Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.01.2012, Az.: 12 OA 303/11
Anfallen einer Terminsgebühr in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.01.2012
- Aktenzeichen
- 12 OA 303/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 10059
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0111.12OA303.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 15.11.2011 - AZ: 4 B 4368/09
Rechtsgrundlagen
- § 123 VwGO
- Vorb. 3 Abs. 3 Teil 3 Anlage 1 VV RVG
Amtlicher Leitsatz
Eine Terminsgebühr kann in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur anfallen, wenn ausnahmsweise eine mündliche Verhandlung, Erörterung oder ein Termin zur Beweisaufnahme stattfindet.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin richtet sich gegen die Nichtberücksichtigung einer Terminsgebühr. In dem Ausgangsrechtsstreit, einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO, begehrte die Antragstellerin, ihr durch geeignete Maßnahmen Schutz vor Lärmimmissionen zu gewähren. Nachdem die Antragsgegnerin ergänzende Anordnungen getroffen hatte, erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt, stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren durch Beschluss vom 2. November 2009 ein und belastete die Antragsgegnerin nach billigem Ermessen mit den Verfahrenskosten. Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragte die Antragstellerin, neben einer Verfahrens- und Einigungsgebühr auch eine Terminsgebühr als erstattungsfähig festzusetzen. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wies den Antrag mit der Begründung zurück, eine Terminsgebühr könne nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) zu dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) nur entstehen, wenn für das Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei; eine Ausweitung der Terminsgebühr auf Beschlussverfahren habe der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Die hiergegen eingelegte Erinnerung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. November 2011 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG sowie Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV RVG entstehe die Terminsgebühr nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nur in Verfahren, für die eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei oder ausnahmsweise anberaumt wurde, (nur) in diesen Verfahren auch dann, wenn im Einverständnis mit den Parteien oder nach § 307 bzw. § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder ein schriftlicher Vergleich geschlossen werde. An beiden Voraussetzungen fehle es hier.
II.
Die gegen diesen Beschluss gerichtete zulässige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg.
Der Senat vermag nicht der Auffassung der Antragstellerin zu folgen, dass sie mit Blick auf die Vorbemerkung 3 Abs. 3 des Teils 3 der Anlage 1 (Vergütungsverzeichnis - VV) zum RVG auch die Festsetzung einer Terminsgebühr beanspruchen könne. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat kürzlich in einem vergleichbaren Fall in seinem Beschluss vom 26. August 2011 (- 4 E 760/11 -, [...]) ausgeführt:
"Nach Nr. 3104 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - Vergütungsverzeichnis (VV) - i.V.m. Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV fällt eine Terminsgebühr auch an für die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts.
Im vorliegenden Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt eine solche Gebühr schon deshalb nicht in Betracht, weil eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist und das Gericht durch Beschluss entschieden hat. Die Terminsgebühr kann nur entstehen in Verfahren, in denen eine mündliche Verhandlung obligatorisch ist oder vor dem Richter oder einem von ihm beauftragten Sachverständigen eine Erörterung oder eine Beweisaufnahme stattfindet.
Vgl. ebenso BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2007 - V ZB 110/06 -, NJW 2007, 1461, [BGH 01.02.2007 - V ZB 110/06] und vom 15. März 2007 - V ZB 170/06 -, NJW 2007, 2644; OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2010 - 13 E 382/10 -, NVwZ- RR 2010, 864; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juni 2009 - 1 MN 172/08 -, [...]; Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage 2010, 3104 VV, Rn. (15;) a.A. OLG München, Beschluss vom 27. August 2010 - 11 WF 331/10 -, [...]; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, Vorb. 3 VV Rn. 95ff.
Daran fehlt es hier. In Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO oder § 123 VwGO wird grundsätzlich im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung entschieden. Das hat gebührenrechtlich zur Folge, dass keine Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV anfällt.
Die Terminsgebühr wird entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht durch die Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV in eine allgemeine Korrespondenzgebühr umgestaltet, die von der Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins vollständig abgekoppelt ist.
BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 - V ZB 110/06 -, a.a.O.
Auch hat der Gesetzgeber hiermit keinen eigenständigen Gebührentatbestand geschaffen. Hierfür sprechen der Wortsinn des Begriffs "Terminsgebühr" und der systematische Zusammenhang, in den die "Besprechung ohne Beteiligung des Gerichts" gestellt ist. Es geht um ein Verfahren, in dem eine Verhandlung durchzuführen ist oder zumindest eine Erörterung oder eine Beweisaufnahme stattzufinden hat. Das ist auch der Grund, weshalb in Nr. 3104 VV erweiternd ("auch") vorgeschrieben wird, diese Terminsgebühr könne ein Anwalt selbst dann verlangen, wenn das Gericht die an sich gebotene mündliche Verhandlung nicht durchgeführt hat, indem statt durch Urteil durch Gerichtsbescheid (§ 84 VwGO) oder im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Zweck, den der Gesetzgeber mit der Ausweitung der Gebühr auf Besprechungen ohne Mitwirkung des Gerichts verfolgt hat. Die Terminsgebühr ersetzt sowohl die frühere Verhandlungs- als auch die Erörterungsgebühr. Für das Entstehen der Gebühr soll genügen, dass der Rechtsanwalt einen Termin wahrnimmt. Die Erweiterung der Terminsgebühr auf Gespräche der Verfahrensbeteiligten untereinander soll lediglich gebührenrechtlich honorieren, wenn sich der Bevollmächtigte in einem Verfahren, in dem noch mündlich verhandelt werden oder zumindest vor dem Gericht eine Beweisaufnahme oder ein Erörterungstermin stattfinden soll, vor einem solchen Termin um die Erledigung des Verfahrens bemüht. Den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht sollen so unnötige Erörterungen in einem Gerichtstermin allein im Gebühreninteresse erspart bleiben.
Vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 209; Nds. OVG, Beschluss vom 12. Juni 2009 - 1 MN 172/08 -, [...]; OVG NRW, Beschluss vom15. Juni 2010 - 13 E 382/10 -, a.a.O."
Diesen Erwägungen schließt sich der Senat an. Soweit demgegenüber die Gegenansicht meint, die Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG kenne eine Einschränkung auf Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung oder Erörterung und auf Fälle, in denen ausnahmsweise eine Verhandlung oder Erörterung anberaumt worden sei, nicht (vgl. insbes. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Vorbemerkung 3 VV, Rdnr. 95 ff) und eine solche einschränkende Auffassung stehe im eindeutigen Widerspruch zu dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers (vgl. Mayer, in: Mayer/Kroiß (Hg.), RVG, 4. Aufl. 2009, Vorbem. 3, Rdnr. 60) überzeugt dies nicht. Die scheinbar einschränkungslose Formulierung in Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 bedarf einer am Gesetzeszweck orientierten einschränkenden Auslegung. Es war Absicht des Gesetzgebers, die bisherige Verhandlungs- und Erörterungsgebühr durch die nunmehr vorgesehene Terminsgebühr zu ersetzen und insoweit einen erweiterten Anwendungsbereich zu schaffen. Ziel war es, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beitragen soll. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt, insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens durch eine gütliche Regelung zielen. Da solche Besprechungen nach alter Rechtslage nicht honoriert wurden, wurde in der Praxis vielfach ein gerichtlicher Verhandlungstermin angestrebt, in dem ein ausgehandelter Vergleich nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" protokolliert wurde; damit entstand die Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr nach altem Recht. Gerade dies wollte der Gesetzgeber mit der Neuregelung vermeiden. Vielmehr sollen durch den erweiterten Anwendungsbereich der Terminsgebühr dem Rechtsanwalt die Bemühungen um die Erledigung der Sache honoriert werden und den Verfahrensbeteiligten sowie dem Gericht unnötige Erörterungen in einem Gerichtstermin allein im Gebühreninteresse erspart bleiben (BT-Drs. 15/1971, S. 209). Dieser tragende Grundgedanke stellte nicht nur den Anlass für die Neuregelung des Gebührentatbestandes dar, sondern ist auch zur Auslegung der Tragweite der Neugestaltung heranzuziehen. Der mit der Rechtsänderung verfolgte Zweck der gebührenrechtlichen Honorierung möglichst frühzeitiger Einigungsbemühungen (auch ohne Zutun des Gerichts) liegt (nur) in der Gleichstellung des Bemühens um außergerichtliche Einigung mit den Fällen der streitigen Erörterung vor Gericht. Der Prozessbevollmächtigte soll keinen Nachteil dadurch erleiden, dass es nicht zu einer Verhandlung oder Erörterung vor dem Gericht kommt, er soll aber auch nicht besser gestellt werden, als er in einem Verfahren stünde, das von vornherein nicht auf eine solche Verhandlung oder Erörterung angelegt ist und in dem es dazu auch nicht ausnahmsweise kommt. Hierfür spricht auch der systematische Zusammenhang mit den übrigen in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 genannten Fällen, die eine Terminsgebühr nur entstehen lassen, wenn eine Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin stattgefunden hat oder ein von einem gerichtlichen Sachverständigen anberaumter Termin wahrgenommen wurde (Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG, 4. Aufl. 2011, Vorbem. 3 VV/Teil 3, Rdnr. 96e). Daran fehlt es regelmäßig in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, in denen im Allgemeinen ohne eine Verhandlung oder Erörterung durch Beschluss entschieden wird. Dem Anliegen, eine unstreitige Erledigung von Verfahren zu fördern, hat der Gesetzgeber im Übrigen insbesondere durch die Schaffung einer Einigungs- und einer Erledigungsgebühr (Nr. 1000 und 1002 des Vergütungsverzeichnisses) Rechnung getragen.
Soweit sich die Antragstellerin wiederholt auf den Beschluss des OLG München vom 27. August 2010 (11 WF 331/10) und eine weitere bekräftigende Entscheidung vom 25. März 2011 (11 W 249/11) bezieht, sind daraus weiterführende Erkenntnisse nicht zu gewinnen. In dem gegen den Beschluss des OLG München vom 27. August 2010 geführten Rechtsbeschwerdeverfahren hat der Bundesgerichtshof (12. Zivilsenat) keinen Anlass gesehen, von der grundlegenden und auch in der oben zitierten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen genannten Rechtsprechung des 5. Zivilsenats abzuweichen. Er hat lediglich und insoweit in Abgrenzung zu den oben zitierten beiden Beschlüssen des 5. Zivilsenats vom 1. Februar 2007 und 15. März 2007 (a.a.O.) entschieden, dass die in Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 VV RVG vorgesehene Terminsgebühr auch in solchen Verfahren anfallen kann, in denen eine mündliche Verhandlung für den Fall vorgeschrieben ist, dass eine Partei sie beantragt (Beschl. v. 2.11.2011 - XII ZB 458/10 -, [...]). Das steht zu der hier vertretenen Auffassung nicht im Widerspruch.
Dieser Auffassung lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, obwohl das Mahnverfahren keine mündliche Verhandlung vorsehe, sei der Gesetzgeber erkennbar davon ausgegangen, dass auch in einem solchen Verfahren eine Terminsgebühr anfallen könne. Komme aber als entsprechender Gebührentatbestand ausschließlich Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alt. 3 VV RVG in Betracht, so bedeute das sogleich, dass dieser Tatbestand nicht ein Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung zur Voraussetzung haben könne (vgl. dazu Müller-Rabe, a.a.O., Rdnr. 100). Daran ist zwar richtig, dass der Gesetzgeber das Anfallen einer Terminsgebühr in einem Mahnverfahren für möglich erachtet hat (Vorbem. 3.3.2 VV RVG). Auch insoweit gilt aber, dass es die Parteien über den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens (§ 696 Abs. 1 ZPO) in der Hand haben, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen (so bereits BGH, Beschl. v. 2.11.2011, a.a.O., Rdnr. 33).
Ferner wird gegen die herrschende - auch hier vertretene - Meinung in der Rechtsprechung angeführt, dass eine Terminsgebühr durch die 3. Alternative der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV auch dann entstehen könne, wenn ein Verfahren noch nicht anhängig sei. Dann stehe unter Umständen aber noch nicht einmal fest, ob es zu einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung komme oder nicht, z.B. weil noch unklar sei, ob zuerst im Wege eines Eilverfahrens (ohne obligatorische mündliche Verhandlung) oder gleich im Wege eines Hauptsacheverfahrens (mit grundsätzlich obligatorischer mündlicher Verhandlung) vorgegangen werden solle (siehe Müller-Rabe, a.a.O., Rdnr. 110). Auch dieses Argument zwingt nicht zu der gegenteiligen Auslegung. Ist ein Anwalt mit der Rechtsverfolgung beauftragt worden und gelingt es, die Angelegenheit außergerichtlich zu erledigen, so werden im Allgemeinen die Umstände des Einzelfalls ergeben, welches Rechtsschutzziel in welcher Verfahrensart voraussichtlich verfolgt worden wäre. Bleiben insoweit Zweifel, wird anzunehmen sein, dass der Rechtsschutzsuchende auch ein im Wege des Hauptsacheverfahrens zu erlassendes Urteil angestrebt hätte, wenn nicht erkennbar das vorläufige Rechtsschutzverfahren das sachgerechte und ausreichende Mittel darstellt oder sonst eindeutige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass ein Hauptsacheverfahren keinesfalls eingeleitet worden wäre.