Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.07.2019, Az.: 1 LA 144/18

Gebietserhaltungsanspruch; Gesamtbetrachtung; Maß der baulichen Nutzung; Nachbarschutz; Rücksichtnahmegebot; Vollgeschoss

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.07.2019
Aktenzeichen
1 LA 144/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69765
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 11.09.2018 - AZ: 4 A 3065/16

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Festsetzungen eines Bebauungsplans zur Geschosszahl sind nicht kraft Bundesrechts nachbarschützend (im Anschluss an BVerwG, Beschl. v. 23.6.1995 - 4 B 52/95).

Zwei für sich genommen jeweils klar im Bereich des Sozialadäquaten, Hinzunehmenden liegende Wirkungen eines Vorhabens begründen nicht in der Summe einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 11. September 2018 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Kläger wenden sich gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses, da sie sich durch dessen Größe und Bauweise beeinträchtigt sehen.

Die Kläger sind Eigentümer des aus dem Aktivrubrum ersichtlichen, mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks. Das südlich angrenzende Grundstück war ursprünglich nur im Südosten mit einem Wohnhaus bebaut und steht im Eigentum des Beigeladenen zu 1. Das Klägergrundstück liegt vollständig, das Beigeladenengrundstück überwiegend in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet. Für beide Grundstücke ist eine zweigeschossige offene Bauweise mit einer Grundflächenzahl von 0,4 und einer Geschossflächenzahl von 0,8 festgesetzt. Eine Gestaltungssatzung der Beigeladenen zu 2. aus dem Jahr 1986 verbietet für Hauptgebäude Flachdächer und sieht eine Dachneigung von 35–50° vor.

Am 21.3.2016 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen zu 1. die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 10 Wohneinheiten auf seinem Grundstück. Das Gebäude soll sich L-förmig in einem Abstand von 4 bzw. 4,50 m entlang der West- und der dem Antragstellergrundstück zugekehrten Nordgrenze des Beigeladenengrundstücks erstrecken und durch einen rückwärtigen Treppenhausanbau mit dem vorhandenen Gebäude verbunden werden. Der Neubau soll ein Erd- und ein Obergeschoss mit unstreitig je 309,72 m² Grundfläche aufweisen. An den beiden Enden der Gebäudeflügel soll das Obergeschoss mit einem teils begrünten, teils als Terrasse ausgestalteten Flachdach bedeckt werden; im Übrigen ist ein Dachgeschoss mit ca. 2 m hohen senkrechten Wänden und darauf aufsetzendem Satteldach mit einer Neigung von 35° (Nordflügel) bzw. 33,62° (Westflügel) vorgesehen. Eine Brücke soll die Räume im Westflügel mit dem Treppenhaus verbinden. An der Nordseite des Gebäudes ist im Obergeschoss ein 2 m tiefer, 3,75 m breiter Balkon vorgesehen.

Die von den Klägern nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene und parallel zu einem erfolglosen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Beschl. v. 19.10.2016 - 4 B 3252/16 -, Senatsbeschl. v. 19.12.2016 - 1 ME 150/16 -) verfolgte Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Prüfungsmaßstab sei das genehmigte Vorhaben; eine Prüfung der tatsächlichen Bauausführung verbiete sich, da ein Etikettenschwindel nicht erkennbar sei. Dieses Vorhaben verletze keine Nachbarrechte der Kläger. Die Festsetzungen des Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung seien weder generell noch im konkreten Fall nach der Intention des Plangebers nachbarschützend. Im Übrigen werde das zulässige Maß von zwei Vollgeschossen eingehalten; das „Dachgeschoss“ sei nicht zu berücksichtigen, da es der 2/3-Regelung des § 2 Abs. 7 Satz 2 NBauO unterfalle. Die Regelungen der Gestaltungssatzung der Beigeladenen zu 2. seien ebenfalls nicht nachbarschützend; sie seien allein im öffentlichen Interesse erlassen worden. Grenzabstände würden nicht unterschritten. Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt. Die Verletzung nicht drittschützender Vorschriften senke die Hürden für die Annahme einer Rücksichtslosigkeit des Vorhabens nicht ab. Auch sei eine Gesamtschau der geltend gemachten Beeinträchtigungen nicht angezeigt. Eine erdrückende Wirkung gehe von dem Vorhaben nicht aus, zumal das Gebäude der Kläger nicht zur gemeinsamen Grundstücksgrenze, sondern nach Südwesten ausgerichtet sei. Die durch das Vorhaben eröffneten Einsichtsmöglichkeiten seien zumutbar. Soweit der Kläger eine Vernässung seines Grundstücks geltend mache, könne er sich nicht auf § 13 NBauO berufen; diese Vorschrift sei im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen. Angesichts dessen könne die Entwässerungsproblematik auch nicht unter dem Mantel des Gebotes der Rücksichtnahme in das Genehmigungsverfahren eingeführt werden.

Der dagegen gerichtete, auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich hierdurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich, es genügt, wenn diese offen sind. Das darzulegen ist den Klägern nicht gelungen. Maßgeblich sind insoweit die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, d.h. mit Schriftsatz vom 26.11.2018 vorgetragenen Gründe; die erstmals mit Schriftsatz vom 6.3.2019 vorgetragenen Angriffe gegen den Schluss des Verwaltungsgerichts, die Grenzabstandsvorschriften seien eingehalten, sind nicht zu berücksichtigen.

1.

Ohne Erfolg greift der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts an, er könne sich auf eine Überschreitung der im Bebauungsplans festgesetzten Anzahl zulässiger Vollgeschosse berufen.

Offenbleiben kann, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts (und des erkennenden Senats in seinem Beschluss vom 19.12.2016 – 1 ME 150/16), das Dachgeschoss des Vorhabens sei nach § 2 Abs. 7 Satz 2 NBauO kein Vollgeschoss, gerechtfertigt ist. Zweifel hieran ergeben sich zwar nicht aus dem vom Kläger erneut im Zulassungsverfahren vorgelegten Gutachten des Sachverständigen I. vom 8.2.2017. Dieser geht davon aus, dass das Dachgeschoss im Ansatz dieselbe Grundfläche hat wie die darunterliegenden Geschosse und zieht von dieser nur die Flächen der Dachterrassen/begrünten Flachdächer sowie Dachschrägen unter 2,30 m lichter Höhe im Treppenhaus ab. Er berücksichtigt nicht, dass nur die Flächen mit einer lichten Höhe von über 2,20 m einzubeziehen sind. Das ist nicht nur ein kleinerer Teil des Treppenhauses; auch die übrigen Räume im Dachgeschoss weisen teils nicht die erforderliche lichte Höhe auf. Ferner schlägt der Sachverständige der Grundfläche wohl zu Unrecht die – nach der grüngestempelten Südansicht nicht überdachte – „Brücke“ zu. Der Verdacht der Kläger, die in den Bauvorlagen angegebene Grundfläche des Dachgeschosses von 205,65 m² klammere die nicht als Wohnraum genutzten, aber gleichwohl zu berücksichtigenden Bodenräume aus, ist unbegründet; die unter Abzug dieser Räume sich ergebende Grundfläche ist in den Bauvorlagen plausibel auf rund 125 m² berechnet (vgl. GA Bl. 248). Möglicherweise zu Recht rügen die Kläger allerdings, dass der Beigeladene und mit ihm der Beklagte die Fläche der Dachterrassen unzulässigerweise vollständig von der Grundfläche des Dachgeschosses abgezogen hat. Nach dem zu den Bauvorlagen gehörenden Grundriss und insbesondere der Nord- und Westansicht spricht in der Tat einiges dafür, dass die Terrassen teilweise mit einem Glasdach versehen werden sollen; insoweit dürften sie auf die Grundfläche anzurechnen sein (vgl. Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl., § 2 Rn. 94).

Entscheiden muss der Senat dies nicht, da keine ernstlichen Zweifel an der Hauptbegründung des Verwaltungsgerichts bestehen, die Festsetzungen des Bebauungsplans zur Geschossigkeit seien nicht per se nachbarschützend. Auch mit der Begründung des Zulassungsantrags vermögen die Kläger die vom Senat bereits in seinem Beschluss vom 19.12.2016 – 1 ME 150/16 – niedergelegten maßgeblichen Erwägungen für sein Festhalten an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Festsetzungen eines Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung nicht per se drittschützend sind (BVerwG, Beschl. v. 23.6.1995 - 4 B 52/95 -, BauR 1994, 823 = NVwZ 1996, 170 = BRS 57 Nr. 209 = juris Rn. 3 f.), nicht in Frage zu stellen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies überzeugend damit begründet, dass Abweichungen von Maßfestsetzungen typischerweise nur die unmittelbaren Nachbargrundstücke des Vorhabens betreffen, die hinreichend über das Gebot der Rücksichtnahme geschützt sind. Ein Bedürfnis, den Nachbarn vor für sich genommen nicht rücksichtslosen Veränderungen seines weiteren Wohnumfeldes zu schützen, bestehe nicht; die bei für sich genommen unschädlichen Abweichungen von den Artfestsetzungen denkbaren Summationseffekte hin zu einem anderen, mit seiner Nutzung potentiell unverträglichen Gebietscharakter sind bei Maßfestsetzungen nur sehr eingeschränkt möglich. Gründe, die dies infrage zu stellen vermöchten, benennen die Kläger in der Zulassungsantragsbegründung nicht; vielmehr stellen sie gerade auf die konkreten vom Vorhaben selbst ausgehenden Beeinträchtigungen ab, die aber gerade keinen beeinträchtigungsunabhängigen Drittschutz rechtfertigen.

Anhaltspunkte für einen Willen des Satzungsgebers, die Maßfestsetzungen mit Drittschutz zu versehen, benennen die Kläger ebenfalls nicht; vielmehr meinen sie selbst, der Rat der Beigeladenen zu 2. habe bei den Maßfestsetzungen in erster Linie das Stadt- und Straßenbild im Blick gehabt. Dieses wird aber nicht um der Nachbarn willen, sondern im allgemeinen Interesse geschützt. Weshalb allein der Umstand, dass der Satzungsgeber die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151, nicht kannte, etwas Anderes ergeben sollte, wird aus dem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend deutlich.

2.

Nichts anderes gilt hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, das Verbot von Flachdächern auf Hauptgebäuden und das Gebot einer Dachneigung von mindestens 35° sei allein im öffentlichen Interesse an der Bewahrung der historisch gewachsenen Dachlandschaft der Stadt, nicht im Interesse der Grundstücksnachbarn erlassen worden. Die vom Verwaltungsgericht hierzu zitierten Passagen von S. 17 der Begründung der Gestaltungssatzung lassen insoweit keine Zweifel zu. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass sich aus der allgemeinen Begründung auf S. 16 nichts anderes ergebe. Wenn es dort heißt:

„Eine örtliche Bauvorschrift darf für die Gestaltung nur einen Rahmen setzen, d.h. sie kann keine bestimmte Gestaltung vorschreiben. Sie muss diesen Rahmen jedoch hinreichend konkret angeben, damit jeder Bürger … entnehmen kann, was erlaubt ist und was verboten ist“,

bzw.

„Die notwendige Rechtssicherheit für den Bürger schließt auch jede Soll-, Kann- und In-der-Regel-Vorschrift aus. Entweder ist die Beschränkung der Gestaltungsfreiheit zur Erreichung der Ziele erforderlich (Mussvorschrift) oder sie verbleibt im Bereich des lediglich Wünschenswerten und ist als Festsetzung unzulässig,

ist mit „Bürger“ entgegen dem Zulassungsvorbringen eindeutig der Bauherr als Befehlsempfänger gemeint und nicht der Nachbar, der als Drittbetroffener von Beschränkungen des Bauherrn profitieren möchte. Denn die in der Begründung angesprochenen Grundsätze der Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit („erforderlich“) haben ihre Bedeutung im klassischen Eingriffsverhältnis, in dem nur der Bauherr steht. Der Nachbar profitiert demgegenüber von den Beschränkungen des Bauherrn nur mittelbar, weshalb die rechtsstaatlichen Gewährleistungen für ihn eine geringere Bedeutung haben.

3.

Die Ausführungen der Kläger zum Rücksichtnahmegebot begründen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Das Verwaltungsgericht mag die Kläger, wie sie anführen, missverstanden haben, wenn es ihnen unterstellt, sie hätten mit der Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6.10.1989 – 4 C 14.87 – geltend machen wollen, die Hürde für die Annahme einer Rücksichtslosigkeit sei geringer, wenn eine bauliche Maßnahme gegen objektives Baurecht verstoße. Zu bemerken ist allerdings, dass die Kläger auf eben diese – vom Bundesverwaltungsgericht in seinem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 28.10.1993 – 4 C 5.93 –, NVwZ 1994, 686 = juris Rn. 19 verworfene – Sichtweise sinngemäß selbst mit ihrem Zulassungsantrag noch zurückkommen, wenn sie auf S. 7 unten/8 oben der Antragsbegründung mehrfach betonen, das Dachgeschoss und die Dachterrasse seien (objektiv) baurechtswidrig. Zu ernstlichen Zweifeln führte ein etwaiges Missverständnis des Klägervortrags seitens des Verwaltungsgerichts jedenfalls nicht.

Unbegründet ist die Rüge der Kläger, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Forderung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 10.1.2013 – 4 B 48.12 –, BauR 2013, 934 = BRS 81 Nr. 182 = juris Rn. 7 (dort unter Bezugnahme auf dessen noch deutlicher einschlägiges Urteil vom 5.8.1983 – 4 C 96.79 –, BVerwGE 67, 334 [340] – bei juris fehlerhaft wiedergegeben), die gebotene Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Wirkungen auf ihr Grundstück unterlassen, indem es eine „erdrückende Wirkung“ des Vorhabens und unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten getrennt geprüft und jeweils verneint habe. Zutreffend ist, dass die Zumutbarkeitsprüfung nicht in die Prüfung einzelner, tatsächlich aber ineinandergreifender Beeinträchtigungen „aufgespalten“ werden kann. Dies gilt etwa unter dem Blickwinkel der optischen Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks für die aus Breite und Höhe des Vorhabens, Nähe zur Grundstücksgrenze, himmelsrichtungsbedingter Verschattungswirkung u.ä. folgenden Beeinträchtigungen (BVerwG v. 5.8.1983 a.a.O.). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfung inkommensurabler, gerade nicht ineinandergreifender Beeinträchtigungen von vornherein zusammengezogen werden müsste. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend die Beeinträchtigung des Blicks vom Klägergrundstück einerseits und die Erhöhung der Einsichtsmöglichkeiten auf das Klägergrundstück andererseits separat geprüft – beides sind keine Faktoren, die zu derselben Kategorie von Beeinträchtigung beitragen, sondern grundsätzlich unterschiedliche Kategorien der Beeinträchtigung. Dass es nicht „in der Summe“ doch zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung gekommen ist, ist nicht zu beanstanden. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob aus der o.a. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt, dass sich auch mehrere inkommensurable, für sich genommen gerade noch zumutbare Wirkungen des Vorhabens im Rahmen einer Gesamtschau zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung summieren können. Denn jedenfalls gilt dies nicht, wenn zwei Wirkungen jeweils klar im Bereich des Sozialadäquaten, in einer Innenstadtlage nun einmal Hinzunehmenden liegen; insoweit ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, eine Gesamtschau könne nicht die Annahme der Rücksichtslosigkeit gebieten, wenn ein Vorhaben „in jeder Hinsicht“ den Anforderungen nachbarlicher Rücksichtnahme entspreche, zutreffend. Dass das hier der Fall ist, hat das Verwaltungsgericht ausführlich und überzeugend dargelegt. Das Zulassungsvorbringen rügt im Detail lediglich noch, dass das Verwaltungsgericht bei der Verweisung der Kläger auf architektonische Selbsthilfe wie Gardinen die Einsichtsmöglichkeiten auf Freiflächen ihres Grundstücks unberücksichtigt gelassen habe; dass sich aber in unmittelbarer Nähe des insoweit primär zu berücksichtigenden Balkons oder der nordöstlichen Dachterrasse erhöht schutzbedürftige Außenwohnbereiche befänden, machen sie selbst nicht geltend.

4.

Zu Unrecht rügen die Kläger, das Verwaltungsgericht habe die Vereinbarkeit des Vorhabens mit § 13 NBauO prüfen müssen, denn diese Norm gehöre als Vorschrift des öffentlichen Rechts i.S.d. § 2 Abs. 16 NBauO gem. § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NBauO zum Prüfprogramm im vereinfachten Genehmigungsverfahren. § 63 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NBauO nimmt nur die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts i.S.d. § 2 Abs. 16 in Bezug. § 2 Abs. 16 NBauO differenziert aber gerade zwischen den Vorschriften der NBauO und des städtebaulichen Planungsrechts sowie den „sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts“. Die Rechtsauffassung der Kläger liefe im Übrigen darauf hinaus, dass auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren eine Vollprüfung des Vorhabens vorzunehmen wäre, was diese Verfahrensart ad absurdum führen würde.

5.

Die abschließende Rüge der Kläger, die Genehmigungsbehörde habe einen Brandschutznachweis verlangen müssen, weil das Vorhaben der Gebäudeklasse 4 angehöre, ist unsubstantiiert und geht fehl. Zum einen ist aus den Bauvorlagen erkennbar, dass das Vorhaben mit einer nach § 2 Abs. 2 Satz 3 NBauO maßgeblichen Fußbodenhöhe des Dachgeschosses von unter 7 m der Gebäudeklasse 3 angehört; zum anderen ist nicht dargelegt, welche nachbarschützenden Normen durch das Fehlen eines Brandschutznachweises verletzt sein sollten.

6.

Angesichts dessen kann dahinstehen, ob die Klage noch zulässig ist. Hieran bestehen allerdings beträchtliche Zweifel, nachdem der Beklagte die Baugenehmigung, deren Aufhebung der Kläger begehrt, mit Bescheid vom 26.2.2019 widerrufen hat. Dieser Widerruf dürfte bestandskräftig sein. Der vom Beigeladenen gegen den Widerrufsbescheid eingelegte Widerspruch ist aller Voraussicht nach verfristet. Soweit der Senat, wie der Berichterstatter den Beteiligten mit Verfügung vom 2.5.2019 mitgeteilt hatte, noch die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass die Übermittlung eines Schreibens des Notars J. als Widerspruch würde ausgelegt werden können, war ihm nicht bekannt, dass dieses Schreiben dem Beklagten gleichfalls erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist zugegangen war.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).