Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.01.2012, Az.: 5 LA 291/10

Nichtzurücknehmen der auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruhenden Festsetzung der Versorgung eines Ruhestandsbeamten wegen dessen Bestandskraft als Ermessensentscheidung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.2012
Aktenzeichen
5 LA 291/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 11297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0126.5LA291.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 13.10.2010 - AZ: 1 A 40/09

Amtlicher Leitsatz

Beruht die Festsetzung der Versorgung eines Ruhestandsbeamten auf einem verfassungswidrigen Gesetz, ist eine Ermessensentscheidung, diesen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Vergangenheit wegen dessen Bestandskraft nicht zurückzunehmen, grundsätzlich nicht zu beanstanden.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

2

1. Es liegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor.

3

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, die Beklagte habe nicht dadurch rechtswidrig gehandelt, dass sie den Widerspruchs-/Neufestsetzungsbescheid über die Festsetzung der Versorgung vom 25. Juni 2001 nicht auch für den Zeitraum vor dem 18. Juni 2008 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG aufgehoben habe. Die Klägerin hat keine gewichtigen, gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Gründe aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen und ausführlich begründet, warum es zu der von der Klägerin angegriffenen Einschätzung gelangt ist (UA S. 6 - 8). Der Senat macht sich die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

4

Die Klägerin wendet in ihrer Zulassungsbegründung ohne Erfolg ein, sie könne die Aufhebung des Versorgungsfestsetzungsbescheides gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verlangen, weil ein Festhalten an dem verfassungswidrigen Versorgungsfestsetzungsbescheid als "schlechthin unerträglich" anzusehen sei. Mit ihrem Vortrag, der Bescheid beruhe auf einer verfassungswidrigen Vorschrift und das Verhalten der Beklagten verstoße gegen die guten Sitten und sei mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, hat sie mit Blick auf die vom Verwaltungsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.1.2007 - BVerwG 6 C 32.06 -, [...] Rn. 13; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.3.2008 - BVerwG 1 C 33.07 -, [...] Rn. 12 - 14) keine konkreten Umstände ihres Einzelfalls dafür dargetan, dass nur die Rücknahme des Bescheides vom 25. Juni 2001 für die Zeit vom August 2000 bis Mai 2008 ermessensfehlerfrei wäre.

5

Die Klägerin beruft sich erfolglos darauf, dass der Funktionsvorgänger der Beklagten wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juni 2008 (- 2 BvL 6/07 -, [...]) eigenständig das Verfahren wieder aufgegriffen und den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 25. Juni 2001 insoweit aufgehoben hat, als dass ab dem Tag dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. nicht mehr angewendet wird. Sie meint, die Beklagte hätte sich auch damit auseinandersetzen müssen, dass ihr, der Klägerin, für die Vergangenheit für die Zeit seit ihrer Versetzung in den Ruhestand in verfassungswidriger Weise Versorgungsbezüge vorenthalten würden. Dass der Funktionsvorgänger der Beklagten eigenständig ohne vorherigen Antrag der Klägerin den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 25. Juni 2001 mit Wirkung ab dem 18. Juni 2008 aufgehoben hat, ist jedoch kein Umstand, der im vorliegenden Einzelfall einen Anspruch der Klägerin auf Rücknahme dieses Bescheides auch für die Vergangenheit begründen konnte. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Funktionsvorgänger der Beklagten im vorliegenden Fall davon ausgegangen ist, dass sich sein Ermessen nach dem Wirksamwerden der oben genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidung für die Zukunft zu einer Rücknahmepflicht verdichtet hat (vgl. hierzu im Einzelnen: VGH BW, Urteil vom 24.10.2011 - 4 S 1790/10 -, [...] Rn. 43, 44 m. zahlreichen w. N. unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 33 Abs. 4 und 5 GG und § 3 BeamtVG; siehe auch § 31 Abs. 1 BVerfGG). Für die Vergangenheit ist dagegen regelmäßig die Bestandskraft des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung geschützt (vgl. VGH BW, Urteil vom 24.10.2011, a.a.O., Rn. 43, 44). Beruht ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung auf einem verfassungswidrigen Gesetz, so ist eine Ermessensentscheidung, die eine Rücknahme für die Vergangenheit wegen dessen Bestandskraft ablehnt, grundsätzlich nicht zu beanstanden (BVerwG, Urteil vom 24.2.2011 - BVerwG 2 C 50.09 -, [...] Rn. 12). Es ist insbesondere nicht "schlechthin unerträglich", wenn für die Vergangenheit im Hinblick auf die gesetzgeberische Wertung des § 79 Abs. 2 BVerfGG an der Bestandskraft der Versorgungsfestsetzung festgehalten wird (VGH BW, Urteil vom 24.10.2011, a.a.O., Rn. 34; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24.2.2011, a.a.O., Rn. 15).

6

Entgegen der Auffassung der Klägerin gibt auch das einschlägige Fachrecht keine bestimmte Richtung der Entscheidung im Sinne eines so genannten intendierten Ermessens vor (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.3.2008, a.a.O.). Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg auf § 3 Abs. 3 BeamtVG. Nach § 3 Abs. 3 BeamtVG kann zwar auf die gesetzlich zustehende Versorgung weder ganz noch teilweise verzichtet werden. Die sich aus § 3 BeamtVG ergebende Verpflichtung des Dienstherrn, seinen Versorgungsempfängern die gesetzlich zustehende Versorgung zukommen zu lassen, ist jedoch zukunftsbezogen (vgl. VGH BW, Urteil vom 24.10.2011, a.a.O., Rn. 44). Denn die Alimentation des Beamten durch seinen Dienstherrn ist der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs. Der Beamte kann nicht erwarten, dass er aus Anlass einer verfassungsrechtlich gebotenen Besoldungskorrektur gewissermaßen ohne eigenes Zutun nachträglich in den Genuss der Befriedigung eines womöglich jahrelang zurückliegenden Unterhaltsbedarfs kommt, den er selbst gegenüber seinem Dienstherrn zeitnah nicht geltend gemacht hat (BVerfG, Beschluss vom 22.3.1990 - 2 BvL 1/86 -, [...] Rn. 68; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 13.1.2009 - 5 LB 312/08 -, [...]). Zwar hatte die Klägerin Widerspruch gegen den ursprünglichen Festsetzungsbescheid vom 28. Juli 2000 eingelegt und eine Korrektur ihrer Versorgungsbezüge begehrt. Auf diesen Widerspruch ist die Versorgung jedoch mit dem Widerspruchs-/Neufestsetzungsbescheid vom 25. Juni 2001 neu festgesetzt worden. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin - worauf auch das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt hat - keinen Rechtsbehelf eingelegt.

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Der weitere Vortrag der Klägerin, es handele sich hier um einen Verstoß gegen Verfassungsrecht, einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht und jeweils um Verstöße gegen Rechtsvorschriften mit hohem materiellen Gerechtigkeitsinhalt, führt zu keiner anderen Einschätzung. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, die die Annahme rechtfertigen könnte, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007, a.a.O., Rn. 13), hat die Klägerin damit nicht dargetan.

8

2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

9

Die Klägerin hält die Fragen für grundsätzlich bedeutsam,

- "ob und ggf. in welchem Umfang der Dienstherr den Folgen eines verfassungswidrigen Versorgungsabschlags durch Rücknahme des Festsetzungsversorgungsbescheides Rechnung zu tragen habe" und

- "ob und ggf. in welchem Umfang § 3 Abs. 3 BeamtVG das Rücknahmeermessen bei Rücknahme eines rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Versorgungsfestsetzungsbescheides, der auf einer verfassungswidrigen Vorschrift beruht, reduziert".

10

Diese Fragen lassen sich jedoch anhand der oben zu dem Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dargelegten Rechtsprechung und der hier maßgeblichen Rechtsvorschriften beantworten. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen und insbesondere auf die oben zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 24.10.2011, a.a.O., des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24.2.2011, a.a.O.; Urteil vom 17.1.2007, a.a.O.; Urteil vom 20.3.2008, a.a.O.), des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.3.1990, a.a.O.) sowie des Senats (Urteil vom 13.1.2009, a.a.O.) Bezug genommen. Im Übrigen ist ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes im Ausnahmefall von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängig (BVerwG, Urteil vom. 17.1.2007, a.a.O., Rn. 13). Diese Prüfung ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

11

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).