Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.07.2019, Az.: 4 ME 128/19

Arbeitskraft; Ausbildung; Ausbildungsförderung; Beurlaubung; Förderung; Förderungshöchstdauer; Inanspruchnahme; schwerwiegender Grund; Vermeidung der Verzögerung; Vertiefungsrichtung; Verzögerung; Zumutbarkeit; Überschreitung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.07.2019
Aktenzeichen
4 ME 128/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69756
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.05.2019 - AZ: 13 B 1149/19

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Förderung der Ausbildung über die Förderungshöchstdauer hinaus nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG kommt nicht in Betracht, wenn es dem Auszubildenden möglich und zumutbar war, die Verzögerung der Ausbildung zu vermeiden.
2. Ist es für den Auszubildenden erkennbar, dass die Fortsetzung seines Studiums ihn in den beiden nächsten Semestern wegen des Umstandes, dass die von ihm gewählte Vertiefungsrichtung von der Hochschule noch nicht angeboten wird, lediglich mit der Hälfte der ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskraft in Anspruch nehmen würde, ist es ausbildungsrechtlich geboten und dem Auszubildenden überdies zumutbar, sich zur Vermeidung der Überschreitung der Förderungshöchstdauer beurlauben zu lassen. Geschieht dies nicht, liegt ein schwerwiegender Grund für eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG nicht vor.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 13. Kammer - vom 13. Mai 2019 geändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss hat Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab April 2019 bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31. August 2019, monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von 649,- EUR zu bewilligen.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Denn sie kann bei summarischer Prüfung Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus für den o. a. Zeitraum nicht verlangen.

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit nur geleistet, wenn die Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen überschritten worden ist. Ein schwerwiegender Grund im Sinne dieser Vorschrift ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die für die Verzögerung des erfolgreichen Abschlusses der Ausbildung innerhalb der Förderungshöchstdauer von erheblicher Bedeutung sind und die die Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus unter Beachtung ihres Zwecks rechtfertigen (BVerwG, Urt. v. 16.8.1995 - 11 C 31.94 -, BVerwGE 99, 97; BVerwG, Urt. v. 7.2.1980 - 5 C 38.78 -, DÖV 1980, 801). Dabei können regelmäßig nur solche Verzögerungsgründe berücksichtigt werden, die der Auszubildende nicht auf zumutbare Weise vermeiden konnte (BVerwG, Urt. v. 16.8.1995 - 11 C 31.94 -, BVerwGE 99, 97). War es dem Auszubildenden hingegen möglich und zumutbar, die Verzögerung zu verhindern, kommt eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus nicht in Betracht (BVerwG, Urt. v. 7.2.1980 - 5 C 38.78 -, DÖV 1980, 801). Ausgehend davon ist im vorliegenden Fall ein schwerwiegender Grund für eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer von sieben Semestern bei summarischer Prüfung zu verneinen. Denn die Antragstellerin, die im Wintersemester 2015/2016 das Studium im Studiengang “Schiffs- und Reedereimanagement“ an der Hochschule C. /D. aufgenommen hat, hätte die Überschreitung der Förderungshöchstdauer auf zumutbare Weise vermeiden können.

Die Überschreitung der Förderungshöchstdauer ist allein darauf zurückzuführen, dass die Antragstellerin ihr Studium im Wintersemester 2016/2017 nicht nach dem Besonderen Teil der bei Studienbeginn geltenden Bachelor-Prüfungsordnung vom 24. August 2011 mit dem gemeinsamen Fachstudium und dem profilbildenden Fachstudium in einer der beiden Vertiefungsrichtungen “Schiffs- und Umwelttechnik“ und “Reedereimanagement und -logistik“ fortgesetzt hat, sondern aufgrund eines bei der Prüfungskommission gestellten Antrags nach § 10 Abs. 2 Satz 1 des Besonderen Teils der am 10. November 2016 in Kraft getretenen neuen Bachelor-Prüfungsordnung in den “neuen“ Studiengang “Schiffs- und Reedereimanagement“ gewechselt ist und sich in diesem Studiengang für die Vertiefungsrichtung “Sicherheits- und Qualitätsmanagement“ entschieden hat. Denn diese Vertiefungsrichtung ist zwar in der neuen Prüfungsordnung als dritte Vertiefungsrichtung neben den bisherigen Vertiefungsrichtungen “Schiffs- und Umwelttechnik“ und “Reedereimanagement und -logistik“ bereits aufgeführt, ist aber von der Hochschule C. /D. erst ab dem Wintersemester 2017/2018 angeboten worden, weil § 10 Abs. 1 der neuen Prüfungsordnung bestimmt, dass diese Prüfungsordnung erstmals für die Studienanfänger des Wintersemesters 2016/2017 gilt, die das profilbildende Fachstudium mit den drei Vertiefungsrichtungen erst ab dem dritten Semester, d. h. ab dem Wintersemester 2017/2018, beginnen konnten.

Der Antragstellerin wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die dadurch bedingte Überschreitung der Förderungshöchstdauer um zwei Semester zu vermeiden. Denn sie hätte ihr Studium in dem bisherigen Studiengang “Schiffs- und Reedereimanagement“ im Wintersemester 2016/2017 mit dem gemeinsamen Fachstudium und dem profilbildenden Fachstudium in einer der beiden damals zur Verfügung stehenden Vertiefungsrichtungen, nämlich “Schiffs- und Umwelttechnik“ und “Reedereimanagement und -logistik“, ohne zeitliche Verzögerung fortsetzen können und wäre daher in der Lage gewesen, ihr Studium innerhalb der Förderungshöchstdauer von sieben Semestern abzuschließen. Die Antragstellerin hätte aber auch bei dem von ihr vollzogenen Wechsel in den “neuen“ Studiengang eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer vermeiden können. Denn es wäre ihr auch in dem “neuen“ Studiengang möglich gewesen, das profilbildende Fachstudium in einer der beiden o. a. Vertiefungsrichtungen sofort zu beginnen. Außerdem hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Vertiefungsrichtung “Sicherheits- und Qualitätsmanagement“ einzuschlagen, sich aber im Hinblick darauf, dass diese Vertiefungsrichtung erst ab dem Wintersemester 2017/2018 von der Hochschule angeboten wurde, für das Wintersemester 2016/2017 und das Sommersemester 2017 beurlauben zu lassen.

Der Antragstellerin wäre es durchaus zumutbar gewesen, von einer dieser Möglichkeiten zur Vermeidung der Überschreitung der Förderungshöchstdauer Gebrauch zu machen.

Für die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Studiums in dem alten Studiengang mit einer der beiden Vertiefungsrichtungen “Schiffs- und Umwelttechnik“ und “Reedereimanagement und -logistik“ oder der Wahl einer dieser Vertiefungsrichtungen nach dem Wechsel in den “neuen“ Studiengang spricht nicht nur der Umstand, dass bei Beendigung des zweisemestrigen Grundstudiums durch die Antragstellerin ausschließlich diese beiden Vertiefungsrichtungen tatsächlich zur Verfügung standen, sondern auch die Tatsache, dass die Antragstellerin bei ihrer Entscheidung, das Studium an der Hochschule C. /D. im Studiengang “Schiffs- und Reedereimanagement“ aufzunehmen, davon ausgehen musste, dass nur diese beiden Vertiefungsrichtungen nach dem Grundstudium zur Verfügung stehen würden und sie eine dieser Vertiefungsrichtungen würde einschlagen müssen. Hat die Antragstellerin sich nämlich vor diesem Hintergrund für das Studium des “Schiffs- und Reedereimanagements“ entschieden, kann ihre Verweisung auf die Wahl einer dieser beiden Vertiefungsrichtungen zwecks Vermeidung einer Verzögerung des Studiums und einer dadurch bedingten Überschreitung der Förderungshöchstdauer nicht als unzumutbar angesehen werden.

Wenn die Antragstellerin aber trotz dieser Umstände nach ihrem Grundstudium keine dieser beiden Vertiefungsrichtungen einschlagen, sondern stattdessen die neue Vertiefungsrichtung “Sicherheits- und Qualitätsmanagement“ wählen wollte, wäre es ihr zuzumuten gewesen, sich nach ihrem Grundstudium beurlauben zu lassen, um eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer zu vermeiden. Denn sie wusste damals oder hätte jedenfalls wissen müssen, dass diese neue Vertiefungsrichtung im profilbildenden Fachstudium erstmals im Wintersemester 2017/2018 von der Hochschule angeboten werden würde. Daher musste der Antragstellerin auch klar sein, dass sie ihr Studium im Wintersemester 2016/2017 nur mit dem gemeinsamen Fachstudium, nicht aber zugleich auch mit dem profilbildenden Fachstudium in der gewählten Vertiefungsrichtung würde fortsetzen können und sich der Abschluss des Studiums damit um zwei Semester verzögern würde. Da die neue Prüfungsordnung - in Übereinstimmung mit der alten – bestimmt, dass sowohl in dem gemeinsamen Fachstudium als auch in dem profilbildenden Fachstudium jeweils zwölf Semesterwochenstunden im dritten und im vierten Semester zu absolvieren sind, war für die Antragstellerin überdies erkennbar, dass die Fortsetzung des Studiums im Wintersemester 2016/2017 und dem darauffolgenden Sommersemester sie lediglich mit der Hälfte der ihr zur Verfügung stehenden Arbeitskraft in Anspruch nehmen würde. Bei einer solchen Sachlage ist es aber ausbildungsrechtlich geboten und dem Auszubildenden überdies zumutbar, sich zur Vermeidung der Überschreitung der Förderungshöchstdauer beurlauben zu lassen, weil Ausbildungsförderung nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nur geleistet wird, wenn die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.6.1988 - 5 C 59/85 -, NVwZ-RR 1989, 81; BVerwG, Urt. v. 14.12.1984 - 11 C 28.93 -, NVwZ-RR 1995, 285 [BVerwG 14.12.1994 - BVerwG 11 C 28.93]; BVerwG, Beschl. v. 22.12.2003 - 5 B 51.03 -, Senatsbeschl. v. 22.4.2016 - 4 LA 373/15 -). Geschieht dies nicht, liegt kein schwerwiegender Grund für eine Überschreitung der Förderungshöchstdauer aufgrund der durch die Verzögerung des Studiums bedingten Verlängerung der Ausbildung vor. Das gilt gerade auch im vorliegenden Fall, da der Antragstellerin von vornherein klar sein musste, dass die von ihr getroffene Wahl der Vertiefungsrichtung ohne eine Beurlaubung im Wintersemester 2016/2017 und im darauffolgenden Sommersemester zu einer Verlängerung der Ausbildung um zwei Semester und damit zu einer Überschreitung der Förderungshöchstdauer um denselben Zeitraum führen würde, zugleich aber auch zur Folge haben würde, dass die Ausbildung in den zwei Semestern, in denen sie ausschließlich das gemeinsamen Fachstudium betreibt (3. und 4. Semester), und in den zwei Semestern, in denen sie ausschließlich das profilbildende Fachstudium absolviert (8. und 9. Semester), ihre Arbeitskraft im Allgemeinen nicht voll, sondern durchschnittlich nur zur Hälfte in Anspruch nehmen würde.

Schließlich lässt sich die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung auch nicht damit rechtfertigen, dass die Entscheidung der Antragstellerin, die Vertiefungsrichtung “Sicherheits- und Qualitätsmanagement“ zu wählen, ihre universitäre Ausbildung lediglich um zwei Semester verlängert hat und die Verlängerung des Studiums um einen solchen Zeitraum bei einem Fachrichtungswechsel förderungsunschädlich gewesen wäre. Denn der Fall eines Fachrichtungswechsels liegt hier nicht vor. Daher ist der Hinweis auf die Regelungen in § 7 Abs. 3 BAföG zur Ausbildungsförderung bei einem Fachrichtungswechsel nicht geeignet, einen schwerwiegenden Grund für eine Förderung über die Förderungshöchstdauer hinaus nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG zu bejahen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).