Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.04.2021, Az.: 1 MN 154/20

anschmiegen; Beeinträchtigungsverbot; Begründungslast; Darlegungslast; Einzelhandel; Einzelhandel, großflächiger; Einzelhandelsgroßprojekte; Integrationsgebot; integrierte Lage; integrierter Standort; Kernsortiment; Lebensmittelvollsortimenter; Nahversorger; Nahversorgung; Randsortiment; räumlich-funktionelle Einheit; Raumordnung; Raumordnung, Ziele; siedlungsstrukturell; städtebaulich integrierte Lage; zentraler Versorgungsbereich; zentrenrelevant

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.04.2021
Aktenzeichen
1 MN 154/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Plansatz Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 ermöglicht die Ansiedlung eines Einzelhandelsgroßprojekts mit zentrenrelevantem Kernsortiment in städtebaulich nicht integrierter Lage nur dann, wenn eine solche Ansiedlung in einem bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem zentralen Versorgungsbereich aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen nicht möglich ist. Es genügt nicht, dass eine Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage aus Sicht der planenden Gemeinde Nachteile aufweist oder sich ein nicht integrierter Standort in bestimmter Hinsicht als günstiger, vor allem wirtschaftlich attraktiver darstellt. Erst wenn alle Versuche der Ansiedlung im Zentrum bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem solchen gescheitert sind oder aufgrund objektiver belegbarer Umstände von vornherein keinen Erfolg versprechen, darf ausnahmsweise in eine nicht integrierte Lage ausgewichen werden.

2. Will eine Gemeinde von der Ausnahmevorschrift Gebrauch machen, obliegt ihr die Darlegungs- und Begründungslast. Sie muss die tatsächlichen Rahmenbedingungen einer Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage sorgfältig ermitteln und nachweisen, dass diese Rahmenbedingungen eine Ansiedlung bei objektiver Betrachtung nicht gestatten. Um dem Charakter einer Ausnahmevorschrift gerecht zu werden, sind an Ermittlung und Nachweis der Unmöglichkeit strenge Anforderungen zu stellen. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung.

Tenor:

Der vom Rat der Antragsgegnerin am 22. September 2020 als Satzung beschlossene Bebauungsplan Nr. 47 „In den Kreuzbergen“ wird vorläufig bis zur Rechtskraft einer Entscheidung des Senats über einen vom Antragsteller noch zu erhebenden Normenkontrollantrag, sollte ein solcher nicht erhoben werden, bis einschließlich zum 28. Mai 2021, außer Vollzug gesetzt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 47 „In den Kreuzbergen“ der Antragsgegnerin, weil er sein Wohngrundstück insbesondere durch Lärmimmissionen eines geplanten Verbrauchermarktes beeinträchtigt sieht.

Der Antragsteller ist Eigentümer des im Aktivrubrum bezeichneten, südlich des Alexanderwegs gelegenen Grundstücks, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt westlich des Ortskerns der Antragsgegnerin in einem im Wesentlichen von Wohnbebauung geprägten Umfeld. In einer Entfernung von rund 75 m westlich verläuft in Nord-Süd-Richtung die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 215; rund 250 m östlich beginnt das Betriebsgelände der Firma Göbber, die dort Marmeladen und Fruchtaufstriche herstellt. Nördlich und nordwestlich des Grundstücks des Antragstellers auf der anderen Seite des Alexanderwegs liegen Waldflächen sowie Sportanlagen.

Südlich des Grundstücks des Antragstellers beginnt in einer Entfernung von rund 250 m der zentrale Versorgungsbereich der Antragsgegnerin, der sich auf einer Länge von rund 1 km entlang der in Ost-Westrichtung verlaufenden Bahnhofstraße bis zum westlichen Bahnhofsvorfeld erstreckt. Im westlichen Teil sind wesentliche Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe angesiedelt, darunter ein Getränkemarkt und ein Penny-Lebensmitteldiscounter mit einer Verkaufsfläche von knapp unter 800 qm. Im östlichen Teil der Bahnhofstraße und im unmittelbaren Bahnhofsumfeld gibt es neben zahlreichen kleinen bzw. spezialisierten Betrieben auch einige Leerstände, die (auch) der Inbetriebnahme der weiter südlich verlaufenden Ortsumfahrung und der Schließung des Bahnübergangs vor einigen Jahren zu verdanken sind. Ein vormals in unmittelbarer Bahnhofsnähe (Alexanderweg 70) ansässiger Vollversorger (REWE) hat den Betrieb im Jahr 2015 aufgegeben; das Gebäude ist seitdem ebenso ungenutzt wie das ehemalige Sparkassengebäude (Bahnhofstraße 74). Außerhalb des zentralen Versorgungsbereichs besteht weiter südlich an der Bundestraße 215 ein Netto-Lebensmitteldiscounter mit einer Verkaufsfläche von rund 750 qm, der insbesondere Nahversorgungsaufgaben für den südlichen Teil des Gemeindegebiets übernimmt.

Die Antragsgegnerin als Grundzentrum strebt die Ansiedlung eines großflächigen Lebensmittelvollsortimenters mit einer Verkaufsfläche von rund 1.000 bis 1.300 qm Verkaufsfläche im Gemeindegebiet an. Ihr Nahversorgungskonzept aus dem Mai 2017 (mit Ergänzungen aus Mai 2019 und August 2020) betrachtet zu diesem Zweck mögliche Standorte, darunter das Grundstück des ehemaligen REWE-Marktes am Alexanderweg 70 und das Nachbargrundstück 70a (ehemals Hol ab-Getränkemarkt, heute Horse-Direkt-Pferdebedarf), das ehemalige Sparkassengrundstück Bahnhofstraße 74 - beide innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs - und den hier in Streit stehenden Standort Hauptstraße/Alexanderweg außerhalb. Dabei kommt das Konzept zu dem Ergebnis, dass der letztgenannte Standort die „günstigste Standortalternative“ und der „idealste“ sei, und zwar insbesondere aufgrund der Größe der dort verfügbaren Fläche und der direkten Anbindung an die Bundestraße 215. Ein großflächiger Lebensmittelvollsortimenter befinde sich dort an einem „nahversorgungsrelevanten Ergänzungsstandort“ in integrierter Lage.

Der streitgegenständliche Bebauungsplan, dessen Aufstellungsbeschluss der Rat der Antragsgegnerin im März 2018 gefasst hat, dient in Umsetzung des Nahversorgungskonzepts der Ansiedlung eines EDEKA-Verbrauchermarktes mit einer Verkaufsfläche von 1.350 qm durch die Beigeladene auf dem bislang bewaldeten Grundstück nördlich des Alexanderwegs und westlich der Bundesstraße 215 (Hauptstraße). Der Bebauungsplan setzt zu diesem Zweck im Wesentlichen ein Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel/Vollsortimenter“ zur Entwicklung eines großflächigen Einzelhandelsstandortes für die Nahversorgung fest. Zulässig sind dort „ein großflächiger Lebensmittelvollsortimenter mit dem Kernsortiment Nahrungs- und Genussmittel mit einer Gesamtverkaufsfläche von maximal 1.350 qm, davon maximal 11 % sonstige Randsortimente“ sowie Stellplätze und Nebenanlagen. Das Baufenster sieht die Errichtung des Marktes im südlichen Grundstücksbereich unmittelbar angrenzend an den Alexanderweg vor; die Stellplätze liegen nördlich davon zum Wald ausgerichtet. Die Grundstückszufahrt erfolgt an festgelegter Stelle unmittelbar von der Bundesstraße 215; im Übrigen ist eine Ein- und Ausfahrt auch zum Alexanderweg hin unzulässig. Weitere Festsetzungen betreffen den Erhalt bestimmter Einzelbäume sowie die Gestaltung der Parkplatzbeleuchtung zum Schutz der im Wald lebenden Fledermäuse. Ein begleitender städtebaulicher Vertrag zwischen Antragsgegnerin und Beigeladener regelt die Zahlung eines Ersatzgeldes zum Ausgleich der Eingriffe in Natur und Landschaft, die Zahlung einer Walderhaltungsabgabe sowie die Durchführung einer vorgezogenen Ausgleichsmaßnahme (CEF-Maßnahme) zugunsten des Großen Mausohrs.

Der Antragsteller erhob im Planaufstellungsverfahren während der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit und der öffentlichen Auslegung in der Zeit vom 8. Juni bis zum 8. Juli 2020 umfangreiche Einwendungen. Insbesondere rügte er die Beseitigung des Waldes im Plangebiet sowie die von dem Vorhaben ausgehende Beeinträchtigung seiner Wohnruhe. Das Vorhaben verstoße zudem gegen Raumordnungsrecht, namentlich das Integrationsgebot.

Die Antragsgegnerin änderte in der Folgezeit den Planentwurf hinsichtlich des Verlaufs der nördlichen Baugrenze. Die Einwendungen des Antragstellers sowie weitere Einwendungen wies ihr Rat unter dem 22. September 2020 zurück und beschloss den Bebauungsplan als Satzung. Nach Ausfertigung machte sie den Plan am 23. Oktober 2020 ortsüblich bekannt.

Der Antragsteller hat am 5. November 2020 Normenkontrolleilantrag gestellt. Seine Antragbefugnis folge daraus, dass er als unmittelbarer Grundstücksnachbar von den Lärmimmissionen des Vorhabens betroffen sei. Zwar solle das Vorhaben von dem Wohngrundstück abgewandt errichtet werden und erfolge die Zufahrt über die Bundesstraße 215. Dennoch werde das Vorhaben für den Antragsteller deutlich wahrnehmbar sein; er müsse ausweislich der Immissionsprognose mit einem abwägungserheblichen Anstieg der Immissionsbelastung von rund 2 dB(A) rechnen. Zudem werde der Alexanderweg von zunehmendem Verkehr betroffen sein; die Verkehrsuntersuchung sei insofern fehlerhaft. In der Sache leide der Plan sowohl an formellen als auch an materiellen Fehlern. Insbesondere sei der Plan nach der Auslegung erneut geändert worden, was eine weitere Auslegung erfordert hätte. In der Sache verstoße der Plan gegen Raumordnungsrecht in Gestalt des Integrationsgebots und des Beeinträchtigungsverbots. Insbesondere sei die Betrachtung alternativer Standorte im zentralen Versorgungsbereich defizitär. Die Behandlung der Belange des Waldes sei abwägungsfehlerhaft. Die Anordnung der Stellplätze beeinträchtige den Waldsaum und beseitige die Austauschbeziehung zwischen Wald und Freiraum. Der grundsätzlich gebotene Waldabstand von 100 m sei nicht eingehalten. Zudem sei dem Rat der Antragsgegnerin vorenthalten worden, dass Kosten in Höhe von 30.000 EUR zur Verlegung einer Bushaltestelle von der Antragsgegnerin zu tragen seien. Der Planungskostenvertrag zwischen Antragsgegnerin und Beigeladener sei unwirksam.

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten den Einwendungen entgegen. Sie sind insbesondere der Auffassung, dass das Planaufstellungsverfahren fehlerfrei sei und der Plan Raumordnungsrecht nicht verletze.

II.

Der Normenkontrolleilantrag hat Erfolg.

1. Der Normenkontrolleilantrag ist zulässig; insbesondere fehlt dem Antragsteller nicht die gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis.

Nach der vorgenannten Vorschrift ist im Normenkontrollverfahren und ebenso im Normenkontrolleilverfahren eine Person nur antragsbefugt, wenn sie geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ist ein Antragsteller Eigentümer oder Nutzer von Grundstücken außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen. Das dort normierte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot gewährt ein subjektives Recht. Der Betroffene kann verlangen, dass seine eigenen Belange in der Abwägung entsprechend ihrem Gewicht „abgearbeitet“ werden. Ein Antragsteller kann sich daher im Normenkontrollverfahren darauf berufen, dass seine abwägungserheblichen privaten Belange möglicherweise fehlerhaft abgewogen wurden. In diesem Fall obliegt es ihm, einen eigenen Belang als verletzt zu bezeichnen, der für die Abwägung beachtlich war. Nicht abwägungsbeachtlich sind allerdings geringwertige oder mit einem Makel behaftete Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren (vgl. zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 28.10.2020 - 4 BN 44.20 -, juris Rn.7 m.w.N.). Gemessen daran ist der Antragsteller antragsbefugt.

Als abwägungserheblichen privaten Belang hat der Antragsteller zu Recht sein Interesse ins Feld geführt, von vorhabenbedingten Gewerbelärmimmissionen auf sein Wohngrundstück verschont zu bleiben. Diese Immissionen bleiben zwar ausweislich der im Planaufstellungsverfahren erstellten schalltechnischen Untersuchung aufgrund der durch den Plan erzwungenen Ausrichtung des Vorhabens nach Norden/Westen weit unterhalb der in einem Allgemeinen Wohngebiet zulässigen Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 TA Lärm. Da die Antragsgegnerin aber die Vorbelastung der näheren Umgebung durch Gewerbelärm - etwa der Firma Göbber - nicht ermittelt hat, musste sie davon ausgehen, dass Gewerbelärm dort bislang keine Rolle spielt. In die planerische Abwägung war deshalb einzustellen, dass eine bislang von Gewerbelärm (mindestens weitestgehend) verschonte Wohnbebauung erstmals in relevantem Umfang von Gewerbelärm betroffen wird. Das überschreitet trotz der Tatsache, dass diese Lärmbetroffenheit objektiv gering bleibt, nach den insofern maßgeblichen Umständen dieses Einzelfalls die Bagatellgrenze und reicht zur Begründung der Antragsbefugnis aus.

2. Der Normenkontrolleilantrag ist begründet.

Der Senat hat sich mit Beschluss vom 28. Februar 2020 - 1 MN 153/19 -, juris Rn. 15, dem vom 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in ständiger Rechtsprechung (Beschl. v. 25.2.2015 - 4 VR 5.14 -, ZfBR 2015, 381 = BauR 2015, 968 = juris Rn. 12; v. 16.9.2015 - 4 VR 2.15 -, BRS 83 Nr. 58 = juris Rn. 4; v. 30.4.2019 - 4 VR 3.19 -, BauR 2019, 1442 = juris Rn. 4) vertretenen Prüfungsmaßstab für Anträge nach § 47 Abs. 6 VwGO angeschlossen. Zu prüfen sind danach zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist.

a) Die Erfolgsaussichten eines - bislang nicht eingelegten - Hauptsacherechtsbehelfs des Antragstellers sind hoch. Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin leidet unter einem beachtlichen Verfahrensfehler und verstößt gegen Raumordnungsrecht. Ob weitere Fehler vorliegen, lässt der Senat offen.

aa) Das Planaufstellungsverfahren verstößt gegen § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB. Wird danach der Entwurf des Bauleitplans nach dem Verfahren nach § 3 Abs. 2 oder § 4 Abs. 2 BauGB geändert oder ergänzt, ist er erneut auszulegen und sind die Stellungnahmen erneut einzuholen. Eine solche von der Antragsgegnerin nicht eingelöste Verpflichtung hat hier bestanden. Die Antragsgegnerin hat - wie der Antragsteller zu Recht bemängelt hat - den Bebauungsplan nach der öffentlichen Auslegung dahingehend geändert, dass sie eine Baugrenze im Nordwesten um einen Meter verschoben hat. Das reicht aus, um das Beteiligungserfordernis erneut auszulösen; unterbleibt dies, liegt ein gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB beachtlicher Fehler vor.

Ein Ausnahmefall, in dem auf eine erneute Auslegung verzichtet werden konnte, liegt nicht vor. In Betracht kommt dies vor dem Hintergrund der Zwecke der Öffentlichkeitsbeteiligung (nur) dann, wenn eine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme eine bloße Förmlichkeit wäre, die für den mit dem Beteiligungsverfahren verfolgten Zweck nichts erbringen könnte, etwa weil es sich um eine bloße Klarstellung handelt (vgl. dazu und zu den weiteren Fallgruppen BVerwG, Urt. v. 29.1.2009 - 4 C 16.07 -, BVerwGE 133, 98 = juris Rn. 40; Beschl. v. 3.1.2020 - 4 BN 25.19 -, ZfBR 2020, 676 = juris Rn. 7 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Bei der Veränderung der Baugrenze handelt es sich um eine materielle Planänderung, zu der die Öffentlichkeit zuvor nicht Stellung nehmen konnte. In einem solchen Fall bedarf es einer erneuten Auslegung auch dann, wenn die Änderung für sich genommen geringfügig ist und voraussichtlich keine neue Betroffenheiten auslöst. § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB erfordert keine wesentliche Änderung und kennt auch keinen Bagatellvorbehalt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.1.2020 - 4 BN 25.19 -, ZfBR 2020, 676 = juris Rn. 6 m.w.N.). Denn das Beteiligungsverfahren dient gerade dem Zweck herauszufinden, ob und gegebenenfalls welche Betroffenheiten bestehen.

Ob das Planaufstellungsverfahren darüber hinaus unter weiteren Verfahrensfehlern leidet, lässt der Senat offen.

bb) Der Plan weist auch materielle Rechtsfehler auf, denn er ist entgegen § 1 Abs. 4 BauGB nicht den Zielen der Raumordnung angepasst. Der Plan verstößt gegen das raumordnungsrechtliche Integrationsgebot sowie möglicherweise gegen das Beeinträchtigungsverbot.

(1) Nach dem in Plansatz Nr. 2.3 05 Satz 1 LROP 2017 enthaltenen Integrationsgebot sind neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Kernsortimente innenstadtrelevant sind, nur innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässig. Ein Einzelhandelsgroßprojekt im Sinne von Plansatz Nr. 2.3 02 Satz 1 LROP 2017 mit zentrentrelevantem Kernsortiment liegt mit dem geplanten großflächigen Lebensmittelvollsortimenter vor. Um einen Betrieb zur wohnortbezogenen Nahversorgung mit einem überwiegend fußläufigen Einzugsbereich, den das LROP 2017 nicht als Einzelhandelsgroßprojekt einstufen möchte (vgl. Erläuterungen zu Plansatz Nr. 2.3 02 Satz 2 und 3 und Senatsbeschl. v. 28.9.2015 - 1 MN 144/15 -, BauR 2015, 1944 = BRS 83 Nr. 29 = juris Rn. 31 ff.), handelt es sich dabei nicht. Das Vorhaben gewinnt ausweislich des Nahversorgungskonzepts der Antragsgegnerin aus dem Mai 2017 (mit Ergänzungen Mai 2019 und August 2020) seine Bedeutung weniger aus der Versorgung des fußläufigen Umfelds als vielmehr des gesamten Gemeindegebiets und der umliegenden Nachbargemeinden. Das mithin raumbedeutsame Vorhaben soll jedoch weder in einer städtebaulich integrierten Lage verwirklicht werden, noch können sich Antragsgegnerin und Beigeladene auf die Ausnahmevorschrift des Plansatzes Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 berufen.

(a) Das geplante Vorhaben liegt entgegen den missverständlichen Ausführungen im Nahversorgungskonzept der Antragsgegnerin (S. 41 ff.) und der fehlerhaften Darstellung in der Verträglichkeitsanalyse der beauftragten Beratungsgesellschaft von Mai 2017/September 2018 (S. 42) nicht innerhalb einer städtebaulich integrierten Lage (so zu Recht auch die Planbegründung, S. 11). Derartige Lagen stehen nach ständiger Senatsrechtsprechung in Übereinstimmung mit den Erläuterungen zu Plansatz Nr. 2.3 05 Sätze 1 und 2 im engen räumlichen und funktionalen Zusammenhang mit den zentralen Versorgungsbereichen im Sinne des § 2 Abs. 2 und § 9 Abs. 2a BauGB. Sie verfügen über ein vielfältiges und dichtes Angebot an Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen, haben einen wesentlichen fußläufigen Einzugsbereich und sind in das ÖPNV-Netz eingebunden. Von Bedeutung ist auch ein attraktives Parkmanagement für den individuellen Verkehr. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Versorgungsfunktion können sowohl Innenstädte bzw. deren Ortsmitten/-kerne als Hauptzentren als auch Stadtteilzentren als Nebenzentren das Kriterium der „städtebaulich integrierten Lage“ erfüllen (vgl. Senatsbeschl. v. 17.5.2013 - 1 ME 56/13 -, juris Rn. 30; v. 20.3.2014 - 1 MN 7/14 - BauR 2014, 949 = BRS 82 Nr. 17 = juris Rn. 63.; Senatsurt. v. 10.7.2014 - 1 KN 121/11 -, BauR 2015, 73 = BRS 82 Nr. 10 = juris Rn. 29; v. 6.6.2016 - 1 KN 83/14 -, BauR 2016, 1439 = BRS 84 Nr. 3 = juris Rn. 30).

Eine Errichtung in städtebaulich integrierter Lage kann darüber hinaus nach ständiger Senatsrechtsprechung auch dann vorliegen, wenn das Vorhaben selbst nicht innerhalb eines Haupt- oder Nebenzentrums, wohl aber in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit diesem entstehen soll. In einem solchen Fall darf der großflächige Einzelhandelsbetrieb keinen Umfang annehmen, welcher gleichberechtigt neben das Zentrum tritt, und muss dieses in sich räumlich „anschmiegender“ Weise funktionell ergänzen (vgl. im Einzelnen Senatsbeschl. v. 29.9.2014 - 1 MN 102/14 -, BauR 2015, 232 = BRS 82 Nr. 11 = juris Rn. 26 ff.). Dabei kommt es nicht auf den Ist- sondern auf den planerisch gewünschten Soll-Zustand an, soweit die Gemeinde eine realistische und kongruente Einzelhandelsplanung betreibt (vgl. Senatsbeschl. v. 17.5.2013 - 1 ME 56/13 -, juris Rn. 35, 38).

Nach diesen Maßgaben liegt der Standort Hauptstraße/Alexanderweg nicht in städtebaulich integrierter Lage. Der zentrale Versorgungsbereich der Antragsgegnerin beginnt erst in einer Entfernung von rund 300 m Luftlinie in südöstlicher Richtung. Eine räumlich-funktionale Anbindung an diesen besteht nicht; insbesondere besteht kein Anreiz, einen Einkauf bei dem geplanten Verbrauchermarkt mit einem Abstecher zu Fuß in die mit Parkmöglichkeiten auskömmlich versorgte Bahnhofstraße zu verbinden. Auch sonst weist der Standort, der am nördlichen Siedlungsrand liegt und nördlich/östlich von Wald und Sportanlagen umgeben ist, keine von weiteren Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen geprägte Umgebung auf. Es handelt sich vielmehr um einen unzureichend integrierten Standort, der aufgrund seiner hervorragenden Erreichbarkeit für Pkw-Nutzer auf eine automobile Kundschaft aus dem näheren und weiteren Umfeld abzielt und damit ein - raumordnungsrechtlich grundsätzlich unerwünschtes - Eigenleben zu Lasten integrierter Versorgungsstrukturen führen wird.

(b) Auch die Voraussetzungen, unter denen Plansatz Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 neue Einzelhandelsgroßprojekte mit zentrenrelevantem Kernsortiment ausnahmsweise außerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zulässt, liegen in mehrfacher Hinsicht nicht vor. Zulässig sind neue Einzelhandelsgroßprojekte, deren Sortimente zu mindestens 90 vom Hundert periodische Sortimente sind, danach nur auf der Grundlage eines städtebaulichen Konzeptes innerhalb des zentralen Siedlungsgebietes des Zentralen Ortes im räumlichen Zusammenhang mit Wohnbebauung, wenn eine Ansiedlung in den städtebaulich integrierten Lagen aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen, insbesondere zum Erhalt gewachsener baulicher Strukturen, der Rücksichtnahme auf ein historisch wertvolles Ortsbild oder aus verkehrlichen Gründen nicht möglich ist. Plansatz Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 ermöglicht damit in den Fällen, in denen Einzelhandelsgroßprojekte trotz ihres zentrenrelevanten Kernsortiments nicht in städtebaulich integrierter Lage angesiedelt werden können, eine Ansiedlung außerhalb. Insofern stellt die Vorschrift strenge Anforderungen; von der Ausnahmevorschrift darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn eine Ansiedlung in bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem Zentrum aus im Einzelnen genannten Gründen nicht möglich ist. Es genügt daher nicht, dass eine Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage aus Sicht der planenden Gemeinde oder gar nur des ansiedlungswilligen Unternehmens Nachteile aufweist oder sich ein nicht integrierter Standort in bestimmter Hinsicht als günstiger, vor allem wirtschaftlich attraktiver darstellt. Erst die Unmöglichkeit der Ansiedlung im Zentrum bzw. in räumlich-funktionalem Zusammenhang mit einem solchen, und zwar aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen, eröffnet der planenden Gemeinde die Option, auch städtebaulich nicht integrierte Standorte in ihre Betrachtung einzubeziehen.

Will eine Gemeinde von der Ausnahmevorschrift Gebrauch machen, obliegt ihr die Darlegungs- und Begründungslast. Sie muss die tatsächlichen Rahmenbedingungen einer Ansiedlung in städtebaulich integrierter Lage sorgfältig ermitteln und nachweisen, dass diese Rahmenbedingungen eine Ansiedlung bei objektiver Betrachtung nicht gestatten. Um dem Charakter einer Ausnahmevorschrift gerecht zu werden, sind an Ermittlung und Nachweis der Unmöglichkeit strenge Anforderungen zu stellen. Die vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im September 2017 herausgegebene Arbeitshilfe zum Abschnitt 2.3 „Entwicklung der Versorgungsstrukturen des Einzelhandels“ des LROP beschreibt die geltenden Anforderungen unter Nr. 5.24 (S. 55) wie folgt:

„Es ist nachvollziehbar zu belegen, dass innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen weder geeignete Bestandsflächen (Grundstücke/ Baulücken) noch potentiell entwickelbare Flächen (Aufkauf/Abriss von Bestandsimmobilien) weder aktuell noch auf absehbare Zeit verfügbar sind. Hilfreich ist hierfür die Führung eines Baulückenkatasters. Es gehören ggf. auch Aussagen dazu, ob und wann Gespräche mit Grundstückeigentümern geführt wurden und mit welchem Ergebnis. Auch die Option eines partiellen Abrisses und Neubaus ist im Einzelfall mitzudenken, wenn auf dieser Basis ein Standort in städtebaulich integrierter Lage entwickelbar wäre.“

Das gibt die Rechtslage zutreffend wieder. Von den Gemeinden sind Tatkraft, Kreativität und Phantasie gefordert, um eine Ansiedlung innerhalb der städtebaulich integrierten Lagen zu ermöglichen; ihre Aufgabe ist es, ihre zentralen Versorgungsbereiche lebensfähig zu erhalten und zu stärken. Nur wenn alle Versuche gescheitert sind oder aufgrund objektiver belegbarer Umstände von vornherein keinen Erfolg versprechen, darf ausnahmsweise in eine nicht integrierte Lage ausgewichen werden. Ob diese Anforderungen erfüllt sind, unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung.

Gemessen daran sind die Voraussetzungen des Plansatzes Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 in diesem Fall nicht gegeben. Einer Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung steht - wie der Antragsteller zu Recht rügt - bereits entgegen, dass das Sortiment des geplanten Lebensmittelvollsortimenters nicht zu mindestens 90 % aus periodischen Sortimenten bestehen muss. In der textlichen Festsetzung 1 wird vielmehr ein großflächiger Lebensmittelvollsortimenter mit dem Kernsortiment Nahrungs- und Genussmittel und maximal 11 % sonstigen Randsortimenten zugelassen. Das gestattet die Zulassung eines Verbrauchermarktes mit 11 % aperiodischem Randsortiment; genau dies ist ausweislich der Planbegründung (S. 15 oben) auch beabsichtigt.

Von der Ausnahmevorschrift kann die Antragsgegnerin zudem auch deshalb keinen Gebrauch machen, weil nicht ansatzweise nachgewiesen ist, dass die Ansiedlung des geplanten großflächigen Lebensmittelvollsortimenters in den städtebaulich integrierten Lagen der Antragsgegnerin aus städtebaulichen oder siedlungsstrukturellen Gründen unmöglich ist. Die gegenteiligen Ausführungen im Nahversorgungskonzept sowie im Verträglichkeitsgutachten samt Ergänzungen, die - der Antragsteller bemängelt dies zu Recht - nicht stets den Eindruck größtmöglicher Objektivität erwecken, beruhen auf einer fehlerhaften Tatsachengrundlage sowie unvertretbaren Bewertungen und Schlussfolgerungen.

Im Ausgangspunkt zutreffend betrachtet das Nahversorgungskonzept der Antragsgegnerin die Möglichkeit der Ansiedlung eines großflächigen Verbrauchermarktes innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs. Dabei beschränkt das Konzept die Betrachtung auf Grundstücke, die erstens eine gewisse Mindestgröße aufweisen und die zweitens grundsätzlich verfügbar sind bzw. sein könnten. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu erinnern. Innerhalb des zentralen Versorgungsbereich werden auf dieser Grundlage die Grundstücke Alexanderweg 70 (ehemaliger REWE-Standort) mit angenommenen 3.000 qm Grundfläche, Alexanderweg 70a (ehemals Hol ab-Getränkemarkt, heute Horse-Direkt-Pferdebedarf) mit angenommenen 2.500 qm Grundfläche und Bahnhofstraße 74 (ehemals Sparkasse) mit angenommenen 3.000 qm Grundfläche in den Blick genommen und nach verschiedenen Kriterien bewertet. Dabei erfahren alle drei Grundstücke eine negative Bewertung aufgrund einer zu geringen Flächengröße; dies beruht darauf, dass das Nahversorgungskonzept für den vorgesehenen Typ „kleiner Verbrauchermarkt“ eine Mindestgrundstücksgröße von ca. 3.500 qm ansetzt. Diese Bewertung beruht auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen.

Hinsichtlich der Grundstücke Alexanderweg 70 und 70a ist bereits die Flächenermittlung fehlerhaft. Das Grundstück Alexanderweg 70 weist ausweislich des Liegenschaftskatasters eine Größe von 3.800 qm auf, das Grundstück Alexanderweg 70a von 3.500 qm. Beide sind damit deutlich größer als angenommen und erreichen bereits für sich betrachtet die in dem Nahversorgungskonzept angenommene Mindestgröße. Zudem liegen beide Grundstücke unmittelbar nebeneinander und stehen ausweislich des Liegenschaftskatasters im Eigentum derselben Person. Es wäre damit - wie nicht nur der Antragsteller zu Recht mehrfach angemahnt hat - geboten gewesen, beide Grundstücke räumlich gemeinsam zu betrachten, was eine wesentlich bessere Bewertung erbracht hätte. Dass die Grundstücke auch bei gemeinsamer Betrachtung - wie es ohne nachvollziehbare Begründung in der Abwägung der Einwendungen der REWE Group heißt - „zu klein“ sein könnten, liegt fern. Hinzu kommt, dass auch die südlich angrenzenden Grundstücke Bahnhofstraße 75 und 77 demselben Eigentümer gehören. Vor diesem Hintergrund bietet es sich geradezu an, in zentraler Lage unmittelbar am Bahnhof eine außerordentlich großzügig bemessene Fläche zur Ansiedlung eines Verbrauchermarktes nutzbar zu machen, die zumal bei Einbeziehung der Grundstücke an der Bahnhofstraße ihre „Hinterhoflage“ verlieren, und eine nahezu optimale Sichtbarkeit und Zugänglichkeit aufweisen würde sowie zudem mit einem üppigen Parkplatzangebot ausgestattet werden könnte. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin diese Möglichkeit überhaupt gesehen hat. Erst recht sind keine ernstlichen Bemühungen erkennbar, unter Einbeziehung des Grundstückseigentümers eine tragfähige Lösung zu entwickeln. Dies wäre indes rechtlich geboten gewesen, bevor eine Anwendung des Plansatzes Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 hätte in Erwägung gezogen werden dürfen.

Vergleichbares gilt für das ehemalige Sparkassengrundstück Bahnhofstraße 74. Auch dieses Grundstück erfährt eine negative Bewertung deshalb, weil es mit ca. 3.000 qm zu klein sei. Tatsächlich aber hat das Grundstück ausweislich des Liegenschaftskatasters eine Grundfläche von 5.761 qm, was zur Ansiedlung des geplanten Markttyps mehr als ausreichend ist. Auch insoweit ist weder dargetan noch ersichtlich, welche konkreten und nachhaltigen Bemühungen die Antragsgegnerin unternommen hat, dieses Grundstück der gewünschten Einzelhandelsnutzung zuzuführen.

Fehlerhaft ist zudem die für alle vorgenannten Grundstücke im zentralen Versorgungsbereich vorgenommene negative Bewertung der Anbindung und Erschließung in Bezug auf Straßenart und Verkehrsnetz. Nachvollziehbar ist zwar, dass die Flächen innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs östlich des Kreisverkehrs mit Verkehrsfreigabe der südlichen Umgehungsstraße und Schließung des Bahnübergangs an Attraktivität verloren haben, weil der Durchgangsverkehr nicht mehr durch den östlichen Ortskern fließt. Gleichwohl ist die Betrachtung defizitär. Gerade für die mit Einzelhandel unterversorgten Gebiete östlich der Bahnstrecke E-Stadt-Wunstorf ist das Bahnhofsumfeld über den Schwarzen Weg weitaus besser erreichbar als der vorgesehene Vorhabenstandort. Auch sonst ist der Bereich über die Bahnhofstraße und den Alexanderweg gut, wenngleich nicht optimal angebunden; es fehlt insbesondere der an der Bundesstraße 215 vorherrschende Durchgangsverkehr. Mit Blick darauf, dass Plansatz Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 eine Ausnahmevorschrift darstellt, ist eine optimale Anbindung aber schon im Ausgangspunkt nicht zu verlangen; es reicht aus, dass sich die Verkehrsanbindung als tragfähig erweist. Daran bestehen keine Zweifel.

Nicht vertretbar ist die Bewertung zudem, soweit sie für die Standorte innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs nachteilig einstellt, dass ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb dort neue Verkehrsströme entstehen lassen „und die geschaffene Umgehungsstraße im Südosten der Gemeinde ad absurdum führen“ würde. Die Umgehungsstraße dient der Aufhebung des Bahnübergangs sowie der Freihaltung des östlichen Ortskerns von Durchgangsverkehr. Sie zielt indes nicht darauf ab, das Zentrum vom Ziel- und Quellverkehr abzuschneiden oder gar die Ortsmitte ihrer zentralen Funktionen zu berauben.

Das Nahversorgungskonzept leidet schließlich darunter, dass es den rechtlichen Rahmen für die Zulässigkeit einer Ausnahme von den Anforderungen des Integrationsgebots verkennt. Wenn dort - ebenso wie in der Planbegründung (S. 13 und 14) - davon die Rede ist, der Standort Hauptstraße/Alexanderweg sei die „günstigste Standortalternative“ (S. 44) bzw. der „idealste“ (S. 45), wird suggeriert, es gehe um die Auswahl zwischen mehreren rechtlich gleichermaßen in Betracht kommenden Standorten. Dies mag in der Tat die Betrachtungsweise der für Nahversorgungskonzept und Verträglichkeitsgutachten verantwortlich zeichnenden Beratungsgesellschaft gewesen sein; diese Betrachtungsweise ist jedoch angesichts des Ausnahmecharakters des Plansatzes Nr. 2.3 05 Satz 3 LROP 2017 mit Raumordnungsrecht unvereinbar.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten: Innerhalb des zentralen Versorgungsbereichs gibt es nachweislich zwei zur Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs grundsätzlich geeignete Standorte. Es ist vor diesem Hintergrund Aufgabe der Antragsgegnerin, eine Ansiedlung des gewünschten großflächigen Einzelhandelsbetriebs auf einem dieser Grundstücke ernsthaft und tatkräftig zu betreiben. Erst wenn derartige Bemühungen gescheitert sind und die Unmöglichkeit einer Ansiedlung im zentralen Versorgungsbereich nachweislich feststeht, dürfen Alternativstandorte in nicht integrierten Lagen in Betracht gezogen werden.

(2) Nur ergänzend merkt der Senat zudem an, dass auch ein Verstoß gegen das raumordnungsrechtliche Beeinträchtigungsverbot des Plansatzes Nr. 2.3 08 LROP 2017 nicht ausgeschlossen ist. Ausgeglichene Versorgungsstrukturen und deren Verwirklichung, die Funktionsfähigkeit der Zentralen Orte und integrierter Versorgungsstandorte sowie die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung dürfen danach durch neue Einzelhandelsgroßprojekte nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

Wie das Integrationsgebot hat auch das Beeinträchtigungsverbot nach ständiger Senatsrechtsprechung die Aufgabe, zur Erreichung der mit dem Zentrale-Orte-Prinzip verfolgten Absichten beizutragen, eine Zersiedlung des Raums, überflüssige Verkehrsbewegungen und damit unnötige Immissionen sowie den Bau neuer Straßen zu verhindern und sicherzustellen, dass der zentrale Versorgungsstandort Innenstadt sowie Nahversorgungsstandorte im Interesse der nichtmotorisierten Bevölkerung erhalten und gestärkt werden. Es ist mithin Teil eines Bestrebens, das auf Schutz der Umwelt, Schonung der Ressourcen, Verkehrsvermeidung, Bewahrung der Stadtzentren und Sicherung der verbrauchernahen Versorgung gerichtet ist. Das muss nicht alles im zentralen Versorgungsbereich Innenstadt, sondern kann auch in anderen zentralen Versorgungsbereichen einer Standortgemeinde gesichert/erreicht werden. Insoweit flankiert und ergänzt das Integrationsgebot das Beeinträchtigungsverbot.

Verletzt ist das Beeinträchtigungsverbot nach dem Vorstehenden dann, wenn das Vorhaben zu einer wesentlichen Beeinträchtigung eines integrierten Versorgungsstandortes in Gestalt eines zentralen Versorgungsbereichs führt. Das ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 34 Abs. 3 BauGB der Fall, wenn die Funktionsfähigkeit des betroffenen zentralen Versorgungsbereichs in beachtlichem Ausmaß beeinträchtigt und damit gestört wird. Eine solche Funktionsstörung liegt vor, wenn der Versorgungsbereich seinen Versorgungsauftrag generell oder hinsichtlich einzelner Branchen nicht mehr in substanzieller Weise wahrnehmen kann. Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche sind nicht erst dann schädlich, wenn sie die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschreiten. Ein tauglicher Maßstab sind die zu erwartenden Kaufkraftabflüsse (vgl. Senatsbeschl. v. 28.9.2015 - 1 MN 144/15 -, BauR 2015, 1944 = BRS 83 Nr. 29 = juris Rn. 39 f. m.w.N.).

Eine wesentliche Beeinträchtigung des zentralen Versorgungsbereichs wäre in diesem Fall jedenfalls dann zu erwarten, wenn das neue Vorhaben zu einer Betriebsaufgabe des dort ansässigen Penny-Marktes führen würde. Bei diesem nicht großflächigen Markt handelt es sich nach der Betriebsaufgabe des REWE-Marktes um den letzten größeren Nahversorger im zentralen Versorgungsbereich und damit um einen - wenn nicht sogar „den“ - wesentlichen Frequenzbringer. Für die Funktionsfähigkeit des zentralen Versorgungsbereichs ist er daher von besonderer Bedeutung; ohne diesen Markt läuft der zentrale Versorgungsbereich Gefahr, seine Versorgungsaufgabe im zentralen Bereich Nahrungs- und Genussmittel in weiten Teilen einzubüßen. Vor diesem Hintergrund verdient dieser Marktstandort besondere Beachtung.

Wird das neue Vorhaben realisiert, wird der im zentralen Versorgungsbereich bestehende Einzelhandel ausweislich der ergänzenden Stellungnahme zum Endbericht vom 21. August 2020 rund 9,3 % seines bisherigen Umsatzes an das Vorhaben verlieren. Der anzunehmende Verlust liegt damit unterhalb der 10 %-Schwelle, die nach der Rechtsprechung des Senats einen sachlichen Anhaltspunkt - aber nicht mehr - für die Beurteilung von schädlichen bzw. erheblichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche darstellt (vgl. Senatsurt. v. 15.3.2012 - 1 KN 152/10 -, juris Rn. 185 ff.; v. 25.4.2012 - 1 KN 215/10 -, NdsVBl 2012, 286 = BRS 79 Nr. 17 = juris Rn. 211). Zu berücksichtigen ist in diesem Fall jedoch, dass der zentrale Versorgungsbereich der Antragsgegnerin Vorschädigungen aufweist. Bereits heute gibt es relevante Leerstände, was auf eine zu geringe Kundenfrequenz und Kaufkraftbindung hinweist, die auch den Penny-Markt betreffen könnte. Zudem liegt die durchschnittliche Flächenproduktivität im Segment des periodischen Bedarfs - unter Einbeziehung des sehr flächenproduktiven, aber von einem Discounter kaum angebotenen pharmazeutischen und medizinischen Bedarfs - bei (nur) 4.360 EUR/qm und damit deutlich unterhalb der üblichen Flächenproduktivität eines Penny-Discounters, die ausweislich des Trendreports Lebensmitteldiscounter 2020 bei rund 5.100 EUR/qm liegt und in den vergangenen Jahren in ähnlicher Größenordnung lag. Vor diesem Hintergrund hätte es angesichts der Bedeutung des Penny-Standortes für den zentralen Versorgungsbereich einerseits und dessen bereits heute erkennbaren Schwächen andererseits einer näheren Befassung mit diesem Standort, dessen Flächenproduktivität und dessen Zukunftsaussichten bedurft. Die pauschale Aussage in der ergänzenden Stellungnahme zum Endbericht vom 21. August 2020 (S. 13), die Funktion des Penny-Marktes werde durch das Vorhaben von Edeka nicht in Frage gestellt, ist daher gegenwärtig nicht durch ausreichende tatsächliche Grundlagen unterfüttert.

cc) Ob der Plan darüber hinaus unter weiteren Rechtsfehlern leidet, lässt der Senat mit Blick darauf, dass sich die gravierenden raumordnungsrechtlichen Einwände auch unter Durchführung eines ergänzenden Verfahrens gemäß § 214 Abs. 4 BauGB voraussichtlich nicht ohne Weiteres beheben lassen dürften, offen.

b) Wäre der Bebauungsplan damit aller Voraussicht nach in einem Normenkontrollverfahren für unwirksam zu erklären, geht die gebotene Abwägung zu Gunsten des Antragstellers aus. Angesichts der Tatsache, dass der Verbrauchermarkt an dem angestrebten Standort nach gegenwärtigem Stand nicht realisiert werden darf, ist es ihm nicht zuzumuten, die nachteiligen Auswirkungen dieses Vorhabens - auch wenn diese gering sein mögen - auch nur vorübergehend hinzunehmen.