Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.2012, Az.: 13 LA 199/10

Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Abwehr einer Vernässung von privaten Grundstücken durch Oberflächenwasser einer öffentlichen Straße bei Lösung des Problems durch Erlass eines Bebauungsplans

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.2012
Aktenzeichen
13 LA 199/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 10366
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:0124.13LA199.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 09.09.2010 - AZ: 6 A 153/08

Amtlicher Leitsatz

Das Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Abwehranspruchs, mit dem eine Vernässung von privaten Grundstücken durch Oberflächenwasser einer öffentlichen Straße abgewehrt werden soll, entfällt, wenn das Entwässerungsproblem mittlerweile durch einen Bebauungsplan umfassend gelöst worden ist und an der Umsetzung des Bebauungsplans keine Zweifel bestehen.

Gründe

1

I.

Der Kläger ist Eigentümer mehrerer aus einer ehemaligen Waldfläche hervorgegangenen Baugrundstücke, auf denen eine Wohnbebauung verwirklicht werden soll. Die Grundstücke befanden sich zunächst im unbeplanten Innenbereich; sie befinden sich wie auch das umliegende Gelände in einer Hanglage. Die Erschließung sollte ursprünglich über einen östlich gelegenen Privatweg erfolgen, der zu 1/8 im Miteigentum des Klägers steht, nunmehr aber über den "B. " und den "C. ", der zu diesem Zweck in eine private Wegeparzelle münden und in einem Wendehammer enden soll. Der im Privateigentum stehende aber in das öffentliche Straßenverzeichnis aufgenommene C., über den aufgrund der Hanglage Oberflächenwasser auf die klägerischen Grundstücke gelangen kann, weist keine Einrichtungen zur Oberflächenentwässerung auf. Ursprünglich war seitens der Beklagten angedacht, die Entwässerung mittels einer Rohrleitung über die klägerischen Grundstücke (entlang der Flurstücke D. und E.) zu verwirklichen, die für eine Weiterleitung des Oberflächenwassers zum Endpunkt des F. - dem tiefsten Geländepunkt, an dem ein Regenwasserauffangbecken geplant ist - sorgen sollte. Damit war der Kläger aufgrund der geringeren Nutzbarkeit seiner Grundstücke nicht einverstanden und verweigerte seine Zustimmung zur Einräumung entsprechender Leitungsrechte. In der Situation der Uneinigkeit über die zu verwirklichende Entwässerungslösung hat der Kläger die Beklagte darauf in Anspruch genommen, dass der Abfluss von Oberflächenwasser über den C. auf seine Grundstücke unterbleiben möge. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. September 2010 abgewiesen. Es sei schon nicht belegt, dass die Vernässung seiner Grundstücke wesentlich auf das Oberflächenwasser des G. zurückgehe, da aufgrund der Lage auch andere Belastungen bestünden. Zudem sei die Beklagte nicht untätig geblieben; die Lösung des Entwässerungsproblems scheitere vielmehr am Verhalten des Klägers. Gegen dieses Urteil richtet sich der Berufungszulassungsantrag des Klägers. Während des Berufungszulassungsverfahrens haben sich die Beteiligten weiterhin um eine Einigung bemüht. Der Entwurf für einen Bebauungsplan ist auf Wunsch des Klägers verändert worden. So ist der Wendehammer des H. weiter nach Osten auf ein Flurstück verlegt worden, auf dem sich auch ein denkmalgeschütztes Hügelgrab befindet (Flurstück I.). Mit Leitungsrechten für die Entwässerung sollen nicht mehr die für die Bebauung vorgesehenen Flurstücke des Klägers, sondern der östlich gelegene Privatweg (Flurstück J.) belastet werden. Der entsprechende vom Rat der Beklagten am 29. Juni 2011 beschlossene Bebauungsplan ist am 18. August 2011 rechtswirksam geworden. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Entwässerungsproblem nunmehr gelöst sei und sich das Begehren des Klägers deshalb erledigt habe. Der Kläger meint hingegen, dass keine Erledigung eingetreten sei, weil bisher noch keine Maßnahmen durchgeführt worden seien und der rechtswidrige Zustand daher noch bestehe. Die Beteiligten sind sich nach wie vor uneinig, was den von der Gemeinde beabsichtigten freihändigen Grunderwerb von Teilen des Flurstücks I. und die Einräumung von Leitungsrechten auf dem östlich gelegen Privatweg betrifft. Der Kläger möchte ein Leitungsrecht (auf dem zu 1/8 in seinem Miteigentum stehenden Flurstück J.) nur einräumen, wenn die Beklagte nicht nur die für den Wendehammer tatsächlich benötigte Fläche des Flurstücks I. erwirbt, sondern das gesamte Flurstück.

2

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

3

Die Zulassung der Berufung setzt nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO voraus, dass einer der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Eine hinreichende Darlegung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert, dass in der Begründung des Zulassungsantrags im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, weshalb der benannte Zulassungsgrund erfüllt sein soll. Zwar ist bei den Darlegungserfordernissen zu beachten, dass sie nicht in einer Weise ausgelegt und angewendet werden, welche die Beschreitung des eröffneten (Teil-)Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -; BVerfG, 2. Kammer des 1. Senats, Beschl. v. 24.01.2007 - 1 BvR 382/05 -; BVerfG, 1. Kammer des 2. Senats, Beschl. v. 21.01.2000 - 2 BvR 2125/97 -, jeweils zit. nach [...]). Erforderlich sind aber qualifizierte, ins Einzelne gehende, fallbezogene und aus sich heraus verständliche, auf den jeweiligen Zulassungsgrund bezogene und geordnete Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen.

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1.

Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils setzen voraus, dass gegen dessen Richtigkeit gewichtige Gründe sprechen. Das ist regelmäßig der Fall, wenn ein die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -; BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - 7 AV 4/03 -, jeweils zit. nach [...]). Da das Erfordernis der ernstlichen Zweifel auch auf die Ergebnisrichtigkeit abstellt, dürfen sich die Zweifel indessen nicht ausschließlich auf die vom Verwaltungsgericht gegebene Begründung beziehen, sondern es ist zusätzlich das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen. Für die Zulassung der Berufung wegen des Vorliegens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen hingegen nicht vor, wenn zwar einzelne Rechtssätze oder tatsächliche Feststellungen, welche das Urteil tragen, zu Zweifeln Anlass bieten, das Urteil aber im Ergebnis aus anderen Gründen offensichtlich richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, a.a.O.).

5

Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hat der Kläger, der das Urteil mit umfangreichen Ausführungen zur Rechtsnatur und zum Inhalt des geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Abwehranspruchs angreift, nicht darzulegen vermocht. Zwar mag es dem Kläger zuzugestehen sein, dass das Verwaltungsgericht zu.U.nrecht auf den öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch anstelle des Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruchs abgestellt hat und dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Anspruchsgrundlagen in einer auch für den vorliegenden Fall relevanten Weise nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sind. Dies stellt sich indessen nicht (mehr) als entscheidungserheblich dar. Selbst wenn man den geltend gemachten prozessualen Anspruch als öffentlich-rechtlichen Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruch bewerten würde, dessen Voraussetzungen ursprünglich vorgelegen hätten, ist die Klage bereits unzulässig geworden. Spätestens infolge der technisch-wasserwirtschaftlichen umfassenden Bewältigung des Problems der Siedlungsentwässerung und der Regelung der Grundstücksinanspruchnahme durch den Bebauungsplans Nr. 12 der Beklagten "C., K., B. " ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für den vom ihm geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch weggefallen, so dass es im Ergebnis im Berufungsverfahren nicht zu einer Änderung des angegriffenen Urteils kommen könnte.

6

Die Beklagte, die - worauf auch das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - das Entwässerungsproblem durchaus erkannt hatte und stets um eine konsensuale Lösung bemüht war, ist den Wünschen des Klägers bei der Erstellung des mittlerweile rechtswirksam gewordenen Bebauungsplans nachgekommen. Es ist nicht nur der Wendehammer seinem Wunsch entsprechend verlegt worden; auch eine Inanspruchnahme seiner Baugrundstücke für die Entwässerungsleitungen ist nicht mehr vorgesehen. Bei einer Realisierung des Bebauungsplans, die nicht zweifelhaft ist und von der der Senat deshalb ausgehen kann, wird mithin dem mit der Klage verfolgten Anliegen des Klägers vollständig entsprochen, das über den C. abfließende Oberflächenwasser von seinen Baugrundstücken fernzuhalten. Dass die Lösung des Bebauungsplans Nr. 12 für die Siedlungsentwässerung ungeeignet wäre, ist nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht behauptet. Es liegt vielmehr in Anbetracht der abschüssigen Geländesituation auf der Hand, dass sich das Wasser über die sich an den C. anschließende private Wegeparzelle (Flurstück L.) und den Wendhammer "seinen Weg bahnen" wird, um von dort über den für die Belastung mit Leitungsrechten vorgesehen Privatweg (Flurstück J.) und den B. zum tiefsten Geländepunkt zu gelangen. An der den Wünschen des Klägers entsprechenden technisch-wasserwirtschaftlichen Lösung des Entwässerungsproblems bei Umsetzung des Bebauungsplans bestehen mithin keine Zweifel. Damit entfällt zugleich ein rechtlich anzuerkennendes Interesse des Klägers an einer Entscheidung über den von ihm geltend gemachten Anspruch. Die Handlungen bzw. Unterlassungen, zu denen der Kläger die Beklagte verpflichtet wissen will, hat sich diese nämlich mittlerweile durch Rechtsakt in Gestalt des Bebauungsplans selbst auferlegt. Mehr könnte der Kläger auch mit der auf einen Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruch gerichteten Klage in der mittlerweile eingetretenen Situation ersichtlich nicht erreichen.

7

Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich damit der Rechtsstreit in der Hauptsache wegen eines nicht mehr anzunehmenden Rechtsschutzinteresses für eine Sachentscheidung über den geltend gemachten Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruch erledigt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse bzw. das Nichtvorliegen einer Erledigung kann nicht damit begründet werden, dass eine Umsetzung aller erforderlichen baulichen Maßnahmen zur Siedlungsentwässerung vor Ort noch nicht erfolgt ist. Ein "Planumsetzungsanspruch" steht nicht in Rede. Umsetzungsprobleme bezüglich der im Bebauungsplan vorgesehenen Entwässerungslösung bestehen faktisch allein deshalb weiterhin, weil sich die Beteiligten hinsichtlich der Zustimmung des Klägers zu den Leitungsrechten auf dem Flurstück J. und bezüglich des Erwerbs des Flurstücks I. noch nicht einig sind. Dies allein vermag ein Rechtsschutzbedürfnis bei der der Sache nach erfolgten Anerkennung des klägerischen Begehrens durch eine seinen Wünschen entsprechende Bebauungsplanung nicht zu begründen. Die Beteiligten streiten insoweit letztlich nur noch um finanzielle Fragen, die mit dem ursprünglich geltend gemachten Abwehranspruch nichts (mehr) zu tun haben. An die im Bebauungsplan erfolgten Festsetzungen anknüpfende Fragen des Grunderwerbs und der (verbleibenden) Grundstücksbelastungen auf dem östlichen Privatweg (Flurstück J.) können nicht als streitgegenständlich angesehen werden. Der aufrechterhaltene Unterlassungsanspruch erscheint vielmehr nur noch als "Verhandlungsmasse" im Streit um Kaufpreis, Ankaufsumfang und Leitungsrechte. Dass sich der Kläger möglicherweise bei Fortführung des Klageverfahrens eine bessere Verhandlungsposition für die noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen über den Grunderwerb und die Leitungsrechte verspricht, begründet allein kein anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse.

8

Diese Erwägungen gelten auch und gerade dann, wenn man die vom Kläger in den Raum gestellte Möglichkeit betrachtet, das Entwässerungsproblem auch ganz anders lösen zu können, als jetzt im Bebauungsplan vorgesehen, nämlich durch eine im Bereich des H. anzulegende Entwässerungseinrichtung, bei der der nicht versickerte Teil des Oberflächenwassers über ein Pumpwerk zur M. Straße hochgepumpt wird. Davon abgesehen, dass diese Lösung wohl eher theoretischer Natur ist, weil sie wirtschaftlich kaum vertretbar erscheint (vgl. dazu die nachvollziehbaren Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 3. Januar 2011, Bl. 121 d.A.), wäre sie der Beklagten auf der Grundlage des kürzlich beschlossenen Bebauungsplans rechtlich nicht möglich. Auch drängt sich gerade in diesem Zusammenhang auf, dass es dem Kläger bei der Weiterverfolgung des Zulassungsantrags und der Klage nur noch darum geht, mit einer für die Beklagte im Obsiegensfalle wesentlich aufwendigeren Lösung zu "drohen", so dass ihr etwa der gewünschte vollständige Erwerb des Flurstücks I. durch die Beklagte (als Zustimmungsvoraussetzung für die Einräumung eines Leitungsrechts auf dem Flurstück J.) als "kleineres Übel" erscheinen möge. Dass daraus kein anerkennenswertes Rechtsschutzinteresse für die Weiterverfolgung des Abwehr- bzw. Unterlassungsanspruchs "generiert" werden kann, liegt nach Auffassung des Senats auf der Hand. Im Übrigen wird sich der Kläger vor Augen halten müssen, dass der Streit über den Grunderwerb und das Leitungsrecht auf der Grundlage des rechtswirksamen Bebauungsplans im Nichteinigungsfall gegebenenfalls zwangsweise zu lösen sein wird.

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2.

Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder aufgrund besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden. Die im Einzelnen vom Kläger im Zusammenhang mit diesen Zulassungsgründen umfangreich erörterten Problemkreise - insbesondere die Abgrenzung des Folgenbeseitigungsanspruchs vom öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch und deren jeweilige Voraussetzungen - stellen sich aus den unter 1. genannten Gründen bereits nicht (mehr) als entscheidungserheblich dar.

10

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).