Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.2014, Az.: 11 LB 203/14

Anspruch eines in Deutschland lebenden ausländischen Staatsangehörigen auf Berichtigung seines Familienstandes im Melderegister

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.09.2014
Aktenzeichen
11 LB 203/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 24937
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0929.11LB203.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 20.02.2014 - AZ: 1 A 5750/13

Fundstellen

  • DÖV 2014, 1064
  • FamRZ 2015, 429
  • NJW 2015, 717
  • NdsVBl 2015, 24
  • NordÖR 2014, 552
  • ZAR 2014, 52

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein in Deutschland lebender ausländischer Staatsangehöriger hat einen Anspruch auf Berichtigung seines Familienstandes im Melderegister von verheiratet in geschieden, wenn er die Scheidung durch Vorlage eines wirksamen ausländischen Scheidungsurteils nachweist.

  2. 2.

    Das ausländische Scheidungsurteil ist anzuerkennen, wenn Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs. 1 FamFG nicht vorliegen; eine inhaltliche Überprüfung des Urteils findet nicht statt.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 20. Februar 2014 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013 verpflichtet, die Eintragung des Familienstandes des Klägers im Melderegister in "geschieden" zu ändern.

Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Eintragung seines Familienstandes im Melderegister von "verheiratet" in "geschieden" zu ändern.

Der Kläger, der indischer Staatsangehöriger ist und bereits seit längerer Zeit in Deutschland lebt, beabsichtigt, die indische Staatsangehörige B. C. zu heiraten. Im Standesamt der Beklagten bat er um Eintragung seines Familienstandes "geschieden" in das Melderegister und legte zum Nachweis seiner 2005 in Indien geschlossenen und 2012 ebenfalls in Indien geschiedenen Ehe mit Frau D. C. eine Heiratsurkunde sowie ein Scheidungsurteil des High Court of Punjab and Haryana at Chandigarh vom 19. Oktober 2012 (FAO Nr. M-259 von 2011) vor. Der Beklagte übersandte diese Unterlagen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in New Delhi zur Überprüfung. Diese teilte mit Schreiben vom 27. Juni 2013 mit, dass der Kläger und Frau D. C. 2005 offiziell in Indien geheiratet haben, nachdem ihre bereits 1985 erfolgte Eheschließung wegen Bigamie nichtig gewesen sei. Das Scheidungsurteil sei formell echt, aber inhaltlich falsch und wahrscheinlich unter Täuschung des Gerichts und Falschangaben erschlichen worden. Frau D. C. habe zunächst versucht, ein Scheidungsurteil beim eigentlich zuständigen Amtsgericht in Kapurthala zu erlangen. Nachdem dies abgelehnt worden sei, habe sie das nächsthöhere Gericht angerufen, das entschieden habe, ohne zuständig zu sein. Frau C. habe das Gericht über ihre Wohnanschrift getäuscht, da sie nicht wie angegeben im elterlichen Dorf, sondern seit der religiösen Trauung 1985 mit ihren Kindern im Dorf der Schwiegereltern im Haus ihres Mannes lebe. Zudem wisse niemand von einer Scheidung bzw. familiären Problemen, obwohl sich in Nordindien das gesellschaftliche Leben in aller Öffentlichkeit abspiele. Unstimmig sei auch die Aussage des Klägers, dass er sein Haus im Rahmen der Scheidung seiner Ehefrau überlassen habe. Dies stehe in Widerspruch zum Inhalt des Urteils, wonach es keine einvernehmlichen Scheidungsverhandlungen gegeben habe. Traditionell kehrten die geschiedenen Ehefrauen in Nordindien immer zu ihren eigenen Eltern zurück.

Das Standesamt der Beklagten teilte dem Kläger mit Schreiben vom 27. Juni 2013 das Ergebnis der Überprüfung des Scheidungsurteils durch die Deutsche Botschaft in New Delhi mit und wies darauf hin, dass er weiterhin verheiratet sei und einer Eheschließung mit Frau B. C. daher das Eheverbot der Doppelehe entgegenstehe. Im Hinblick auf die begehrte Eintragung des Familienstandes in das Melderegister werde der Vorgang an das zuständige Meldeamt weitergegeben.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2013 lehnte die Beklagte das Begehren des Klägers auf Ein-tragung des Familienstandes "geschieden" im Melderegister ab und verwies zur Begründung auf die Ergebnisse der Überprüfung des Scheidungsurteils durch die Deutsche Botschaft in New Delhi.

Der Kläger hat am 19. August 2013 gegen den Bescheid der Beklagten Klage erhoben und geltend gemacht, dass er bisher im Melderegister als "geschieden" geführt worden sei. Die Beklagte habe das Melderegister von Amts wegen geändert, weil er angeblich doch nicht geschieden sei. Diese Einschätzung sei unzutreffend. Die Frage der Anerkennung ausländischer Ehescheidungen sei nach den Vorschriften der §§ 107 ff.

FamFG zu beurteilen. Die Anerkennungsvoraussetzungen nach § 109 FamFG seien gegeben. Insbesondere lägen keine Anerkennungshindernisse vor. Entscheidend sei insoweit, dass das vorgelegte indische Scheidungsurteil formal echt sei. Eine inhaltliche Überprüfung des ausländischen Scheidungsurteils - wie sie die Beklagte unter Einschaltung der Deutschen Botschaft in New Delhi vorgenommen habe - sei in § 109 Abs. 5 FamFG gerade nicht vorgesehen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013 zu verpflichten, die Eintragung seines Familienstandes im Melderegister in "geschieden" zu ändern.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat erwidert, dass das Melderecht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur Ordnungsaufgaben erfülle, die im Wesentlichen im öffentlichen Interesse lägen und den Einzelnen allenfalls geringfügig berührten. Der Kläger könne mit dem vorliegenden melderechtlichen Verfahren nicht die Voraussetzungen für eine Eheschließung nachweisen. Zur Entscheidung darüber sei allein das zuständige Amtsgericht berufen. Zudem stehe dem Kläger ein Anspruch auf Berichtigung des Melderegisters auch nicht zu, da er nicht habe nachweisen können, dass das Melderegister unrichtig sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Februar 2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe nicht hinreichend belegt, dass der im Melderegister eingetragene Familienstand "verheiratet" unrichtig sei. Eine Unrichtigkeit des Melderegisters sei nicht bereits deshalb anzunehmen, weil der Kläger ein "formal echtes" Scheidungsurteil eines indischen Gerichts vorgelegt habe. Die Vorschriften der §§ 107 ff. FamFG seien nicht anwendbar. Die Meldebehörden hätten vielmehr nach § 24 VwVfG im Wege einer umfassenden Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts alle Umstände zu ermitteln und in den Blick zu nehmen, die für die Beurteilung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Eintragungen relevant sein könnten. Die im Überprüfungsverfahren eingeschaltete Deutsche Botschaft in New Delhi habe ausweislich ihrer Stellungnahme vom 27. Juni 2013 aufgrund intensiver Vorortermittlungen festgestellt, dass das vorgelegte Scheidungsurteil zwar in formeller Hinsicht echt, inhaltlich aber unrichtig sei. So sei das Scheidungsurteil von einem unzuständigen Gericht erlassen worden. Inhaltlich habe die Ehefrau des Klägers über ihre Wohnanschrift getäuscht, indem sie angegeben habe, im elterlichen Dorf zu leben und von ihrem Ehemann, dem Kläger, verlassen worden zu sein. Sie lebe aber seit ihrer religiösen Eheschließung 1985 im schwiegerelterlichen Dorf im Hause ihres Ehemannes. Zudem sei in ihrem Heimatort nichts von einer Scheidung oder Eheproblemen bekannt. In ihrem indischen Umfeld würden der Kläger und sie nach wie vor als verheiratet angesehen werden. Aufgrund dieser Ermittlungen verblieben nicht unerhebliche Zweifel daran, dass der Kläger tatsächlich geschieden sei, so dass ein Anspruch auf Änderung des Melderegisters nicht bestehe.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, die der Senat mit Beschluss vom 11. August 2014 (11 LA 60/14) wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zugelassen hat.

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und dem Zulassungsverfahren.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 1. Kammer - vom 20. Februar 2014 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 16. Juli 2013 zu verpflichten, die Eintragung des Familienstandes des Klägers im Melderegister in "geschieden" zu ändern.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass nicht in allen Fällen die Vorlage eines Urteils zur Begründung eines Anspruchs auf Berichtigung des Melderegisters ausreiche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers, über die im Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist begründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Änderung der Eintragung seines Familienstandes im Melderegister von "verheiratet" in "geschieden". Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2013 ist daher rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Nds. Meldegesetz (NMG) hat die Meldebehörde das Melderegister von Amts wegen oder auf Antrag der betroffenen Person zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn es unrichtig oder unvollständig ist. Der Familienstand des Klägers ist im Melderegister der Beklagten mit "verheiratet" eingetragen, obwohl der Kläger hinreichend nachgewiesen hat, geschieden zu sein.

Der Kläger hat zum Nachweis der Scheidung von seiner in Indien lebenden Ehefrau, die wie er die indische Staatsangehörigkeit besitzt, ein Scheidungsurteil des High Court of Punjab and Haryanaat at Chandigarh vom 19. Oktober 2012 vorgelegt, welches nach der Stellungnahme der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in New Delhi vom 27. Juni 2013 formell echt ist. Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen trifft § 107 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG - eine Sonderregelung, die § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess vorgeht (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.2012 - BVerwG 10 C 4.12 -, [...], Rn. 19). Nach § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG werden ausländische Entscheidungen in Ehesachen nur anerkannt, wenn dies durch eine Landesjustizverwaltung festgestellt wurde. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht § 107 Abs. 1 Satz 2 FamFG für den Fall vor, dass ein Gericht des Staates entschieden hat, dem beide Ehegatten zur Zeit der Entscheidung angehört haben. Hier bedarf es keiner Feststellung durch die Landesjustizverwaltung. Vielmehr prüft das jeweils befasste Gericht oder die deutsche Behörde innerhalb der zu entscheidenden Angelegenheit, bei der es um die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung geht, ob die Voraussetzungen einer Anerkennung vorliegen (Musielak/Borth, FamFG, § 107, Rn. 8). Diese sog. Heimatstaatklausel ist hier anwendbar, da der Kläger und seine Ehefrau beide indische Staatsangehörige sind und die Scheidung von einem indischen Gericht ausgesprochen wurde.

Anerkennungshindernisse nach § 109 Abs. 1 FamFG liegen ersichtlich nicht vor. Insbesondere greift nicht § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ein, wonach die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen ist, wenn die Gerichte des anderen Staates nach deutschem Recht nicht zuständig sind. Diese Vorschrift betrifft allein die internationale Zuständigkeit. Nach der danach vorzunehmenden spiegelbildlichen Prüfung ist die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts, das die Entscheidung erlassen hat, auf der Grundlage der deutschen internationalen Zuständigkeit festzustellen. Nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG sind die deutschen Gerichte für Ehesachen zuständig, wenn ein Ehegatte Deutscher ist oder bei der Eheschließung war. Entsprechend dieser Regelung ist ein ausländisches Urteil dann anzuerkennen, wenn ein Ehegatte Staatsangehöriger des Staates ist, dessen Gericht die Entscheidung getroffen hat. Da hier ein indisches Gericht die Scheidung von indischen Staatsangehörigen ausgesprochen hat, ist dessen internationale Zuständigkeit unzweifelhaft gegeben.

Ob dieses Gericht nach indischem Recht für die Entscheidung zuständig gewesen ist, spielt für die Anerkennung des Urteils keine Rolle. Maßgebend ist allein, dass die Entscheidung wirksam, d.h. nicht nichtig oder unwirksam ist. Eine lediglich anfechtbare Entscheidung steht der Anerkennung so lange nicht entgegen, bis diese aufgehoben wird (Musielak/Borth, FamFG, § 107, Rn. 8). Ebenso wenig kommt es für die Anerkennung darauf an, ob das Urteil inhaltlich falsch ist. Die Richtigkeit der ausländischen Entscheidung ist inhaltlich nicht zu überprüfen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG nur dann, wenn die Anerkennung der ausländischen Entscheidung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts und insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen Ausnahmefalls sind hier nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.