Sozialgericht Stade
Urt. v. 15.12.2008, Az.: S 13 EG 6/07

Rechtmäßigkeit einer Kürzung von gewährtem Erziehungsgeld wegen verspätet nachgeholter Mitwirkung; Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Kürzung eines Erziehungsgeldanspruches

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
15.12.2008
Aktenzeichen
S 13 EG 6/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 33996
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2008:1215.S13EG6.07.0A

Tenor:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 25. Oktober 2007 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 4. Mai 2006 bis 3. Mai 2007 Erziehungsgeld unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bewilligen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wehrt sich gegen eine Kürzung des ihr gewährten Erziehungsgeldes wegen verspätet nachgeholter Mitwirkung.

2

Die Klägerin beantragte im Juli 2006 Erziehungsgeld (Regelbeitrag) für ihr am 4. Mai 2006 geborenes Kind G ... Sie ließ sich dabei gegenüber dem Beklagten von ihrem Schwager vertreten. Dieser teilte im Rahmen des Antragstellung mit, dass die Klägerin von März 2005 bis November 2005 im Bereich des Küchen- und Servicebereichs in Hotels selbständig tätig war, danach als Haushaltshilfe in einer Unternehmensberatung arbeitete und seit der Heirat im April 2006 kein Einkommen mehr erzielte. Die vom Beklagten geforderten Nachweise insbesondere in Gestalt des Einkommenssteuerbescheids und einer Erklärung zur Selbständigkeit reichte der Schwager jedoch zunächst nicht ein.

3

Mit Bescheid vom 8. Februar 2007 versagte der Beklagte die beantragte Leistung auf Grundlage des § 66 SGB I. Erst am 12. September 2007 reichte die Klägerin den Einkommenssteuerbescheid 2005 ihres Ehemannes und von sich sowie die auf den 28. November 2005 datierte Gewerbeabmeldung und eine Arbeitgeberauskunft vom 14. Dezember 2005 beim Beklagten ein. Der Einkommenssteuerbescheid des Ehemannes datiert dabei auf den 22. Mai 2007, nimmt aber Bezug auf einen Bescheid vom 23. November 2006.

4

Der Beklagte berechnete nunmehr den Leistungsanspruch der Klägerin, die demnach unter Anrechnung von Mutterschaftsgeld Anspruch auf Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr ihres Kindes iHv 40,00 EUR für den Zeitraum 4. Juni 2006 bis 3. Juli 2006 und monatlich 300,00 EUR vom 4. Juli 2006 bis 3. Mai 2007 hatte. Mit Bescheid vom 25. Oktober 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin dennoch nur einen Betrag iHv 1.216,00 EUR, da für jeden Monat seit Erlass des Versagungsbescheids vom Februar 2007 bis zu Einreichung der Unterlagen im September 2007 auf Grundlage des § 67 SGB I eine Kürzung von 10% vorgenommen wurde. Am 19. November 2007 hat die Klägerin Klage erhoben.

5

Sie trägt vor, die Kürzung sei ungerechtfertigt, da sie und der für sie handelnde Schwager die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt hätten.

6

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 25. Oktober 2007 zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 4. Mai 2006 bis zum 3. Mai 2007 das volle Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 300,00 EUR zu bewilligen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Er verweist darauf, dass es keinen Grund für die verspätete Einreichung der notwendigen Unterlagen gebe und dies im Rahmen der Ermessensentscheidung des § 67 Abs. 1 SGB I zum Nachteil der Klägerin zu berücksichtigen sei.

9

Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte des Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 15. Dezember 2008 waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Klage hat in dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

11

Die vom Beklagten vorgenommene Kürzung des Erziehungsgeldes auf Grundlage des § 67 Abs. 1 SGB I erweist sich als ermessensfehlerhaft und beschwert insoweit die Klägerin, § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

12

Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I kann ein Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 52 und 65 nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Gemäß § 67 Abs. 1 SGB I kann der Leistungsträger die Sozialleistungen, die er nach § 66 versagt oder entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise erbringen, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird und die Leistungsvoraussetzungen vorliegen.

13

Im Falle von Ermessensentscheidung kann das Gericht nur nachprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Sozialleistungsträger in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Wiese Gebrauch gemacht wurde, § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG.

14

Der materielle Leistungsanspruch der Klägerin nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzG) und die weiteren Voraussetzungen der §§ 66, 67 SGB I sind unter den Beteiligten nicht strittig. Die Entscheidung des Beklagten über eine Kürzung des zustehenden Erziehungsgeldes in Höhe von 10% für jeden Monat der Verspätung seit der Versagung war nach Überzeugung des erkennenden Gerichts jedoch ermessensfehlerhaft, weil das eingeräumte Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt wurde. Die Kürzung war in der konkreten Höhe unverhältnismäßig. Zwar hält das Gericht eine Kürzung aufgrund der verspäteten Einreichung der notwendigen Unterlagen aufgrund des damit verbundenen vermeidbaren Mehraufwandes seitens des Beklagten für nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings muss diese Kürzung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls angemessen ausfallen. Dies war hier nicht der Fall.

15

Die Ermessensentscheidung des zuständigen Leistungsträgers gemäß § 67 Abs. 1 SGB I muss auf einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere dem Zweck und der Art der Sozialleistung sowie des Grades der Pflichtwidrigkeit erfolgen (vgl Seewald in: Kasseler Kommentar, SGB I, § 67 Rn 9; Hauck in: Hauck/Noftz, SGB I, § 67 Rn 4). Der Anschein einer Bestrafung bei der Abwägung ist zu vermeiden, so dass nach diesen Maßgaben das Ermessen praktisch weitgehend eingeschränkt ist (vgl Seewald a.a.O..). Entgegen der Auffassung des Beklagten ist es nicht Zweck des eingeräumten Ermessens im Rahmen des § 67 SGB I, durch die Kürzung der nach materiellem Recht zustehenden Sozialleistung eine Form der Bestrafung und nachhaltigen Erziehung des Betroffenen für seine zunächst mangelnde Mitwirkung zu erreichen. Nach Lesart des Gerichts zielt das eingeräumte Ermessen in erster Linie auf die notwendige Prüfung ab, ob die Sozialleistung für die Zeit, in der die Mitwirkung pflichtwidrig unterblieben ist, noch erbracht werden kann oder nicht (vgl Hauck in: Hauck/Noftz, SGB I, § 67 Rn 3). Dies spielt insbesondere bei Sach- oder Dienstleistungen eine Rolle, die - anders als Geldleistungen - im Einzelfall möglicherweise tatsächlich nicht mehr ohne Weiteres erbracht werden können.

16

Nach den Umständen dieses Einzelfalls kommt eine Kürzung des der Klägerin zustehenden Erziehungsgeldes nach Überzeugung des Gerichts allenfalls bis zu einer Höhe von 10% der Gesamtleistung in Betracht, um die dem Beklagten durch die mangelnde Mitwirkung entstandenen Mehrkosten und den der Klägerin zuzurechnenden, aber vermeidbaren Verwaltungsmehraufwand entstanden Kosten auszugleichen. Insoweit besteht ein nachvollziehbarer und anzuerkennender sachlicher Grund für eine Kürzung des nach verspäteter Mitwirkung zu erbringenden Erziehungsgeldes. Eine weitergehende Kürzung kommt jedoch nicht in Betracht, und zwar vor allem mit Blick auf den Sinn und Zweck der betroffenen Sozialleistung und den engen Zusammenhang mit der Kindererziehung. Das Erziehungsgeld dient der wirtschaftlichen Unterstützung einkommensschwacher Familien nach der Geburt eines Kindes. Die mit der Kindererziehung einhergehenden finanziellen Belastungen sollen aufgefangen und eine ausreichende Versorgung des Kindes sichergestellt oder zumindest gefördert werden. Damit dient das Erziehungsgeld mittelbar dem Kindeswohl. Eine Kürzung des zustehenden Erziehungsgeldes um mehr als die Hälfte des eigentlichen Anspruchs, wie vom Beklagten vorgenommen, wirkt sich dadurch auch für das Kind negativ aus. Von daher sind strenge Maßstäbe an den Umfang der möglichen Kürzung anzulegen. Neben dem Zusammenhang mit dem Kindeswohl und der ebenfalls zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Situation der Klägerin, durch die Sozialleistung eine höhere Bedeutung für sie erhält, wird als weiterer Umstand in die Abwägung einzubeziehen sein, dass die Klägerin selbst nicht gut deutsch spricht und die Versäumnisse der Mitwirkung offenbar in erster Linie auf dem Verhalten des Schwagers beruhen, dem die Klägerin die Regelung der behördlichen Angelegenheiten überlassen hatte. Rechtlich gesehen muss sich die Klägerin das Verhalten ihres Vertreters zwar zurechnen lassen, faktisch war ihr Anteil an den Kommunikationsproblemen zwischen den Beteiligten im Verwaltungsverfahren aufgrund der konkreten Konstellation jedoch begrenzt. Letztlich würde die Klägerin auch für das Verhalten des als Vertreter handelnden Schwagers bestraft.

17

Der Beklagte wird dies bei seiner erforderlichen Neubescheidung des Leistungsantrags vom Juli 2006 zu beachten haben und der Klägerin zu den bereits ausgezahlten 1.216,00 EUR einen weiteren Betrag für den betroffenen Zeitraum ab Mai 2006 gewähren müssen. Es steht dabei in seinem pflichtgemäßen Ermessen, ob er die vom Gericht für angemessen erachtete Kürzung um 10% des Gesamtanspruchs überhaupt vornehmen will. Eine weitergehende Kürzung kommt nach Überzeugung des Gerichts in jedem Falle nicht in Betracht.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.