Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.01.2012, Az.: 7 KS 209/11
Zustimmung eines notwendig Beigeladenen als Voraussetzung für die Anordnung des Ruhens eines Verfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.01.2012
- Aktenzeichen
- 7 KS 209/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 10417
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0127.7KS209.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 173 S. 1 VwGO
- § 251 S. 1 ZPO
- Art. 19 Abs. 4 GG
Fundstellen
- DÖV 2012, 368
- NJW 2012, 2376
- NVwZ-RR 2012, 495-496
Redaktioneller Leitsatz
Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach §§ 173 S. 1 VwGO, 251 S. 1 ZPO setzt nicht die Zustimmung eines notwendig Beigeladenen voraus.
Gründe
Das Ruhen des Verfahrens wird in Anwendung der §§ 173 Satz 1 VwGO, 251 Satz 1 ZPO angeordnet, nachdem beide Parteien dies mit Schriftsätzen vom 13. bzw. 25. Januar 2012 sinngemäß beantragt haben und weil anzunehmen ist, dass diese Anordnung wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen zweckmäßig ist.
Der für die Entscheidung zuständige Berichterstatter (§ 87a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 VwGO) teilt nicht die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. etwa: OVG NRW Beschl. v. 16. 9. 2009 - 12 E 1219/09 - NVwZ-RR 2010, 166 f., hier zitiert nach [...], sowie Nds. OVG, Beschl. v. 21. 2. 2002 - 1 OB 3332/01 -, NVwZ-RR 2002, 788) und der Kommentarliteratur (z. B. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 66 Rn. 11; a. A. Czybulka, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 3. Aufl. 2010, § 66 Rn. 11) überwiegend vertretene Auffassung, dass die Anordnung des Ruhens des Verfahrens die Zustimmung eines notwendig Beigeladenen voraussetze.
Es bedarf keiner Ausführungen, dass der Wortlaut des § 251 Satz 1 ZPO hierfür keinen Anhalt bietet.
Ein Zustimmungserfordernis lässt sich auch nicht überzeugend mit dem Argument begründen, dass es zum Schutz des notwendig Beigeladenen erforderlich sei, da sich der Suspensiveffekt einer Klage zu seinen Lasten auswirken könne und der Beigeladene dann ein durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistetes Recht darauf habe, raschen Rechtsschutz zu erreichen und rechtskräftig geklärt zu sehen, ob er von einem durch Dritte angegriffenen, ihn begünstigenden Verwaltungsakt Gebrauch machen könne, ohne nachteilige Folgen befürchten zu müssen. Zum einen ist diese Rechtsaufassung erkennbar von der Interessenlage bei Drittanfechtung eines den notwendig Beigeladenen begünstigenden Verwaltungsaktes bestimmt, erschöpfen sich die Fälle notwendiger Beiladung aber nicht in solchen Konstellationen. Zum anderen ist auch dann, wenn die Parteien die Anordnung des Ruhens des Verfahrens übereinstimmend beantragt haben, nicht anzunehmen, dass diese Anordnung zweckmäßig ist, wenn aus ihr voraussichtlich eine für den Beigeladenen nach Art. 19 Abs. 4 GG unzumutbare Verzögerung des Rechtsstreits resultieren würde (vgl. Kreutz, Die Ruhensanordnung im Verwaltungsprozess, DVBl. 2006, 221 [223 f.]). Letzteres verbindlich zu beurteilen, kann indessen dem Gericht überlassen bleiben und muss nicht durch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Zustimmungserfordernis in die Hände des Beigeladenen selbst gelegt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass § 251 ZPO das Ruhen des Verfahrens gerade wegen des Schwebens von Vergleichsverhandlungen vorsieht, die prozessuale Stellung eines notwendig Beigeladenen es aber nicht erfordert, dass er jeder Art von Vergleich zwischen den Parteien zustimmt, durch den das Verfahren beendet werden kann (vgl. Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 66 Rn. 11). Schließlich ist es möglich, das Ruhen des Verfahrens zum Schutz des notwendig Beigeladenen von vornherein zu befristen, und vermag im Verwaltungsprozess das Gericht das Verfahren - etwa auf Anregung des notwendig Beigeladenen - jederzeit von Amts wegen aufzunehmen (Kreutz, Die Ruhensanordnung im Verwaltungsprozess, DVBl. 2006, 221 [224]; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 94 Rn. 1).
Demgegenüber ist das von der herrschenden Meinung befürwortete Zustimmungserfordernis der Flexibilisierung des Verwaltungsprozesses im Interesse einer gütlichen Streitbeilegung abträglich. Beispielsweise müsste die Erklärung der Zustimmung zu einem Ruhen des Verfahrens durch den notwendig Beigeladenen als Prozesshandlung angesehen werden, die in Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht dem Vertretungszwang des § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO unterläge. Sofern man keine - inkonsequente - Ausnahme von diesem Vertretungszwang anerkennen wollte, hätte das zur Folge, dass ein notwendig Beigeladener, der - wie hier ausweislich seines Schriftsatzes vom 25. Januar 2012 - ebenso wie die übrigen Beteiligten das Ruhen des Verfahrens wünscht, um Vergleichsverhandlungen zu führen, einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten nur deshalb bestellen müsste, damit dieses Ruhen herbeigeführt werden kann.
Auch vermag es nicht zu überzeugen, dass ein notwendig Beigeladener, der in bestimmten Konstellationen einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten möglicherweise gerade deshalb nicht bestellt hat, weil er selbst an einer Förderung des Verfahrens kein Interesse hat, allein hierdurch eine zweckmäßige Ruhensanordnung sperren könnte.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).