Sozialgericht Stade
Urt. v. 17.06.2008, Az.: S 15 KR 187/03

Bewilligung einer Brustverkleinerungsoperation (Mamma-Reduktionsplastik) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); Verbesserung der Situation bei Leidens an Psoriasis-Arthropathie sowie an einer degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule durch eine Brustverkleinerung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
17.06.2008
Aktenzeichen
S 15 KR 187/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 34235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2008:0617.S15KR187.03.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bewilligung einer Brustverkleinerungsoperation (Mamma-Reduktionsplastik) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

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Die im Juni 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet seit 1970 unter Schuppenflechte (Psoriasis), seit 1988 unter Psoriasis-Arthropathie (Psoriasis-Arthristis) und seit 2000 unter Cervicobrachialgien bei degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule. In der Zeit vom 15. bis zum 31. Mai 2000 befand sich die Klägerin wegen eines cervicalen Bandscheibenvorfalls C4/5 in stationärer Behandlung in der Orthopädischen Klinik G. in H. und unterzog sich einer Schmerztherapie. Der behandelnde Arzt für Orthopädie Dr. I. bescheinigte am 26. Juni 2000 die medizinische Indikation zur Brustverkleinerungsoperation. Zur Begründung teilte er mit, abgesehen von der entzündlichen Komponente werde das Beschwerdebild der Klägerin andauernd mechanisch unterhalten von einer extremen Mastopathie beiderseits, wobei jede Brust einzeln auf etwa zwei Kilogramm Gewicht geschätzt werde. In der Zeit vom 2. bis zum 13. Dezember 2002 befand sich die Klägerin wegen eines cervicalen Bandscheibenvorfalls C6/7 mit massivsten rechtsseitigen Cervicobrachialgien und C6-Kompressions-Symptomatik in stationärer Behandlung im Zentralkrankenhaus J. -Strasse in H. und unterzog sich dort am 4. Dezember 2002 einer Operation. Im Entlassungsbericht vom 13. Dezember 2002 wurde ausgeführt: "Postoperativ bildete sich die radikuläre Schmerzsymptomatik prompt zurück. Es bestanden allerdings noch lokale muskulo ligamentäre Restbeschwerden und eine Resthypalgesie im Dermatom C6 mit leichter Störung der Feinmotorik in der rechten Hand. Insbesondere die muskulo ligamentären Restbeschwerden wurden durch eine statische Fehlbelastung durch übergroße Mammae mit unterhalten."

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Am 20. Mai 2003 legte die Klägerin bei der Beklagten eine Verordnung von Krankenhausbehandlung des Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. K. und Atteste des Dr. I. vom 26. Juni 2000 und 13. Mai 2003, in denen dieser die Durchführung einer Brustverkleinerungsoperation empfahl, und den Entlassungsbericht des Zentralkrankenhauses J. -Strasse vom 13. Dezember 2002 vor. Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) ein. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 2. Juni 2003 gelangte dieser zu dem Ergebnis, eine medizinische Indikation zur begehrten Brustverkleinerungsoperation liege nicht vor. Zur Begründung führte der MDKN aus, da die# Versicherte an einer Psoriasis-Arthropathie leide und zusätzlich degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule bestünden, sei nicht davon auszugehen, dass sich die Beschwerden durch eine Verkleinerung der Mammae beheben lassen. Hier sei das Tragen eines entsprechend gut sitzenden BH's und zusätzlich physiotherapeutische Maßnahmen notwendig. Ein krankhafter Befund an den Mammae finde sich nicht. Eine medizinische Notwendigkeit zur Reduktion der Mammae, um die bekannten orthopädischen Beschwerden zu behandeln, bestehe nicht. Auch mit kleineren Mammae würden weiterhin Beschwerden aufgrund der Psoriasis-Arthropathie und der degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule bestehen bleiben. Auf diese Beurteilung gestützt, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juni 2003 die Bewilligung einer Brustverkleinerungsoperation ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung legte sie ein weiteres Attest des behandelnden Arztes Dr. I. vom 30. Juni 2003 vor. Die Beklagte holte ein Gutachten nach Aktenlage des MDKN vom 30. Juli 2003 ein. Der MDKN hielt an seiner Beurteilung fest und führte ergänzend aus, es stehe außer Zweifel, dass die Beschwerdesymptomatik auf die mitgeteilten Veränderungen der Wirbelsäule und den Zustand nach Bandscheibenvorfall-Operation sowie auf die Psoriasis-Arthropathie zurückzuführen sei. Die festgestellte Mammahyperthrophie stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Die operative Behandlung sei daher nicht erforderlich. Außerdem bestehe eine Adipositas. Hier seien ambulanten diätische Maßnahmen zur Gewichtsreduktion sowie ambulante Bewegungstherapie bei Bedarf angezeigt. Nachfolgend legte die Klägerin ein Attest des Dr. K. vom 25. August 2003 vor. Der Arzt teilte mit, eine Mamma-Reduktionsplastik, bei der sicher mehr als je 700 g zu resezieren wäre, sei notwendig, um Linderung der Beschwerden zu erzielen. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 2003 zurück und begründete die Entscheidung mit den Gutachten des MDKN.

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Mit ihrer am 19. September 2003 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie sinngemäß vor, die durch die Wirbelsäulenkrankheiten verursachten Schmerzen würden durch die ausgeprägte Mammahyperplasie erheblich verstärkt. Die behandelnden Ärzte hätten zur Linderung der Krankheitsbeschwerden empfohlen, sich einer Brustverkleinerungsoperation zu unterziehen. Die Behandlung sei medizinisch indiziert. Die Klägerin teilt mit, sie habe seit Antragstellung ihr Körpergewicht um 20 kg reduziert.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für eine Mammareduktionsoperation zu übernehmen.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte meint, es liege keine Krankheit i.S.d. § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vor. Die bei der Klägerin bestehende Brustgröße habe für sich genommen keinen Krankheitswert und stelle keinen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand dar, der Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Wirbelsäulenbeschwerden und der Brustgröße sei wissenschaftlich nicht belegt. Es sei der Klägerin zumutbar, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um zum einen das das Problem erschwerende Übergewicht zu bekämpfen sowie zum anderen z.B. durch Physiotherapie zur Stärkung und Entlastung der Wirbelsäule beizutragen.

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Das Gericht hat einen Befundbericht des Arztes für Orthopädie Dr. I. vom 13. Juli 2006 eingeholt. Der Arzt hat mitgeteilt, die Klägerin habe sich zuletzt im Juni 2003 bei ihm vorgestellt. Zur Prozessakte gelangt sind Atteste des Arztes für Innere Medizin Dr. L. vom 16. September 2004 und 16. Mai 2006, des Chefarztes der Plastischen Chirurgie, Diakonie-Klinikum M., Dr. N. vom 31. März 2006, des Dr. I. vom 19. Mai 2006 sowie Berichte der Klinik für Internistische Rheumatologie, O. Krankenhaus H., vom 29. Juni 2007 und 28. Januar 2008.

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Das Gericht hat die Klägerin auf die Möglichkeit, einen Antrag auf Anhörung eines Arztes nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu stellen, hingewiesen.

10

Der Kammer hat außer der Prozessakte die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Die Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2003 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Brustverkleinerungsoperation.

12

Nach § 27 Abs. 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Das SGB V enthält keine Definition des Krankheitsbegriffs. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wird mit Krankheit ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. Soweit § 33 Abs. 1 SGB V eine "Behinderung" bzw. eine "drohende Behinderung" genügen lässt, um i.V.m. § 27 Abs. 1 S 2 Nr. 3 SGB V einen Anspruch auf Krankenbehandlung auszulösen, ist nichts wesentlich anderes als eine Krankheit gemeint; es wird lediglich ein anderer Akzent gesetzt. Indem § 27 Abs. 1 S 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004, Az: B 1 KR 9/04 R m.w.N.).

13

Die Kammer vermag sich nicht die Überzeugung davon zu bilden, dass die von der Klägerin begehrte Brustverkleinerungsoperation unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit der in der GKV zu erbringenden Leistungen (§ 12 Abs. 1 SGB V) und der Eigenverantwortung der Versicherten (§ 2 Abs. 1 SGB V) von der Beklagten zur Verfügung zu stellen ist. Ein funktionelle Defizit liegt infolge der Mammahyperplasie nicht vor. In besonderen Fällen kann unabhängig von Funktionsdefiziten eine Regelabweichung als Krankheit angesehen werden, wenn eine entstellende Wirkung vorliegt (KassKomm-Höfler SGB V § 27 Rdnr 12b). Eine entstellende Wirkung liegt vor, wenn die schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen zu bemerkende körperliche Unregelmäßigkeit es den Versicherten erschwert oder unmöglich macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen (BSG, Urteil vom 23. Juli 2002, Az: B 3 KR 66/01 R). Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Entstellung ist vom bekleideten Zustand des zu Beurteilenden auszugehen (Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt , Urteil vom 16. November 2006, Az: L 4 KR 60/04). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer entstellenden Wirkung durch die Beschaffenheit der Brüste ergeben sich weder aus dem Vortrag der Klägerin noch aus den in den Akten befindlichen medizinischen Berichten.

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Schließlich lässt sich die medizinische Notwendigkeit einer Brustverkleinerungsoperation auch nicht unter Berücksichtigung behandlungsärztlich festgestellter Wirbelsäulenerkrankungen rechtfertigen. An die Notwendigkeit einer Brustverkleinerungsoperation zur Behandlung orthopädischer Leiden sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, da in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen würde. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen orthopädischen Gesundheitsstörungen und der Brustgröße gibt es bisher nicht (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen , Urteil vom 26. April 2006, Az: L 11 KR 24/05; LSG Niedersachsen-H. , Urteil vom 2. April 2008, Az: L 4 KR 295/04 und Urteil vom 20. Juni 2007, Az: L 4 KR 153/05). Danach lässt sich im vorliegenden Fall eine medizinische Notwendigkeit zur Brustverkleinerungsoperation nicht rechtfertigen. Denn zum einen ist nach den Feststellungen des MDKN nicht davon auszugehen, dass sich die durch die Psoriasis-Arthropatie und die degenerativen Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule bedingten Krankheitsbeschwerden durch eine Brustverkleinerung beheben lassen. Diese Einschätzung wird von den behandelnden Ärzten nicht überzeugend widerlegt. Vielmehr besteht auch nach den Attesten der behandelnden Ärzte lediglich die Möglichkeit, dass durch eine Brustverkleinerung eine Linderung der Wirbelsäulenbeschwerden erreicht werden könnte. Der behandelnde Arzt Dr. I. räumte ausdrücklich ein, ihm sei natürlich auch klar, dass der Vollbeweis eines Zusammenhangs durch Belastung durch übergroße Brüste und cervicaler Bandscheibe nicht zu führen sei (vgl Attest vom 30. Juni 2003). Gegen einen Zusammenhang zwischen der Brustgröße und den Wirbelsäulenbeschwerden spricht, dass die Brüste der Klägerin ihren Angaben zufolge schon immer groß gewesen seien, Wirbelsäulenbeschwerden jedoch erst seit Progredienz der Psoriasis-Arthropathie Mitte 2000 bestehen. Zum anderen ist die Kammer nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt, dass die Wirbelsäulenbeschwerden einer Behandlung durch Arznei- und Heilmittel zugänglich sind. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich aus dem Entlassungsbericht des Zentralkrankenhauses J. -Strasse vom 13. Dezember 2002. Danach konnte unter krankengymnastischer Therapie, Antiphlogistika-Gabe und muskelrelaxierender Medikation eine Besserung der Beschwerdesymptomatik erzielt werden. Diese Maßnahmen der Krankenbehandlung, die in der Vergangenheit erfolgreich waren und infolgedessen vorrangig durchzuführen sind, hat die Klägerin nicht ausgeschöpft. Dem Bericht des Dr. I. vom 13. Juli 2006 zufolge befand sich die Klägerin letztmalig im Juni 2003 in fachorthopädischer Behandlung.

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Soweit die Klägerin gegenüber der vom MDKN als angezeigt angesehenen Gewichtsreduktion eingewandt hat, mit dieser sei nicht unbedingt eine Verkleinerung der Brüste einhergehend, folgt aus dem Vergleich der vom MDKN am 2. Juni 2003 erhobenen Befunde mit den von Dr. N. am 29. März 2006 erhobenen Befunden, dass durch die Reduzierung des Körpergewichts um 20 kg eine erhebliche Brustverkleinerung erzielt wurde (Reduzierung der Oberbrustweite um 20 cm).

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Mangels hinreichender Anhaltspunkte dafür, dass sich durch eine Brustverkleinerungsoperation die Beschwerden im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich vermindern lassen, sieht die Kammer keinen Anlass, die Begutachtung der Klägerin durch einen Sachverständigen anzuordnen. Von der Möglichkeit, nach § 109 SGG einen Antrag auf gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes zu stellen, hat die Klägerin trotz eines entsprechenden Hinweises nicht Gebrauch gemacht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.