Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.05.2009, Az.: 11 ME 110/09
Existenz eines ehelichen Kindes deutscher Staatsangehörigkeit als Schutz vor der Ausweisung des ausländischen Elternteils; Bestehen eines erheblichen öffentlichen Interesses an einer wenigstens vorübergehenden Ausreise eines straffällig gewordenen Ausländers; Voraussetzungen für einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 S. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.05.2009
- Aktenzeichen
- 11 ME 110/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 14748
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2009:0520.11ME110.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 27.01.2009 - AZ: 1 B 5299/08
Rechtsgrundlagen
- Art. 6 GG
- Art. 8 EMRK
- § 11 Abs. 1 AufenthG
- § 56 Abs. 1 S. 4 AufenthG
- § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG
Fundstelle
- BewHi 2009, 419
Amtlicher Leitsatz
Dem Ausländer steht ein Anspruch auf Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen im Bundesgebiet durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (hier verneint).
Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung
Gründe
Der Antragsteller, ein am 11. Oktober 1981 in B. (Türkei) geborener türkischer Staatsangehöriger, begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Antragsgegnerin.
Der Antragsteller reiste erstmals am 19. November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach erfolglosem Asylverfahren wurde er am 2. März 1998 in die Türkei abgeschoben. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt reiste er ein weiteres Mal in das Bundesgebiet ein. Im Rahmen einer Polizeikontrolle wurde er am 1. September 1998 festgenommen. Seinen Asylfolgeantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Oktober 1998 ab. Anschließend reiste er wieder aus. Am 22. Juli 2002 heiratete er in C. (Türkei) die in D. geborene Frau E., die damals noch türkische Staatsangehörige war. Sie erwarb im Jahre 2004 die deutsche Staatsangehörigkeit.
Der Antragsteller reiste am 26. Mai 2005 mit einem Visum zur Familienzusammenführung erneut in das Bundesgebiet ein. Die Antragsgegnerin erteilte ihm eine vom 16. Juni 2005 bis zum 15. Juli 2006 befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 15. September 2006 beantragte er die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.
Der Antragsteller wurde durch Strafbefehl des Amtsgerichts D. vom 24. Februar 2006 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,-- EUR verurteilt.
Das Amtsgericht D. verurteilte ihn am 12. September 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Diamorphin) in nicht geringer Menge in zwei Fällen. Das Landgericht D. setzte das Strafmaß mit Urteil vom 6. Dezember 2006 auf zwei Jahre und drei Monate herab. Das Oberlandesgericht Celle verwarf die Revision des Antragstellers mit Beschluss vom 16. März 2007 als unbegründet. Das Urteil ist seit dem 17. März 2007 rechtskräftig. In dem vorgenannten Urteil des Amtsgerichts D. wurde zugleich gegen die Ehefrau des Antragstellers wegen Beihilfe zu den von ihrem Ehemann begangenen Straftaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Antragsteller befand sich vom 10. Mai 2005, dem Zeitpunkt seiner Festnahme, bis zur mündlichen Verhandlung des Amtsgerichts D. am 12. September 2006 in Untersuchungshaft. Er wurde am 28. Juli 2008 aus der am 31. Mai 2007 in der JVA D. angetretenen Strafhaft entlassen, nachdem das Landgericht D. - Strafvollstreckungskammer 2 - mit Beschluss vom 24. Juni 2008 die Vollstreckung der Reststrafe zum Zweidrittel-Zeitpunkt (vgl. § 57 Abs. 1 StGB) auf Bewährung ausgesetzt hatte.
Mit Verfügung vom 7. Januar 2008 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller nach § 53 Nr. 2 i. V. m. § 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aus dem Bundesgebiet aus; zugleich lehnte sie seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Dagegen hat der Antragsteller am 18. Januar 2008 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos. Einen weiteren Eilantrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2008 ebenfalls ab. Im Laufe des dagegen angestrengten Beschwerdeverfahrens erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Rücksicht auf die Risikoschwangerschaft seiner Ehefrau eine Duldung für den Zeitraum von acht Wochen nach der Niederkunft. Daraufhin erklärten die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt. Der Senat stellte es mit Beschluss vom 20. Mai 2008 - 11 ME 182/08 - ein und erklärte den Beschluss des Verwaltungsgerichts für unwirksam. Am 16. Juni 2008 wurde die Tochter des Antragstellers geboren. Die dreiköpfige Familie lebt in einer gemeinsamen Wohnung in D.. Der Antragsteller arbeitet seit dem 1. August 2008 bei der Firma F. in G., zunächst als geringfügig Beschäftigter und seit dem 1. Januar 2009 mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Stunden wöchentlich.
Der Antragsteller hat am 23. Oktober 2008 beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Januar 2009 ab.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Die mit ihr vorgebrachten Einwende, die vom Senat allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Der Antragsteller macht im Wesentlichen geltend, er habe einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG, weil es ihm mit Rücksicht auf das durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützte Ehe- und Familienleben nicht zumutbar sei, die Bindungen zu seiner Ehefrau und seiner Tochter durch Ausreise auch nur vorübergehend zu unterbrechen. Abgesehen davon, dass beide die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen und seine Ehefrau sich mit den Gepflogenheiten in der Türkei nicht auskenne, weil sie durchgängig in Deutschland gelebt habe, würden sie auch gesundheitlichen Schaden nehmen. Seine Ehefrau leide - wie aus dem Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. (D.) vom 9. Februar 2009 hervorgehe -, an einer depressiven Anpassungsstörung mit innerer Unruhe, Zukunftssorgen und Verzweiflungserleben. Psychosozial belastend sei die drohende Abschiebung ihres Ehemannes. Sollte er - wenn auch nur vorübergehend - in die Türkei zurückkehren müssen, wäre die Betreuung der gemeinsamen Tochter in Deutschland nicht gesichert. Hinzu komme, dass seine Ehefrau das zweite Kind erwarte; der voraussichtliche Entbindungstermin sei ausweislich der Bescheinigung ihres Gynäkologen der 17. November 2009. Im Übrigen sei die Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung nach jetziger Sachlage zumindest zweifelhaft. Denn seine private und berufliche Situation habe sich zum besseren gewandelt. Aufgrund der Stabilisierung seiner Lebensverhältnisse sei nicht mehr zu erwarten, dass er erneut straffällig werden könnte. Diese Einwände führen jedoch zu keiner für den Antragsteller günstigeren Bewertung der Rechtslage.
Nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit besteht dann, wenn Art. 6 Abs. 1 und 2 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK der (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers entgegenstehen. Dem Ausländer steht ein Anspruch auf Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine familiären Bindungen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192; EGMR, Urt. v. 31.1.2006 - 50435/99 -, InfAuslR 2006, 298). Dies kann bei Ehegatten der Fall sein, etwa wenn einer der Partner aufgrund individueller Besonderheiten, insbesondere Krankheit oder psychischer Not - mehr als im Regelfall üblich - auf den persönlichen Beistand des anderen Ehegatten angewiesen ist (vgl. etwa Bay. VGH, Beschl. v. 22.7.2008 - 19 CE 08.781 -, InfAuslR 2009, 158 m. weit. Nachw. aus d. Rechtspr.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -, [...] und Beschl. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682) drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, in den Fällen, in denen die Lebensgemeinschaft zwischen dem Ausländer, seinem Ehepartner und den gemeinsamen Kindern nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch Betreuungsleistungen der Mutter oder einer dritten Person entbehrlich wird, sondern eine eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes haben kann. Insbesondere ist zu beachten, dass gerade bei einem kleinen Kind die Entwicklung sehr schnell voran schreitet, so dass selbst eine verhältnismäßig kurze Zeit der Trennung schon unzumutbar lang sein kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.1.2009 - 2 BvR 1064/08 -, NVwZ 2009, 387; Beschl. v. 31.8.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59). Ebenso wenig aber wie Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK den ausländischen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen schlechthin vor Ausweisung und Abschiebung schützen, kann die Existenz eines ehelichen Kindes deutscher Staatsangehörigkeit den ausländischen Elternteil in jedem Fall vor einer Ausweisung bewahren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.8.2000 - 2 BvR 1363/00 -, [...]; EGMR, Urt. v. 6.12.2007 - 69735/01 -, InfAuslR 2008, 111). Selbst gewichtige familiäre Belange setzen sich nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch. Dies gilt vor allem für sicherheitsrechtliche Belange, weil die Pflicht des Staates, seine Bürger vor Gewalt-, Vermögens- und Betäubungsmitteldelikten zu schützen, gleichfalls verfassungsrechtlichen Rang besitzt und in Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG wurzelt. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse an einer wenigstens vorübergehenden Ausreise eines Ausländers, der während seines Aufenthalts in Deutschland in erheblichem Umfang straffällig geworden ist und bei dem zu befürchten ist, dass er weitere Straftaten begehen wird (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschl. v. 23.1.2006, a. a. O.). Insbesondere kann die Beteiligung am illegalen Heroin-Handel angesichts der mit der Rauschgiftkriminalität verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeit ihrer Bekämpfung einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund darstellen, der auch private Belange von ganz erheblichem Gewicht zurücktreten lässt (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 -, InfAuslR 2004, 280 und Beschl. v. 1.3.2000 - 2 BvR 2120/99 -, InfAuslR 2001, 113). Aus diesen Gründen ist eine umfassende Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären und sonstigen Bindungen des Ausländers zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung.
Das Verwaltungsgericht ist unter Beachtung der vorstehend wiedergegebenen verfassungs- und europarechtlichen Maßstäbe und der seit Erlass der Verfügung vom 7. Januar 2008 eingetretenen Entwicklung zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ausweisung des Antragstellers voraussichtlich rechtmäßig ist und ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nicht besteht. Damit ist derzeit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit der Vorrang einzuräumen gegenüber den privaten Belangen des Antragstellers und seiner Familie.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass verschiedene Anzeichen für eine positive Persönlichkeitsentwicklung des Antragstellers sprechen. Bereits die im Strafvollstreckungsverfahren angerufenen Gerichte haben darauf hingewiesen, dass sich der Antragsteller in der Strafhaft beanstandungsfrei verhalten, die ihm gewährten Vollzugslockerungen zu keiner Zeit missbraucht und während der Inhaftierung durchgängig - zunächst als Freigänger und dann im geschlossenen Vollzug - gearbeitet habe. Auch nach seiner Entlassung aus der JVA D. geht er - seit dem 1. Januar 2009 ganztags - einer Erwerbstätigkeit nach. Ein "relativ stabiler sozialer Empfangsraum" (so OLG Celle, Beschl. v. 24.6.2008 - 1 Ws 386/08 -) besteht auch dadurch, dass die Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau unter der Inhaftierung offensichtlich nicht gelitten hat. Diese Umstände haben die Strafvollstreckungskammer 2 bei dem Landgericht D. und ihr folgend das Oberlandesgericht Celle bewogen, die Vollstreckung der restlichen Gesamtfreiheitsstrafe des Antragstellers nach § 57 Abs. 1 StGB zum 28. Juli 2008 zur Bewährung auf drei Jahre auszusetzen. Der Antragsteller lebt seit der Entlassung aus der Strafhaft mit seiner Ehefrau und der am 16. Juni 2008 geborenen Tochter in D. zusammen. Aus einem Bericht seines Bewährungshelfers vom 2. März 2009 geht hervor, dass es sich um eine feste familiäre Konstellation handelt. Weiter heißt es dort, dass sich der Antragsteller offensichtlich aus dem sozialen und personalen Umfeld des Tatmilieus gelöst habe, keine neuen Straftaten/Ermittlungsverfahren bekannt geworden seien, die Getränkefirma F. mit seiner Arbeitsleistung sehr zufrieden sei und sich im Rahmen der Bewährungshilfe bei der Zusammenarbeit mit dem Antragsteller, der zuverlässig und gesprächsbereit sei, keine Auffälligkeiten ergeben hätten. Ob das jetzige Verhalten des Antragstellers aber tatsächlich auf einer Läuterung seiner Persönlichkeit beruht, lässt sich gegenwärtig nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. Es ist allgemein anerkannt, dass bei gefährlichen und nur schwer zu bekämpfenden Straftaten wie dem Rauschgifthandel die Anforderungen an das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht hoch anzusetzen sind (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, vor § 53 ff. RdNr. 1158 f. und 1181 m. Nachw. aus d. Rechtspr.). Auch ein einmaliges Rauschgiftdelikt, namentlich die Beteiligung am illegalen Heroinhandel, kann im Hinblick auf den spezialpräventiven Ausweisungszweck einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund darstellen (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 11.6.1996 - 1 C 24.94 -, BVerwGE 101, 247). Angesichts der mit einem solchen Verhalten regelmäßig verbundenen erheblichen kriminellen Energie ist es in diesen Fällen auch von Verfassung wegen grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die zur Verfügung einer Ausweisung berechtigende Wiederholungsgefahr bereits bei einer einmaligen Bestrafung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Heroin in nicht geringer Menge angenommen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2000 - 2 BvR 2120/99 -, InfAuslR 2001, 113). Ist aber eine derartige Straftat in einer einmaligen Ausnahme- oder Konfliktsituation begangen worden, kann die Wiederholungsgefahr unter Umständen als gering angesehen werden (vgl. etwa Discher, a. a. O., vor §§ 53 ff. AufenthG RdNr. 1173). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor.
Wie sich aus den strafgerichtlichen Urteilen ergibt, hatte sich der Antragsteller Ende 2005 entschlossen, unerlaubt mit Drogen zu handeln. Am 4. Januar 2006 verkaufte er 37 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 9,8 Heroinhydrochlorit für ca. 750,-- EUR, am 1. Februar 2006 verkaufte er 97,7 g eines Heroin-Gemisches mit einem Heroinhydrochloritanteil von 37,3 %. Damit war bei der ersten Tat die nicht geringe Menge um das 6-fache, bezüglich der zweiten Tat um das 25-fache überschritten. Er beging beide Taten nicht zur Finanzierung bzw. Unterhaltung einer eigenen Sucht, sondern aus rein finanziellen Gesichtspunkten. Zulasten des Antragstellers berücksichtigten die Strafgerichte ferner, dass er mit der besonders gefährlichen Droge Heroin Handel betrieben hatte. Für das Vorliegen einer einmaligen Ausnahme- oder Konfliktsituation ergeben sich aus den strafgerichtlichen Urteilen keinerlei Anhaltspunkte. Dass die veräußerten Drogen bei den Konsumenten durch die Polizei sichergestellt werden konnten, und damit nicht in den weiteren Handel gelangt sind, kann nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Dass er geständig und bisher unbestraft war, wirkte sich strafmildernd aus. Gleichwohl wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dies zeigt die besondere Schwere der von dem Antragsteller begangenen Straftaten. Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass die Gesamtheit der zugrunde liegenden Tatumstände (Entschluss zum Drogenhandel nur etwa ein halbes Jahr nach Einreise ins Bundesgebiet, Kontaktaufnahme zu BTM-Händlern in München, Menge und Qualität des Heroins, Vorgehensweise und Motivation des Antragstellers, Handeln aus Gewinnstreben, keine eigene Drogenabhängigkeit) der Annahme einer Ausnahme von der Regelausweisung entgegensteht.
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, den Strafrest nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe zur Bewährung auszusetzen, gebietet keine andere Beurteilung. Eine derartige Entscheidung schließt nicht vor vornherein aus, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventiv begründete Ausweisung rechtfertigen können. Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte sind dabei an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden, diesen kommt allerdings tatsächliche Bedeutung im Sinne einer Indizwirkung zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.3.2000, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 31.3.1998 - 1 C 28.97 -, NVwZ 1998, 740). Die Gerichte bzw. Ausländerbehörden haben das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr eigenständig zu prüfen, da der anzulegende Prognosemaßstab in beiden Fällen ein anderer ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185). Bei der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 StGB stehen Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; dabei kann auch ein gewisses Restrisiko hingenommen werden. Demgegenüber haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte ordnungsbehördliche Überlegungen anzustellen, in deren Mittelpunkt der Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten des Ausländers steht, so dass ein derartiges Restrisiko bei Einschätzung des Maßes der Widerholungsgefahr nicht in Kauf genommen werden muss. Die Prognose anhand des Ausländerrechts erfordert daher im Regelfall strengere Kriterien, wobei auch ein über die Bewährungsdauer hinausgehender Zeitraum zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.11.2000, a.a.O.; OVG NRW, Urt. v. 24.1.2007 - 15 A 620/07 -; Senatsurt. v. 26.2.2009 - 11 LB 232/07 -). Es kommt deshalb nicht allein auf das Verhalten des betreffenden Ausländers im Strafvollzug und in der Bewährungszeit an, zumal er während dieses Zeitraums auch unter dem Druck des schwebenden Ausweisungsverfahrens steht (vgl. Discher, a.a.O., vor §§ 53 ff. AufenthG Rn. 1192). Vor diesem Hintergrund kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle des Antragstellers eine Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht. Insbesondere ist der seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 28. Juli 2008 verstrichene Zeitraum angesichts der Art und Schwere der von ihm begangenen Straftaten als zu kurz anzusehen, um schon zum heutigen Zeitpunkt eine günstige Sozialprognose im ordnungsrechtlichen Sinne zu treffen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, ob möglicherweise die Geburt seiner Tochter eine "Zäsur" in der Lebensführung des Antragstellers darstellt.
Unabhängig von spezialpräventiven Erwägungen ist die Ausweisung des Antragstellers aber auch aus den von der Antragsgegnerin dargelegten generalpräventiven Gründen gerechtfertigt. In der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt (vgl.BVerwG, Urt. v. 31.8.2004 - 1 C 25.03 -, BVerwGE 121, 356) und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gebilligt (vgl. Beschl. v. 10.8.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), dass eine Ausweisung auch generalpräventiv motiviert sein kann. Allerdings sind dabei die Umstände der begangenen Straftat, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangen Strafverfahren ergeben, individuell zu würdigen. Dies ist im vorliegenden Fall in zureichender Weise geschehen. Ebenso hat sich die Antragsgegnerin - wie weiter erforderlich - mit den Bindungen des Antragstellers an die Bundesrepublik Deutschland und an seinen Heimatstaat näher auseinandergesetzt. Darauf wird der Senat noch näher eingehen. Angesichts der mit der Rauschgiftkriminalität verbundenen besonderen Gefahren für die Allgemeinheit und der Schwierigkeiten ihrer Bekämpfung erscheint eine Ausweisung des Antragstellers daher geboten, um eine Verhaltenssteuerung und Abschreckung bei anderen Ausländern zu bewirken.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht haben neben den Umständen der Straftat selbst auch das sonstige Verhalten des Antragstellers und seine familiäre Situation berücksichtigt und mit dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung abgewogen. Es ist nicht zu beanstanden, dass sie im Ergebnis dem öffentlichen Interesse an der Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung den Vorrang vor einem weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet eingeräumt haben.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass von einer hinreichenden Integration des Antragstellers in Deutschland nicht ausgegangen werden könne, da er sich lediglich etwa ein Jahr rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und bereits nach kurzer Zeit straffällig geworden ist. Auch ist ihm eine Rückkehr in die Türkei zumutbar. Er ist dort geboren und bei seinen Eltern aufgewachsen. Diese leben ebenso wie weitere Verwandte nach wie vor in der Türkei. Zwar reiste er erstmals am 19. November 1996 im Alter von 15 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein, doch wurde er am 2. März 1998 nach erfolglosem Asylverfahren in sein Heimatland abgeschoben. Auch wenn er kurze Zeit später erneut in das Bundesgebiet einreiste, musste er dieses nach Ablehnung seines Asylfolgeantrages mit bestandskräftigem Bescheid vom 22. Oktober 1998 wieder verlassen. Nach den Feststellungen des Landgerichts D. im Urteil vom 6. Dezember 2006 leistete er in der Folgezeit seinen Militärdienst in der Türkei. Hieran wird deutlich, dass er mit den Verhältnissen in der Türkei vertraut ist und dort über familiäre Bindungen verfügt. Dem heute 28-jährigen Antragsteller dürfte es auch möglich sein, in der Türkei seinen Lebensunterhalt zu sichern. Sollte ihm dieses wider Erwarten nicht gelingen, ist es ihm zumutbar auf die wirtschaftliche Unterstützung seiner Eltern zurückzugreifen. Sein Vater soll dort einen Supermarkt betreiben (vgl. Urt. des Landgerichts D v. 6.12.2006, S. 3 UA).
Was die Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind angeht, verkennt der Senat nicht, dass damit erhebliche Belastungen für seine Familie verbunden sind. Nach Auffassung des Senats werden dadurch aber die familiären Beziehungen nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt.
Soweit sich der Antragsteller unter Bezugnahme auf ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H. (D.) vom 9. Februar 2009 darauf beruft, dass seine Ehefrau an einer depressiven Anpassungsstörung mit innerer Unruhe und Verzweiflungserleben leide und seine drohende Ausreise als psychosozial belastend empfinde, liegt darin kein Abschiebungshindernis. Dem Attest ist nicht zu entnehmen, dass der Ehefrau des Antragstellers aufgrund seiner Ausreise ernsthafte gesundheitliche Gefahren drohen und sie deshalb auf seine persönliche Lebenshilfe angewiesen ist. Es ist nicht erkennbar, dass sich ihre psychische Situation grundlegend von der anderer Personen unterscheidet, deren Partner ebenfalls von einer Abschiebung bedroht sind. Die Ehefrau des Antragstellers konnte auch nicht darauf vertrauen, dass ihr Ehemann nach der strafgerichtlichen Verurteilung dauerhaft im Bundesgebiet bleiben durfte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sie selbst an dem Drogenhandel ihres Ehemanns beteiligt war und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden ist. Aus dem Urteil des Amtsgerichts D. vom 12. September 2006 geht hervor, dass sie ihren Ehemann zu den jeweiligen Übergabeorten mit dem Pkw gefahren und gewusst hat, dass es um Heroinverkäufe an Drogenabhängige ging. Ebenso wenig konnte sie aufgrund der dem Antragsteller am 16. Mai 2008 erteilten Duldung erwarten, dass künftig eine Abschiebung nicht mehr in Betracht kommen würde. Denn die Duldung wurde lediglich mit Rücksicht auf ihre Risikoschwangerschaft erteilt.
Der Antragsteller macht in diesem Zusammenhang ferner vergeblich geltend, dass die Betreuung seiner Tochter nicht gesichert sei, wenn er in die Türkei zurückkehren müsste. Abgesehen davon, dass er bisher nicht substantiiert vorgetragen hat, welche Betreuungsleistungen er selbst gegenüber seiner Tochter erbringt, ist seine Ehefrau im Falle der Ausreise des Antragstellers auf die Hilfe ihrer im selben Haus wohnenden Eltern oder - falls diese dazu nicht in der Lage sein sollten - von sozialen Einrichtungen zu verweisen. Da die Abschiebung des Antragstellers schon seit längerem im Raum steht, hätten er und seine Ehefrau sich darauf auch vorbereiten können. Dies gilt umso mehr, als er selbst im Rahmen des Strafvollstreckungsverfahrens vor dem Landgericht D. erklärt hat, im Falle einer Abschiebung freiwillig aus Deutschland in sein Heimatland auszureisen und von dort aus zu versuchen, mit Hilfe des Befristungs- und des Visumsverfahrens nach Deutschland zurückzukehren. Dies war im Übrigen einer der Gründe, weshalb seine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft ausgesprochen wurde.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts es nicht darauf ankommt, ob die von dem betreffenden Ausländer tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte, und dass der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird. Denn im vorliegenden Fall geht es darum, die Folgen einer Ausreise des Antragstellers für die Ehefrau des Antragstellers und das gemeinsame Kind zu mildern. Den vom Antragsteller befürchteten Verlustängsten seiner noch sehr jungen Tochter kann dadurch bis zu einem gewissen Grad begegnet werden, dass die Trennung des Antragstellers von seiner Familie möglichst kurz gehalten wird. Es spricht viel dafür, dass es lediglich zu einer vorübergehenden Ausreise des Antragstellers kommen wird, vorausgesetzt, dass er sich in der Türkei straffrei führt. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG in Betracht kommt. Der Antragsteller hat die Möglichkeit, von der Türkei aus einen Antrag auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu stellen. Wie aus Nr. 11.1.5.1 der Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz hervorgeht, hat die zuständige Ausländerbehörde bei einer Entscheidung über die Befristung den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Insbesondere kommt eine Verkürzung der Frist in Betracht, wenn die Umstände, die den besonderen Ausweisungsschutz begründet haben, auch weiterhin vorliegen und deshalb schutzwürdige Belange des Ausländers für eine frühere Wiedereinreisemöglichkeit sprechen. Im Wesentlichen wird es sich dabei um Fälle handeln, in denen - wie hier - ein Familiennachzug angestrebt wird. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass im gesetzlich vorgesehenen Befristungsverfahren die familiären Belange angemessen zu würdigen sind (vgl. Beschl. v. 23.1.2006, a.a.O.). Außerdem ist auf das Rechtsinstitut der Betretenserlaubnis gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG hinzuweisen. Danach kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Diese Möglichkeit käme für den Antragsteller beispielsweise auch im Zusammenhang mit der im November 2009 zu erwartenden Geburt seines zweiten Kindes in Betracht.
Der Ehefrau des Antragstellers wäre es aber auch zumutbar, vorübergehend in die Türkei überzusiedeln oder den Antragsteller dort mit ihrer Tochter häufiger zu besuchen. Es ist nicht erkennbar, dass sie dabei auf unüberwindliche Schwierigkeiten treffen würde. Sie besaß bis zu ihrer Einbürgerung im Jahr 2004 die türkische Staatsangehörigkeit, welche ihre in Deutschland lebenden Eltern und Geschwister weiterhin besitzen. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge hat sie sich auch des öfteren in der Türkei aufgehalten. Sie hat ihren Ehemann in der Türkei kennengelernt und am 22. Juli 2002 dort auch geheiratet. Bis zu der Einreise des Antragstellers am 26. Mai 2005 konnte die eheliche Lebensgemeinschaft deshalb auch nur in der Türkei geführt werden. Dass die Ehefrau des Antragstellers auch später noch Reisen in die Türkei unternommen hat, ist den Verwaltungsvorgängen ebenfalls zu entnehmen. So stellte die Bundespolizeiinspektion Flughafen I. am 26. April 2006 fest, dass der Antragsteller zusammen mit seiner Ehefrau auf dem Luftweg aus Istanbul eingereist war. Der Senat hat deshalb erhebliche Zweifel an der Behauptung des Antragstellers, dass sich seine Ehefrau mit den Gepflogenheiten in der Türkei überhaupt nicht auskenne. Soweit es um die Sicherstellung des Lebensunterhalts geht, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Sollte es dem Antragsteller wider Erwarten nicht möglich sein, in der Türkei einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, müsste er auf die Unterstützung und Hilfe seiner dort noch lebenden Verwandten zurückgreifen. Dem Senat ist aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass innerhalb von türkischen Familien generell eine ausgeprägte Beistandsgemeinschaft besteht. Im Übrigen dürfte der Aufenthalt des Antragstellers in der Türkei aus den oben angegebenen Gründen zeitlich befristet sein, so dass eine baldige Rückkehr nach Deutschland realistisch erscheint.