Sozialgericht Stade
Beschl. v. 22.10.2008, Az.: S 18 AS 638/08 ER
25. Lebensjahr; Abbruch; Ablehnung; Absenkung; Absenkungsdauer; Absenkungszeitraum; Arbeitslosengeld II; Arbeitsuchender; Auffangtatbestand; Aufnahme; Beginn; Begründung; berufliche Eingliederungsmaßnahme; Dauer; Eingliederungsmaßnahme; Erforderlichkeit; Ermessen; Ermessensausübung; Ermessensentscheidung; gesonderte Ermessensentscheidung; getrennte Ermessensentscheidung; Grundsicherung; Jugendlicher; junger Erwachsener; Nachholung; Nichtaufnahme; Nichtteilnahme; Nichtvollendung; Notwendigkeit; Sanktion; Sanktion; Sanktionsbescheid; Sperrzeit; Teilnahme; Verhältnis; Verkürzung; Verweigerung; Vollendung; Wegfall; Weigerung
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 22.10.2008
- Aktenzeichen
- S 18 AS 638/08 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55017
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2
- § 144 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 3
- § 31 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2
- § 31 Abs 5 SGB 2
- § 31 Abs 6 S 3 SGB 2
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Rechtsgrundlage für eine Sanktion wegen Ablehnung einer angebotenen Eingliederungsmaßnahme kann nur § 31 Abs 4 Nr 3 lit b SGB II iVm § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III sein, nach § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II kann dagegen nur der Abbruch (einer zunächst begonnenen) Eingliederungsmaßnahme sanktioniert werden.
2. Die mögliche Verkürzung der Absenkungsdauer bei Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, nicht jedoch das 25. Lebensjahr vollendet haben, nach § 31 Abs 6 Satz 3 SGB II setzt eine gesonderte, von Amts wegen zu treffende und zu begründende Ermessensentscheidung voraus, die unabhängig von dem Sanktionsbescheid ergehen und ggf sogar nach Ablauf der Regelsanktionsfrist nachgeholt werden kann.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 13. Oktober 2008 wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Antragstellerin (AS) begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners (AG), ihr höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ab 1. Oktober 2008 zu gewähren, wobei streitig ist, ob die Absenkung der Regelleistung um 100 % zu Recht erfolgt ist.
Das Begehren der AS auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dahingehend auszulegen, dass die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des von der AS eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24. September 2008 begehrt wird, da dieser Widerspruch nach § 39 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat. Folge der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wäre, dass der AG der AS die für den Monat Oktober 2008 mit Bescheid vom 14. April 2008 bewilligten Leistungen ungekürzt auszuzahlen hätte.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der AG hat die Regelleistung der AS zu Recht für die Monate Oktober bis Dezember 2008 unter Anwendung von § 31 SGB II um 100 % gekürzt.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind einerseits das Interesse der Verwaltung an der - sofortigen - Vollziehung der getroffenen Entscheidung, andererseits das Interesse des AS an der ungekürzten Auszahlung des Arbeitslosengeldes (Alg) II gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist auf die Erfolgsaussichten des zugrunde liegenden Widerspruchs und auf Billigkeitsgesichtspunkte abzustellen.
Nach der hiernach vorzunehmenden Interessenabwägung ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der AS nicht anzuordnen. Die angefochtene Entscheidung wird sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
Rechtsgrundlage für die Sanktionsentscheidung kann vorliegend nicht § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm Abs 5 SGB II in direkter Anwendung sein. Danach wird das Alg II bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, auf die Leistungen nach § 22 SGB II (Kosten für Unterkunft und Heizung) beschränkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Nach § 31 Abs 1 Satz 2 gilt dies nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Nach dem Wortlaut dieser Regelung setzt die Absenkung insoweit eine bereits begonnene Eingliederungsmaßnahme voraus. Nicht erfasst ist dagegen die Ablehnung einer angebotenen Eingliederungsmaßnahme (SG Stade, Beschluss vom 22. Januar 2008 - 18 AS 877/07 ER; A. Loose in: Hohm, GK - SGB II, § 31 Rdn 58). Vorliegend hat die AS an der Maßnahme zu keinem Zeitpunkt teilgenommen. Vielmehr ist sie bereits am ersten Tag der Maßnahme nicht erschienen, ohne einen wichtigen Grund mitzuteilen. Demzufolge kann nicht vom Abbruch einer (bereits begonnenen) Eingliederungsmaßnahme ausgegangen werden.
Rechtsgrundlage für die Absenkung der Regelleistung ist aber § 31 Abs 4 Nr 3 lit b iVm Abs 5 SGB II iVm § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Nach § 31 Abs 4 Nr 3 lit b SGB II gelten die Abs 1 bis 3 der Vorschrift entsprechend bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die in dem SGB III genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Alg begründen. Nach § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB III tritt eine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitslose sich weigert, trotz Belehrung über die Rechtsfolgen an einer Maßnahme der Eignungsfeststellung, einer Trainingsmaßnahme oder Maßnahme zur beruflichen Ausbildung oder Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben teilzunehmen. Nach § 31 Abs 5 SGB II gilt bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, auch bei Erfüllung der Voraussetzungen einer Sanktion nach dieser Norm, dass das Alg II auf die Leistung nach § 22 SGB II beschränkt wird.
Die der AS angebotene Maßnahme war zumutbar. Dies beurteilt sich zum einen nach der Vorschrift des § 10 SGB II und zum anderen müssen die für die Maßnahme maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (A. Loose, aaO, Rdn 59). Anhaltspunkte dafür, dass die der AS angebotene Maßnahme "Let´s work" in irgendeiner Weise nicht zumutbar gewesen sein könnte, sind nicht erkennbar.
Die AS hat einen wichtigen Grund für ihr Verhalten, insbesondere für das Nichterscheinen zum Maßnahmebeginn bzw zu einem späteren Zeitpunkt, nicht dargelegt. Ihre zwischenzeitlich gemachten Angaben, sie habe in einem Cafe in C. ein Praktikum absolviert, sind in keiner Weise belegt und nicht nachvollziehbar. Die AS konnte noch nicht einmal den Namen des Cafes bzw des Inhabers benennen. Auch darüber hinaus ist ein wichtiger Grund für das Verhalten der AS nicht erkennbar. Die AS hat auch die wiederholten ihr von dem AG gewährten Chancen, in die Maßnahme zu einem späteren Zeitpunkt noch einzusteigen, nicht genutzt.
Der AG hat unter Anwendung der genannten Rechtsgrundlage zutreffend eine Absenkung der Regelleistung iHv 100 % beginnend ab 1. Oktober 2008 festgesetzt. Dies folgt aus den genannten gesetzlichen Regelungen sowie aus § 31 Abs 6 SGB II. Danach treten Absenkung und Wegfall der Leistungen mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsakts, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Unschädlich ist vorliegend im Ergebnis, dass der AG die zugrunde gelegte Alternative des § 31 SGB II in dem Absenkungsbescheid nicht benannt hat.
Der AG hat bisher allerdings keine ausreichende Entscheidung getroffen über die mögliche Verkürzung der Sanktion nach § 31 Abs 6 Satz 3 SGB II. Die Darlegung im Schriftsatz vom 17. Oktober 2008, der AG habe von dem eingeräumten Ermessen keinen Gebrauch gemacht, da unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles eine solche Verkürzung nicht geboten gewesen sei, ist nicht ausreichend. Sofern damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass in dem Sanktionsbescheid konkludent kein Gebrauch von der Möglichkeit der Verkürzung des Sanktionszeitraums gemacht worden ist, so entspricht dies nicht den gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich einer Ermessensentscheidung. Die mögliche Verkürzung der gesetzlichen Regelsanktionsdauer setzt eine gesonderte, nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende (§ 39 SGB X) und zu begründende (§ 40 SGB X) Ermessensentscheidung voraus; sie ist von Amts wegen zu treffen und sollte regelmäßig mit der Feststellung von Absenkung und Leistungsbeschränkung verbunden werden; fehlt wie hier eine ausdrückliche Entscheidung, liegt hierin ohne Hinzutreten weiterer Umstände jedoch nicht die der Bestandskraft zugängliche Entscheidung, dass die Dauer nicht verkürzt werden solle (vgl Berlit in LPK - SGB II, 2. Aufl, § 31 Rdn 152). Die fehlerfreie Verkürzungsentscheidung ist allerdings nicht Tatbestandsvoraussetzung für Absenkung und Wegfall im Übrigen. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung zur Verkürzung kann auch nachgeholt werden, ggf sogar nach Ablauf der Regelsanktionsfrist (vgl Berlit, aaO). Die AS kann einen Anspruch auf eine fehlerfrei Ermessensentscheidung gegenüber dem AG geltend machen. Der AG dürfte demzufolge kurzfristig eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der möglichen Verkürzung der Sanktion nachzuholen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.