Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.07.2019, Az.: 5 OB 107/19

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.07.2019
Aktenzeichen
5 OB 107/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69780
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.05.2019 - AZ: 2 D 2157/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Einstweiliger Rechtsschutz im Bewerbungsverfahren; Vollziehung einer einstweiligen Anordnung im Bewerbungsverfahren; Erforderlichkeit von Maßmnahmen zur Vollziehung der einstweiligen Anordnung

Wenn in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit dem Dienstherrn im Wege der einstweiligen Anordnung die Übertragung des in Rede stehenden Dienstpostens vorläufig untersagt wird, bedarf es aus verfassungsrechtlichen Gründen keiner Maßnahmen (des im Auswahlverfahren unterlegenen, im Eilverfahren erfolgreichen Bewerbers) zur Vollziehung der einstweiligen Anordnung (OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 29.3.2007 - OVG 4 S 16.06 -, juris Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014 - 3 CE 14.771 -, juris Rn. 50; OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017 - 1 E 722/17 -, juris Rn. 4ff.).

Tenor:

Die Beschwerde der Vollstreckungsgläubigerin wird zurückgewiesen.

Die Vollstreckungsgläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Die Vollstreckungsgläubigerin begehrt im Verfahren nach § 167 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 890 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Androhung eines Ordnungsgeldes gegenüber dem Vollstreckungsschuldner.

Die Vollstreckungsgläubigerin - eine im Statusamt einer Ministerialrätin (Besoldungsgruppe B 2) stehende Landesbeamtin - hatte sich auf den im Juni 2018 von dem Vollstreckungsschuldner ausgeschriebenen Dienstposten der stellvertretenden Leitung der dortigen Abteilung D. (Besoldungsgruppe B 3) beworben und, nachdem die Auswahlentscheidung zugunsten einer Mitbewerberin getroffen worden war, bei dem Verwaltungsgericht Hannover unter dem Aktenzeichen 2 B 941/19 um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Das Verwaltungsgericht Hannover hat dem Eilantrag der Vollstreckungsgläubigerin - in jenem Verfahren Antragstellerin - stattgegeben und dem Vollstreckungsschuldner - in jenem Verfahren Antragsgegner - mit Beschluss vom 3. April 2019 (- 2 B 941/19 -) im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, den Dienstposten der stellvertretenden Leitung der dortigen Abteilung D. mit einem anderen Bewerber zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung der Vollstreckungsgläubigerin erneut entschieden worden und eine Frist von zwei Wochen abgelaufen ist, nachdem der Vollstreckungsgläubigerin die erneute Entscheidung mitgeteilt worden ist. Dieser Beschluss ist der Vollstreckungsgläubigerin am 3. April 2019 zugestellt worden.

Unter dem 23. April 2019 hat die Vollstreckungsgläubigerin (= Antragstellerin des vorangegangenen Eilverfahrens) bei dem Verwaltungsgericht Hannover beantragt, gegen den Vollstreckungsschuldner (= Antragsgegner des vorangegangenen Eilverfahrens) für den Fall der Zuwiderhandlung gegen den (Eil-)Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 3. April 2019 (- 2 B 941/19 -) ein angemessenes Ordnungsgeld anzudrohen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, ihre Prozessbevollmächtigten sähen sich mit Blick auf die Bestimmung des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 929 Abs. 2 ZPO sowie vor dem Hintergrund der vom Oberverwaltungsgericht für das Land Sachsen-Anhalt (OVG LSA, Beschluss vom 26.2.2015 - 1 M 12/15 -, juris) geäußerten Auffassung, dass die Vollziehung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO auch im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren erforderlich sei, aus anwaltlicher Vorsicht gezwungen, vorsorglich den oben genannten Vollstreckungsantrag zu stellen.

Das Verwaltungsgericht Hannover hat den Vollstreckungsantrag der Vollstreckungsgläubigerin mit Beschluss vom 13. Mai 2019 (- 2 D 2157/19 -) abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Vollstreckungsgläubigerin mit der vorliegenden Beschwerde.

II.

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die von der Vollstreckungsgläubigerin beantragte Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 3. April 2019 (- 2 B 941/19 -) ist unstatthaft bzw. mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Nach § 123 Abs. 3 VwGO gelten für den Erlass einer einstweiligen Anordnung die dort im Einzelnen aufgeführten Vorschriften der Zivilprozessordnung - u. a. die Bestimmung des § 929 ZPO - entsprechend. Nach § 929 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Würde man diese Regelung auf die vom Verwaltungsgericht Hannover unter dem 3. April 2019 zum Aktenzeichen 2 B 941/19 beschlossene einstweilige Anordnung anwenden, so würde diese ohne eine von der Vollstreckungsgläubigerin eingeleitete Vollstreckungsmaßnahme nach Ablauf der Vollziehungsfrist von einem Monat nicht mehr durchsetzbar und damit praktisch wirkungslos sein, d. h. die Vollstreckungsgläubigerin könnte dann die von dem Vollstreckungsschuldner bzw. der ausgewählten Mitbewerberin betriebene Besetzung des in Rede stehenden Dienstpostens mit dieser Mitbewerberin nicht mehr verhindern.

Die Annahme einer derartigen Rechtsfolge wäre indes mit den im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit geltenden Grundsätzen unvereinbar (ebenso: OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017 - 1 E 722/17 -, juris Rn. 6). Vielmehr fehlt es in einem derartigen Verfahren an der in § 123 Abs. 3 VwGO vorausgesetzten „Entsprechung“ im Verhältnis zur Vollziehung eines zivilrechtlichen Arrestbefehls, d. h. § 929 Abs. 2 ZPO ist mit Rücksicht auf die im Konkurrentenstreitverfahren geltenden Besonderheiten nicht „entsprechend“ anzuwenden (ebenso: OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017, a. a O., Rn. 6).

Wenn dem Dienstherrn in einem beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt wird, die betreffende Stelle einem Mitbewerber zu übertragen, bedarf es keiner Maßnahmen zur Vollziehung der einstweiligen Anordnung (ebenso: OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 29.3.2007 - OVG 4 S 16.06 -, juris Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014 - 3 CE 14.771 -, juris Rn. 50; OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017, a. a. O., Rn. 13). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts muss der Dienstherr, wenn ein bei der Beförderungsauswahl unterlegener Mitbewerber eine einstweilige Anordnung auf vorläufige Untersagung der Beförderung des erfolgreichen Mitbewerbers beantragt hat, die Ernennung bis zum Abschluss dieses gerichtlichen (Eil-)Verfahrens unterlassen; diese Rechtsfolge tritt unmittelbar kraft Verfassungsrechts, nämlich gemäß Art. 33 Abs. 22 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, ein (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.7.2003 - 2 BvR 311/03 -, juris Rn. 11f.; BVerwG, Urteil vom 4.11.2010 - BVerwG 2 C 16.09 -, juris Rn. 32 bis 36). Erst recht gilt dies, wenn eine einstweilige Anordnung des Inhalts, dem Dienstherrn die Ernennung des ausgewählten Bewerbers zu untersagen, beschlossen worden und in Rechtskraft erwachsen ist; in diesem Fall muss der Dienstherr das Auswahlverfahren, wenn er es nicht zulässigerweise abbricht, je nach Inhalt und Reichweite des Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 2 GG vollständig oder teilweise wiederholen und auf der Grundlage des wiederholten Verfahrens eine neue Auswahlentscheidung treffen. Der Dienstherr darf den ausgewählten Bewerber erst ernennen, wenn feststeht, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg hat; ein Hauptsacheverfahren findet dann wegen der Rechtsbeständigkeit der Ernennung nicht mehr statt (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010, a. a. O., Rn. 31).

Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Vollziehung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit 929 Abs. 2 ZPO auch in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren für notwendig gehalten wird (so OVG LSA, Beschluss vom 26.2.2015, a. a. O., Rn. 1ff.; vgl. auch VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 1.2.2019 - 4 S 2770/18 -, juris Rn. 21, der danach differenziert, ob der Vollstreckungsschuldner gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger ausdrücklich und schriftlich zugesichert hat, sich ohne Vollstreckungsmaßnahmen an die gerichtliche ausgesprochene Verpflichtung zu halten oder nicht; nur im erstgenannten Fall wird eine Vollziehungsmaßnahme nicht für erforderlich gehalten mit der Folge, dass einem entsprechenden Vollstreckungsantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehle), folgt der beschließende Senat dieser Rechtsauffassung nicht (ebenfalls in einer solchen Fallkonstellation eine Vollstreckungsmaßnahme nicht für erforderlich haltend: OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 29.3.2007, a. a. O., Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014, a. a. O., Rn. 50; OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017, a. a. O., Rn. 4ff.).

Der mit § 929 Abs. 2 ZPO bezwecke Schutz des Vollstreckungsschuldners, der nicht im Ungewissen gelassen werden soll, ob er noch aus dem Titel in Anspruch genommen wird, kommt im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren nicht zum Tragen (OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 29.3.2007, a. a. O., Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014, a. a. O., Rn. 50; OVG Saarl., Beschluss vom 20.9.2017, a. a. O., Rn. 16f.). Der Dienstherr ist von Verfassungs wegen (Art. 33 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 GG) gehindert, sich über die einstweilige Anordnung hinwegzusetzen (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010, a. a. O., Rn. 31, 36). Setzt der Dienstherr sich dennoch über die einstweilige Anordnung hinweg, so ist der unterlegene Bewerber dadurch geschützt, dass der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz nach der Ernennung nachgeholt wird; der unterlegene Bewerber kann Anfechtungsklage mit dem Ziel erheben, die Ernennung des Mitbewerbers mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil sich der Dienstherr in diesem Fall nicht auf den Grundsatz der Ämterstabilität berufen kann (BVerwG, Urteil vom 4.11.2010, a. a. O., Rn. 36, 43). Vor diesem Hintergrund ist von dem im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerber, der eine einstweilige Anordnung erstritten hat, nicht zu verlangen, zusätzlich gegen seinen Dienstherrn zugleich bzw. innerhalb der Vollziehungsfrist von einem Monat nach Zustellung der einstweiligen Anordnung Vollstreckungsmaßnahmen nach §§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 890 Abs. 2 ZPO zu beantragen. Ein solcher Antrag ist unstatthaft, weil es der entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 929 Abs. 2 VwGO im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht bedarf, bzw. es fehlt insoweit an einem Rechtsschutzinteresse des unterlegenen Bewerbers (das Rechtsschutzbedürfnis ablehnend: OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 29.3.2007, a. a O., Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014, a. a. O., Rn. 50). Es kann erwartet werden, dass sich der Dienstherr nicht über die stattgebende gerichtliche Entscheidung im Eilverfahren nach § 123 VwGO hinwegsetzt (Bay. VGH, Beschluss vom 5.8.2014, a. a. O., Rn. 50), zumal er ansonsten Gefahr läuft, dass die erfolgte Ernennung aufgehoben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, weil eine Festgebühr anfällt (vgl. Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG - Kostenverzeichnis -).