Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.01.2012, Az.: 4 LA 240/10
Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage der Rechtsmissbräuchlichkeit von Vermögensübertragungen kurz vor Beantragung von Ausbildungsförderung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.01.2012
- Aktenzeichen
- 4 LA 240/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 10037
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0111.4LA240.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 14.07.2010 - AZ: 9 A 3226/08
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
- § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG
Redaktioneller Leitsatz
Die Frage, ob ein Darlehensvertrag zwischen den Familienangehörigen im Sinne von § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG wirksam zu Stande gekommen ist, fällt allein in die Sphäre des Auszubildenden, weshalb dieser auch für den Rechtsgrund darlegungs- und beweispflichtig ist.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg, weil die von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 und 5 VwGO nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt worden sind.
Die Berufung kann nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der von der Klägerin behaupteten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten zugelassen werden. Denn die vorliegende Rechtssache weist keine besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten auf. Diese ergeben sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht daraus, dass sie einen Teil ihres Vermögens am 5. September 2006 und damit vor der Stellung des am 24. Oktober 2006 beim Studentenwerk eingereichten Antrages auf Ausbildungsförderung auf ihren Stiefvater übertragen hat. Denn die in diesem Zusammenhang sich stellenden Fragen sind höchstrichterlich geklärt. Entgegen der Meinung der Klägerin sind nämlich hinsichtlich der Frage, ob die Vermögensübertragung kurz vor der Antragstellung "unentgeltlich" bzw. ohne Rechtsgrund und insoweit rechtsmissbräuchlich erfolgt ist (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 13.1.1983 - 5 C 103.80 -, NJW 1983, 2819) oder ob dieser ein anzuerkennender Darlehensvertrag zu Grunde gelegen hat, und der Anforderungen an ein solches Darlehen unter Familienangehörigen die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. September 2008 (- 5 C 30.07 -, BVerwGE 132, 10) entwickelten Kriterien anzuwenden. Denn für die Beantwortung der auch zur Feststellung einer rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung zunächst zu klärenden Frage, ob ein Darlehensvertrag zwischen den Familienangehörigen wirksam zu Stande gekommen ist, ist es nicht erheblich, ob der angebliche Darlehensbetrag vor der Antragstellung und in zeitlichem Zusammenhang mit dieser zurückgezahlt worden ist, um eine Anrechnung von Vermögen im folgenden Bewilligungszeitraum zu vermeiden, oder ob das behauptete Darlehen noch nicht zurückgezahlt worden ist, der entsprechende Vermögensbetrag aber nicht angerechnet werden soll, weil im Zeitpunkt der Antragsstellung angeblich ein Darlehensrückzahlungsanspruch des Darlehensgebers als Schuld im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 1 BAföG besteht, da die allein in die Sphäre des Auszubildenden fallende und daher von diesem zu beantwortende Frage nach dem Rechtsgrund der bereits vollzogenen Vermögensverschiebung auf den Familienangehörigen bzw. nach dessen Anspruch auf eine solche noch nicht durchgeführte Vermögensübertragung sich in beiden Fällen in gleicher Weise stellt und auch die die strengen Anforderungen an den Nachweis eines Darlehensvertrages zwischen Familienangehörigen begründende Gefahr des Missbrauchs in beiden Fällen gleich hoch ist.
Die Berufung kann auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassen werden, weil die von der Klägerin aufgeworfene Frage, "wer im Rahmen des Missbrauchstatbestandes dafür darlegungs- und beweispflichtig ist, dass der Auszubildende nicht mehr vorhandenes Vermögen ohne Gegenleistung übertragen hat, um eine Anrechnung im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung zu vermeiden", nach dem oben Gesagten geklärt ist.
Die Berufung ist schließlich auch nicht aufgrund eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
Die Klägerin macht insoweit zunächst eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht geltend.
Das Gebot der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verlangt, dass das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde legt. Das Gericht darf also nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In solchen Fällen fehlt es an der Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung daraufhin, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, NVwZ 1995, 175, 177; Senatsbeschl. v. 4.5.2009 - 4 LA 625/07 -).
Hiernach hat die Klägerin einen Verstoß gegen das Gebot der freien Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht nicht dargelegt, soweit sie anführt, "das Gericht arbeitet nicht heraus, welche Tatsachen es als erwiesen und welche als nicht erwiesen ansieht", da "aus dem Kontext des Urteils" nicht deutlich werde, "ob das Gericht einen zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater geschlossenen Darlehensvertrag von vornherein verneint", und es offen bleibe, "ob das Gericht überhaupt von einer unentgeltlichen Vermögensübertragung ausgeht." Denn die Klägerin hat damit insbesondere nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht Umstände übergangen hat, die entscheidungserheblich gewesen sein können. Im Übrigen trifft dieser Einwand der Klägerin auch nicht zu, da das Verwaltungsgericht aufgrund einer (zum Teil allerdings nicht hinreichend klar und präzise formulierten) Würdigung der Umstände des Sachverhalts, insbesondere der möglicherweise zwischen der Klägerin und ihrem Stiefvater getroffenen "Vereinbarungen", zu dem letztlich eindeutigen Ergebnis gelangt ist, dass "die Klägerin das Bestehen eines Darlehensvertrages, der die Vermögensübertragung rechtmäßig gemacht hätte, nicht hat nachweisen können".
Ebenfalls unzutreffend ist der Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe die Aussage ihres als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vernommenen Stiefvaters nicht gewürdigt. Denn das Verwaltungsgericht ist "nach Würdigung aller Umstände insbesondere der Anhörung der Klägerin im Termin und der Vernehmung des Zeugen" (Seite 5 des Urteilsabdrucks) zu dem oben dargestellten Ergebnis gelangt. Auch wenn das Verwaltungsgericht bei der Würdigung des Sachverhaltes die Zeugenaussage des Stiefvaters der Klägerin in den Urteilsgründen nicht wörtlich wiedergegeben hat, hat es sich mit dieser Aussage gleichwohl inhaltlich, beispielsweise in Bezug auf den von der Klägerin und ihrem Stiefvater behaupteten Möbelkauf mit einem Teil des angeblichen Darlehens, auseinander gesetzt und den Nachweis eines Darlehens (u.a.) zu diesem Zweck mit der insoweit nachvollziehbaren Begründung verneint, dass es hierüber "weder Belege noch Kontoauszüge" gebe, die angeblich zunächst vorhanden gewesen sein sollen, aber weder der Beklagten noch dem Verwaltungsgericht vorgelegt worden sind.
Soweit die Klägerin die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Auszahlung des fraglichen Geldbetrages in mehreren Teilbeträgen gegen ein Darlehen spreche, für "nicht nachvollziehbar und auch falsch" hält, weil das Geld zur Verhinderung von Missbrauch durch sie in Teilbeträgen ausgezahlt worden und dies auch glaubhaft sei, und sie auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Umstand, dass sie sich an die konkrete Darlehenssumme nicht mehr erinnern könne, gegen den wirksamen Abschluss eines Darlehensvertrages spreche, für "falsch" hält, zeigt sie lediglich Möglichkeiten einer anderen Bewertung des Sachverhalts auf. Dies genügt jedoch nicht, um eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung darzutun (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.8.1998 - 4 B 81.98 -, NVwZ 1999, 64, 65 [BVerwG 14.08.1998 - 4 B 81/98]; Senatsbeschl. v. 4.5.2009 - 4 LA 625/07 -). Diese von der Klägerin behaupteten Mängel in der Beweiswürdigung sind nämlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzurechnen.
Die von der Klägerin ferner geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (Art.103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor, weil ihr Vorbringen zur Begründung dieses angeblichen Verfahrensfehlers, sie habe in ihrem Schriftsatz vom 22. September 2009 vorgetragen, dass sie zum Zeitpunkt der Vermögensübertragung noch gar nicht gewusst habe, "ob und welches Studium sie aufnehmen" werde, worauf das Verwaltungsgericht nicht eingegangen sei, unzutreffend ist. Denn die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 22. September 2009 nur in Bezug auf den Zeitpunkt des Abschlusses der angeblichen Darlehensvereinbarung im Dezember 2005 behauptet, zu dieser Zeit noch nicht gewusst zu haben, ob sie überhaupt studieren und auch einen Studienplatz erhalten werde. Hinsichtlich des Zeitpunktes der Übertragung des fraglichen Vermögensbetrages auf ihren Stiefvater am 5. September 2006 hat die Klägerin in dem genannten Schriftsatz hingegen lediglich vorgetragen, zu diesem Zeitpunkt noch keinen Studienplatz gehabt zu haben, da sie die Zusage für einen Studienplatz für das Studium der Tiermedizin, das sie im Oktober 2006 begonnen habe, erst am 26. September 2006 erhalten habe, und sie "im Übrigen auch nicht zwangsläufig davon" habe ausgehen dürfen, einen solchen zu erhalten; den Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung habe sie erst am 24. Oktober 2006 gestellt. Diesen Vortrag der Klägerin hat das Verwaltungsgericht ausweislich des Urteilstatbestandes (Seite 6 des Urteilsabdrucks) auch zur Kenntnis genommen und damit dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs Genüge getan. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Vermögensverschiebung und der Beantragung von Ausbildungsförderung bejaht, weil die Klägerin den fragliche Vermögensbetrag nur wenige Wochen vor der zwar nicht sicher, aber offenbar durchaus wahrscheinlich gewesenen Studienplatzzusage und weniger als zwei Monate vor der Stellung des Antrages auf Ausbildungsförderung, den die Klägerin bereits unter dem 16. Oktober 2006 unterschrieben und mit dem sie u.a. eine schon unter dem 6. Oktober 2006 unterschriebene Erklärung ihrer Mutter eingereicht hatte, auf ihren Stiefvater übertragen hat.