Sozialgericht Stade
Urt. v. 27.08.2008, Az.: S 9 R 226/05
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 27.08.2008
- Aktenzeichen
- S 9 R 226/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 44878
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:0827.S9R226.05.0A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wehrt sich mit der Klage gegen die Durchführung einer Verrechnung durch die Beklagte zugunsten der beigeladenen Krankenkasse.
Der Kläger, geboren im Jahre 1948, bezog auf Grundlage eines Bescheids der Beklagten vom 10. Dezember 2003 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. November 2001 in Höhe von anfangs 388,81 EUR netto monatlich. Daneben bezieht der Kläger laufend eine Unfallrente von der I. -Berufsgenossenschaft in Höhe von 693,33 EUR. Seit dem 1. August 2008 bezieht er eine Altersrente von der Beklagten.
Für den Zeitraum Oktober 1992 bis Januar 1993 schuldete der Kläger der Beigeladenen Krankenkasse Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von anfangs 137 429,73 DM (70 266,71 EUR). Mit Schreiben vom 9. Februar 1993 ermächtigte die beigeladene Krankenkasse die Beklagte zur Verrechnung ihrer Forderung mit Leistungen der Beklagten gem §§ 52, 51 SGB I.
Am 27. März 2002 wurde über das Vermögen des Klägers vor dem Amtsgericht Stade das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagte erfuhr hiervon erst am 11. Februar 2004 durch eine Meldung des Insolvenzverwalters. Das Insolvenzverfahren wurde am 30. Juni 2008 beendet.
Mit Schreiben vom 25. März 2004 informierte die Beklagte den Kläger über das Verrechnungsersuchen der beigeladenen Krankenkasse. Nach erfolgter Anhörung zur beabsichtigten Verrechnung in Höhe von 100,00 EUR monatlich zur Tilgung der Forderung der Beigeladenen, die seiner Zeit noch 65 797,24 EUR betrug, führte die Beklagte die angekündigte Verrechnung mit Bescheid vom 17. Februar 2005 durch und behielt fortan 100,00 EUR monatlich von der von ihr ausgezahlten Rente des Klägers ein. Dieser Bescheid wurde, soweit ersichtlich, bestandskräftig.
Auf den Antrag des Klägers auf Gewährung eines Zuschusses zur Krankenversicherung gem § 106 SGB VI ließ die Beklagte am 4. Mai 2005 den streitgegenständlichen Bescheid, mit dem die zwischenzeitlich auf 427,03 EUR gestiegene Rente ab 1. Juni 2005 neu festgesetzt wurde. Es wurde antragsgemäß ein Zuschlag in Höhe von 30,96 EUR bewilligt. Weiterhin wurde der Betrag iHv 100,00 EUR monatlich zugunsten der Beigeladenen einbehalten. Zur Auszahlung kamen seit Juni 2005 damit 357,99 EUR. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2005 als unbegründet zurück. Am 30. August 2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor, durch die Verrechnung stehe ihm nicht einmal mehr der Pfändungsfreibetrag in Höhe von 940,00 EUR zur Verfügung. Außerdem sei die Aufrechnung im Insolvenzverfahren ohnehin nicht statthaft, da die Zwei-Jahres-Frist des § 114 Abs 1 Insolvenzordnung (InsO) schon abgelaufen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 4. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und betont, dass nach ihrer Ansicht der § 114 InsO nur die zur Masse gehörigen Teile des Vermögens und Einkommens betreffen könne. Die von ihr ausgezahlte Rente falle jedoch noch unter die Pfändungsfreigrenzen und sei nicht von der Insolvenzordnung umfasst, weil nicht pfändbar.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 27. August 2008 waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 4. Mai 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. August 2005 bezüglich der Rente ab 1. Juni 2005 erweist sich hinsichtlich der Einbehaltung von 100,00 EUR als Verrechnung zugunsten der Beigeladenen als rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht, § 54 Abs 2 SGG. Die durchgeführte Verrechnung ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
Gem § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 die Aufrechnung zulässig ist. Gem § 51 Abs 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach dem § 54 Abs 2 und 4 pfändbar sind. Gem Abs 2 kann der zuständige Leistungsträger mit Ansprüchen auf Erstattung zu unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Zwölften Buches über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch wird. Gem § 54 Abs 4 SGB I können Anspruche auf laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.
Nach diesen Maßgaben sind die Voraussetzungen für eine Verrechnung erfüllt. Die Beklagte wurde von der beigeladenen Krankenkasse bereits im Jahre 1993 zur Verrechnung mit dort offenen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen ermächtigt. Eine Aufrechnungslage im Sinne von §§ 52, 51 Abs 1 SGB I lag ebenfalls vor. Denn bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung des Klägers handelt es sich um eine laufende Geldleistung, die gem § 54 Abs 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden kann.
Das seinerzeit laufende, mittlerweile beendete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers steht bzw stand der Verrechnung nicht entgegen. Zwar gehört das Renteneinkommen des Klägers gem § 35 Abs 1 InsO grundsätzlich als sogenannter Neuerwerb zur Insolvenzmasse, allerdings nur mit seinem pfändbaren Anteil (vgl Bäuerle in: Braun, Insolvenzordnung, 3 Auflage 2007, § 35, Rn 24). Unpfändbare Vermögens- und Einkommensteile gehören hingegen nicht zur Insolvenzmasse. Ob und inwieweit das Renteneinkommen des Klägers pfändbar ist, ergibt sich aus den §§ 850 ff ZPO, insbesondere unter Beachtung der gesetzlich festgelegten Pfändungsfreigrenzen. Gem § 850c Abs 1 ist Arbeitseinkommen unpfändbar, wenn es je nach dem Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als 985,15 EUR (in der Fassung der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2005 vom 25. Februar 2005) beträgt. Diese Pfändungsgrenzen gelten wegen § 54 Abs 4 SGB I und § 850 Abs 2 ZPO auch für das Renteneinkommen des Klägers, soweit es von der Beklagten gezahlt wird. Die von der Berufsgenossenschaft gewährte Rente ist wegen § 850b Abs 1 Nr 1 ZPO unpfändbar.
Die dem Kläger von der Beklagten gewährte Rente wegen Erwerbsminderung betrug zuletzt insgesamt 427,03 EUR zzgl des ab Juni 2005 gewährten Zuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 30,96 EUR und lag damit innerhalb der Pfändungsfreigrenze des § 850c ZPO. Die laufenden Rentenleistungen der Beklagten an den Kläger zählten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mithin nicht zum relevanten Neuerwerb und damit auch nicht zur Insolvenzmasse.
Auf die Zwei-Jahres-Frist des § 114 Abs 1 InsO kam es entgegen der Auffassung des Klägers nicht mehr an. Zwar ist § 114 InsO auf eine Verrechnung wie im vorliegenden Falle grundsätzlich anwendbar (vgl Bundessozialgericht, Urteil von 10. Dezember 2003 -B 5 RJ 18/03 R-; BGH 9 Zivilsenat , Beschluss vom 29. Mai 2008 -IX ZB 51/07 -). Allerdings kommt § 114 InsO nur zur Anwendung, wenn es sich um eine Verrechnung mit pfändbaren Einkommensanteilen handelt, dh die Insolvenzordnung überhaupt einschlägig ist. Dies ist hier, wie oben dargestellt, gerade nicht der Fall, da die Rentenleistungen unterhalb der Pfändungsfreigrenzen liegen und damit nicht zur Insolvenzmasse gehören. Die Beklagte musste bei der durchgeführten Verrechnung in der Folge auch keine insolvenzrechtlich begründete zeitliche Grenze beachten. Der Schutzzweck des § 114 InsO, der den Zugriff der Gläubiger auf den Neuerwerb regelt und sicherstellt, konnte nicht zum Tragen kommen, da die Rentenzahlungen von vornherein nicht zur Befriedigung anderer Gläubiger zur Verfügung standen.
Die Verrechnung ist schließlich auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte ist im Rahmen einer Verrechnung gem §§ 52, 51 Abs 2 SGB I nicht an die Pfändungsfreigrenzen der ZPO gebunden, sondern allein an die Grenze der Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII bzw SGB II (vgl Seewald in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand 57. EL 2008, SGB I, § 51 , Rn 18/19). Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er durch die monatliche Verrechnung in Höhe von 100,00 EUR hilfebedürftig würde. Angesichts der bekannten Einkommensverhältnisse, insbesondere unter Berücksichtigung des Bezugs der Rente der Berufsgenossenschaft, ist ein Eintreten von Hilfebedürftigkeit auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.