Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.01.2012, Az.: 1 LB 219/09

Langfristiges "Vorratsinteresse" als privates Interesse am Fortbestand einer Baulast

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.01.2012
Aktenzeichen
1 LB 219/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 10359
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0116.1LB219.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 06.11.2007 - AZ: 4 A 3937/05

Fundstelle

  • DVBl 2012, 381

Amtlicher Leitsatz

Privates Interesse am Fortbestand einer Baulast im Sinne des § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO (hier: Vereinigungsbaulast) ist nicht jedes beliebige, sondern nur ein schutzwürdiges Interesse. Ein langfristiges "Vorratsinteresse" reicht nicht aus; die "baurechtliche Relevanz" muss fortbestehen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten gegen die teilweise Löschung einer nach Grundstücksveränderungen fortgeschriebenen Vereinigungsbaulast für ihr Grundstück E. Landstraße 157 A, weil der Fortbestand der Baulast noch in ihrem Interesse liege.

2

Ursprünglich lagen alle von der Vereinigungsbaulast betroffenen Grundflächen im Flurstück 1029/136, das zur Durchführung eines Grundstücksschenkungsvertrags geteilt wurde. Weil die Trennlinie durch die vorhandenen Baulichkeiten führte, wurde zugleich eine Vereinigungsbaulast für die entstandenen Flurstücke 136/1 und 136/2 eingetragen. Während das Flurstück136/2 danach unverändert blieb, wurde das Flurstück 136/1 zur Umsetzung des Bebauungsplanes W-735 "Östlich Wolfsbrücker Weg" der Beklagten in mehrere Grundstücke aufgeteilt. Im Bereich der an der Grenze stehenden Baulichkeiten liegt dem klägerischen Grundstück jetzt (westlich) das Flurstück 136/6 gegenüber (E. Landstraße 161). Der streitige Rest der Westgrenze seines Grundstücks ist dem heutigen Straßen-, Grünland- und Teichflurstück 136/18 (zwischenzeitlich erst 136/12, dann 136/13) der Beklagten benachbart.

3

Der Bebauungsplan W-735 sieht eine Fortführung der Straße "F. " durch das Grundstück der Klägerin hinweg vor bis zu einem Wendehammer, der an der östlichen Grenze des Flurstücks 136/2 endet. Nördlich und südlich davon liegen Bauflächen (Gewerbegebiet). Die südliche Gewerbefläche hat einen Abstand von etwa 16 m zur westlichen Grenze des Flurstücks 136/2. Beiderseits dieser Grundstücksgrenze, also auch auf dem Flurstück 136/18, ist eine öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung "Regenrückhaltebecken" festgesetzt. Die Gewerbegebietsfläche weist an ihrem Rand zusätzlich noch eine "nicht überbaubare Grundstücksfläche" von 2 1/2 m auf.

4

Nach vorheriger Anhörung des damaligen Klägers verzichtete die Beklagte (auf eigenen Antrag als Eigentümerin des beteiligten Flurstücks, damals 136/12) auf die Vereinigungsbaulast, soweit sie sich auf dieses Flurstück erstreckte, weil an ihrem Fortbestand kein öffentliches Interesse bestehe, löschte sie durch Eintragung vom 15. März 2004 im Baulastenverzeichnis und unterrichtete den seinerzeitigen Kläger mit Schreiben vom 16. März 2004, der daraufhin Widerspruch einlegte.

5

Am 25. September 2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und dazu ausgeführt, sein Rechtsschutzbegehren begrenze sich auf die Beibehaltung der Vereinigungsbaulast in Bezug auf das Flurstück 136/13 (früher 136/12, jetzt 136/18). Durch die Herausnahme dieses Flurstücks aus der Vereinigungsbaulast werde sein von dieser geschütztes rechtliches Interesse verletzt, gegebenenfalls an der Grenze ohne Einhaltung von etwaigen Grenzabstandsflächen bauen zu können. Eine Neubeplanung des betroffenen Bereichs sei denkbar. Insoweit müsse ihm der Schutz der Vereinigungsbaulast vorbehalten bleiben. Darüber hinaus könne die Baulast im Einzelfall eine rechtliche Grundlage für eine etwa auf Antrag zu gewährende Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans darstellen.

6

Der seinerzeitige Kläger hat beantragt,

den von der Beklagten mit Bescheid vom 13. März 2004 ausgesprochenen Teilverzicht auf die Baulast Nr. 1795 insoweit aufzuheben, als davon das Flurstück 136/12 der Flur 5 in der Gemarkung G. betroffen ist, sowie die Beklagte zu verpflichten, ihr Baulastenverzeichnis zur Baulast Nr. 1795 entsprechend zu korrigieren.

7

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie hat vorgetragen:

9

Es bestehe weder ein öffentliches noch ein hinreichendes privates Interesse am Fortbestand der Baulast. Ein konkretes Bauvorhaben des Klägers sei baurechtlich nicht zu sichern. Außerdem sei im Bebauungsplan ein nicht überbaubarer Streifen auf dem Grundstück des Klägers festgesetzt, so dass eine bestehende Vereinigungsbaulast nicht ausgenutzt werden könnte. Zudem sei zu berücksichtigen, dass auf den Flächen der geplanten Straße und des Regenrückhaltebeckens bauliche Anlagen nicht errichtet werden dürften. Das vorgesehene Regenrückhaltebecken rage rund 16 m in den Bereich des Grundstücks des Klägers hinein. Auf die Möglichkeit einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans könne sich der Kläger schon deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil ein atypischer Sachverhalt, der eine Befreiung rechtfertigen könnte, weder vorgetragen noch erkennbar sei. Unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens bestehe weder ein öffentliches noch ein schutzwürdiges privates Interesse an der Belassung der auf das (jetzige) Flurstück bezogenen Vereinigungsbaulast im Baulastenverzeichnis.

10

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, ein öffentliches oder privates Interesse am Fortbestand der Baulast bestehe nicht. Ursprünglich sei diese erforderlich gewesen, um die Teilung durch den vorhandenen Gebäudekomplex hindurch zu ermöglichen und dem Kläger eine Anbindung an öffentliche Verkehrsflächen zu verschaffen. Der Gebäudekomplex befinde sich jetzt aber außerhalb des noch streitigen Bereichs und die öffentliche Straße "F. " führe bis zum Grundstück des Klägers. Ein darüber hinaus berücksichtigungsfähiges privates Interesse des Klägers sei nicht feststellbar. Nicht jedes denkbare, sondern nur ein rechtlich schützenswertes privates Interesse sei zu berücksichtigen. Dies setze voraus, dass die Baulast dem Begünstigten bei der Verwirklichung von Bauvorhaben einen rechtlichen Vorteil bieten könne, sich also effektiv auf seine Schutzposition auswirke. Daran fehle es hier. Der Kläger sei durch die Straßen- und Regenwasserrückhaltebeckenfestsetzungen des Bebauungsplans gehindert, im fraglichen Grenzbereich zu bauen. Ausnahmen lasse der Bebauungsplan nicht zu. Für Befreiungen lägen schon mangels Bauvorstellungen die Voraussetzungen nicht vor. Eine beabsichtigte Wohnbebauung sei mit der Gewerbegebietsfestsetzung nicht vereinbar. Änderungsabsichten für den Bebauungsplan bestünden nicht. Spekulative Erwartungen einer theoretischen Änderung des Bebauungsplanes begründeten kein schützenswertes privates Interesse. Das gleiche gelte für den Wunsch, eine "Verhandlungsmasse" für auf eine Änderung des Bebauungsplanes gerichtete Bestrebungen zu behalten.

11

Auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1991 (- 4 C 51.87 -, NJW 1991, 2783) könne sich der Kläger für seine abweichende Auffassung nicht berufen. Darin werde nicht die behauptete These aufgestellt, eine Baulast gehe den Festsetzungen des Bebauungsplanes vor.

12

Einem Verzicht der Beklagten auf die Baulast stehe nicht entgegen, dass ihr eine zwischen Privatpersonen geschlossene Vereinbarung zugrunde liege. Ihr Fortbestand folge den Regeln des öffentlichen Rechts.

13

Auf Antrag des seinerzeitigen Klägers hat der Senat mit Beschuss vom 21. Oktober 2009 (- 1 LA 342/07 -) die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung aus den folgenden Gründen zugelassen:

"Die Beklagte hat zunächst das Fortbestehen eines öffentlichen Interesses an der Baulast im Verhältnis zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/18 zu Recht verneint. Ihrer bedurfte es nicht mehr, weil die abstandrechtlichen Probleme der Grundstücksteilung quer durch einen Gebäudekomplex ausreichend durch das Fortbestehen der Vereinigungsbaulast im Verhältnis zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/6 gelöst sind und das Grundstück des Klägers nun auch an einer öffentlichen Verkehrsfläche liegt.

Hinsichtlich des privaten Interesses geht demgegenüber der Kläger zutreffend davon aus, dass dieses mit dem öffentlichen Interesse nicht identisch, sondern auch die Frage zu stellen ist, ob die Baulast dem Begünstigten noch in Zusammenhängen nützlich sein kann, die bei der Bestellung der Baulast keine Rolle gespielt haben. Gerade bei einer Vereinigungsbaulast im Sinne des § 4 Abs. 1 NBauO geht die erreichte Wirkung vielfach erheblich über das Problem hinaus, dessen Lösung angestrebt war; die Vereinigungswirkung beschränkt sich nicht auf bestimmte Gebäude oder Teilflächen von Flurstücken, sondern erfasst die Buchgrundstücke insgesamt (vgl. Große-Suchdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 4 Rdnr. 17). Der Kläger darf deshalb grundsätzlich ein Interesse am Fortbestehen der Baulast damit begründen, dass er sich dadurch Vorteile an anderen Teilstücken der "internen" Grenze verspricht, hier also an der Grenze im Bereich der zukünftigen Straße und des Regenrückhaltebeckens.

Ungeklärt ist bei alledem bislang, ob das Interesse am Fortbestand der Baulast nur dann schutzwürdig ist, wenn sie noch "baurechtliche Relevanz" hat (vgl. hierzu Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 92 Rdnrn. 13 ff.). Zwar darf Landesrecht ohne Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG die Bauaufsichtsbehörde berechtigen, die Eintragung einer Baulast abzulehnen, wenn diese als öffentlich-rechtliche Sicherung funktionslos wäre, weil die Bebauung des Grundstücks aus anderen Gründen nicht in Betracht kommt (BVerwG,Beschl. v. 4.10.1994 - 4 B 175.94 -, NVwZ 1995, 377); die Möglichkeit einer Baulasteneintragung "gleichsam auf Vorrat" muss also nicht geschaffen werden. Wo hier nach dem Landesrecht in seinen unterschiedlichen Ausprägungen die Grenzen zu ziehen sind, wird schon für den Eintragungsanspruch nicht einheitlich beurteilt (vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnrn. 18 f.) und ist auch für das niedersächsische Recht bislang nicht abschließend geklärt. Für die Löschung einer Baulast nach § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO kommt hinzu, dass diese Vorschrift für die einmal eingetragene Baulast einem "Behaltensinteresse" des Begünstigten ohne ausdrückliche Eingrenzungen rechtlichen Schutz gewährt, also im Zweifel nicht eng auszulegen ist."

14

Mit der fristgerecht eingereichten Berufung macht die Klägerin geltend:

15

Zu.U.nrecht begrenze das Verwaltungsgericht das private Interesse des Baulastbegünstigten im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO auf ein solches, das jederzeit durchsetzbar sei. Die genannte Vorschrift setze nur ein potentielles privates Interesse voraus. Die Baulast sei ein subjektives öffentliches Recht und knüpfe als solches nicht daran an, ob der Begünstigte jetzt oder in Zukunft davon Gebrauch machen wolle. Anderenfalls bestünde eine vom Gesetz nicht gewollte und systemwidrige Durchsetzungspflicht. Ein Verzicht komme allenfalls in Betracht, wenn ein privates Interesse auch für die Zukunft zwingend ausgeschlossen werden könne. Das sei hier nicht der Fall. Eine Änderung des Bebauungsplans sei jederzeit möglich. Das Regenrückhaltebecken solle schon nicht mehr realisiert werden.

16

Dass das private Interesse an der Baulast im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO auch ein potentielles privates Interesse umfasse, ergebe sich bereits aus einem Vergleich mit dem Inhalt des öffentlichen Interesses im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO. Ein solches fehle nach der Rechtsprechung immer dann, wenn die Baulastverpflichtung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bedeutungslos geworden sei und damit die durch die Baulast gesicherten bauaufsichtlichen Belange keiner Sicherung mehr bedürften (OVG Lüneburg, Urt. v. 28.2.1983 - 6 A 39/82 -, BRS 40 Nr. 179). Begrenze man das private Interesse auf ein derzeit durchsetzungsfähiges privates Interesse, gehe die Prüfung des privaten Interesses nahezu vollständig in der Prüfung des öffentlichen Interesses auf. Eine eigenständige Bedeutung habe das private Interesse daneben dann nicht mehr. Das sei vom Gesetzgeber ersichtlich nicht so gewollt.

17

Schließlich ergebe sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1991 (- 4 C 51.87 -, NJW 1991, 2783 [BVerwG 14.02.1991 - BVerwG 4 C 51.87]), dass eine Baulast die rechtliche Grundlage für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB darstellen könne. Das setze die Möglichkeit des Bestehens einer solchen Baulast voraus.

18

Im Übrigen gehe § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO von einem "Behaltensinteresse" des Begünstigten aus, worauf der Senat schon im Zulassungsbeschluss hingewiesen habe.

19

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 6. November 2007 (- 4 A 3937/05 -) den von der Beklagten mit Bescheid vom 16. März 2004 ausgesprochenen Teilverzicht auf die Baulast Nr. 1795 insoweit aufzuheben, als davon das Flurstück 136/12 (jetzt: 136/18) der Flur 5 in der Gemarkung G. betroffen ist, und die Beklagte zu verpflichten, ihr Baulastenverzeichnis zur Baulast Nr. 1795 entsprechend zu korrigieren.

20

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

21

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

22

Die Löschung von Baulasten, die zur Erfüllung ihres Sicherungszwecks nicht mehr erforderlich seien, liege im öffentlichen Interesse. Für den hier streitigen Teil der Grundstücksgrenze sei der ursprüngliche Grund für die Bestellung der Baulast entfallen. Einem Teil der Rechtsprechung zufolge vermittele die Baulast dem Begünstigen schon keine subjektiv-öffentlichen Rechte. Nach anderer Auffassung bestehe diese verteidigungsfähige subjektive Rechtsstellung grundsätzlich, nicht aber für "vorsorgliche" Baulasten. Um eine solche handele es sich hier inzwischen. Die Klägerin wolle an der fraglichen Stelle nicht bauen, sondern die Baulast nur als Verhandlungsmittel für eine Befreiung einsetzen. Eine Wohnbebauung sei ohnehin nicht zulässig.

23

Im Übrigen sei die Baulast privatrechtlich nicht mit einer Grunddienstbarkeit untermauert worden. Ein privatrechtlicher Anspruch auf die Nutzung der im Eigentum der Beklagten stehenden Baulastflächen bestehe deshalb nicht.

24

Das behauptete "potentielle" Interesse habe die Klägerin nicht substantiiert. Ein nur theoretisches Interesse unter unrealistischen Voraussetzungen könne nicht als privates Interesse im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO verstanden werden. Nur solche rechtlich schützenswerten privaten Interessen seien zu berücksichtigen, die sich derzeit effektiv auf die mit baurechtlicher Relevanz ausgerichtete Schutzposition des Begünstigten auswirken könnten.

25

Richtigerweise könne hier nicht von einem potentiellen Interesse, sondern nur von einem hypothetischen Interesse gesprochen werden, weil für eine Ausnutzung der Baulast bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssten, z.B. die Änderung des Bebauungsplans oder der Abriss vorhandener Baulichkeiten. Solche Veränderungen seien nicht abzusehen. Wollte man generell die Möglichkeit künftiger Veränderungen zur Bejahung eines fortbestehenden privaten Interesses ausreichen lassen, mache dies die Vorschrift des § 92 Abs. 3 NBauO obsolet. Im Übrigen werde eine Änderung des Bebauungsplans weder vorbereitet noch sei sie beabsichtigt. Die Grünanlage mit Regenrückhaltebecken sei angelegt und bleibe auf Dauer erhalten. Eine Befreiung von den Festsetzungen komme auch bei Fortbestehen der Baulast nicht in Betracht.

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Dass private Interessen am Fortbestand einer Baulast nicht schrankenlos geschützt werden sollten, ergebe sich auch aus den Entstehungsmaterialien der Norm. In der Landtagsdrucksache 13/550 sei beispielhaft der Fall angeführt, dass ein Gebäude abgebrannt sei. Damit entfalle das öffentliche Interesse am Fortbestand der Baulast, nicht aber das private Interesse im Hinblick auf einen Wiederaufbau. Übertragbar sei dieser Gedanke auf den Fall, dass die Klägerin die an einem anderen Teil der Grenze stehenden, weiterhin durch Vereinigungsbaulast geschützten Gebäude durch neue ersetzen wolle.

27

Auch wenn dies aus der Eintragung in das Verzeichnis nicht unmittelbar hervorgehe, sei die Eintragung der Baulast vorhabenbezogen gewesen, wie im Zweifel nach der Rechtsprechung immer anzunehmen sei. Das Vorliegen eines atypischen Falles, der dies ausschließen könne, sei von der Klägerin nicht vorgetragen worden. In solchen Fällen könne dem Baulastbelasteten eine Beibehaltung der Baulast nach Fortfall des Vorhabens nicht zugemutet werden.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

30

Nach niedersächsischem Recht ist der Baulastbegünstigte zur Klage gegen den Verzicht auf eine Baulast und deren Löschung befugt (vgl. Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/ Wiechert, NBauO, 8. Aufl. 2006, § 92 Rdnrn. 61, 74). Im Unterschied zu den Bauordnungen der anderen Länder, die lediglich auf ein öffentliches Interesse abstellen, kann die Bauaufsichtsbehörde nach § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO nur dann auf eine Baulast verzichten, wenn ein öffentliches und ein privates Interesse an der Baulast nicht mehr besteht. Auch für die vor 1995 geltende Gesetzesfassung, die auf ein privates Interesse noch nicht abstellte, ist die Klagebefugnis im Übrigen schon bejaht worden (OVG Lüneburg, Urt. v. 2.7.1991 - 6 L 132/89 -, BRS 52 Nr. 164).

31

Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für einen Verzicht nach § 92 Abs. 3 Satz 1 NBauO vorliegen. Zu einem Antrag auf Verzicht im Sinne des Satzes 2 dieser Vorschrift ist auch die als Bauaufsichtsbehörde tätige Gemeinde berechtigt, wenn sie - wie hier - Eigentümerin eines der beteiligten Grundstücke ist (Gemeindestraße). Keinen grundsätzlichen rechtlichen Bedenken begegnet es, dass bei der nachträglichen Aufteilung eines der beteiligten Grundstücke nur teilweise auf die Vereinigungsbaulast verzichtet wird, wenn sich der Sicherungszweck nicht auf alle Teilflächen bezieht. Hier war Anlass für die Bewilligung und Eintragung der Vereinigungsbaulast, dass vorhandene Gebäude auf der jetzigen Grenze zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/6 und die Straßenanbindung rechtlich abgesichert werden sollten. Dies ist nunmehr auch ohne Vereinigungsbaulast für den Grenzbereich zwischen den Flurstücken 136/2 und 136/18 gewährleistet. Auch ein schutzwürdiges privates Interesse am Fortbestand dieses Teil der Vereinigungsbaulast besteht nicht mehr.

32

Eine Einschränkung auf "schutzwürdige" Interessen ist unter zwei Gesichtspunkten geboten:

33

Sie kann sich schon daraus ergeben, dass eine Baulast "vorhabenbezogen" bewilligt und eingetragen wird (vgl. Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnr. 19). Geschieht dies ausdrücklich, wird damit das nach § 92 Abs. 3 NBauO maßgebliche Interesse abschließend bestimmt. Ob sich der Bezug (nur) zu einem bestimmten Vorhaben auch konkludent ergeben kann, ist umstritten (nach OVG Münster, Beschl. v. 10.10.1997 - 7 B 1974/97 -, BRS 59 Nr. 228 im Regelfall; nach VGH Mannheim, Urt. v.27.10.2000 - 8 S 1445/00 -, BauR 2001, 759 regelmäßig nicht; nach OVG Hamburg, Urt. v. 24.4.2002 - 2 Bf 701/98 -, BRS 66 Nr. 140 Sache der Auslegung). Für sie kann der enge Zusammenhang mit einem konkreten Vorhaben sprechen, wenn nicht Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Baulast über dieses Vorhaben hinausgreifen sollte (vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 2.7.1991 - 6 L 132/89 -, BRS 52 Nr. 164).

34

Auch im vorliegenden Fall sollte durch die Baulast ein konkretes baurechtliches Problem gelöst werden. Dass damit zugleich andere Zwecke verfolgt wurden, ist nicht hervorgetreten. Schon dies spricht tendenziell gegen die Schutzwürdigkeit eines Interesses am Fortbestand der Baulast für solche anderen Zwecke.

35

Unabhängig hiervon folgt aus der grundsätzlichen Anerkennung eines subjektiv-öffentlichen Rechts des Baulastbegünstigten nach niedersächsischem Recht nicht, dass sich jedes wie auch immer geartetes privates Interesse durchsetzen muss. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der niedersächsische Gesetzgeber mit der ausdrücklichen Berücksichtigung des privaten Interesses das in der Musterbauordnung ausgeformte Institut der Baulast, das in seinen wesentlichen Grundzügen identisch von den Bauordnungen der Länder übernommen worden ist, für seinen Bereich grundsätzlich verändern wollte. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass hiernach in Niedersachsen Baulasten im Sinne des Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Oktober 1994 (- 4 B 175.94 -, BauR 1995, 224) "gleichsam auf Vorrat", also ohne Bezug auf ein absehbares Bauvorhaben vorgehalten werden können sollen.

36

Dieses Verständnis der Rechtslage steht nicht in Widerspruch zur Kommentierung bei Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert (a.a.O., § 92 Rdnr. 18). Dort heißt es zwar zunächst, eine Baulast könne ohne konkreten Anlass "auf Vorrat" übernommen werden. Bei näherer Betrachtung wird hier jedoch ein sehr enger "Vorratsbegriff" verwandt, denn es heißt weiter, es dürfe nur nicht ausgeschlossen sein, dass die Baulast in naher Zukunft baurechtliche Bedeutung gewinne. Das ist auch sachgemäß, denn der Bebauung eines Grundstücks können längere, auch wechselhaft verlaufende Planungsphasen vorausgehen, in denen bereits das Bedürfnis bestehen kann, sich Optionen offen zu halten, welche die Nachbargrundstücke berühren. Damit befürwortet die Kommentierung jedoch noch nicht die Zulässigkeit einer langfristigen, von konkreten Bauwünschen losgelösten Vorratshaltung an Baulasten.

37

Will sich ein Bauherr in diesem Sinne langfristig Bebauungsoptionen für sein eigenes Grundstück "auf Kosten" eines Nachbargrundstücks sichern, stehen ihm hierfür zuvörderst zivilrechtliche Mittel zu Gebote. Es kann - gegen entsprechende Gegenleistung - einen darauf abzielenden Vertrag mit dem Eigentümer des betroffenen Grundstücks schließen, auf dieser Grundlage eine entsprechende Dienstbarkeit in das Grundbuch eintragen lassen und auch vertraglich regeln, dass zu einem geeigneten Zeitpunkt die Eintragung einer Baulast beantragt wird. Damit ist seinen privaten Interessen im Regelfall (jedenfalls vorbehaltlich einer Zwangsversteigerung des dienenden Grundstücks) hinreichend Rechnung getragen. Auch für den Fortbestand einer bereits eingetragenen Baulast reicht deshalb ein bloßes - privates - "Vorratsinteresse" nicht aus. Eigentumsrechtliche Fragen stellen sich insoweit nicht, weil es der Baulastbegünstigte selbst in der Hand hat, für eine ausreichende zivilrechtliche Absicherung der Inanspruchnahme des anderen Grundstücks zu sorgen. Die Instrumente des öffentlich-rechtlichen Baurechts dienen nicht dazu, insoweit eingetretene Versäumnisse auszugleichen.

38

Auch ein privates Interesse im Sinne des § 92 Abs. 3 NBauO kann deshalb einem Verzicht nur dann erfolgreich entgegen gehalten werden, wenn zumindest eine fortdauernde "baurechtliche Relevanz" der Baulast dargelegt wird (vgl. zu diesem Begriff Grosse-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 92 Rdnrn. 13 ff.). Entgegen der Auffassung der Klägerin führt dies nicht dazu, dass für die Annahme eines privaten Interesses unabhängig vom öffentlichen Interesse kein Raum mehr bliebe. Die Beklagte hat hervorgehoben, schon im Gesetzgebungsverfahren sei als Beispiel angeführt worden, dass nach dem Abbrennen eines Gebäudes ein öffentliches Interesse an einer hierfür erteilten Abstandsbaulast nicht mehr bestehe, wohl aber - im Hinblick auf den Wiederaufbau - ein schutzwürdiges privates Interesse. Das hat die Klägerin nicht entkräftet.

39

Eine fortdauernde baurechtliche Relevanz der Baulast ist hier nicht ersichtlich. Der maßgebliche Bebauungsplan erlaubt keine Bebauung in dem hier fraglichen Grenzbereich, sondern setzt dort Grünfläche (Regenrückhaltebecken) fest; nach den in der mündlichen Verhandlung eingesehenen Luftbildern besteht dieses Regenrückhaltebecken auch faktisch zumindest in Gestalt einer Senke. Vor der Gewerbefläche schließt sich außerdem ein Streifen nicht überbaubarer Fläche an. Eine Änderung des Bebauungsplans zeichnet sich nicht ab. Dass die Voraussetzungen für eine Befreiung vorliegen, ist nicht konkret dargetan. Der Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 1991 (- 4 C 51.87 -, BVerwGE 88, 24[BVerwG 14.02.1991 - 4 C 51.87] = DVBl. 1991, 812) führt insoweit nicht weiter. Darin wird zwar eingeräumt, dass eine landesrechtliche Vereinigungsbaulast in tatsächlicher Hinsicht einen Ausgleich etwa für eine übermäßige bauliche Nutzung des Baugrundstücks herstellen kann. Konkret ging es in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall um die Einhaltung der Mindestgrundstücksfläche, der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl bei der unregelmäßigen Aufteilung eines Grundstücks, das die zulässigen Werte bereits ausschöpfte. Hier könnte das Interesse der Klägerin dahin gehen, die Festsetzungen für die Straßenverkehrsfläche auf ihrem Grundstück und das Regenrückhaltebecken zu "neutralisieren". Das ist aber im Wege des Ausgleichs, wie ihn das Bundesverwaltungsgericht in jenem Fall für gangbar gehalten hat, nicht möglich. Erst recht kann eine Befreiung von diesen Festsetzungen nicht damit begründet werden, dass dafür die Baulast als "Verhandlungsmasse" eingetauscht werden soll.