Sozialgericht Stade
Urt. v. 09.04.2008, Az.: S 9 R 335/05
Anfall; Arbeitsmarkt; berufliches Leistungsvermögen; Einschränkung; Erwerbsminderung; Erwerbsminderungsrente; gesetzliche Rentenversicherung; Krankheitszeit; Kreislaufkollaps; kurzzeitige Krankheitszeit; Leiden; Leistungsminderung; Leistungsvermögen; Maschinist; Maschinist; Minderung; Ohnmacht; Ohnmachtsanfall; Rente wegen Erwerbsminderung; Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Rentenversicherung; Schwindelanfall; Synkope; unklare Genese; unklare Ursache; unklarer Krankheitsverlauf; verbliebenes Leistungsvermögen
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 09.04.2008
- Aktenzeichen
- S 9 R 335/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 55030
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs 2 SGB 6
- § 43 Abs 1 SGB 6
- § 43 Abs 3 SGB 6
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wiederkehrende Schwindel- und Ohnmachtsanfälle unklarer Ursache führen nicht zu einer relevanten Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens, wenn sie eher selten, dh zB zwei bis dreimal im Monat, auftreten. Vorübergehende kurzzeitige Krankheitszeiten aufgrund des Leidens sind hinzunehmen und mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes noch vereinbar.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger, geb 1954, hat keinen Beruf erlernt und arbeitete bis in das Jahr 2005 als Maschinist in einer Baufirma. Im Jahre 1994 erfolgte eine Bypass-Operation nach Herzinfarkt. Der Kläger leidet seitdem an Synkopen unklarer Genese, außerdem an einer koronaren Herzerkrankung und Bluthochdruck sowie zeitweisem Kribbeln und Taubheit der Hände.
Im Oktober 2003 befand er sich zur stationären Rehabilitation in der G. Klinik, Bad H.. Von dort wurde er vollschichtig erwerbsfähig für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten von sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit folgenden Einschränkungen entlassen: Ohne Führen von Maschinen und Fahrzeugen, ohne Absturzgefahr, keine Arbeiten an laufenden Maschinen, überwiegend im Sitzen, zeitweise im Gehen.
Am 31. Januar 2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Rentenantrag wurde mit seit 2002 bestehenden Herzleiden begründet. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag nach Einholung eines internistisch-kardiologischen Gutachtens durch den Facharzt Dr. I. mit Bescheid vom 23. März 2005 mit der Begründung ab, dass der Kläger zwar nicht mehr Bauhelfer/Maschinist arbeiten könnte, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber noch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten erwerbsfähig sei.
Auf den Widerspruch des Klägers hin veranlasste die Beklagte eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung durch den Facharzt Dr. J., der sein Gutachten im Juni 2006 vorlegte. Er konnte keinen pathologischen Befund feststellen und schätzte den Kläger ebenfalls für in der Lage ein, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zu verrichten. Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2005 als unbegründet zurück.
Am 13. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, aufgrund der bekannten Synkopen bzw Schwindelanfälle sowie einer Depression sei es ihm unmöglich, einer geregelten Tätigkeit von mehr als drei Stunden täglich nachzugehen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 23. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2005 zu verpflichten, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung gem §§ 43, 240 SGB VI ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen im Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts aktuelle Befundberichte des behandelnden Hausarztes und des behandelnden Neurologen und Psychiaters sowie ein internistisch-kardiologisches Fachgutachten durch den Facharzt Dr. K., L., und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten durch den Facharzt Dr. M., N., mit elektroenzephalographischem Zusatzgutachten, eingeholt. Zu den Ergebnissen der Begutachtungen im Einzelnen wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Entscheidungsgründen verwiesen.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 09. April 2008 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht, § 54 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Gemäß § 43 Abs 2 SGB VI haben Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie bestimmte versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllen und wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Lässt das gesundheitliche Leistungsvermögen des Versicherten noch eine Erwerbstätigkeit im Umfang von drei bis unter sechs Stunden zu, besteht gemäß § 43 Abs 1 SGB VI bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Erwerbsgemindert ist dagegen nicht, wer zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Als Übergangsregelung bestimmt ferner § 240 SGB VI, dass Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden, einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch haben, wenn sie berufsunfähig sind. Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI). Maßgeblich ist dabei nicht, ob der Versicherte sein Leistungsvermögen noch in irgendeiner leidensgerechten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in mehr als geringfügigem Umfang einbringen kann, sondern allein, ob ihm dies noch in einer für ihn auch sozial zumutbaren Tätigkeit möglich ist.
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach den dargestellten Maßgaben liegen beim Kläger nicht vor.
Nach Überzeugung des erkennenden Gerichts ist der Kläger auch in Ansehung der unregelmäßig auftretenden Synkopen sowie der weiteren bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage, noch sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu den üblichen Bedingungen tätig zu sein.
Der Internist und Kardiologe Dr. K. diagnostiziert in seinem Gutachten vom 29. Mai 2007 neben den rezidivierenden Synkopen eine koronare 3-Gefäßerkrankung, Zustand nach Bypassoperation, eine Hyperlipoproteinämie, ein Karpaltunnelsyndrom beidseits sowie Artheriosklerose, sowie Bluthochdruck. Nach Einschätzung des Dr. K. verhinderten die anhaltenden und häufig auftretenden Synkopen eine weitere Berufstätigkeit des Klägers. Dabei hatte der Kläger bei der Begutachtung angegeben, die Anfälle träten einmal wöchentlich auf. Dr. K. stellt fest, dass nach den übrigen vorliegenden Erkrankungen körperlich leichte bis mittel schwere Tätigkeiten mit geistig einfacher Beanspruchung, überwiegend im Sitzen und zeitweilig im Gegen, verrichtet werden, sobald die Ursache der Synkopen abgeklärt sei. Es dürfe keine Unfallgefährdung vorliegen. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt.
Der vom Gericht beauftragte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. stellt in seinem Gutachten vom 14. Oktober 2007 eine Diagnose, der derjenigen des Dr. K. vergleichbar ist. Als weiteren Befund benennt er eine blande subdepressive Verstimmung, die die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht nachhaltig beeinträchtige und bei zumutbarer Willensanpassung überwunden werden könne.
Der Kläger wird von Dr. M. für fähig erachtet, seiner Ausbildung entsprechende leichte bis mittelschwere Arbeit zu ebener Erde, nicht an offenen Maschinen, nicht auf Leitern und Gerüsten im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Stehen und in wohltemperierten Räumen zu verrichten. Das Heben und Tragen von Lasten bis 15 kg seien möglich, die Arbeiten sollten nicht unter Zeitdruck und Stress erfolgen. Wegen der Synkopen schätzt Dr. M. den Kläger für nicht mehr fähig, ein auf Leitern und Gerüsten und an laufenden Maschinen zu arbeiten. Nach seiner Einschätzung kann der Kläger demnach vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein. Dr. M. verweist im Übrigen auf den Tagesablauf des Klägers, wie dieser ihn dem Arzt bei der Begutachtung beschrieben hat. Der Kläger hatte angegeben, dass er gegen 09:30 Uhr aufstehe und nach Frühstück und Körperpflege sich um seine dreijährige Enkeltochter kümmere. Er gehe mit ihr spazieren und bereite ihr auch das Mittagessen zu. Der Kläger versorge den Haushalt, mache alle Einkäufe nach Anweisung seiner Frau. Abends sehe er häufig lange fern. Zum Haus gehöre ein Grundstück von etwa 900 m². Den Rasen mähe er oder sein Sohn.
Das Gericht folgt hinsichtlich der Einschätzung der Erwerbsfähigkeit im Ergebnis den Einschätzungen des Dr. M.. Nach den gutachterlichen Ergebnissen sowie dem persönlichen Eindruck, den sich das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Kläger machen konnte, ist eine Berentung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gerechtfertigt.
Bei der Würdigung der objektiven Befunde und ihrer Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen des Klägers stehen die wiederkehrenden Synkopen im Vordergrund, da die weiteren Befunde sich den Gutachten zufolge nicht leistungsmindernd auswirken.
Die Synkopen begründen nach Überzeugung des Gerichts keine dauerhafte Funktionseinschränkung.
Denn sie treten immer nur anfallweise auf, danach geht es dem Kläger nach eigenen Angaben relativ schnell wieder gut. Bei der Beurteilung des bestehenden Leistungsvermögens ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zwischen den Anfällen weitgehend einsatzfähig ist und ohne Weiteres in der Lage ist, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auszuüben. Dies geht auch aus der Beschreibung des Alltags des Klägers hervor, wie sie im Gutachten des Dr. M. dargestellt wird. Solange der Kläger keine akute Synkope erleidet, bestehen letztlich keine relevanten Leistungseinschränkungen. Dies entspricht im Prinzip auch der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K., der ebenfalls nur aufgrund der Synkopen von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgeht. Der Einschätzung des Dr. K. liegt allerdings die Annahme zugrunde, die Synkopen träten einmal wöchentlich auf. Der Kläger hat dies durch seine Angaben dahingehend revidiert, dass von zwei bis drei Anfällen im Monat auszugehen ist.
Die Ohnmachtsanfälle treten nicht so häufig auf, dass aufgrund der damit einhergehenden Ausfallzeiten von einem praktisch aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen ist. Zwar ist aufgrund der wiederkehrenden Schwindel- und Ohnmachtsanfälle mit häufigeren Arbeitsausfallzeiten zu rechnen als bei einem Nichtbetroffenen. Das Gericht geht jedoch nach kritischer Würdigung davon aus, dass keine Ausfallzeiten über das einem Arbeitgeber zumutbare Maß hinaus zu befürchten sind. Denn der Kläger teilte selbst mit, dass die Anfälle jeweils nur kurzzeitig andauern würden. Danach sei er recht bald, spätestens am nächsten Arbeitstag, im Regelfall wieder einsatzfähig.
Dies lässt sich mit den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nach dem Dafürhalten des Gerichts noch in Einklang bringen. Es muss aber gewährleistet sein, dass die Tätigkeit des Klägers nicht mit Fremd- oder Selbstgefährdungen einhergeht. Im Rahmen einer geeigneten beruflichen Tätigkeit muss auch für eine ausreichende Sitz- bzw Liegemöglichkeit gesorgt werden, sodass der Kläger sich ggf rechtzeitig hinsetzen oder legen kann, wenn sich ein Schwindelanfall ankündigt.
Mit dem festgestellten Leistungsvermögen hat der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI, denn er genießt keinen Berufsschutz. Die von dem Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bauhelfer/Maschinist basiert nicht auf einer qualifizierten Berufsausbildung. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Anlerntätigkeit. Nach dem Berufsgruppenschema des Bundessozialgerichts (vgl. SozR 2200, § 1246 Nr 132, 138, 140) ist der Kläger als Angelernter auf alle ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, soweit diese seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen entsprechen.
Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er wegen der gesundheitlichen Einschränkungen einen Arbeitsplatz nicht erreichen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10) ist derjenige Versicherte erwerbsunfähig, der nicht täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 Meter innerhalb von höchstens 20 Minuten zu Fuß zurücklegen kann. Anhaltspunkte für eine im Rentenrecht in erheblichem Umfang eingeschränkte Wegefähigkeit des Klägers finden sich in keiner der vorliegenden ärztlichen Unterlagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.