgegnerin - noch nicht wirksam und ist daher entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht zu berücksichtigen. Soweit der Senat in seiner eingangs dargestellten Rechtsprechung auch künftigen Entwicklungen Bedeutung beigemessen hat, bezog sich dies auf tatsächliche Gegebenheiten, nicht auf Rechtsänderungen.
Eine somit anzunehmende Entfernung von zumindest 350 m zum zentralen Versorgungsbereich schließt die Annahme einer integrierten Lage für sich genommen nicht aus; der vom Senat verwendete Begriff des erforderlichen "Anschmiegens" ist nicht dahingehend zu verstehen, dass nur unmittelbar neben dem zentralen Versorgungsbereich gelegene Standorte integriert sein könnten. Je weiter der Standort aber vom zentralen Versorgungsbereich entfernt liegt, desto deutlicher müssen die Indizien dafür sein, dass der großflächige Einzelhandelsbetrieb seine Unterstützungsfunktion für den zentralen Versorgungsbereich tatsächlich erfüllt. Fehlt die fußläufige Erreichbarkeit, so kommt eine integrierte Lage nicht mehr in Betracht; umgekehrt ergibt eine fußläufige Entfernung zuzüglich eines großen Parkplatzes aber nicht automatisch eine integrierte Lage nach den o.g. Kriterien.
Hier sieht der Senat trotz fußläufiger Erreichbarkeit des zentralen Versorgungsbereichs keine Anhaltspunkte dafür, dass das geplante Vorhaben die Funktion des Ortskerns unterstützt. Dass Nutzer des Parkplatzes des mit dem Plan ermöglichten Vorhabens von dort aus in nennenswerter Zahl zu Fuß den Ortskern aufsuchen werden, ist nicht anzunehmen. Die Geschäfte, die man nach den genannten 350 m erreicht, sind - wie dargelegt - für die meisten Innenstadtbesucher nur von eingeschränktem Interesse; interessant ist erst der Bereich nördlich der Seeve, der aber bereits 500 m vom Standort entfernt liegt. Die Wegstrecke wird parallel zur stark frequentierten L 213 (nach dem Verkehrsgutachten der Antragsgegnerin BA A Bl. 371 [381] im Planfall 10.200 Kfz/24h) zurückgelegt. Über östlich davon gelegene Fußwege erreicht man den Ortskern - namentlich die Hauptstraße - zwar ruhiger, jedoch erst nach Zurücklegen einer noch längeren Strecke. Dass eine besondere Parkplatzknappheit in der Innenstadt für den durchschnittlichen Kunden diesen Fußweg rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Der Masterplan der Antragsgegnerin (Anlage 4 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 5.9.2014, S. 10) spricht zwar davon, dass im Ortskern die Stellplätze entlang der Hauptstraße vor den Geschäften zu Stoßzeiten stark belegt sind, erwähnt aber auch wenig ausgelastete Parkflächen in den rückwärtigen Bereichen der Geschäfte. Es ist kaum anzunehmen, dass Besucher, die sich nicht einmal die Mühe machen, diese Parkplätze zu nutzen, den Weg von einem wesentlich weiter entfernten Parkplatz am Ortsrand nehmen werden. Hinzu kommt, dass der Masterplan die Schaffung zahlreicher Parkplätze im Ortskern - in den Fokusbereichen 1 und 2 allein 121 - vorsieht; ist mit der Senatsrechtsprechung neben dem Ist- auch der Soll-Zustand für die Prüfung der Integration des Standortes maßgeblich, so kann auch dies nicht unberücksichtigt bleiben.
Das Plangebiet liegt auch nicht in einem zweiten - vorhandenen oder geplanten - zentralen Versorgungsbereich der Antragsgegnerin in Gestalt eines Nahversorgungszentrums für die Wohngebiete südwestlich, evtl. auch nördlich des Plangebiets. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt (BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 - 4 C 2.08 -, juris-Rn. 7 f. = BVerwGE 136, 10) kann auch eine räumlich konzentrierte Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, die darauf angelegt ist, einen fußläufigen Einzugsbereich zu versorgen, einen zentralen Versorgungsbereich i.S.d. § 34 Abs. 3 BauGB bilden. Entscheidend ist, dass der Versorgungsbereich nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion hat. Diese Voraussetzungen sind hier selbst dann nicht erfüllt, wenn man zusätzlich zum Ist-Zustand den Zustand nach Verwirklichung des Vorhabens sowie der sonstigen für dessen Umgebung von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vorgetragenen Planungen (neue Baugebiete auf dem Gelände der Reitschule, neues Schützenvereinshaus) berücksichtigt. Auch in diesem Zustand läge schon keine "räumlich konzentrierte Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben", sondern ein einzelnes Einzelhandelsvorhaben, ergänzt lediglich um ein Restaurant, das nach dem unwidersprochenen Vortrag der Antragstellerin zudem eher für Großveranstaltungen dimensioniert ist, vor. Die weiteren im Vorhabenumfeld vorhandenen Nutzungen - Sportstätten, Schulen/Kita, Zirkus/Flohmarkt - ändern daran nichts; auch sie dienen kaum der Nahversorgung, sondern sind auf einen zumindest gemeindeweiten Nutzerkreis ausgerichtet. Das geplante Vorhaben ist zudem nach Lage, Art und Zweckbestimmung in seinem Schwerpunkt nicht auf die Nahversorgung der umliegenden Wohngebiete ausgerichtet; vielmehr ist diese nur ein - freilich erwünschter - Nebeneffekt. Als Lage für einen schwerpunktmäßig der Nahversorgung dienenden Komplex hätte sich eher ein innerhalb des Wohngebiets zentralerer Standort westlich der L 213 angeboten, der auch von den weiter westlich gelegenen Wohngebieten aus fußläufig erreichbar gewesen wäre. Die Lage an der L 213 lässt demgegenüber bereits die Ausrichtung auf einen gemeindeweiten und sogar überörtlichen Kundenkreis erkennen. Dies ist, wie die Dimensionierung des Vorhabens und der in den Einzelhandelsgutachten prognostizierte Einzugsbereich mit ca. 24.000 potentiellen Kunden zeigen, auch die tatsächliche Zweckbestimmung des Vorhabens, die eine Ansiedlung im auf einen solchen Kundenkreis ausgerichteten Ortskern erfordert hätte.
Die Argumente, im Ortskern der Antragsgegnerin lasse sich das Vorhaben nicht verwirklichen und durch die Nähe zu ohnehin vielbesuchten Sportstätten werde die mit dem Integrationsgebot letztlich angestrebte Verkehrsvermeidung erreicht, rechtfertigen die Annahme einer integrierten Lage gleichfalls nicht. Sie mögen eine Rolle im Rahmen eines etwaigen Zielabweichungsverfahrens (§ 6 Abs. 2 ROG, § 8 Nds. ROG) spielen; ein solches ist hier jedoch nicht durchgeführt worden.
Auf die - voraussichtlich negativ zu beantwortenden Fragen -, ob ein Verstoß gegen das Kongruenzgebot und das Entwicklungsgebot vorliegt und die wohl nicht mit dem im Eilverfahren gebotenen Wahrscheinlichkeitsgrad positiv zu beantwortenden Fragen, ob ein Verstoß gegen das Beeinträchtigungsverbot und das interkommunale Abstimmungsgebot vorliegen, kommt es mithin nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9 a) der regelmäßigen Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197).