Sozialgericht Stade
Urt. v. 22.04.2008, Az.: S 28 AS 64/08
Berücksichtigung eines selbst genutzten Hausgrundstücks von angemessener Größe oder einer entsprechenden Eigentumswohnung als Vermögen i.S.d. § 12 Abs. 3 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II); Volle gerichtliche Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Größe; Vermietung eines überwiegenden Anteils eines Einfamilienhauses als ausreichende Form der Verwertung
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 22.04.2008
- Aktenzeichen
- S 28 AS 64/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 33993
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:0422.S28AS64.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 54 Abs. 2 SGG
- § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II
- § 9 Abs. 1 SGB II
- § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 12. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2008 verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe antragsgemäß zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob das Hauseigentum des Klägers von diesem selbst bewohnt und damit geschützt im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II oder aber bei der Leistungsberechnung als vorrangig einzusetzendes Vermögen zu berücksichtigen ist.
Der Kläger, geboren im Jahr 1948, ist gelernter Maler und Eigentümer eines Einfamilienhauses in G., H. weg 11. Es handelt sich um einen Walmdachbungalow von rund 100 m² Wohnfläche, der im Jahr 1984 gebaut und seit dem an die Zeugin vermietet ist. Nach seinen Angaben bewohnt der Kläger Räume im teilausgebauten Dach. Er ist dort auch polizeilich gemeldet.
Das Dachgeschoss ist über eine Treppe vom Erdgeschoss zu erreichen, die durch eine separate Tür von dem vermieteten Teil des Hauses im Erdgeschoss abgetrennt ist. Es bestehen getrennte Stromzähler, jedoch eine gemeinsame Wasseruhr. Das Haus wird mit einer Ölheizung beheizt.
Der Kläger bezog seit 1. Dezember 2005 unter Anrechnung der Mieteinnahmen fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Zuletzt stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag am 6. September 2007. Zur Prüfung der Wohnverhältnisse veranlasste der Beklagte einen Hausbesuch durch einen Mitarbeiter, der am 2. Oktober 2007 stattfand. Der Mitarbeiter schätzte im anschließenden Bericht vom 4. Oktober 2007, dass der Betroffene nicht unter der angegebenen Adresse wohne und der Verdacht bestehe, dass er einer gewerblichen Tätigkeit nachgehe. Bei einer persönlichen Vorsprache am 6. November 2007 teilte der Kläger mit, dass er eine Leistungsgewährung als Darlehen ablehne. Er sei nicht einverstanden, dass eine Sicherungshypothek dafür eingetragen wird. Zugleich teilte er mit, er habe im letzten Jahr kein Geld von seinem Konto abgehoben, da es nicht gegangen sei. Er habe Geld von verschiedenen Leuten als Spende geschenkt bekommen. Mit Bescheid vom 12. November 2007 lehnte der Beklagte die weitere Leistungsgewährung mit Wirkung vom 23. August 2007 schließlich komplett ab. Der Kläger besitze in Gestalt des Einfamilienhauses verwertbares Vermögen, das zunächst zur Deckung des Lebensunterhaltes einzusetzen sei.
Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2008 als unbegründet zurück. Am 31. Januar 2008 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er vor, er sei zwar häufig außer Haus und übernachte bisweilen auch auswärts, wohne jedoch nach wie vor unter der bekannten Adresse. Er sei aktives Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde und nehme in diesem Rahmen an Hauskreisen teil, die bisweilen jeden Abend stattfänden. Dort werde gesungen und gebetet. Auch finde gemeinsames Essen statt, zu dem er eingeladen werde.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 12. November 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2008 zu verurteilen, dem Kläger antragsgemäß Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte des Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 22. April 2009 waren Bezug genommen.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts die Mieterin des Klägers in dem Haus im H. weg 11, Frau I., als Zeugin vernommen. Zu den Einzelheiten ihrer Aussage wird auf das Sitzungsprotokoll vom 22. April 2009 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Die angegriffene Ablehnung der Leistungen nach dem SGB II durch den Beklagten erweist sich als rechtswidrig und beschwert daher den Kläger, § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung seines Einfamilienhauses als verwertbares, vorrangig einzusetzendes Vermögen.
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II eine Person, die hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer sein Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 12 Abs. 1 sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ist als Vermögen nicht zu berücksichtigen ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung.
Das teilweise vermietete Einfamilienhaus des Klägers ist von der Verwertung als Vermögen gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ausgenommen, weil er es selbst bewohnt (I.) und sich das Haus innerhalb den anerkannten Angemessenheitsgrenzen bewegt bzw. in ausreichender Weise verwertet wird (II.).
I.
Das Gericht geht im Ergebnis der Vernehmung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 22. April 2009 sowie nach Vernehmung der Zeugin I. davon aus, dass der Kläger tatsächlich das teilausgebaute Dachgeschoss des Hauses bewohnt.
Der nur teilweise ausgebaute Zustand des Dachgeschosses macht es nach dem Dafürhalten des erkennenden Gerichts nicht von vornherein unmöglich, dort zu wohnen und sich aufzuhalten. Eine Versorgung mit Strom, Wasser und Heizung ist vorhanden und offensichtlich funktionsfähig. Es muss akzeptiert werden, dass der Kläger hinsichtlich des Ausbauzustandes und der konkreten Einrichtung seiner Räume im Vergleich zum Großteil der Bevölkerung offenbar geringere Ansprüche stellt. Die Zeugin hat im Rahmen der Vernehmung auf glaubhafte Weise den vom Kläger vorgebrachten Sachverhalt bestätigt und das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger tatsächlich im Dachgeschoss des Hauses wohnt. Sie äußerte, dass der Kläger nach ihrer Auffassung im Dachgeschoss wohne, und beschrieb auf Nachfragen des Gerichts in schlüssiger Weise einen Sachverhalt, der dies auch möglich und wahrscheinlich erscheinen ließ. Die Aussage der Zeugin entsprach dabei hinsichtlich der nachgefragten Details dem, was nach allgemeiner Lebensanschauung in ihrer Situation an Kenntnissen möglich und nachvollziehbar ist, und erschienen weder ausgedacht noch verkürzt. Das Gericht hat nach dem guten persönlichen Eindruck, den die Zeugin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Zeugin und der Kläger ständen sich in der Weise näher, dass die Zeugin den Sachverhalt insoweit unkorrekt darstellen könnte, z.B. um dem Kläger einen Gefallen zu tun.
Die weiteren Indizien reichen nicht aus, um einen anderen Sachverhalt wahrscheinlicher zu machen. Es ergab sich kein belastbarer Hinweis darauf, dass der Kläger seinen ständigen Wohnort andernorts haben könnte als in seinem Eigenheim.
Die auch vom Kläger unbestrittene Tatsache, dass er häufig nicht zu Hause ist und teilweise auch auswärts übernachtet, reicht noch nicht, um von einer tatsächlichen Aufgabe seines Wohnsitzes auszugehen. Auch für die Existenz eines Postfaches besteht eine nachvollziehbare alternative Begründung, nämlich die Vermeidung von Wurfsendungen und Werbung, so dass auch hieraus nicht zwingend abgeleitet werden kann, der Kläger wohne tatsächlich nicht in seinem Haus im H. weg.
Der geringe Energieverbrauch lässt nicht den Rückschluss zu, dass der Kläger nicht mehr in seinem eigenen Haus wohnt. Aufgrund der Darstellung, er halte sich häufig auswärts auf und besuche Hauskreise in der Gemeinde, erscheint der geringe Energieverbrauch nicht unplausibel. Die Versorgung des Klägers durch Spenden und materielle Unterstützung durch die Gemeindemitglieder, auch aufgrund seines ehrenamtlichen Engagements für die Gemeinschaft, erscheint ebenfalls glaubhaft und lässt keine unüberwindlichen Lücken bei der Prüfung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse entstehen. Das Gericht hält es für denkbar und nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegend, dass es dem Kläger aufgrund der Unterstützung durch die Gemeindeglieder sowie aufgrund eigener Sparsamkeit möglich war, mit keinem weiteren Einkommen außer den Mieteinnahmen auszukommen. Der Kläger kann allerdings nicht dauerhaft auf die freiwillige Unterstützung Dritter zur Sicherung seines Lebensunterhalts verwiesen werden. Durchgreifende Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II sind aus Sicht des Gerichts zumindest unter Berücksichtigung der bekannten Sachlage nicht begründet. Das Gericht geht auch nicht davon aus, dass der Kläger einer Erwerbstätigkeit im engeren Sinne nachgeht und daraus Erwerbseinkommen erzielt, auch wenn anzunehmen ist, dass er sein handwerkliches Geschick in der Glaubensgemeinschaft ehrenamtlich einsetzt.
Das Gericht schätzt den Kläger aufgrund des persönlichen Eindrucks in Rahmen der mündlichen Verhandlung für ehrlich und in seiner religiösen Gemeinschaft und seinem Glauben tief verwurzelt ein. Die Aussagen des Klägers erfolgten nach dem Dafürhalten des Gerichts wahrheitsgemäß. Der sich daraus ergebende, in gewisser Weise ungewöhnliche Lebensstil des Klägers lässt in Bezug auf das Eigenheim vor dem Hintergrund des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II keine andere Bewertung zu als die hier vertretene.
II.
Das vom Kläger selbst genutzte Einfamilienhaus ist auch hinsichtlich der Größe angemessen im Sinne des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom Herbst 2006 (BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 2/05 R-) ist das Haus mit einer Wohnfläche von rund 100 qm und drei Bewohnern, d.h. dem Kläger, der Zeugin und deren Ehemann, angemessen groß. Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass es sich bei dem Begriff der angemessenen Größe um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BSG, a.a.O., Rn 14). Zur Orientierung zieht es die Wohnflächengrenzen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, d.h. hier von 120 qm bzw. 130 qm für vier Personen, heran und hält eine Reduzierung von jeweils 20 qm pro Person für sachgerecht (vgl BSG, a.a.O., Rn 22). Für drei Personen ergibt sich damit eine angemessene Wohnfläche von 100 qm.
Der Ehemann der Zeugin I. ist Anfang März 2009 verstorben, so dass das Gebäude nunmehr von zwei Personen in getrennten Haushalten bewohnt wird. Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des Bundessozialgerichts überschreitet das Haus nunmehr die Grenze der Angemessenheit um rund 20 qm. Damit entfällt der Schutz des Hauses als Vermögen gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, so dass es zur Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts zu verwerten ist.
Eine solche Verwertung findet durch die Vermietung des Erdgeschosses an die Zeugin in zulässiger Weise bereits statt. Nach der hier vertretenen Auffassung muss eine Verwertung nicht in jedem Einzelfall zwingend durch Verkauf erfolgen (vgl BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 37/06 R -; Sozialgericht Stade , Urteil vom 30. Januar 2007 - S 17 AS 230/06 - (nicht rechtskräftig); Frank in: Hohm, GK-SGB II, § 12 Rn 18/19). Über die Art der Verwertung kann grundsätzlich der Hilfebedürftige selbst entscheiden, wobei einzelne Verwertungsarten ausscheiden, wenn mit anderen Arten der Verwertung eine bessere Bedarfsdeckung erreicht werden kann (Frank a.a.O..). Die Vermietung des überwiegenden Anteils des Einfamilienhauses stellt im vorliegenden Einzelfall eine ausreichende Form der Verwertung dar, denn der Kläger erzielt auf diese Weise einerseits Mieteinnahmen, die ihm zur Deckung seiner Kosten zur Verfügung stehen, und erhält sich andererseits zugleich die eigene, von ihm selbst bewohnte Unterkunft. Dabei spielt für die Beurteilung eine entscheidende Rolle, dass sich der Kläger im 61. Lebensjahr befindet und damit in absehbarer Zeit voraussichtlich aus dem Leistungsbezug ausscheiden wird, zumal nach den gesetzlichen Bestimmungen bereits jetzt eine Berentung in Betracht kommt, allerdings mit Abschlägen.
Aufgrund des Alters des Klägers und seiner eigenen Aufbauleistung in Bezug auf das Einfamilienhaus könnte das Vermögen letztlich sogar gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II von der Verwertung ausgenommen sein, wenn der Verkauf für den Kläger als besondere Härte angesehen wird, so dass es auf die konkrete Form der Verwertung nicht ankäme. Eine Entscheidung hierüber kann jedoch im Ergebnis letztlich dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.