Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.04.2004, Az.: 9 Sa 2140/03
Vergütung für die Ableistung von Arbeitsbereitschaft; Aussagen der EG-Richtlinie 93/104 über die Bezahlung von Arbeitszeit; Zulässigkeit einer tarifvertraglichen Vereinbarung zur Zahlung einer geringeren Vergütung als für Vollarbeit für geringere Belastungen der Arbeit während der Arbeitsbereitschaft
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 20.04.2004
- Aktenzeichen
- 9 Sa 2140/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 19050
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2004:0420.9SA2140.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden 12.11.2003 - AZ: 1 Ca 286/02
- nachfolgend
- BAG - 21.04.2005 - AZ: 6 AZR 287/04
Rechtsgrundlagen
- Artikel 6 Nr. 2 EG-Richtlinie 93/104
- § 15 Abs. 2 BAT
Fundstelle
- EzA-SD 17/2004, 6
Amtlicher Leitsatz
- 1)
Die EG-Richtlinie 93/104 sagt nichts darüber aus, wie Arbeitszeit zu bezahlen ist.
- 2)
Ebenso wie im Falle des Bereitschaftsdienstes dürfen die TV-Parteien auch die geringeren Belastungen der Arbeit, in die Arbeitsbereitschaft hineinfällt, dazu veranlassen, diese Arbeit geringer zu vergüten als "Vollarbeit".
In dem Rechtsstreit
hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2004
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking,
den ehrenamtlichen Richter Strautmann und
die ehrenamtliche Richterin Rehfeld
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Emden vom 12.11.03 - 1 Ca 286/02 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Wert: unverändert.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die für die Ableistung von Arbeitsbereitschaft zu entrichtende Vergütung.
Der Kläger wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1992 beim beklagten Landkreis zum Rettungsassistenten ausgebildet. Mit Wirkung ab 1. Juli 1992 wurde er als Rettungsassistent in ein unbefristetes Angestelltenverhältnis übernommen. Der Kläger wird nach der Vergütungsgruppe VIb Stufe 6 BAT vergütet. Gemäß vertraglicher Vereinbarung richtet sich das Arbeitsverhältnis nach en Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der beklagte Landkreis hat die vom Kläger zu erbringende regelmäßige Arbeitszeit mit Schreiben vom 11. Dezember 1996 mit Wirkung vom 1. Juli 1997 gemäß § 15 Abs. 2 BAT auf durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich festgesetzt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, diese arbeitgeberseitige Arbeitszeitgestaltung widerspreche dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, an das sich der Beklagte als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu halten habe. Mit der Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit auf 54 Stunden gemäß § 15 Abs. 2 BAT verstoße er gegen die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993.
Der Kläger hat beantragt,
den beklagten Landkreis zu verurteilen, an ihn 13.700,14 EUR nebst den gesetzlichen Zinsen seit dem Tage der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12. November 2003 die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 13.700,14 EUR festgesetzt. Zur Begründung der Klageabweisung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Aus der Bewertung der gesamten Tätigkeit des Angestellten während des gemäß § 15 Abs. 2 BAT verlängerten Dienstes als Arbeitszeit folge nicht, dass dieser mit der Überstundenvergütung zu entgelten wäre. Die EG-Richtlinie 93/104 sage nichts darüber, wie Arbeitszeit zu bezahlen sei. Die Tarifvertragsparteien legten vielmehr selbstständig den Maßstab fest, aus dem sich ergebe, für welche Tätigkeit welche Vergütung geschuldet sei. Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu der Abweisung der Klage haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 122 bis 127 d. A.) Bezug genommen.
Gegen dieses ihm am 3. Dezember 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Dezember 2003 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt, die er mit einem am 3. Februar 2004 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Mit der Berufung will der Kläger weiterhin erreichen, dass seine über 38,5 Wochenstunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden (einschließlich Arbeitsbereitschaftsstunden) zusätzlich bezahlt werden. Er beschränkt seinen Anspruch auf den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2001. Der Kläger meint, auch wenn er während der verlängerten Dienstzeit keine "Vollarbeit" leiste, sei die Anwesenheit als solche, die er dem Arbeitgeber über die vertragliche Arbeitszeit hinaus schulde, zu vergüten. Die bisherige Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst (in welche Ausgestaltung auch immer) sei nicht mehr möglich, § 15 Abs. 2 BAT damit hinfällig, die bisherige Regelung sei mit der Arbeitszeitrichtlinie nicht in Einklang zu bringen. Das Risiko der Europarechtsverletzung könne nicht der Kläger tragen.
Der Kläger beantragt daher,
das Urteil des Arbeitsgerichts Emden abzuändern und den beklagten Landkreis zu verurteilen, an den Kläger 13.700,14 EUR nebst der gesetzlichen Zinsen seit dem Tage der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er sieht für das klägerische Begehren keine Anspruchsgrundlage.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet, weil die Zahlungsklage unbegründet ist. Der Beklagte hält dem Kläger zu Recht entgegen, dass es für sein Begehren keine Anspruchsgrundlage gibt.
I.
Zunächst ist klarzustellen, dass die Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 15 Abs. 2 BAT im Ausmaß bis zu 48 Wochenstunden mit der EG-Richtlinie 93/104 nicht kollidiert und durch die vertragliche Inbezugnahme des BAT sich im Rahmen der beiderseitigen Rechte und Pflichten hält.
II.
In Bezug auf die vom Arbeitsgericht zu Recht angenommene fehlende Verpflichtung des Klägers, mehr als 48 Stunden wöchentlich einschließlich Arbeitsbereitschaft zu leisten, folgt das Berufungsgericht den zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts, wonach die EG-Richtlinie 93/104 nichts darüber sagt, wie Arbeitszeit zu bezahlen ist. Das Arbeitsgericht befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches in Fällen, in denen die nach Artikel 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG gebotene zeitliche Beschränkung in Folge der Anordnung von Bereitschaftsdienst überschritten war, eine gesonderte Vergütungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers verneint hat (BAG v. 05.06.2003 - 6 AZR 114/02, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Bereitschaftsdienst; v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 (bisher nur als Presseerklärung und im Leitsatz als Vorab-Dokumentation in Juris vorliegend)). So wie im Falle des Bereitschaftsdienstes dürfen die Tarifvertragspartner auch die geringeren Belastungen der Arbeit, in die Arbeitsbereitschaft hineinfällt, dazu veranlassen, diese Arbeit geringer zu vergüten als "Vollarbeit". Das Arbeitsgericht hat zu Recht herausgearbeitet, dass die Richtlinie 93/104/EG in die tarifvertragliche Wertung von geschuldeter Arbeitsleistung zu geschuldeter Vergütung nicht eingreifen will, sondern dass es Sache der Tarifvertragsparteien bleibt, für eine Ausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung zu sorgen. Dabei dürfen die Tarifvertragsparteien weiterhin bei der Gewichtung einen Unterschied machen, je nachdem, ob während der abzuleistenden Arbeitszeit nur "Vollarbeit" geleistet wird oder ob in einem bestimmten Umfang in die Arbeitszeit "Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung" fallen.
Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung fußt auf § 97 Abs. 1 ZPO (die irrtümlich eingelegte und dann zurückgenommene Berufung des Beklagten hat kostenrechtlich keine Konsequenzen).
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Wert: unverändert.