Sozialgericht Stade
v. 15.05.2008, Az.: S 30 R 54/06
Rechtmäßigkeit der Zurückforderung eines überzahlten Zuschlags zur Krankenversicherung; Anforderungen an ein Wissen bzw. fahrlässiges Nichtwissen des Betroffenen hinsichtlich des Ruhens oder des Wegfalls eines sich aus einem Verwaltungsakt ergebenen Anspruchs kraft Gesetzes
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 15.05.2008
- Aktenzeichen
- S 30 R 54/06
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2008, 33991
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:0515.S30R54.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 106 SGB VI
- § 106a SGB VI
- § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X
- § 50 Abs. 1 SGB X
- § 54 Abs. 2 SGG
Redaktioneller Leitsatz
Der Empfänger eines Zuschusses zu einer freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung gemäß §§ 106, 106a SGB VI verletzt seine erforderliche Sorgfalt im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X in besonders schwerem Maße, wenn er aufgrund des Eintritts seiner Krankenversicherungspflicht und des gleichzeitigen Wegfalls der Beiträge zur freiwilligen Versicherung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erkennen konnte und musste, dass ihm die weiterhin ausgezahlten Zuschüsse nicht mehr zustanden.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin währt sich mit der Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, mit dem diese einen überzahlten Zuschlag zur Krankenversicherung gem. § 106 SGB VI zurückfordert.
Die Klägerin, geboren im Jahre 1946, war seit dem Jahr 1992 selbständig tätig und während dieser Zeit freiwillig krankenversichert bei der HKK - Handelskrankenkasse. Vom 15. Dezember 2000 an bis zum 24. März 2002 bezog die Klägerin von der Handelskrankenkasse Krankengeld, ohne Beiträge zur Krankenkasse zu zahlen.
Nach dem Tod ihres Ehemannes im März 2001 beantragte die Klägerin Ende Juni 2001 bei der Beklagten Witwenrente sowie einen Zuschuss gem. §§ 106, 106a SGB VI zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung. Das Antragsformular war dabei so gestaltet, dass der Antragsteller eine Erklärung mit unterzeichnet, nach der er wesentliche Änderungen der Beklagten mitzuteilen habe.
Seit 7. August 2001 bezog die Klägerin Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) vom zuständigen Landkreis, seit 2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 18. Februar 2002 bewilligte die Beklagte die beantragte Witwenrente inklusive der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung, wobei sie von weiterhin bestehender freiwilliger Versicherung ausging. Erst im Jahre 2005 erfuhr die Beklagte aufgrund eines Datenabgleichs, dass die Klägerin bereits seit dem 25. März 2002 wieder pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Dies führte zu einer Neuberechnung der bewilligten Rente sowie Erlass eines neues Rentenbescheids am 27. Januar 2005. Nach Anhörung hob die Beklagte außerdem mit Bescheid vom 25. Februar 2005 den ursprünglichen Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung auf und forderte die bis dahin zur Auszahlung gekommenen Zuschüsse iHv insgesamt 1.270,37 EUR von der Klägerin zurück. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 2006 als unbegründet zurück. Am 2. Februar 2006 hat die Klägerin Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor, die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Sie habe die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt. Es sei nicht der Klägerin anzulasten, dass die Krankenkasse erst im Januar 2005 der Beklagten mitteilte, dass sich das Versicherungsverhältnis bereits 2002 geändert hatte. Der Umstand, dass die Zuschüsse unberechtigt erfolgten, sei für die Klägerin in keiner Weise erkennbar gewesen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 25. Februar 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Januar 2006 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im angegriffenen Bescheid und Widerspruchsbescheid.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 14. November 2007 waren, verwiesen.
Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 SGG angehört und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gem. § 105 Abs. 1 SGG entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art mehr aufwies.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die angegriffene Entscheidung der Beklagten über die Rückforderung des Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht, § 54 Abs. 2 SGG. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sind erfüllt.
Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2 Nr. 4 soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt im besonders schwerem Maße verletzt hat, dass sich der aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 25. Februar 2005 ist in formeller und materieller Hinsicht rechtmäßig ergangen, soweit er den Bescheid vom 18. Februar 2002 hinsichtlich des bewilligten Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß §§ 106, 106a SGB VI aufhob und den überzahlten Betrag zur Erstattung festsetzte.
Das Gericht ist überzeugt, dass die Klägerin, der ein positives Wissen insoweit letztlich nicht unterstellt werden kann, jedenfalls nur aufgrund einer Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße nicht wusste, dass ihr Anspruch auf den Zuschuss weggefallen war, so dass die Voraussetzung insbesondere des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfüllt ist. Denn die Klägerin hätte nach dem Dafürhalten des erkennenden Gerichts unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erkennen können und müssen, dass ihr die von der Beklagten weiterhin ausgezahlten Zuschüsse nicht mehr zustanden. Dies ergibt sich aus der Zusammenschau der konkreten Umstände. Denn es steht fest, dass die Klägerin seit dem 25. März 2002 pflichtversichert war und tatsächlich auch seitdem keine freiwilligen Versicherungsbeiträge mehr an ihre Krankenkasse zahlte. Bei vernünftiger Betrachtungsweise drängt sich auch für einen Laien auf, dass für den Erhalt von Zuschüssen der Beklagten für Beitragszahlungen zur freiwilligen Versicherung keine Grundlage mehr besteht, wenn diese tatsächlich nicht mehr erbracht werden.
Die Klägerin kann sich dabei nicht darauf berufen, dass sie nicht gewusst habe, dass sie seit März 2002 wieder pflichtversichert gewesen sei. Denn dieser Vortrag erscheint dem Gericht wenig nachvollziehbar. Zum einen ist wiederum darauf zu verweisen, dass die Klägerin nach Abschluss des Krankengeldbezuges keine Beiträge zur freiwilligen Versicherung mehr entrichtete, wie sie es zuvor über mehrere Jahre getan hatte, und damit schon durch ihr eigenes Verhalten zum Ausdruck gebracht hat, dass sich auch aus ihrer Sicht offenbar etwas im bisherigen Versicherungsverhältnis bei ihrer Krankenkasse verändert haben musste. Andernfalls hätte die Beitragszahlung nach Ablauf des Krankengeldbezugs wieder aufgenommen werden müssen. Zum anderen ist nicht glaubhaft, dass die Klägerin zwischen 2002 und 2005 keine Klarheit über ihren Krankenversicherungsstatus erhalten haben könnte, denn es ist unwahrscheinlich, dass sie in diesen Jahren nicht wenigstens einmal bei einem Arzt gewesen sein könnte. Es ist daher anzunehmen, dass sie in diesem Zusammenhang Leistungen aus der gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch genommen hat, obwohl sie keine freiwilligen Beiträge mehr entrichtet hatte. Spätestens dadurch muss der Klägerin klar gewesen sein, dass sie offensichtlich pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenkasse war. Zumindest hätte die Klägerin erkennen müssen, dass Änderungen im Versicherungsverhältnis eingetreten waren, die angesichts des weiterlaufenden Bezugs des Zuschusses durch die Beklagte gegebenenfalls Anlass für eine Rückfrage bei der Krankenversicherung hätten geben können. Eine Mitteilung der Klägerin an die Beklagte über die Änderungen im Versicherungsverhältnisses erfolgte jedoch nicht, obwohl die Klägerin im Antrag unterschrieben hatte, dass sie jede Änderung mitteilen würde. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, sie habe von der Mitteilungspflicht nichts gewusst, da ihr bei der Antragstellung seinerzeit von fachkundiger Seite geholfen wurde und sie nur unterschreiben musste. Denn durch ihre Unterschrift hat sie erklärt, dass die vorstehenden Angaben und Erklärung von ihr getragen werden. Es obliegt ihrer Verantwortung, wenn sie Formulare unterzeichnet, ohne deren Inhalt zuvor zu prüfen.
Soweit der Beklagten hinsichtlich einer Aufhebung eines Dauerverwaltungsaktes mit Wirkung ab Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ein eingeschränktes Ermessen eingeräumt ist, sind keine Ermessensfehler erkennbar. Nach den gesetzlichen Vorgaben soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Regelfall rückwirkend ab Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn einer der Regeltatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X erfüllt ist. Von der Aufhebung ab Änderung der Verhältnisse kann demnach nur bei Vorliegen besonderer atypischer Umstände im Einzelfall abgesehen werden. Das Gericht vermag im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, dass der Sachverhalt vom Regelfall der Tatbestände in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X signifikant abweicht, so dass kein Raum auf diesbezügliches Ermessen eröffnet war (vgl Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, SGB X, § 48 Rn. 36f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.