Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.01.2004, Az.: 13 Sa 1042/03
Anspruch auf Freistellung für die Teilnahme an Sprachkursen für Schwedisch nach dem Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz (NBildUG); Sprachkurs als Bildungsmaßnahme im Rahmen des Bildungsurlaubsgesetztes; Zielsetzung des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetztes
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 20.01.2004
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1042/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 10041
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2004:0120.13SA1042.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Celle - 07.05.2003 - AZ: 2 Ca 164/03
- nachfolgend
- BAG - 15.03.2005 - AZ: 9 AZR 104/04
Rechtsgrundlagen
- § 10 NBildUG
- § 1 Abs. 1 S. 1 NEBG
- Art 12 Abs. 1 S. 2 GG
- § 11 Abs. 2 NBildUG
Fundstelle
- NZA-RR 2004, 520-521 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für die Teilnahme an Sprachkursen (hier: Schwedisch II und Schwedisch III) besteht Anspruch auf Bildungsurlaub nach § 1 NBildUG.
- 2.
Die weite Fassung des Bildungsbegriffs in § 1 NBildUG verstößt nicht gegen Art. 12 GG.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2004
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
den ehrenamtlichen Richter Broska sowie
die ehrenamtliche Richterin Bohling
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 07.05.2003, 2 Ca 164/03, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.000,-- EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er nach dem Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetz (NBildUG) Anspruch auf Freistellung für die Teilnahme an zwei Sprachkursen für Schwedisch hatte.
Der Kläger ist seit 1979 als Verkäufer bei der Beklagten in C. beschäftigt. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Textileinzelhandelsunternehmen.
Unter dem 29.01.2003 beantragte der Kläger Erteilung des Bildungsurlaubes für die Jahre 2002/2003 für 2 Sprachkurse, nämlich Schwedisch II und Schwedisch III im März und Mai 2003. Die Sprachkurse waren als Bildungsveranstaltung anerkannt. Die Beklagte lehnte Freistellung ab mit der Begründung, es handele sich weder um politische Bildung noch um berufsbezogene Weiterbildung. Der Kläger besuchte die Sprachkurse, die Beklagte gewährte dafür Urlaub.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass Anspruch auf Bildungsurlaub bestanden habe.
Er hat beantragt festzustellen,
dass er einen Freistellungsanspruch gegen die Beklagte hat für die Teilnahme an dem Kurs "Schwedisch II" in der Zeit vom 03.03.2003 bis zum 07.03.2003 und auf Teilnahme an dem Kurs "Schwedisch III" in der Zeit vom 12.05.2003 bis zum 16.05.2003.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, das Niedersächsische Bildungsurlaubsgesetz müsse verfassungskonform ausgelegt werden unter Berücksichtigung von Artikel 12 GG. Bildungsurlaub dürfe nur verlangt werden, wenn er für den Arbeitgeber jedenfalls ein geringes Maß an greifbaren Vorteilen mit sich bringe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt die Beklagte vor, der Begriff der allgemeinen Bildung im Sinne des Niedersächsischen Bildungsurlaubsgesetzes sei derart weit gefasst, dass er unter Berücksichtigung von Artikel 12 GG einer Einschränkung bedürfe. Das Erlernen einer Fremdsprache sei dabei nicht aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Sprachkurse seien weder der politischen Bildung noch dem Bereich der beruflichen Bildung zuzurechnen. Schwedischkenntnisse würden vom Kläger für die Berufstätigkeit nicht benötigt. Auch wenn die Stadt auch von schwedischen Touristen besucht werde, so handele es sich bei ihrem Kaufhaus nicht um ein Geschäft, in dem Touristen kaufen. Sie unterhalte ein Textilkaufhaus im Kleinpreissektor bzw. im mittleren Segment. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 07.05.2003 (Az: 2 Ca 164/03) abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil. Ergänzend wird Bezug genommen auf die vom Kläger vorgelegten Stundenpläne für die 2 Sprachkurse, Bl. 139 und 140 d.A..
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung der Klage stattgegeben.
1.
Der Feststellungsantrag ist zulässig, insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO, obwohl die Bildungsmaßnahmen bereits abgeschlossen sind. Hat die Beklagte zu Unrecht Bildungsurlaub verweigert und deshalb zu Unrecht die Freistellung auf den Urlaubsanspruch verrechnet, hat der Kläger einen Schadensersatzanspruch auf nachträgliche Urlaubsgewährung. Damit besteht ein Feststellungsinteresse (BAG vom 24.08.1993, 9 AZR 473/90, EzA § 7 AwbG Nordrhein-Westfalen Nr. 18).
2.
Die Anerkennung der Sprachkurse als Bildungsmaßnahmen gemäß § 10 NBildUG hat keine Bindungswirkung im Arbeitsverhältnis zur Folge. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (z.B.: Urteil vom 24.08.1993, 9 AZR 473/90, a.a.O.) ist vielmehr von den Arbeitsgerichten zu prüfen, ob die Veranstaltungen den Voraussetzungen des Bildungsurlaubsgesetzes entsprechen.
3.
Die besuchten Sprachkurse Schwedisch II und Schwedisch III erfüllen die Voraussetzungen des NBildUG. Nach § 1 NBildUG dient Bildungsurlaub der Erwachsenenbildung im Sinne des Niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetzes (NEBG). Die Erwachsenenbildung umfasst nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NEBG die allgemeine, politische, kulturelle und berufliche Bildung. Im Gegensatz zu anderen Bildungsurlaubsgesetzen (z.B. Nordrhein-Westfalen, Hessen) ist in Niedersachsen Bildungsurlaub nicht beschränkt auf berufliche und politische Bildung, sondern erfasst mit allgemeiner Bildung das gesamte Spektrum der Erwachsenenbildung. Einschränkungen ergeben sich nur aus dem Negativkatalog des § 11 Abs. 2 NBildUG. Nicht anerkannt werden dürfen danach z.B. Veranstaltungen, die der Erholung, Unterhaltung, der privaten Haushaltsführung oder der sportlichen Betätigung dienen oder die als Studienreisen durchgeführt werden.
Sprachkurse sind Teil der allgemeinen Erwachsenenbildung. Werden sie - wie hier - in Seminarform durchgeführt, nicht in Verbindung mit Studienreisen (§ 11 Abs. 2 Nr. 7 NBildUG), handelt es sich deshalb um Veranstaltungen, für die nach §§ 1, 2 NBildUG Bildungsurlaub zu gewähren ist. Die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch wie rechtzeitige Geltendmachung, Bestehen des Anspruchs der Höhe nach und Anerkennung nach § 10 NBildUG sind unstreitig erfüllt. Damit ist der geltend gemachte Feststellungsantrag begründet.
4.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Verpflichtung zur Bildungsurlaubsgewährung für allgemeine Erwachsenenbildung verstoße gegen Artikel 12 GG, im Wege der verfassungskonformen Auslegung sei Bildungsurlaub zu beschränken auf Veranstaltungen zur politischen und beruflichen Bildung.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 15.12.1987, 1 BvR 563/85 u.a., E 77, 308) hat zum hessischen und nordrhein-westfälischen Bildungsurlaubsgesetz entschieden, dass sie mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Beide Gesetze gewähren Bildungsurlaub für politische und berufliche Weiterbildung. Nicht entschieden ist Ausdehnung des Bildungsurlaubs auf den Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung. Die Sprachkurse, die der Kläger absolviert hat, sind weder als politische noch als berufliche Bildung zu bewerten (4.1.). Deshalb war zu entscheiden, ob die Verpflichtung zur Bildungsurlaubsgewährung für allgemeine Erwachsenenbildung mit Artikel 12 GG vereinbar ist (4.2.). Nach Auffassung der Kammer ist das NBildUG verfassungsgemäß.
4.1.
Die Sprachkurse vermittelten keine politische Bildung.
Für die Anerkennung als politische Weiterbildung ist erforderlich, dass nach dem didaktischen Konzept sowie der zeitlichen und sachlichen Ausrichtung der einzelnen Lerninhalte das Erreichen der politischen Weiterbildung ermöglicht wird, nämlich das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern und die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern. Der Zweck von Sprachkursen ist dagegen gerichtet auf Vermittlung und Vertiefung von Sprachkenntnissen. Landeskundliche, auf Politik bezogene Themen sind dabei regelmäßig nur ein Übungsfeld zur Vermittlung der Sprachkenntnisse (BAG vom 24.08.1993, 9 AZR 473/90, a.a.O.; BAG vom 17.11.1998, 9 AZR 503/97, EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen Nr. 29).
Schwerpunkte der Sprachkurse, die der Kläger absolviert hat, waren entsprechend den vorgelegten Stundenplänen Textanalyse und Wortschatzarbeit, kommunikative Übungen, Grammatik. Landeskunde war nur ein kleiner Teil des Kursprogramms. Die Sprachkurse dienten damit unmittelbar und zeitlich überwiegend der Vermittlung von Sprachkenntnissen. Dass das Erlernen einer europäischen Sprache sinnvoll ist, Verständnis für andere Gesellschaften fördert und einem Zusammenwachsen im Rahmen der Europäischen Union dient, ist nicht zu bestreiten. Damit wird der Sprachkurs aber nicht zu einer politischen Bildungsveranstaltung.
Die Sprachkurse dienten nicht der beruflichen Bildung.
Der beruflichen Weiterbildung dienen Veranstaltungen, die Kenntnisse für den ausgeübten Beruf vermitteln, oder die Kenntnisse vermitteln, die im erlernten oder ausgeübten Beruf verwendet werden können (BAG vom 15.06.1993, 9 AZR 261/90, EzA § 7 AWbG Nordrhein-Westfalen Nr. 48; BAG vom 18.05.1999, 9 AZR 381/98, EzA § 1 BiUrlG HA Nr. 2).
Der Kläger ist Verkäufer im Textileinzelhandel, Schwedischkenntnisse gehören nicht zum Berufsbild und sind für die Tätigkeit nicht erforderlich. Es handelt sich auch nicht um Kenntnisse, die in nennenswertem und zu berücksichtigendem Umfang im Beruf verwendet werden können. Zwar wird die Stadt C. von vielen Touristen aufgesucht, u.a. aus Skandinavien. Die Beklagte unterhält aber kein Geschäft, das typischerweise Touristen als Kunden anzieht. Die Beklagte betreibt vielmehr ein Textilkaufhaus mit Angeboten im Kleinpreissektor und im mittleren Preissegment. Zielgruppe dieses Angebots ist die örtliche Wohnbevölkerung. Verkaufsgespräche mit schwedischen Kunden sind deshalb eher eine Randerscheinung. Insoweit hat auch der darlegungspflichtige Kläger seine allgemeine Behauptung auch schwedische Kunden würden das Geschäft der Beklagten aufsuchen, nicht näher präzisiert. Er hat nicht einmal angegeben, ob und in wie vielen Fällen er Verkäufe an diesen Kundenkreis getätigt hat. Eine nennenswerte Verwertbarkeit der schwedischen Sprachkenntnisse für die Berufsausübung ist nicht ersichtlich, es handelt sich nicht um eine Maßnahme der beruflichen Bildung.
4.2.
Die Ausdehnung der Bildungsmaßnahme auf dem Bereich der allgemeinen Bildung nach §§ 1 NBildUG, 1 NEBG verstößt nicht gegen Artikel 12 GG.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 15.12.1987, a.a.O.) hat entschieden, dass gesetzliche Regellungen zur Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 GG statthaft sind, wenn sie durch hinreichende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung die Grenzen der Zumutbarkeit noch gewahrt werden. Bei der Festlegung der arbeits- oder sozialpolitischen Ziele habe der Gesetzgeber eine weite Gestaltungsfreiheit. Dabei liege es im Interesse des Gemeinwohls, die Bildungsbereitschaft der Arbeitnehmer zu verbessern. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung von Bildungsurlaub für politische Bildung und berufliche Bildung als verfassungsgemäß bewertet.
Nach diesen Grundsätzen verstößt das NBildUG nicht gegen Artikel 12 GG. Ziel des NBildUG ist generell die Förderung der allgemeinen Erwachsenenbildung ohne Beschränkung auf politische und berufliche Bildung. Weil nicht nur die Berufswelt und die politischen Verhältnisse, sondern auch die übrigen gesellschaftlichen Bereiche ständigem Wandel unterliegen, dient eine breite Wissensvermittlung und Weiterbildung der Arbeitnehmer dem Allgemeinwohl. Artikel 12 GG verlangt keine Beschränkung des Bildungsurlaubs auf berufliche, für den Arbeitgeber nützliche Weiterbildung. Auch politische Bildung, die nicht im Interesse des Arbeitgebers, sondern im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegt, ist als Bildungsurlaubszweck anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht formuliert: "Es liegt daher im Gemeinwohl, neben dem erforderlichen Sachwissen für die Berufsausübung auch das Verständnis der Arbeitnehmer für gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu verbessern, um damit die in einem demokratischen Gemeinwesen anzustrebende Mitsprache und Mitverantwortung in Staat, Gesellschaft und Beruf zu fördern." Gerade diese Aussage rechtfertigt die Annahme, dass die allgemeine Förderung der Erwachsenenbildung zum Ziel gesetzgeberischer Maßnahmen gemacht werden kann. Jedenfalls hat der Gesetzgeber einen entsprechend weiten Gestaltungsspielraum.
Der niedersächsische Gesetzgeber hat auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Durch den Negativkatalog des § 11 Abs. 2 NBildUG sind eine Vielzahl von Bildungsveranstaltungen nicht anzuerkennen, z.B. im sportlichen, künstlerischen und kunsthandwerklichen Bereich, Unterhaltungsveranstaltungen, Studienreisen. Der Negativkatalog führt zur Einschränkung des allgemeinen Bildungsbegriffs und schließt insbesondere auch Veranstaltungen mit Freizeitwert aus. Die Wertung des Gesetzgebers, Bildungsurlaub sei zur Förderung der Erwachsenenbildung geeignet und erforderlich, ist nicht zu beanstanden. Zwar bestehen durch Arbeitszeitverkürzung und Anspruch auf Urlaub Freiräume für Weiterbildung. Für vertieftes Lernen sind aber mehrtägige Kurse, wie sie das Bildungsurlaubsgesetz ermöglichen soll, sinnvoll und als Anreiz zur Weiterbildung geeignet. Eine unzumutbare Kostenbelastung für die Arbeitgeber ist nicht ersichtlich. Der Bildungsurlaubsanspruch ist zeitlich begrenzt auf 5 Tage pro Jahr. Die tatsächliche Inanspruchnahme des Bildungsurlaubs durch Arbeitnehmer hat nicht zu einer erheblichen Kostenbelastung geführt.
Insgesamt bewertet kann ein Verstoß des NBildUG gegen Artikel 12 GG nicht festgestellt werden. Die Berufung war mit Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Die Wertfestsetzung erfolgt gemäß § 3 ZPO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.000,-- EUR festgesetzt.