Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.07.2019, Az.: 2 OA 819/18

Fiktive Terminsgebühr bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im PKH-Verfahren; Entfaltung einer aktiv verfahrensfördernden Tätigkeit durch den das Verfahren führenden Prozessbevollmächtigten nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.07.2019
Aktenzeichen
2 OA 819/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 28087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 05.11.2018

Fundstellen

  • AGS 2019, 397-399
  • DÖV 2019, 888
  • FA 2019, 322
  • JurBüro 2019, 463-464
  • NJW 2019, 3536-3537 "Terminsgebühr bei Verzicht auf mündliche Verhandlung"
  • NJW-Spezial 2019, 573
  • RENOpraxis 2019, 244
  • RVG prof 2019, 195
  • RVGreport 2020, 14-15
  • ZAP EN-Nr. 540/2019
  • ZAP 2019, 954

Amtlicher Leitsatz

Das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung setzt im PKH-Verfahren nicht voraus, dass der das Verfahren führende Prozessbevollmächtigte nicht bloß vor sondern auch nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine aktiv verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet hat.

Tenor:

Die Beschwerde des Bezirksrevisors gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade - 10. Kammer (Einzelrichter) - vom 5. November 2018 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Prozessbevollmächtigten des Klägers trotz Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung eine Terminsgebühr zusteht.

Der Kläger erhob - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - am 21. März 2017 Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und erklärte sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden. Zu dem Prozesskostenhilfeantrag reichte er am 18. Mai 2017 einen Leistungsbescheid nach; darüber hinaus gingen keine weiteren Schriftsätze des Klägers beim Verwaltungsgericht ein. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2017 bewilligte das Verwaltungsgericht Prozesskostenhilfe ab vollständiger Antragstellung. Die Klage wies das Gericht ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 1. November 2017 ab.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 24. Januar 2018 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter anderem die Festsetzung einer 1,2 Terminsgebühr nach Nummer 3104 VV RVG in Höhe von 308,40 EUR. Dieses Begehren lehnte die Urkundsbeamtin mit Beschluss vom 23. April 2018 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Zeit von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab dem 18. Mai 2017 bis zur Entscheidung durch Urteil vom 1. November 2017 keine verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet habe. Das aber sei Voraussetzung für das Entstehen der Terminsgebühr.

Auf die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers änderte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. November 2018 den Beschluss der Urkundsbeamtin und setzte die begehrte Terminsgebühr in Höhe von 308,40 EUR zu seinen Gunsten fest. Zur Begründung führte das Gericht aus, dem Gesetz sei das Erfordernis eines Tätigwerdens zur Förderung der Angelegenheit nicht zu entnehmen. Das Gesetz verlange lediglich das Einverständnis der Beteiligten. Im Übrigen habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine mit der Klageschrift abgegebenen Erklärungen im späteren Verfahren zumindest konkludent aufrechterhalten. Das reiche aus.

Mit seiner am 23. November 2018 erhobenen Beschwerde wendet sich der C. gegen diese Entscheidung. Er betont, dass für den Vergütungsantrag nur die ab dem 18. Mai 2017 entfaltete Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Eine solche Tätigkeit gebe es nicht. Die (konkludente) Aufrechterhaltung einer vorangegangenen Erklärung reiche nicht aus.

Die übrigen Beteiligten habe sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

Die Beschwerde, über die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V. mit § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Einzelrichter entscheidet, bleibt ohne Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob die Beschwerde aufgrund der Regelung des § 80 AsylG unzulässig ist (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27.2.2019 - 13 E 939/18.A -, juris; VGH BW, Beschl. v. 28.2.2017 - A 2 S 271/17 -, juris) oder aber der Sonderregelung des § 1 Abs. 3 RVG unterfällt (vgl. OVG Berl.-Bbg, Beschl. v. 26.7.2016 - OVG 3 K 40.16 -, juris). Sie ist jedenfalls unbegründet.

Grundlage des Anspruchs des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die begehrte Terminsgebühr ist § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V. mit Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses (VV RVG, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG).

Nach Absatz 3 der Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr sowohl für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen als auch für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen. Darüber hinaus regelt das Vergütungsverzeichnis Ausnahmetatbestände, in denen eine - fiktive - Terminsgebühr auch ohne die Wahrnehmung eines Termins gezahlt wird. Die Reichweite dieser Ausnahmetatbestände ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt neben dem Wortlaut dem Sinn und Zweck der Ausnahme eine besondere Bedeutung zu.

Zu diesen Ausnahmetatbeständen gehört Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG. Danach entsteht die Terminsgebühr auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Das ist hier der Fall. Soweit der die Beschwerde führende C. darüber hinaus verlangt, dass der Prozessbevollmächtigte gerade nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe eine aktiv verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet haben müsse, ist dieser Überlegung nicht zu folgen. Weder enthält der Wortlaut einen dahingehenden Anhaltspunkt, noch erfordert der Sinn und Zweck der Vorschrift eine derartige einschränkende Auslegung.

Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG soll ebenso wie die übrigen Nummern des Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Vielmehr soll der Rechtsanwalt die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen. Dies soll der Verfahrensbeschleunigung und zugleich der Entlastung der Gerichte dienen. Die Vorschrift honoriert daher - anders als die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr in ihrer Grundform - nicht eine konkrete verfahrensfördernde Handlung, sondern fingiert das Entstehen der Gebühr für die Wahrnehmung eines Termins auch in Fällen, in denen die maßgebliche Verfahrenshandlung - die Wahrnehmung eines Termins - aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten unterbleibt. Anders als der C. meint, dient die Vorschrift daher insbesondere nicht dazu, eine besonders gute Verfahrensvorbereitung, die den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ermöglicht, finanziell zu belohnen (vgl. Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVG [VV 3104] Rn. 4). Derartige Überlegungen zu einer "qualitätsbezogenen Verfahrensgebühr" sind Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG fremd.

Das zeigt, dass es allein darauf ankommt, ob das Gericht aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Das war hier der Fall. Das Einverständnis war erklärt und wirkte auch nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe fort. Das reicht für den Anspruch auf die Terminsgebühr aus. Die gegenteilige Auffassung hätte zur Folge, dass ein Prozessbevollmächtigter allein aus gebührenrechtlichen Gründen genötigt wäre, seinen Verzicht auf mündliche Verhandlung zu wiederholen oder andere verfahrensrechtlich nicht unbedingt erforderliche Erklärungen abzugeben. Das ist mit dem Sinn und Zweck der Nummer 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG unvereinbar.

Eine Kontrollüberlegung bestätigt diese Feststellung: Hätte das Verwaltungsgericht mündlich verhandelt, hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Terminsgebühr unstreitig erhalten, ohne dass weitere Erklärungen schriftsätzlicher Art erforderlich gewesen wären. Soll mithin eine Gleichstellung erfolgen, sind derartige weitere Erklärungen ebenfalls nicht zu verlangen.

Ob darüber hinaus für das Entstehen einer Terminsgebühr generell zu fordern ist, dass der Prozessbevollmächtigte in dem Verfahren irgendeine verfahrensfördernde Tätigkeit entfaltet hat (vgl. etwa Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 23. Aufl. 2017, RVG VV 3104 Rn. 54; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Aufl. 2015, RVG [VV 3104] Rn. 5 a.A. Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, RVG Nr. 3104 VV Rn. 20), bedarf hier keiner Entscheidung. Eine solche verfahrensfördernde Tätigkeit ist mit der Erhebung der Klage zweifelsfrei gegeben; diese Tätigkeit wirkte auch nach der Bewilligung von Prozesskostenhilfe fort.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. mit § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).