Sozialgericht Stade
Urt. v. 27.08.2008, Az.: S 9 R 348/05 WA
Rente wegen Berufsunfähigkeit wird nur bei Nichtüberschreitung der Hinzuverdienstgrenzen voll geleistet; Volle Leistung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nur bei Nichtüberschreitung der Hinzuverdienstgrenzen
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 27.08.2008
- Aktenzeichen
- S 9 R 348/05 WA
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 39137
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:0827.S9R348.05WA.0A
Rechtsgrundlagen
- § 45 Abs. 1 SGB X
- § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X
- § 96a SGB VI
- § 313 SGB VI
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Neuberechnung seiner Rente wegen Berufsunfähigkeit unter Beachtung der nach seiner Auffassung neu zu bestimmenden Hinzuverdienstgrenzen.
Der Kläger, geboren im Jahre 1943, ist gelernter Kupferschmied. Bis zum 26. Februar 2002 hatte er einen eigenen Gewerbebetrieb angemeldet und war zugleich als Schlossermeister abhängig beschäftigt. Auf Grundlage eines Bescheids der Beklagten vom 9. März 1998 bezog der Kläger seit 27. März 1997 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Vorangegangen war ein Antrag auf eine Leistung zur Rehabilitation vom 3. März 1997, der von der Beklagten als Antrag auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit umgedeutet wurde. Am 18. Dezember 1997 reichte der Kläger nach Aufforderung durch die Beklagte noch einen förmlichen Rentenantrag zum umgedeuteten Antrag vom März 1997 nach. Im Formantrag kreuzte der Kläger unter Punkt 10.3 auf die Frage "Stehen Sie in einem Beschäftigungsverhältnis oder sind Sie selbständig tätig?" an: "Ja" und ergänzte handschriftlich, dass eine Beendigung der Beschäftigung bzw. der Tätigkeit bei Rentenbewilligung beabsichtigt sei. Im Bescheid vom 9. März 1998, mit dem dem Kläger die Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 27. März 1997 bewilligt wurde, sind auf Seite 4 eine Reihe von Mitteilungspflichten aufgeführt, darunter gleich zu Beginn der Hinweis, dass die Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht oder in nur verminderter Höhe geleistet würde, sofern die für diese Rente maßgebende Hinzuverdienstgrenze überschritten würde. Die Hinzuverdienstgrenze wurde konkret beziffert. Im Übrigen wurde auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen, der Beklagten jede Aufnahme oder Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit unverzüglich mitzuteilen.
Im März 2002 erhielt die Beklagte von dritter Seite einen Hinweis darauf, dass der Kläger seit 1993 durchgehend erwerbstätig sei. Die Beklagte nahm Ermittlungen auf und zog neben einer Auskunft des Gewerberegisters auch die Einkommenssteuerbescheide des Klägers für die Jahre 1998 bis 2002 herbei. Auf Grundlage der neuen Erkenntnisse zum Einkommen berechnete die Beklagte daraufhin die Rente unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen gemäߧ§ 313, 96 a SGB VI neu und stellte eine erhebliche Überzahlung seit 1997 fest. Nach Anhörung des Klägers durch Schreiben vom 21. Juni 2002 nahm die Beklagte mit Bescheid vom 27. September 2002 den Rentenbewilligungsbescheid vom 9. März 1998 und Folgebescheide auf Grundlage des § 45 SGB X teilweise zurück und machte eine Erstattungsforderung gegen den Kläger in Höhe von 31.386,92 EUR geltend. Überzahlungen waren demnach in den Jahren 1997 bis 2000 eingetreten. Seit 2001 wurden die Hinzuverdienstgrenzen nicht mehr überschritten. Am 16. Oktober 2002, 9. Januar 2003 und am 3. Februar 2004 ergingen Änderungsbescheide, die durch Neuberechnungen und Verrechnungen mit Ansprüchen des Klägers zu einer Reduzierung der Erstattungsforderung auf zuletzt 11.288,48 EUR führten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2004 wies die Beklagte schließlich den gegen den Bescheid vom 27. September 2002 eingelegten Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Am 29. April 2004 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, der Rückforderungsanspruch der Beklagten sei verjährt. Außerdem habe die Beklagte bei der Ermittlung seines monatlichen Einkommens das Jahreseinkommen durch 14 Monate und nicht durch 12 zu teilen, da eine zweimalige Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen ohne nachteilige Auswirkungen möglich sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2002 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 16. Oktober 2002, 9. Januar 2003 und 3. Februar 2004 und den Aufhebungsbescheid vom 25. August 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. April 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger vom 27. März 1997 bis zum 31. Dezember 2000 eine ungekürzte Berufsunfähigkeitsrente unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 27. August 2008 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die Berechnungen der Beklagten über die Höhe der vom Kläger bezogenen Berufsunfähigkeitsrente in den Jahren 1997 bis Ende 2000 unter Berücksichtigung der Hinzuverdienstgrenzen und die sich darauf ergebende Erstattungsforderung erweisen sich als rechtmäßig. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten beschweren den Kläger daher nicht, § 54 Abs. 2 SGG. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei der Berechnung des zu berücksichtigenden monatlichen Einkommens zur Bestimmung der Einhaltung der Hinzuverdienstgrenzen einen Einkommensdurchschnitt durch Verteilung des bekannten Jahreseinkommens auf 12 und nicht auf 14 Monate gebildet hat.
1.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme des Rentenbescheids vom 9. März 1998 gemäß § 45 SGB X waren erfüllt.
Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtwidrig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder - gemäß Nr. 3 - er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
a.)
Der Rentenbescheid vom 9. März 1998 war von Anfang an rechtswidrig, weil die bewilligte Rentenhöhe aufgrund der Nichtberücksichtigung des laufend bezogenen Einkommens des Klägers und der sich daraus von Gesetzes wegen ergebenden Minderung des Rentenanspruchs gemäß §§ 313, 96a SGB VI von Anfang an zu hoch festgesetzt wurde. Tatsächlich besaß der Kläger aufgrund seines laufend bezogenen Einkommens von Anfang an im Zeitraum 1997 bis 2000 einen geringeren Rentenanspruch.
Denn gemäß §§ 313 Abs. 1, 96 a SGB VI wird eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nur geleistet, wenn die Hinzuverdienstgrenzen gemäß § 313 Abs. 3 SGB VI nicht überschritten wird. Gemäß § 96 a Abs. 1 Satz 2 SGB VI wird die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder das Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Abs. 2 genannten Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einem Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 2 im Laufe eines Kalenderjahres außer Betracht bleibt.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist in den Fällen, in denen das relevante Einkommen nicht monatlich bestimmbar ist, sondern nur ein Jahreseinkommen bekannt ist, das monatliche Einkommen dadurch zu ermitteln, dass das Jahreseinkommen durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde, geteilt wird (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Mai 2005 - B 13 RJ 8/04 R -). Nach den Feststellungen des Bundessozialgerichts ist auf dieser Grundlage die Umsetzung der zweimaligen Überschreitungsmöglichkeit gemäß § 96 a Abs. 1 Satz 2 SGB VI bei der Anrechnung eines auf Jahrsbasis ermittelten Arbeitseinkommens nicht nur schwierig, sondern schlicht unmöglich. Die auch Selbständigen grundsätzlich eingeräumte Möglichkeit des zweimaligen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn der Selbständige seine Einkünfte Monat für Monat nachweist (BSG, a.a.O., Rn 32). Auch wenn Selbständige und andere Bezieher von nur jahresweise bestimmbarem Einkommen dadurch die positiven Wirkungen der Überschreitungsregelung in § 96 a Abs. 1 SGB VI nicht wahrnehmen können, ist darin nach Auffassung des Bundessozialgerichts kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG zu sehen (vgl BSG a.a.O., Rn 34; ebenso BSG, Urteil vom 6. Februar 2007 - B 8 KN 3/06 R -).
Nach diesen Maßgaben sind die Neuberechnungen der Beklagten im Jahre 2002 bezüglich der zustehenden Rentenhöhe ab Bewilligung nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat bei ihren Berechnungen jeweils das Jahreseinkommen zu Grunde gelegt, das sich aus den vorliegenden Einkommenssteuerbescheiden der betroffenen Jahre ergibt. Es ist nicht erkennbar, dass von falschen Zahlen ausgegangen wurde. Der Vortrag des Klägers, die Beklagte sei von zu hohem Einkommen ausgegangen, ließ sich nicht bestätigen. Die Beklagte hat auch in zutreffender Weise vom Jahreseinkommen jeweils ein durchschnittliches monatliches Einkommen errechnet, in dem sie das Jahreseinkommen durch die Zahl der Kalendermonate, in denen das Einkommen erzielt wurde, geteilt hat, d.h. durch 12. Es ist dem Kläger nicht gelungen, entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichts und den Gesetzesvorschriften überzeugende Nachweise für die Höhe des jeweils in den einzelnen Monaten bezogenen Einkommens zu erbringen. Zwar hätte ein Nachweis des konkreten monatlichen Einkommens zu einer Neuberechnung unter Anwendung der Begünstigungsregel des § 96a Abs. 1 Satz 2 SGB VI führen können. Aus den eingereichten Unterlagen ließen sich jedoch keine sicheren Angaben entnehmen. Es war nicht auf überzeugende Weise festzustellen, welche konkrete Einkommen der Kläger in konkreten Kalendermonaten bezogen hatte. Ohne die konkrete Aufschlüsselung des Jahreseinkommens auf die einzelnen Monate des jeweiligen Kalenderjahres musste es im Ergebnis unter Verweis auf die dargestellte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beim Ansatz des durchschnittlichen Monatseinkommens, ausgehend vom bekannten Jahreseinkommen, verbleiben.
b.)
Der Kläger kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des ursprünglichen Rentenbescheids vom 9. März 1998 berufen. Das Gericht sieht des Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X als erfüllt an, denn der Kläger hat in mindestens grob fahrlässiger Weise im Rentenantrag in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht. Denn entgegen der Angaben und Ankündigungen im Rentenformantrag hat er seine berufliche Tätigkeit nicht mit Rentenbewilligung eingestellt, sondern noch weitere Jahre Einkommen in nicht unerheblicher Höhe bezogen. Der Rentenbescheid beruhte auf diesen Angaben, denn andernfalls hätte die Beklagte Anhaltspunkte gehabt, Ermittlungen hinsichtlich des weiterhin bezogenen Einkommens anzustellen, um die Einhaltung der Hinzuverdienstgrenzen zu prüfen. Durch die unrichtige Angabe des Klägers über die Beendigung seiner Tätigkeiten war dies entfallen. Für ein Vertrauen des Klägers in den Bestand des Rentenbescheids in kein Anknüpfungspunkt erkennbar, da er sich selbst mit seinem Verhalten zu seinen eigenen Angaben in Widerspruch gesetzt hat. Hinzu kommt, dass im Rentenbescheid auf Seite 4 im Rahmen der Mitteilungspflichten ausdrücklich auf die Hinzuverdienstgrenzen hingewiesen wurde und für den Kläger ersichtlich ein Zusammenhang zwischen Einkommen und der Rentenhöhe hergestellt wurde. Da der Kläger fortlaufend Einkommen erzielte, ohne dies trotz der Belehrung über die Mitwirkungspflichten der Beklagten mitzuteilen, und er zugleich wusste, dass Hinzuverdienstgrenzen bestehen, sieht das Gericht letztlich auch den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X als erfüllt an. Der Kläger hätte erkennen können und müssen, dass der Bescheid so nicht stimmen kann, weil die Beklagte aufgrund seiner Angaben nicht davon ausging, dass noch Einkommen bezogen wurde.
c.)
Die Fristen des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X und des § 45 Abs. 3 Satz 1 und 3 sind eingehalten. Wegen § 45 Abs. 3 Satz 4 SGB X i.V.m. Satz 3 Nr. 1 ist von einer Frist von mehr als zehn Jahren auszugehen. Diese ist eingehalten.
2.
Die geltend gemachte Erstattungsforderung ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 SGB X sind nach der rechtmäßigen teilweisen Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids vom 9. März 1998 erfüllt.
Verjährung ist nicht eingetreten. Gemäß § 50 Abs. 4 SGB X verjähren Erstattungsforderungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt, mit dem die Erstattungsforderung festgesetzt wurde, unanfechtbar geworden ist. Die Rückforderung ist aufgrund des Widerspruchsverfahrens und des sich anschließenden Klageverfahrens bis zum Ablauf der Berufungsfrist nicht bestandskräftig, so dass die Verjährungsfrist bisher noch nicht einsetzen konnte.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.