Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.07.2019, Az.: 13 LA 36/19

Ersatzzustellung an einen Häftling; Ersatzzustellung durch Übergabe eines Schriftstücks an einen ermächtigten Vertreter der Justizvollzugsanstalt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
02.07.2019
Aktenzeichen
13 LA 36/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 23842
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 17.01.2019

Fundstellen

  • DÖV 2019, 800
  • JurBüro 2019, 483-484
  • NJW 2019, 3171-3172

Amtlicher Leitsatz

Die Ersatzzustellung an einen Häftling nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt nicht voraus, dass der Postzusteller sich vergeblich darum bemüht hat, den Häftling in der JVA anzutreffen und ihm das Schriftstück persönlich zu übergeben. Auch die tatsächliche Abwesenheit des Adressaten ist nicht erforderlich. Es reicht vielmehr aus, wenn der Zusteller nicht zu ihm gelangen kann oder nicht zu ihm vorgelassen wird.

Tenor:

Die Anträge des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer (Einzelrichter) - vom 17. Januar 2019 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine gegen die Ausweisungsverfügung des Beklagten vom 3. Februar 2017 gerichtete Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.

Der vom Kläger geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem "Zwischenurteil" um ein klageabweisendes Endurteil handeln dürfte, da ein Zwischenurteil die Zulässigkeit der Klage bzw. die umstrittenen Sachentscheidungsvoraussetzungen nur positiv feststellen kann (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 109 Rn. 8).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, BVerfGE 125, 104, 140). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 8; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u.a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 124a Rn. 80 jeweils m.w.N.).

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, dass Frau D. E. keine ermächtigte Vertreterin im Sinne des § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gewesen sei, der die Ausweisungsverfügung während seiner Inhaftierung in der JVA C. ersatzweise habe zugestellt werden können. Zudem lägen die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch deshalb nicht vor, weil er im fraglichen Zeitraum sehr wohl in der JVA anzutreffen gewesen sei.

Dieses Vorbringen vermag ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht zu begründen.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, ist dem Kläger die streitgegenständliche Ausweisungsverfügung am 7. Februar 2017 durch Postzustellungsurkunde im Wege der Ersatzzustellung nach § 1 Abs. 1 NVwZG, § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch Übergabe an eine ermächtigte Vertreterin der Justizvollzugsanstalt C. zugestellt worden. Die danach am 7. März 2017 abgelaufene Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird durch die am 9. März 2017 beim Verwaltungsgericht eingegangene Klageschrift nicht gewahrt.

Die Ersatzzustellung an einen Häftling nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt entgegen der Auffassung des Klägers nicht voraus, dass der Postzusteller sich vergeblich darum bemüht hat, den Häftling in der JVA anzutreffen und ihm das Schriftstück persönlich zu übergeben. Auch die tatsächliche Abwesenheit des Adressaten ist nicht erforderlich. Es reicht vielmehr aus, wenn der Zusteller nicht zu ihm gelangen kann oder nicht zu ihm vorgelassen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.9.1961 - VIII B 59.61 -, NJW 1962, 70 f.). Der Postzusteller ist regelmäßig nicht dazu befugt, Schriftstücke unmittelbar dem Strafgefangenen zu übergeben. Der Schriftwechsel im Bereich des Strafvollzugs, der in weitem Umfang der Überwachung unterliegt (vgl. § 30 NJVollzG), ist vielmehr nach § 31 Abs. 1 NJVollzG grundsätzlich durch die Anstalt zu vermitteln (vgl. bereits Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.3.1995 - 11 M 1335/95 -, juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.6.2001 - 11 S 2290/00 -, juris Rn. 5). Aufgrund dieser gesetzlichen Regelung ist der Postzusteller aus Rechtsgründen daran gehindert, den Häftling in der JVA anzutreffen und ihm das zuzustellende Schriftstück persönlich zu übergeben. Er hat die Zustellung vielmehr unmittelbar an den Leiter der JVA oder einen dazu ermächtigten Vertreter zu bewirken. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen.

Die vom Kläger an der Ermächtigung der Frau D. E. geäußerten Zweifel greifen nicht durch. Wer die fehlerhafte Ersatzzustellung wegen des Fehlens einer ihrer Voraussetzungen behauptet, hat diesen Mangel im Hinblick auf die Beweiskraft der Zustellungsurkunde (§ 418 ZPO) zumindest substantiiert und plausibel darzulegen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 9.3.1995, a.a.O., Rn. 5; weitergehend im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl. 2019, § 178 Rn. 33; Zöller, ZPO, 32 Aufl. 2018, § 178 Rn. 29). Dem steht auch nicht die Auffassung entgegen, dass der ermächtigte Vertreter im Zweifel seine Ermächtigung gegenüber dem Zusteller nachweisen müsse (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., Rn. 25; a.A.: Zöller, a.a.O., Rn. 20). Im Verhältnis zum Adressaten gilt weiterhin die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde. Über das schlichte Bestreiten der Ermächtigung der Frau D. E. hinaus hat der Kläger auch nach Rücksprache des Beklagten mit der JVA C. und detaillierter Schilderung des Zustellvorgangs und der Ermächtigung keinerlei substantiierte Angaben gemacht. Das reicht zur Darlegung und Begründung ernstlicher Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung nicht aus.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Dem Berufungszulassungsantrag kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungszulassungsverfahren aus den §§ 154 Abs. 2 VwGO und für das Prozesskostenhilfeverfahren aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungszulassungsverfahren beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1, GKG und Nr. 8.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).