Sozialgericht Stade
Urt. v. 09.04.2008, Az.: S 9 R 178/05
Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente bei lediglich zwei Tage dauernder Ehe
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 09.04.2008
- Aktenzeichen
- S 9 R 178/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 47352
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2008:0409.S9R178.05.0A
Rechtsgrundlage
- § 46 Abs. 2a SGB VI
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente von der Beklagten.
Die Klägerin ist Witwe des Herrn KarlG ... Die Hochzeit fand am 10. Januar 2005 statt. Zwei Tage nach der Hochzeit, am 12. Januar 2005, verstarb der Ehemann der Klägerin im Klinikum H. an den Folgen einer schweren Krebserkrankung.
Die Klägerin stellte am 3. Februar 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Witwenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. April 2005 unter Hinweis auf § 46 Abs. 2a SGB VI mit der Begründung ab, dass das Vorliegen einer sog Versorgungsehe vermutet werde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2005 als unbegründet zurück. Am 18. Juli 2005 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin trägt vor, sie habe mit ihrem verstorbenen Ehemann bereits seit dem Jahre 2000 zusammen gelebt. Man habe schon im Jahre 2002 heiraten wollen und sich seinerzeit auch bereits Abstammungsurkunden besorgt. Die Heirat sei wegen besonderer Umstände, insbesondere einer Erkrankung der Tochter der Klägerin und einer damit verbundenen notwendigen Änderung der Wohnsituation, zunächst zurückgestellt worden. Man habe ein ebenerdiges Haus gesucht, das schließlich im Herbst 2004 gekauft werden konnte. Das Haus, das zu 2/3 der Klägerin und 1/3 ihrer Tochter gehöre, werde auch heute noch von ihnen bewohnt. Der verstorbene Ehemann sei nicht Vertragspartei oder Miteigentümer geworden, da dies nicht für erforderlich gehalten wurde. An den Wohnkosten habe er sich beteiligt. Mit ihrem Gehalt von rund 1.000,00 EUR netto monatlich habe die Klägerin jedoch von Anfang an die monatliche Belastung von rund 295,00 EUR selbst tragen können. Sie sei wirtschaftlich abgesichert und nicht auf die finanzielle Hilfe des verstorbenen Ehemannes angewiesen gewesen. Die Hochzeit habe seinerzeit zu einem Zeitpunkt stattgefunden, an dem noch Hoffnung auf eine Genesung des Klägers bestanden habe. Erst danach sei ein zweiter Schlaganfall und eine rapide Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Ehemannes eingetreten. Der Entschluss zu heiraten, sei gefasst worden, da es der sehnlichste Wunsch des verstorbenen Ehemannes gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19. April 2005 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 21. Juni 2005 zu verpflichten, der Klägerin antragsgemäß Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf den Bericht des Klinikums H. vom 18. März 2005, in dem es heißt, während eines weiteren stationären Aufenthaltes des Ehemannes sei es am 5. Januar 2005 zu einer erneuten akuten Verschlechterung mit einer Halbseitensymptomatik rechts gekommen aufgrund eines ausgedehnten Media-Infarktes links sowie eines kleinen frischen Rindeninfarkts. Trotz supportiver Maßnahmen habe sich der Zustand des Ehemannes der Klägerin rapide verschlechtert.
Zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen und zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorliegende Verwaltungsakte der Beklagten, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 9. April 2008 waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
Die angegriffene Entscheidung der Beklagten erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht,§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente gegen die Beklagte.
Gem § 46 Abs. 2 SGB VI haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie (1.) ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, (2.) das 47. Lebensjahr vollendet haben oder (3.) erwerbsgemindert sind. Gem § 46 Abs. 2a SGB VI haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Nach diesen gesetzlichen Maßgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Witwenrente. Da die Ehe lediglich zwei Tage und damit weniger als ein Jahr gedauert hatte, als der Ehemann der Klägerin verstarb, greift der Anspruchsaus-schluss des § 46 Abs. 2a SGB VI durch. Es konnten im Ergebnis der Befragung der Klägerin im Rahmen der mündlichen Ver-handlung sowie unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen nach Abwägung der Gesamtumstände keine Umstände festgestellt werden, die entgegen der gesetzlichen Vermutung in § 46 Abs. 2a SGB VI auf überzeugende Weise die Annahme rechtfertigen, dass die Ehe nicht zum alleinigen oder überwiegenden Zweck der Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung geschlossen wurde.
Diese Einschätzung ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass die von der Klägerin dar-gestellte alternative Motivationslage zur Heirat so kurz vor dem Tode des Ehemannes nach Überzeugung des Gerichts nicht gegen die Annahme spricht, dass es im Grunde doch um die Begründung eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung ging.
Unter Zugrundelegung des Berichts des Klinikums H. vom 18. März 2005 ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Tod des Ehemannes am Tag der Heirat, d.h. am 10. Januar 2005, bereits absehbar und überwiegend wahrscheinlich war. Die Ehe wurde demnach in dem Bewusstsein geschlossen, dass voraussichtlich kein gemeinsames Eheleben mehr würde erlebt werden können, so dass dies nicht der Grund für die Heirat gewesen sein kann.
Soweit die Klägerin vorträgt, die Hochzeit sei der sehnlichste Wunsch des verstorbenen Ehemannes gewesen, kann das Gericht dem zwar folgen. Es bleibt dadurch aber unbeantwortet, warum der Heiratswunsch im Angesicht des nahen Todes so stark war. Es ist nach dem Dafürhalten des Gerichts nicht auszuschließen, dass der Wunsch zu Heiraten gerade deshalb so stark war, weil dadurch die Rechtsposition der Klägerin verbessert werden sollte. Denn die Klägerin und ihr Ehemann haben zum Zeitpunkt der Heirat und des kurz danach eintretenden Todesfalles bereits fast fünf Jahre zusammen gelebt. Das Gericht konnte keine überzeugende Antwort auf die sich aufdrängende Frage finden, warum die Hochzeit dann denn nicht schon früher vollzogen wurde, sondern gerade mit Blick auf den zu erwartenden Tod. Wäre es der Klägerin und ihrem Ehemann nur um das Heiraten an sich gegangen, ist nicht erklärbar, warum die Hochzeit nicht schon beispielsweise ein Jahr oder auch nur zwei Monate vorher vorgenommen wurde.
Diesbezüglich hat die Klägerin darauf verwiesen, dass die bereits 2002 geplante Hochzeit aufgrund besonderer Umstände immer wieder verschoben wurde. Aber auch dies erklärt nicht, warum dann gerade unter den ebenfalls besonderen Umständen Anfang Januar 2005 kurzfristig geheiratet wurde. Da zum Zeitpunkt der Heirat klar war, dass keine gemeinsame Ehezeit mehr verlebt werden kann, muss die Hochzeit zum konkreten Zeitpunkt aus anderen Gründen noch für notwendig gehalten worden sein. Eine Heirat um ihrer selbst willen erscheint in der konkreten Situation wiederum nicht glaubhaft, weil eine mehrjährige Zeit des Zusammenlebens ohne Trauschein vorausgegangen ist, in der ohne Weiteres ebenso kurzfristig hätte geheiratet werden können. Wenn die Hochzeit erst im Angesicht des Todes für notwendig erachtet wurde, muss dies andere Gründe als nur den Wunsch nach ehelichem Verbundensein gehabt haben. Die vom Gesetzgeber niedergelegte gesetzliche Vermutung, dass in einer solchen Situation vor allem wegen des zu begründenden Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung geheiratet würde, steht unter diesen Umständen ohne schlüssige Alternative im Raum.
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass sie aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation nicht auf die Hinterbliebenenversorgung angewiesen war und ist, wurde dies vom erkennenden Gericht berücksichtigt und bewogen, führte im Ergebnis jedoch nicht dazu, dass das Gericht die Annahme für gerechtfertigt hielt, dass nicht dennoch ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung begründet werden sollte. Denn die wirtschaftliche Situation der Klägerin ist nicht als so gut zu bewerten, dass allein deshalb die Annahme ge-rechtfertigt wäre, dass es ihr und ihrem Ehemann bei der Heirat nicht um die Begründung des Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung gegangen ist.
Die wirtschaftliche Situation der Witwe ist zur Beurteilung der vermutlichen Motivationslage und der weiteren Umstände der Heirat als Indiz zu bewerten und die Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Zutreffend weist die Klägerin hierzu auf Beispiele aus der Rechtsprechung hin (nämlich Sozialgericht Koblenz, Urt v 14.9.2005 - S 6 KNR 16/05 - und Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt v31.1.2007 - L 16 R 487/06 -). Nach Einschätzung des Gerichts ist die wirtschaftliche Situation der Klägerin jedoch nicht derartig gut, dass es als unsinnig oder nebensächlich zu betrachten wäre, daneben auch eine Witwenrente zu beziehen. Nach eigenen Angaben der Klägerin, die sich durch die in der Verwaltungsakte befindlichen Unterlagen auch bestätigen lassen, steht der Klägerin ein monatliches Nettoeinkommen iHv rund 1.000,00 EUR zur Verfügung. Davon sind neben der Deckung des allgemeinen Lebensunterhalts Belastungen aus dem Hauskauf iHv 295,00 EUR zu erbringen. Auch wenn das Auskommen der Klägerin dadurch gesichert sein dürfte, erscheint es nicht abwegig, dass hier eine Verbesserung der Einkommenssituation möglich und unter den vorliegenden Umständen auch gewollt war, da der Klägerin letztlich nur rund 700,00 EUR monatlich zur Deckung aller weiteren Kosten zur Verfügung stehen. Die gesicherte, aber nicht umfangreiche eigene Versorgung der Klägerin stellt daher nur ein schwaches Indiz dar und rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, dass es nicht wenigstens vorherrschendes Ziel der Heirat am 10. Januar 2005 gewesen sein könnte, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Nach dem Dafürhalten des Gerichts rechtfertigen die Umstände der Eheschließung im Ergebnis die Annahme, dass durch die Heirat die Situation der Klägerin nach dem Tode des Ehemannes verbessert werden sollte. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.