Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.04.2004, Az.: 9 Sa 2142/03

Verlängerung der Arbeitszeit im Ausmaß bis zu 48 Wochenstunden ; Aussagen der EG-Richtlinie 93/104 zur Bezahlung von Arbeit; Zulässigkeit einer tariflich vereinbarten geringeren Vergütung von geringeren Belastungen der Arbeit in der Arbeitsbereitschaft als Vollarbeit

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.04.2004
Aktenzeichen
9 Sa 2142/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 19051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2004:0420.9SA2142.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 12.11.2003 - AZ: 1 Ca 441/03
nachfolgend
BAG - 21.04.2005 - AZ: 6 AZR 291/04

In dem Rechtsstreit
hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2004
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking,
den ehrenamtlichen Richter Strautmann und
die ehrenamtliche Richterin Rehfeld
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des ArbG Emden vom 12.11.03 - 1 Ca 441/03 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten der Berufung hat der Beklagte 12 %, der Kläger 88 % zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Wert: 31.031,00 EUR.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die für die Ableistung von Arbeitsbereitschaft zu entrichtende Vergütung.

2

Der Kläger ist seit 1990 als Rettungssanitäter und sodann als Rettungsassistent mit einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.900,00 EUR bei dem beklagten Landkreis tätig. Gemäß vertraglicher Vereinbarung richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den jeweiligen Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 in der für die kommunalen Arbeitgeber jeweils geltenden Fassung und den einschlägigen Sonderregelungen zum BAT. Der beklagte Landkreis hat die vom Kläger zu erbringende regelmäßige Arbeitszeit zuletzt, nämlich mit Schreiben vom 11. Dezember 1996, mit Wirkung vom 1. Januar 1997 gemäß § 15 Abs. 2 BAT auf durchschnittlich 54 Stunden wöchentlich verlängert.

3

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, diese arbeitgeberseitige Arbeitszeitgestaltung widerspreche dem Europäischen Gemeinschaftsrecht, an das sich der Beklagte als öffentlich-rechtliche Körperschaft zu halten habe. Mit der Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit auf 54 Stunden gemäß § 15 Abs. 2 BAT verstoße er gegen die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993.

4

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, im Durchschnitt des Bezugszeitraums bis zu 4 Monaten mehr als 48 Stunden einschließlich Arbeitsbereitschaft innerhalb eines Siebentageszeitraums zu arbeiten, wobei Zeiten des bezahlten Jahresurlaubs sowie Krankheitszeiten bei der Berechnung des Durchschnitts unberücksichtigt bleiben;

  2. 2.

    festzustellen, dass die von ihm seit dem 1. Januar 1996 geleisteten Bereitschaftsstunden, die über die vertragliche Arbeitszeit hinausgehen, als Arbeitszeit anzuerkennen und entsprechend den Überstundenvergütungsregelungen zu vergüten sind.

5

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 12. November 2003 der Feststellungsklage im Klageantrag zu 1. entsprochen, im Übrigen die Klage abgewiesen; die Kosten des Rechtsstreits hat es zu 80 % dem Kläger, zu 20 % dem Beklagten auferlegt; den Streitwert hat es auf 50.000,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung der Klageabweisung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Aus der Bewertung der gesamten Tätigkeit des Angestellten während des gemäß § 15 Abs. 2 BAT verlängerten Dienstes als Arbeitszeit folge nicht, dass dieser mit der Überstundenvergütung zu entgelten wäre. Die EG-Richtlinie 93/104 sage nichts darüber, wie Arbeitszeit zu bezahlen sei. Die Tarifvertragsparteien legten vielmehr selbstständig den Maßstab fest, aus dem sich ergebe, für welche Tätigkeit welche Vergütung geschuldet sei. Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu der Abweisung der Klage haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 26 bis 30 d. A.) Bezug genommen.

7

Gegen dieses ihm am 2. Dezember 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Dezember 2003 beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt, die er mit einem am 2. März 2004 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 2. März 2004 verlängert worden war. Der Beklagte hat seine gegen das Urteil eingelegte Berufung zurückgenommen.

8

Mit der Berufung will der Kläger weiterhin erreichen, dass seine über 38,5 Wochenstunden hinaus geleisteten Arbeitsstunden (einschließlich Arbeitsbereitschaftsstunden) zusätzlich bezahlt werden. Er stellt sein Feststellungsbegehren in ein Zahlungsbegehren um und beschränkt den Zahlungsanspruch auf die Zeit vom 1. Juli 2000 bis zum 31. Dezember 2003. Wegen der Berechnung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 20. April 2004 (Bl. 85 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger meint, auch wenn er während der verlängerten Dienstzeit keine "Vollarbeit" leiste, sei die Anwesenheit als solche, die er dem Arbeitgeber über die vertragliche Arbeitszeit hinaus schulde, zu vergüten. Die bisherige Unterscheidung zwischen Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst (in welche Ausgestaltung auch immer) sei nicht mehr möglich, § 15 Abs. 2 BAT damit hinfällig, die bisherige Regelung sei mit der Arbeitszeitrichtlinie nicht in Einklang zu bringen. Das Risiko der Europarechtsverletzung könne nicht der Kläger tragen.

9

Der Kläger beantragt daher,

das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 12.11.2003 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 31.031,00 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.04.2004 zu zahlen.

10

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Er sieht für das klägerische Begehren keine Anspruchsgrundlage.

Entscheidungsgründe

12

Die Berufung ist nicht begründet, weil die Zahlungsklage unbegründet ist. Der Beklagte hält dem Kläger zu Recht entgegen, dass es für sein Begehren keine Anspruchsgrundlage gibt.

13

I.

Zunächst ist klarzustellen, dass die Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 15 Abs. 2 BAT im Ausmaß bis zu 48 Wochenstunden mit der EG-Richtlinie 93/104 nicht kollidiert und durch die vertragliche Inbezugnahme des BAT sich im Rahmen der beiderseitigen Rechte und Pflichten hält.

14

II.

In Bezug auf die vom Arbeitsgericht zu Recht angenommene fehlende Verpflichtung des Klägers, mehr als 48 Stunden wöchentlich einschließlich Arbeitsbereitschaft zu leisten, folgt das Berufungsgericht den zutreffenden Erwägungen des Arbeitsgerichts, wonach die EG-Richtlinie 93/104 nichts darüber sagt, wie Arbeitszeit zu bezahlen ist. Das Arbeitsgericht befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welches in Fällen, in denen die nach Artikel 6 Nr. 2 der Richtlinie 93/104/EG gebotene zeitliche Beschränkung in Folge der Anordnung von Bereitschaftsdienst überschritten war, eine gesonderte Vergütungspflicht des öffentlichen Arbeitgebers verneint hat (BAG v. 05.06.2003 - 6 AZR 114/02, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Bereitschaftsdienst; v. 28.01.2004 - 5 AZR 530/02 (bisher nur als Presseerklärung und im Leitsatz als Vorab-Dokumentation in Juris vorliegend)). So wie im Falle des Bereitschaftsdienstes dürfen die Tarifvertragspartner auch die geringeren Belastungen der Arbeit, in die Arbeitsbereitschaft hineinfällt, dazu veranlassen, diese Arbeit geringer zu vergüten als "Vollarbeit". Das Arbeitsgericht hat zu Recht herausgearbeitet, dass die Richtlinie 93/104/EG in die tarifvertragliche Wertung von geschuldeter Arbeitsleistung zu geschuldeter Vergütung nicht eingreifen will, sondern dass es Sache der Tarifvertragsparteien bleibt, für eine Ausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung zu sorgen. Dabei dürfen die Tarifvertragsparteien weiterhin bei der Gewichtung einen Unterschied machen, je nachdem, ob während der abzuleistenden Arbeitszeit nur "Vollarbeit" geleistet wird oder ob in einem bestimmten Umfang in die Arbeitszeit "Zeiten wacher Achtsamkeit im Zustand der Entspannung" fallen.

15

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO entsprechend, da auch über die Kosten der zurückgenommenen Berufung des Beklagten, die dieser nach § 516 Abs. 3 ZPO zu tragen hat, im Endurteil zu entscheiden ist.

16

Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Wert: 31.031,00 EUR.