Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.01.2021, Az.: 4 OA 203/20

Aufwendungen; Erstattungsfähigkeit; Privatgutachten; Stundensatz; Zeitpunkt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.01.2021
Aktenzeichen
4 OA 203/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71229
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.09.2020 - AZ: 1 A 2133/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für ein privates Gutachten gemäß § 162 Abs. 1 VwGO steht es nicht entgegen, wenn ein während des Vorverfahrens in Auftrag gegebenes Gutachten erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens erstellt und deshalb nicht in das Vorverfahren, sondern erst in den sich nahtlos daran anschließenden Verwaltungsprozess eingeführt wird.

2. Die Erstattungsfähigkeit der für die Einholung eines privaten Gutachtens getätigten Aufwendungen setzt voraus, dass das Gutachten in den Prozess eingeführt worden ist, in der Regel durch Vorlage im gerichtlichen Verfahren.

3. Aus Gründen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der Waffengleichheit im Prozess genügt es jedenfalls dann nicht, dass eine Partei ihr Vorbringen ausdrücklich auf ein nur ihr vorliegenden Privatgutachten stützt, wenn das Gericht oder der Prozessgegner die Vorlage des Gutachtens verlangen, um sich Aufschluss über dessen Inhalt zu verschaffen.

4. Im Hinblick darauf, dass das private Gutachten der Förderung des gerichtlichen Verfahrens dienen muss, damit die hierfür entstandenen Aufwendungen gemäß § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig sind, darf die Vorlage eines bereits fertiggestellten Gutachtens nicht so lange verzögert werden, bis sich der Verwaltungsprozess erledigt hat.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers werden der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 4. Juni 2019 und der ihn bestätigende Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - Berichterstatter der 1. Kammer - vom 8. September 2020 geändert.

Dem Kläger sind vom Beklagten – über den bereits im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Betrag hinaus – weitere 1.500 EUR nebst Zinsen ab dem 31. Juli 2018 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger zu 17% und der Beklagte zu 83%.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers im Kostenfestsetzungsverfahren ist zulässig und teilweise begründet.

Die Beschwerde hat Erfolg, soweit es die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für das von Kläger in Auftrag gegebene Gutachten der Diplom-Biologin C. vom 15. September 2016 betrifft.

Aufwendungen für private, d.h. nicht vom Gericht bestellte Sachverständige sind nach § 162 Abs. 1 VwGO nur dann erstattungsfähig, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in dem gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der Untersuchungsmaxime beherrschten verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich von Amts wegen der Sachverhalt zu erforschen und der Umfang der Beweisaufnahme zu bestimmen ist. Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten ist daher nur – ausnahmsweise – als notwendig anzuerkennen, wenn der Beteiligte mangels genügender eigener Sachkunde sein Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe des eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. Außerdem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen: Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern, und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein. (zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 11.4.2001 - 9 KSt 2.01, 11 A 13.97 -, NVwZ 2001, 919). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, richtet sich nach dem Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 8.10.2008 - 4 KSt 2000.08, 4 A 2001.06 - m. w. N.).
Danach sind hier die Aufwendungen für das Privatgutachten vom 15. September 2016 dem Grunde nach erstattungsfähig.
Abzustellen ist hierfür auf den Zeitraum zwischen der Klageerhebung Anfang November 2015 und dem Beginn der Begutachtung, die nicht vor August 2016 erfolgt ist (Siehe S. 1 des Gutachtens, Bl. 116 GA). Denn der Auftrag zur Erstellung des Gutachtens ist vom Kläger endgültig ersichtlich erst während dieser Zeitspanne erteilt worden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zwar vorgetragen, dass das Gutachten von seinem Mandanten bereits im Sommer 2015 während des Widerspruchsverfahrens in Auftrag gegeben worden sei. Doch dieser zunächst – aus Gründen, die sich den Akten nicht entnehmen lassen – von der Gutachterin nicht bearbeitete Auftrag ist vom Kläger ersichtlich nach der Klageerhebung noch einmal erneuert und bekräftigt worden. Anders ist nicht zu erklären, dass die Gutachterin nach der erstmaligen Auftragserteilung zunächst für ein einen Zeitraum von einem Jahr untätig geblieben ist, bis sie im August 2016 die Bearbeitung aufgenommen hat. Soweit demgegenüber in den Rechnungen der Gutachterin vom 11. August 2016 und vom 2. September 2016 auf Bearbeitungsschritte verwiesen wird, die bereits bis zum 31. August 2015 bzw. bis zum 12. September 2015 ausgeführt worden sein sollen, geht der Senat davon aus, dass es sich bei diesen dem Gutachteninhalt widersprechenden Datierungen auf das Jahr 2015 jeweils um Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler der Gutachterin handelt.
Zum Zeitpunkt der endgültigen Auftragserteilung war die Einholung des Privatgutachtens nach dem oben formulierten Maßstab zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Klägers notwendig im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO. Streitgegenstand des Klageverfahrens war eine auf mehrere der in § 44 Abs. 1 BNatSchG geregelten artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote gestützte Verfügung des Beklagten, mit der er dem Kläger verboten hatte, eine Dauergrünlandfläche in Ackerland umzuwandeln. In tatsächlicher Hinsicht war der Bescheid darauf gestützt, dass der beabsichtigte Grünlandumbruch den in den die Grünlandfläche umgebenden Gräben siedelnden Bestand der besonders geschützten Art der Schwimmblattpflanze Krebsschere (stratiotes aloides) bedrohe; hierdurch werde zugleich die lokale Population der streng geschützten Art der Libelle Grüne Mosaikjungfer (aeshna viridis) gefährdet, da dieser Libellenart die Krebsschere als Brut-und Entwicklungsstätte diene. Die Verbotsverfügung betraf somit biologische und landschaftsökologische Fragen, für die weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter ausreichende eigene Sachkunde besaßen. Zur Beschaffung dieser Sachkunde diente das Privatgutachten, das sich im Schwerpunkt mit der Erfassung des lokalen Bestandes der Krebsschere und der Grünen Mosaikjungfer sowie mit den Gefährdungswirkungen des beabsichtigten Grünlandumbruchs für diese Arten befasst. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass der Beklagte als untere Naturschutzbehörde über die entsprechende naturschutzfachliche Sachkunde verfügt und der Kläger somit erst durch die Einholung des privaten Gutachtens diesen Wissensvorsprung ausgleichen konnte. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte dem Kläger den Grünlandumbruch aus den genannten artenschutzrechtlichen Erwägungen mit dem Bescheid vom 14. November 2014 verboten und diese Entscheidung mit dem Widerspruchsbescheid vom 2. November 2015 nochmals bestätigt hatte, ist auch ersichtlich, dass die Prozesssituation das Gutachten herausgefordert hat. Der Inhalt des Gutachtens war auch auf die Verfahrensförderung zugeschnitten.
Im Übrigen geht der Senat davon aus, dass die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 VwGO für die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Gutachtens auch dann gegeben wären, wenn man hierfür auf den Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung des Gutachtensauftrags während des Widerspruchsverfahrens im Sommer 2015 abstellen wollte. Die vom Verwaltungsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss vertretene Ansicht, dass die Aufwendungen für ein noch während des Vorverfahrens in Auftrag gegebenes Privatgutachten nicht erstattungsfähig seien, wenn das Gutachten – wie hier – erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens erstellt wird und deshalb nicht in das Vorverfahren, sondern erst in den sich daran anschließenden Verwaltungsprozess eingeführt wird, teilt der Senat nicht. Für eine derart förmliche kostenrechtliche Sperre zwischen dem Vorverfahren und einem sich daran nahtlos anschließenden Verwaltungsprozess vermag der Senat dem § 162 Abs. 1 VwGO nichts zu entnehmen.
Außerdem sind die Aufwendungen für das Privatgutachten vom 15. September 2016 auch der Höhe nach in vollem Umfang erstattungsfähig.
Die Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Privatgutachten richtet sich nicht nach den Vergütungssätzen des JVEG, weil dieses Gesetz lediglich das dem vom Gericht beauftragten Sachverständigen zustehende Honorar regelt und weil in der Regel nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einem Privaten möglich sein wird, einen geeigneten Sachverständigen zu den darin vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen. Die für ein notwendiges Privatgutachten entstandenen Kosten sind vielmehr in der Regel in vollem Umfang zu erstatten, wenn die Überschreitung der Stundensätze des JVEG nicht offensichtlich unangemessen ist (zum Ganzen: Nds. OVG, Beschl. v. 15.1.2014 - 7 OA 112/13 -, NdsRpfl 2014, 168 f. m. w. N.).
Hier hat die seinerzeit noch von der Umsatzsteuer befreite Gutachterin mit der Rechnung vom 11. August 2000 vom Kläger 1.500 EUR für die wissenschaftlich-ökologische Recherche zur Vorbereitung des Gutachtens sowie mit der Rechnung vom 2. September 2016 nochmals 1.500 EUR für die Erstellung des Gutachtens gefordert. Da sie in beiden Rechnungen jeweils einen Arbeitsaufwand von 40 Stunden in Ansatz gebracht hat, ergibt sich somit ein Stundensatz von 37,50 EUR. Dieser Stundensatz ist niedriger als sämtliche in der Anlage 1 zum JVEG aufgeführten Stundensätze für die Honorare von Sachverständigen und bewegt sich somit ersichtlich in einem angemessenen Rahmen.
Von den somit angemessenen Gesamtkosten für das Gutachten vom 15. September 2016 in Höhe von insgesamt 3.000 EUR hat der Beklagte dem Kläger gemäß der vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 5. Januar 2018 getroffenen Kostengrundentscheidung die Hälfte und somit 1.500 EUR zu erstatten.
Der Ausspruch zur Verzinsung folgt aus § 173 Satz 1 VwGO, § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO und § 247 BGB (vgl. Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 164 Rn. 3).

Ohne Erfolg bleibt die Beschwerde des Klägers hingegen, soweit sie die Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen in Höhe von 595 EUR für die von ihm in Auftrag gegebene ergänzende gutachterliche Stellungnahme der Diplom-Biologin C. vom 11. Januar 2017 betrifft.

Die Erstattungsfähigkeit der für die Einholung eines privaten Gutachtens getätigten Aufwendungen setzt voraus, dass das Gutachten in den Prozess eingeführt worden ist, in der Regel durch Vorlage im gerichtlichen Verfahren (Nds. OVG, Beschl. v. 2.12.2009 - 12 OA 129/08 -, NJW 2010, 391; OVG NRW, Beschl. v. 4.1.2008 - 8 E 1152/07 -, DÖV 2008, 471). Offen bleiben kann, ob die Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters auch dann erstattungsfähig sind, wenn dessen Ausführungen, ohne dass sein schriftliches Gutachten im Prozess vorgelegt worden ist, gleichwohl für das Gericht und die übrigen Prozessbeteiligten erkennbar als von ihm verantwortete Stellungnahme in das Verfahren eingeführt worden sind (ebenfalls offen gelassen in: VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.5.2001 - 5 S 3245/98 -, NVwZ-RR 2002, 315 = DÖV 2002, 484; OVG NRW, Beschl. v. 4.1.2008, a. a. O.). Denn aus Gründen der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der Waffengleichheit im Prozess genügt es jedenfalls dann nicht, dass eine Partei ihr Vorbringen ausdrücklich auf ein nur ihr vorliegendes Privatgutachten stützt, wenn das Gericht oder der Prozessgegner die Vorlage des Gutachtens verlangen, um sich Aufschluss über dessen Inhalt zu verschaffen. In diesem Fall muss der Beteiligte, der das Gutachten in Auftrag gegeben hat, dieses dem Gericht und dem Prozessgegner durch Vorlage zur Kenntnis bringen.

Danach sind die Aufwendungen für die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 11. Januar 2017 deshalb nicht erstattungsfähig, weil dieses Privatgutachten vom Kläger nicht ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt worden ist. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat sich auf die ergänzende gutachterliche Stellungnahme erstmalig in seinem Schriftsatz vom 16. Februar 2017 gestützt, in dem es unter anderem heißt, dass die erneute gutachterliche Stellungnahme vom 11. Januar 2017 dem Schriftsatz als Anlage beigefügt sei. Dies entsprach allerdings nicht den Tatsachen, denn beigefügt war dem anwaltlichen Schriftsatz nicht die erneute gutachterliche Stellungnahme vom 11. Januar 2017, sondern nochmals das bereits vorher in den Prozess eingeführte ursprüngliche Privatgutachten vom 15. September 2016. Hierauf hat der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 27. April 2017 den Prozessbevollmächtigten des Klägers – besonders hervorgehoben durch Unterstreichung und Fettdruck – ausdrücklich hingewiesen und geltend gemacht, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem neuen ergänzenden Gutachten vom 11. Januar 2017 nicht erfolgen könne, da es entgegen der Mitteilung nicht vorgelegt worden sei. Dies hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers zum Anlass nehmen müssen, die ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 11. Januar 2017 nunmehr im Prozess vorzulegen. Bis zur Erledigung des Verfahrens durch Zustimmung der Beteiligten zu dem vom Verwaltungsgericht vorgeschlagenen Vergleich hat er das jedoch nicht getan.

Nicht genügend ist es, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die ergänzende gutachterliche Stellungnahme nach Abschluss des Vergleichs während des Kostenfestsetzungsverfahrens zur Gerichtsakte gereicht hat. Denn im Hinblick darauf, dass das private Gutachten der Förderung des gerichtlichen Verfahrens dienen muss, damit die hierfür entstandenen Aufwendungen gemäß § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig sind, versteht es sich von selbst, dass die Vorlage eines bereits fertiggestellten Gutachtens nicht so lange verzögert werden darf, bis sich der Verwaltungsprozess erledigt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).