Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.09.2014, Az.: 13 LA 93/14
Auswirkungen einer fehlenden Bindungswirkung kirchlicher Bescheinigungen im Asylrechtsstreit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.09.2014
- Aktenzeichen
- 13 LA 93/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 23778
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0916.13LA93.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 05.05.2014 - AZ: 5 A 134/13
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG
- § 78 Abs. 4 S. 4 AsylVfG
Fundstelle
- KuR 2014, 263
Amtlicher Leitsatz
Zur fehlenden Bindungswirkung kirchlicher Bescheinigungen im Asylrechtsstreit.
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer (Berichterstatter) - vom 5. Mai 2014 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren war abzulehnen, weil sein Antrag auf Zulassung der Berufung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalt nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO ist mithin ebenfalls kein Raum.
Nach § 78 Abs. 3 AsylVfG ist in asylrechtlichen Streitigkeiten die Berufung nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG aufgeführten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 VwGO bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG sind in dem Zulassungsantrag die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Darlegung erfordert qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.
Der vom Kläger ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG genügenden Weise dargelegt bzw. liegt nicht vor. Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich wäre und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum die Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren.
Die seitens des Klägers aufgeworfene Frage,
"ob einem iranischen Staatsangehörigen, der zum Christentum konvertiert ist, nicht auch dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, wenn das Gericht von der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts nicht überzeugt ist, weil das Gericht staatsrechtlich an die Entscheidung des nach innerkirchlichem Recht zuständigen Geistlichen gebunden ist",
ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch des Senats bereits hinreichend geklärt, dass es ureigene Aufgabe des Gerichts ist, aufgrund der mündlichen Verhandlung und der dort vorliegenden Unterlagen zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Frage der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. An die Ausstellung eines Taufscheins sowie an die Einschätzung der Glaubensüberzeugung eines Konvertiten durch eine Kirchengemeinde bzw. einen Pastor ist das Gericht nicht gebunden (s. zuletzt Beschl. d. Sen. v. 7. Juli 2014 - 13 LA 226/13 -; v. 24. Juni 2014 - 13 LA 216/13 -; v. 7. März 2014 - 13 LA 118/13 -, [...]; v. 18. Oktober 2013 - 13 LA 106/13 -, u. v. 30. Mai 2012 - 13 LA 100/12 -; so auch OVG NRW, Beschl. v. 11.11.2013 - 13 A 2252/13.A -, [...]; Bay. VGH, Beschl. v. 8. August 2013 - 14 ZB 13.30199 -, [...]). Dass einzelne Verwaltungsgerichte (vgl. etwa VG Schwerin, Urt. v. 13. Februar 2013 - 3 A 1877/10 As -, [...], Rdnrn. 165 ff.) mit nicht überzeugender Begründung eine von der obergerichtlichen Rechtsprechung abweichende Auffassung vertreten, begründet für sich genommen keine erneute Klärungsbedürftigkeit dieser Frage. Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Dazu gehört selbstverständlich auch die Mitgliedschaft in den jeweiligen Religionsgemeinschaften. Es bleibt der Kirchengemeinde des Klägers mithin unbenommen, diesen weiter als ihr Mitglied anzusehen. Die Frage, ob diese Mitgliedschaft eine staatliche Flüchtlingsanerkennung nach sich zieht, unterliegt hingegen der Überprüfung durch staatliche Gerichte. Diese Überprüfung beschränkt sich nicht auf die Entgegennahme kirchlicher Bescheinigungen oder die unkritische Übernahme kirchlicher Stellungnahmen. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ist eine zentrale rechtsstaatliche Errungenschaft, die nicht durch eine Überstrapazierung des Gebots zu gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ausgehebelt werden darf.
Die vom Kläger ebenfalls als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
"ob das religiöse Existenzminimum eines Konvertiten, der vom Islam zum christlichen Glauben übergetreten ist, im Iran gewährleistet ist bzw. ob Konvertiten im Iran die Möglichkeit haben, ihren Glauben abseits der Öffentlichkeit ungefährdet auszuüben",
war nach der insoweit maßgeblichen Betrachtungsweise des Verwaltungsgerichts, die mit Zulassungsgründen nicht wirksam angefochten worden ist, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat eine ernsthafte und auf innerer Überzeugung beruhende Hinwendung des Klägers zum Christentum verneint. Aus diesem Grunde sei für den Fall seiner Rückkehr in den Iran auch nicht damit zu rechnen, dass der Kläger den christlichen Glauben praktiziere und dadurch einer Verfolgung ausgesetzt sei. Da das Verwaltungsgericht nicht von einem ernsthaften Glaubensübertritt ausgeht, stellt sich die Frage der Möglichkeit einer Praktizierung dieses Glaubens, in welcher Form auch immer, für den Fall der Rückkehr nicht.
Die Klärungsbedürftigkeit der weiteren Fragen,
"ob der iranische Staat ihn bereits wegen der bloßen Konversion zum Christentum und der in Deutschland zu diesem Zweck vollzogenen Taufe, die mit einem Abschwur vom Islam einhergegangen ist, mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen auch dann überziehen würden, wenn er gegenüber den iranischen Behörden behaupten würde, lediglich zum Schein aus rein asyltaktischen Gründen zum Christentum konvertiert zu sein",
und
"ob der Kläger nicht bereits deshalb bei einer Rückkehr in den Iran politisch-religiös motivierte Verfolgung drohen würde, weil es sich bei ihm um einen Seyed, um einen direkten Abkömmling des Propheten Mohammed handelt, und der Vater des Klägers, Seyed Mohammad B. ein Angehöriger des schiitisch-islamischen Chlerus ist"
ist nicht hinreichend dargelegt worden. Hat sich das Verwaltungsgericht mit der aufgeworfenen Grundsatzfrage nicht näher befasst, muss der Kläger darlegen, warum diese Frage geklärt werden soll. Wenn er den angeführten Umständen Entscheidungserheblichkeit beimisst, so muss er bestimmte Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstige Erkenntnisquellen benennen, um zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzutun, dass die zuvor benannten Umstände in der Person des Klägers zu einem Erfolg seines Rechtsschutzbegehrens führen können. Beschränkt sich der Kläger hingegen darauf, bestimmte, in seiner Person liegende Umstände lediglich zu behaupten, ohne nachvollziehbare Informationen und Erkenntnisquellen zu benennen, die eine Erheblichkeit dieser Umstände im Hinblick auf die konkrete Rechtsverfolgung wahrscheinlich erscheinen lassen, so vermag ein derartiges Vorbringen mangels angemessener Darlegung einer bestimmten klärungsbedürftigen Frage nicht zur Zulassung der Berufung zu führen (vgl. Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 78, Rdnrn. 103 f. unter Hinweis auf Hess. VGH, Beschl. v. 6. Februar 1997 - 13 UZ 1895/95 -). Ein schlichtweg "ins Blaue hinein" behauptetes Bestehen bestimmter angeblich gefahrerhöhender Umstände rechtfertigt nicht die Annahme der grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit dieser in Frageform aufgestellten Behauptungen. Es stellt auch keine Überforderung eines anwaltlich vertretenen Klägers dar, Erkenntnisquellen für die auf diese Weise aufgestellten Tatsachenbehauptungen zu benennen.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger keinerlei Erkenntnisquellen benannt, die seine Gefährdung auch bei einem rein asyltaktisch und nur zum Schein erfolgten Übertritt zum Christentum als wahrscheinlich erscheinen lassen. Gleiches gilt für die Folgen seiner direkten Abstammung vom Propheten Mohammed und der Stellung seines Vaters als schiitischer Kleriker. Weder die Zulassungsbegründung vom 28. Mai 2014 noch der ergänzende Schriftsatz vom 30. Mai 2014 enthalten dazu nachprüfbare Erkenntnisse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.