Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.01.2012, Az.: 14 PS 3/11
Statthaftigkeit des Zwischenverfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO bei einer im Strafverfahren auf der Grundlage des § 96 StPO abgegebenen Sperrerklärung; Berechtigung der obersten Aufsichtsbehörde zur Verweigerung der Aktenvorlage nach § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO wegen der notwendigen Geheimhaltung von Informationen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 04.01.2012
- Aktenzeichen
- 14 PS 3/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 15254
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0104.14PS3.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - AZ: 10 A 3843/10
Rechtsgrundlagen
- § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 99 Abs. 2 VwGO
- § 96 StPO
Fundstellen
- DÖV 2012, 571-572
- Kriminalistik 2012, 674
- NJW 2012, 2372-2374
- Polizei 2012, 234
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Das Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO ist auch dann statthaft, wenn Gegenstand des zu Grunde liegenden Hauptsacheverfahrens vor dem Verwaltungsgericht eine im Strafverfahren auf der Grundlage des § 96 StPO abgegebene Sperrerklärung ist.
- 2.
Die notwendige Geheimhaltung der Informationen, die die Strafverfolgungsbehörden gewonnen haben, der Schutz ihrer Informationsquellen, ihrer Arbeitsweise und ihrer Vertraulichkeitszusagen an Informanten können die oberste Aufsichtsbehörde zur Verweigerung der Aktenvorlage nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO berechtigen. Dabei hat die oberste Aufsichtsbehörde nicht erst im Rahmen der Ermessensausübung, sondern bereits bei der Prüfung, ob die begehrten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind, den Sachverhalt umfassend zu würdigen und hier insbesondere die Schwere der Straftat, das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile, das Gewicht der einer Aktenvorlage entgegenstehenden Umstände und Möglichkeiten des Schutzes des verdeckten Informanten durch strafverfahrensrechtliche Vorkehrungen zu berücksichtigen.
Gründe
I.
Der Kläger ist Angeklagter eines Strafprozesses vor dem Landgericht Hannover. Nach Aussetzung der Hauptverhandlung im September 2010 hat die erneute Hauptverhandlung im Dezember 2011 begonnen.
Mit Schreiben vom 23. Juli 2010 und vom 26. Juli 2010 forderte die Vorsitzende der Strafkammer die Polizeidirektion Hannover zur Angabe des Namens und der ladungsfähigen Anschrift eines verdeckten Informanten auf, dessen Angaben zur Einleitung des Strafverfahrens geführt haben, oder zur Erteilung einer entsprechenden Aussagegenehmigung an die ermittelnden Kriminalbeamten. Hierauf erließ der Beklagte unter dem 6. August 2010 eine Sperrerklärung nach § 96 StPO und verweigerte die Bekanntgabe der wahren Identität des verdeckten Informanten, da dies dem Wohl des Landes Niedersachsen und der Bundesrepublik Deutschland Nachteile bereiten und eine Gefahr für Leib oder Leben des Informanten begründen würde.
Mit der diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover - 10 A 3843/10 - begehrt der Kläger mittlerweile die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Beklagten, gegenüber dem Landgericht Hannover die erbetenen Angaben zur Identität des verdeckten Informanten zu machen. Er erstrebt die vollständige Vorlage der streitigen Informantenakte, um den verdeckten Informanten als Zeugen in dem Strafverfahren zu laden.
Mit Beschluss vom 16. November 2011 forderte das Verwaltungsgericht Hannover den Beklagten zur Vorlage der in der Verwahrung der Polizeidirektion Hannover befindlichen Informantenakte ---- zur Strafsache gegen den Kläger sowie der bislang nicht vorgelegten Teile des Verwaltungsvorgangs (ungeschwärzter Bericht der Polizeidirektion Hannover v. 2.8.2010, Bl. 6 bis 9 der Akte -----; Bl. 57 bis 59 der Akte -----, ungeschwärzte E-Mail des Niedersächsischen Innenministeriums v. 5.8.2010, Bl. 60 der Akte -----; Bl. 61 und 62 der Akte -----; ungeschwärzter Vermerk des Referats P 23.24b v. 5.8.2010, Bl. 63 der Akte ---- auf. Die erbetenen Akten und Aktenteile legte der Beklagte mit Schriftsatz vom 28. November 2011 nicht oder nur mit Schwärzungen vor und erteilte im Übrigen als oberste Aufsichtsbehörde eine Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Zur Begründung berief er sich unter Bezugnahme auf die im Strafverfahren abgegebene Sperrerklärung vom 6. August 2010 darauf, dass die Bekanntgabe der vollständigen Akten dem Wohl des Landes Niedersachsen und der Bundesrepublik Deutschland Nachteile bereiten und eine Gefahr für Leib oder Leben der Informationsquelle begründen würde, die nach Abwägung mit dem Rechtsschutzinteresse des Klägers und dem öffentlichen Interesse an einer vollständigen Sachverhaltsaufklärung nicht hingenommen werden könnten.
Hierauf hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 sinngemäß beantragt,
im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO die Rechtswidrigkeit der Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Beschluss vom 16. November 2011 erbetenen Aktenteile vorzulegen, festzustellen.
Auf diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2011 das Verfahren gemäß § 99 Abs. 2 Satz 4 VwGO dem nach § 189 VwGO bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht gebildeten Fachsenat zur Entscheidung vorgelegt, ob die Weigerung der Vorlage der vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. November 2011 angeforderten Aktenteile durch die Erklärung des Beklagten vom 28. November 2011 rechtmäßig ist.
II.
Der Antrag des Klägers, im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO festzustellen, dass die Weigerung des Beklagten rechtswidrig ist, hat keinen Erfolg.
Der Antrag auf Durchführung des Zwischenverfahrens ist statthaft, auch wenn Gegenstand der hier zu Grunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Klage letztlich die Rechtmäßigkeit der im Strafverfahren auf der Grundlage des § 96 StPO abgegebenen Sperrerklärung des Beklagten ist und die Strafprozessordnung selbst kein derartiges Zwischenverfahren kennt. Denn dies schließt es nicht aus, dass der Angeklagte - wie hier der Kläger - den Verwaltungsrechtsweg mit dem Ziel beschreitet, die Sperrwirkung zu beseitigen und die Aktenvorlage über ein Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO zu erreichen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009 - 20 F 4.09 -, Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 54).
Der Antrag des Klägers nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des nach § 189 VwGO gebildeten Fachsenats im selbstständigen Zwischenverfahren ist auch zulässig.
Der Antrag setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich eine förmliche Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache voraus, dass es die von der obersten Aufsichtsbehörde zurückgehaltenen Akten, Unterlagen oder Dokumente für die Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts benötigt. Das Gericht der Hauptsache muss dabei durch Angabe des Beweisthemas deutlich machen, dass es die Unterlagen oder Dokumente als erheblich ansieht. Je nach Fallkonstellation darf sich das Hauptsachegericht dabei nicht allein auf die Angabe des Beweisthemas und der als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) beschränken, sondern muss in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall - sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiellrechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs sowie der fachgesetzlichen Ablehnungsgründe - Stellung nehmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.11.2010 - 20 F 2.10 -, NVwZ 2011, 233 f. m.w.N.). Eine solche förmliche Verlautbarung des Gerichts der Hauptsache zur rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits ist nur ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn die zurückgehaltenen oder freigegebenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind. Das ist dann der Fall, wenn die Pflicht zur Vorlage der Behördenakten bereits Streitgegenstand des Verfahrens zur Hauptsache ist und die dortige Entscheidung von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten, wie von der Behörde oder dem einer Freigabe widersprechenden Beteiligten geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.4.2010 - 20 F 13.09 -, BVerwGE 136, 345, 347 f. m.w.N.).
Ungeachtet der Frage, ob hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, hat das Verwaltungsgericht mit dem Beschluss vom 16. November 2011 eine den dargestellten Anforderungen genügende förmliche Verlautbarung zur rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits getroffen. Das Verwaltungsgericht hat hinreichend klar das Beweisthema und die als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) bezeichnet. Eine noch weitergehende Konkretisierung oder Differenzierung war ohne Kenntnis der Akten selbst nicht möglich. Das Verwaltungsgericht hat auch die Entscheidungserheblichkeit der bezeichneten Akten im konkreten Fall nachvollziehbar begründet und darauf hingewiesen, dass im Rahmen der zulässigen Fortsetzungsfeststellungsklage die Rechtmäßigkeit der mit der Sperrerklärung vom 6. August 2010 verbundenen Weigerung des Beklagten, gegenüber dem Landgericht Hannover die mit Schreiben vom 23. und 26. Juli 2010 erbetenen Angaben zur Identität des verdeckten Informanten zu machen, zu beurteilen sei. Da die Angaben des Beklagten im Übrigen nicht ausreichend seien, um das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Abgabe einer Sperrerklärung abschließend beurteilen zu können, bedürfe es der Vorlage der genannten Aktenteile. Nur so könne die Kammer die Existenz des verdeckten Informanten, seine Rolle im Umfeld der Rauschgiftkriminalität und die behaupteten Verbindungen zu anderen Verfahren überprüfen und feststellen, ob die Bekanntgabe der wahren Identität des verdeckten Informanten dem Wohl des Landes Niedersachsen und der Bundesrepublik Deutschland Nachteile bereiten und eine Gefahr für Leib oder Leben des Informanten begründen würde. Auf diese Aufklärung könne auch nicht deshalb verzichtet werden, weil Staatsanwaltschaft und Polizei dem verdeckten Informanten eine Vertraulichkeitszusage erteilt hätten. Die Aktenvorlage sei insoweit zumindest deshalb erforderlich, um das Vorliegen und den Umfang der Vertraulichkeitszusage zu überprüfen.
An diese nachvollziehbare Begründung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhalts für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache ist der Fachsenat gebunden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009, a.a.O.). Eine andere Beurteilung durch den Fachsenat käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft, das heißt nicht vertretbar, wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.8.2009 - 20 F 10.08 -, NVwZ 2010, 194, 195). Jedenfalls für eine solche offensichtliche Fehlerhaftigkeit bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
Der Antrag des Klägers hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Weigerung des Beklagten, die vom Verwaltungsgericht Hannover - 10. Kammer - mit Beschluss vom 16. November 2011 erbetenen Aktenteile vorzulegen, ist rechtmäßig.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes oder des Bundes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106, 127 f.; BVerwG, Beschl. v. 7.11.2002 - 2 AV 2.02 - NVwZ 2003, 347, 348), das eine Verweigerung der Vorlage gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO rechtfertigen kann. Ein Nachteil in diesem Sinne ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009, a.a.O.; Beschl. v. 5.2.2009 - 20 F 24.08 -, [...] Rn. 4). Die notwendige Geheimhaltung der Informationen, die die Sicherheitsbehörden gewonnen haben, der Schutz ihrer Informationsquellen, ihrer Arbeitsweise und ihrer Vertraulichkeitszusagen an Informanten können die oberste Aufsichtsbehörde zur Verweigerung der Aktenvorlage berechtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999, a.a.O., S. 128). Für die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden gilt entsprechendes. Denn auch die Strafverfolgungsorgane können zur Bekämpfung besonders gefährlicher Kriminalität nicht ohne den Einsatz von Personen auskommen, deren Identität auch noch nach dem Einsatz geheim gehalten werden muss (vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerfG, Beschl. v. 26.5.1981 - 2 BvR 215/81 -, BVerfGE 57, 250, 284 f.). Dabei hat die oberste Aufsichtsbehörde nicht erst im Rahmen der Ermessensausübung, sondern bereits bei der Prüfung, ob die begehrten Informationen geheimhaltungsbedürftig sind, den Sachverhalt umfassend zu würdigen und hier insbesondere die Schwere der Straftat, das Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile und das Gewicht der einer Aktenvorlage entgegenstehenden Umstände zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu prüfen, ob nicht bereits bestimmte strafverfahrensrechtliche Vorkehrungen zum Schutz der betroffenen verdeckten Informanten ausreichend sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 2.7.2009, a.a.O.; Senatsbeschl. v. 30.4.2009 - 14 PS 1/09 -).
Derartige Geheimhaltungsgründe hat der Beklagte hier als oberste Aufsichtsbehörde in seiner Sperrerklärung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vom 28. November 2011, die zur Begründung auch auf die bereits unter dem 6. August 2010 im Strafverfahren abgegebene Sperrerklärung nach § 96 StPO Bezug nimmt, geltend gemacht und auch die gebotene umfassende Sachverhaltswürdigung vorgenommen. Er hat mit auf den konkreten Einzelfall bezogenen, aussagekräftigen und nachvollziehbar begründeten Erläuterungen zur Bedeutung der zurückgehaltenen Erkenntnisse, der Notwendigkeit des Quellenschutzes und der Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung in künftigen Strafverfahren ausgeführt, dass ein Bekanntwerden des Inhalts der nicht vorgelegten Aktenteile dem Wohl des Landes Niedersachsen und der Bundesrepublik Deutschland Nachteile bereiten und eine Gefahr für Leib oder Leben der Informationsquelle begründen würde. Bei einer Aufdeckung der Identität des verdeckten Ermittlers bestünde die Gefahr, dass dieser erheblichen körperlichen Übergriffen aus dem Umfeld des Klägers, insbesondere der Brüder C., ausgesetzt sein wird. Zurückliegende Ermittlungen hätten gezeigt, dass Tätergruppierungen, die mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen Handel betreiben, nicht vor dem massiven Einsatz von Gewalt zurückschrecken und auch rigoros gegen Zeugen vorgehen. Dies gelte umso mehr, da die Täter bei Aufdeckung mit erheblichen Haftstrafen, finanziellen Einbußen und Ansehensverlusten im kriminellen Umfeld rechnen müssten. Ermittlungen hätten hier eine persönliche Nähe des Klägers zu den Brüdern D. und E. F. ergeben. D. C. sei am 13. Juli 2010 vom Landgericht Hannover zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Im Rahmen vorausgehender Durchsuchungen seiner Wohnung seien unter anderem 47 Patronen der Bezeichnung .357 Magnum sichergestellt worden. Vorausgehend sei im Jahre 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung gegen ihn ermittelt worden, nachdem 16 Albaner nach einer Ehrverletzung versucht hätten, eine Diskothek in Hannover zu stürmen. E. C. habe in dem Strafverfahren gegen seinen Bruder zwei Polizeivollzugsbeamte der Polizeidirektion Hannover bedroht und durch Gesten signalisiert, ihnen den Hals durchzuschneiden. Gegen ihn lägen polizeiliche Erkenntnisse wegen gefährlicher Körperverletzung vor. Im Jahre 2001 sei er wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden.
Neben der aus Übergriffen dieser Personen resultierenden Gefahr für Leib und Leben des verdeckten Informanten forderten auch Belange einer effektiven Strafverfolgung die Geheimhaltung von dessen Identität. Strafverfolgungsbehörden seien im Bereich der schweren Straftaten und der organisierten Kriminalität auf Kenntnisse verdeckter Informanten angewiesen. Werde diesen, wie hier, eine Vertraulichkeitszusage erteilt, später aber deren Identität preisgegeben, schließe dies nicht nur den weiteren Einsatz des konkreten Informanten aus, sondern erschwere auch die Gewinnung weiterer verdeckter Informanten ganz erheblich. Die Identität des verdeckten Informanten könne im konkreten Fall auch allein mit strafverfahrensrechtlichen Vorkehrungen nicht geheim gehalten werden. Ein Auftreten in der Hauptverhandlung mit Tarnpersonalien, bei Verzicht auf Angaben zu Identität und Wohnort (vgl. § 68 Abs. 2 und 3 StPO), bei Ausschluss der Öffentlichkeit (vgl. § 172 GVG) oder Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal (vgl. § 247 StPO) sei zur Geheimhaltung der Identität nicht ausreichend. Bisher unbekannte Personen aus dem Umfeld des Klägers könnten bei einer verdeckten Überwachung insbesondere anlässlich dessen An- und Abfahrt zum Gerichtsgebäude diesen enttarnen. Auch eine Vernehmung an einem anderen Ort mit audiovisueller Übertragung in den Verhandlungsraum (vgl. § 247a StPO) oder eine kommissarische Vernehmung (vgl. § 223 StPO) seien nicht geeignet. Der verdeckte Informant habe bisher keinerlei Erfahrung mit derartigen Vernehmungssituationen, so dass die konkrete Gefahr bestehe, dass er unüberlegt oder unbewusst Ansatzpunkte für seine Identifizierung liefert. Im Rahmen einer audiovisuellen Vernehmung bestünde auch die Gefahr, dass die Identität des Informanten allein anhand der Verwendung besonderer Ausdrücke und Gesten offenbart wird. Auch durch technische Veränderungen bei Bild und Ton sei dieses Risiko letztlich nicht zu beseitigen.
Der Senat hat sich bei Durchsicht der von dem Beklagten im Zwischenverfahren vorgelegten Aktenstücke davon überzeugt, dass diese mit der Sperrerklärung geltend gemachten Geheimhaltungsgründe tatsächlich vorliegen. Denn bei Bekanntwerden der im Hauptsacheverfahren nicht vorgelegten Aktenteile bestünde zumindest für Leib oder sogar Leben des verdeckten Informanten eine erhebliche Gefahr. Auch wäre den Strafverfolgungsbehörden zukünftig die Arbeit erschwert, wenn ihre Informationsquellen nicht mehr auf die Verlässlichkeit von Vertraulichkeitszusagen vertrauen könnten und dadurch erhebliche Gefahren für deren Leib und Leben entstünden. Strafverfahrensrechtliche Vorkehrungen, die im vorliegenden konkreten Einzelfall geeignet wären, die Identität des verdeckten Informanten mit hinreichender Sicherheit geheim zu halten, sind nicht erkennbar. Eine nähere Begründung muss hier unterbleiben, weil die Entscheidungsgründe nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen.
Die Entscheidung über die Verweigerung der Aktenvorlage bei danach bestehendem Geheimhaltungsbedarf erfordert grundsätzlich eine Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Durch die Ermessenseinräumung wird der obersten Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO regelt die Auskunftserteilung und Aktenvorlage im Verhältnis der mit geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen befassten Behörde zum Verwaltungsgericht, das in einem schwebenden Prozess für eine sachgerechte Entscheidung auf die Kenntnis der Akten angewiesen ist. In diesem Verhältnis stellt das Gesetz die Auskunftserteilung und Aktenvorlage in das Ermessen der Behörde, lässt dieser also die Wahl, ob sie die Akten oder die Auskunft wegen ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit zurückhält oder ob sie davon um des effektiven Rechtsschutzes willen absieht. Die oberste Aufsichtsbehörde muss in ihrer Sperrerklärung in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen, dass sie gemessen an diesem Maßstab die Folgen der Verweigerung mit Blick auf den Prozessausgang gewichtet hat (vgl. BVerwG, Beschl. 31.1.2011 - 20 F 18.10 -, [...] Rn. 9 m.w.N.).
Die Sperrerklärung des Beklagten vom 28. November 2011, die hinsichtlich der Ermessenserwägungen auch auf die bereits unter dem 6. August 2010 im Strafverfahren abgegebene Sperrerklärung nach § 96 StPO und die Schriftsätze im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 14. Oktober 2010 und 7. Februar 2011 Bezug nimmt, genügt diesen Anforderungen. Der Beklagte hat das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und die Interessen des Landes an der Geheimhaltung mit den gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen an effektivem Rechtsschutz und umfassender Aufklärung des Sachverhalts umfassend und bezogen auf den konkreten Einzelfall angemessen abgewogen. Ermessensfehler sind nicht zu erkennen. Der Beklagte hat dabei alle relevanten Gesichtspunkte gewürdigt, insbesondere auch die Schwere der dem Kläger vorgeworfenen Straftaten und den Stellenwert der umstrittenen und der weiteren vorliegenden Beweismittel. Eine nähere Begründung muss hier unterbleiben, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO).